Jona 3, 1-10

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Jona 3, 1-10

2. So. n. Trinitatis | 26.06.2022 | Jona 3, 1-10 | Bernd Giehl |

Nach einigen Tagen der Beschäftigung mit diesem Text ist er mir eingefallen: Alexej Nawalny, der russische Oppositionelle, der momentan in einem russischen Arbeitslager sitzt und von dort aus seine Botschaften – meist in Form von Schlussworten bei Gerichtsprozessen –

in die Welt sendet. Immerhin kann er das noch. Er ist prominent genug, dass Journalisten und Kameraleute aus dem Ausland seine Prozesse begleiten können. Was ja schon erstaunlich genug ist in einem Land, das so abgeschottet ist wie Russland und so sehr im Clinch liegt mit dem Westen. Von Prozess zu Prozess wird er erneut verurteilt. Die Urteile sind fadenscheinig, weil er zum Beispiel dafür zur Rechenschaft gezogen wird, dass er seiner Meldepflicht in einem bestimmten Zeitraum nicht nachgekommen sei.  In diesem Zeitraum befand er sich im Westen und Ärzte kämpften um sein Leben, weil er vergiftet worden war. Vermutlich vom Regime. Alle hatten ihm geraten, in Deutschland zu bleiben, weil sonst niemand für seine Sicherheit, geschweige denn für sein Leben garantieren könne. Aber Nawalny hatte nicht auf die Ratschläge gehört, sondern war in sein Heimatland zurückgekehrt. Direkt nach der Landung in Moskau war er verhaftet worden und nun folgte Prozess um Prozess, und das Strafmaß wird von Mal zu Mal höher. Jeder vernünftige Mensch fragt sich: Warum tut er sich das an? Die einzige Antwort, die ich mir vorstellen kann: Er will zeigen, wie die Justiz in Russland wirklich ist. Dass sie von ganz oben gesteuert wird. Das er sich dabei selbst opfert, nimmt er in Kauf.

Kann man einen solchen Menschen verstehen? Wahrscheinlich nicht. Aber bewundern kann man ihn schon. Nicht jeder wird sein Leben dafür opfern, dass sein Land wieder eine Demokratie wird. Schon gar nicht einer, der so viele Möglichkeiten hatte wie Alexej Nawalny.

Man muss schon einen ungeheuer starken Glauben haben.

Aber an dieser Stelle will ich Nawalny nun verlassen und zum Helden unserer Erzählung kommen. Zu Jona. Ich weiß nicht, ob Sie heute zum ersten Mal von ihm hören oder ob sie schon etwas über den Propheten wissen.  Nehmen wir einmal an, Sie hören heute zum ersten Mal von diesem Jona. Sie haben auch überhört, was der Pfarrer oder die Pfarrerin am Anfang der Lesung gesagt haben, dass es in der Predigt um das 3. Kapitel des Jonabuchs handle. Also hören Sie jetzt, wie da ein Mann namens Jona den Auftrag erhält, einer mächtigen und bösen Stadt den Untergang anzusagen. In vierzig Tagen wolle Gott die böse Stadt Ninive vom Angesicht der Erde tilgen. Sie wissen weder etwas von diesem Propheten, noch von der bösen Stadt Ninive, die Gott vernichten will, aber sie können sich vorstellen, dass die Menschen von Ninive Macht und Einfluss besitzen und dazu natürlich auch Waffen und Geld. Sie können sich gut vorstellen, dass die aus Ninive so einen schwachen Einzelnen wie ein Staubkorn von ihrer Kleidung pusten können. Und dass es niemanden gibt, der sie daran hindern kann.

Was würden Sie tun? Würden Sie in die Stadt gehen und Gottes Botschaft ausrichten? Das wäre doch reiner Selbstmord. Nein, viel eher würden Sie die Beine in die Hand nehmen und so schnell wie möglich aus der Nähe der großen und bösen Stadt verschwinden. Würde vermutlich doch jeder tun. Es sei denn, er hieße Nawalny.

Nur Jona handelt anders. Ob er ein Held ist? Oder ob er ein unerschütterliches Vertrauen zu Gott hat. dass der ihm hilft? Ihn vor dem Gefängnis oder gar dem Tod bewahrt? Lassen wir die Frage noch für einen Moment offen. Er geht also eine Tagereise hinein in die große Stadt und fängt an zu predigen. Predigt den Leuten, dass die Stadt dem Untergang geweiht ist, weil Gott es so beschlossen hat. Woher er die Sprache kann oder warum ihn die Einwohner trotzdem verstehen, wird nicht erzählt. Und dann passiert das ganz und gar Ungeheuerliche. Die Menschen hören ihm zu. Sie fragen nicht, welcher Gott das denn sei, von dem er rede. Sie hätten viele Götter und die seien ihnen immer freundlich zugewandt gewesen. Die hätten ihnen immer Glück bei ihren vielen Feldzügen gebracht. Noch nie seien sie in einem Krieg besiegt worden. Wider jede Wahrscheinlichkeit glauben sie dem Mann, den sie vorher noch nie gesehen haben.  Sie legen Trauerkleidung an und bitten den ihnen unbekannten Gott, dass er ihnen verzeihe und ihre Stadt verschone. Und selbst der König von Ninive schickt nicht die Polizei oder das Militär und lässt seine treulosen Untertanen verhaften, sondern er tut dasselbe wie seine Untergebenen. Auch er legt Trauerkleidung an, auch er bittet den Gott Jonas, den er ja auch nicht kennt, um Vergebung und darum, dass er seine Drohung nicht wahrmache.

Kann man das glauben? Wenn man es glauben kann, dann ist Jona ein Held, wie es ihn noch selten gegeben hat. Ein Mann, der so charismatisch ist, dass man sich fragt, woher er diese Überzeugungskraft hat. Ein Held, der sich vor nichts und niemand auf der Welt zu fürchten scheint. Einer, der auch seine Feinde überzeugen kann und dafür nur die Kraft seiner Worte braucht.

Aber ist Jona das? Wenn ich es richtig sehe, ist er alles andere als ein Held. Wie gesagt: wir befinden uns in Kapitel 3 des Jonabuchs und es ist also schon einiges vorausgegangen. Schon einmal hatte Jona von Gott den Auftrag erhalten, nach Ninive zu gehen und der bösen Stadt den Untergang vorauszusagen. Und dann hatte der die Beine in die Hand genommen, war nach Jaffa an die Küste Israels geeilt und hatte dort ein Schiff bestiegen, das ihn so weit wie möglich von Ninive, der Hauptstadt des assyrischen Weltreichs im Osten wegbringen sollte. Das Schiff würde nach Spanien segeln und dort, so hoffte jedenfalls Jona, würde Gott ihn nicht finden. Nur dass er die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatte. Gott wusste, wo Jona sich verkrochen hatte. Also schickte er einen gewaltigen Sturm los, der das Schiff zu zerbrechen drohte. Und erst als alles nichts mehr half, ging Jona zum Kapitän und beichtete ihm, dass er wohl schuld sei an diesem Sturm, weil er vor Gottes Auftrag davongelaufen war und sein Schicksal ihn nun eingeholt hatte. Woraufhin der Kapitän befahl, Jona über Bord werfen zu lassen. In diesem Fall traf es ja wohl auch den richtigen.

Womit die Geschichte also wohl zu Ende wäre. Wenn Gott nicht vorgesorgt hätte, dass sein Prophet schon dahin kommt, wo er ihn haben will. Also schickt er einen Wal, der Jona mit Haut und Haaren verschluckt und dann den Rest des Mittelmeers durchkreuzt, die Meerenge von Gibraltar durchquert, um ganz Afrika schwimmt, an der arabischen Halbinsel vorbei, in die Mündung des Euphrat am Schatt el Arab bis zur großen, bösen und schönen Stadt Ninive gelangt und Jona dort aufs feste Land speit.

All das ist so wunderbar, so komisch und auch so schwer zu glauben, dass man wohl von einer Legende sprechen muss. Über die man sich aufregen kann, über die man lachen oder sie mit Spannung verfolgen kann. Sie geht ja auch wunderbar komisch weiter. Als Gott beschließt, Ninive doch noch einmal zu verschonen, weil er der Reue der Niniviten glaubt, grollt Jona. Da hat er nun sein Leben aufs Spiel gesetzt und dann das. Keine Konsequenzen für die Übeltäter. Nicht einmal für die mächtigsten.  Am Ende versucht Gott, Jona umzustimmen ihn daran zu erinnern, dass er ja auch sein Leben verschont hat, aber ob es ihm gelingt, bleibt offen.

Das Buch Jona ist eine wunderbare kleine Novelle, die es sich auch ganz abseits einer Predigt oder eines Gottesdienstes zu lesen lohnt. Man wird darin immer wieder Neues entdecken können. Aber wir sind hier ja nun im Gottesdienst und damit gehalten, zu hören, was Gott uns zu sagen hat. Also fragen wir, mit wem wir uns wohl identifizieren sollen. Mit Jona? In der gegenwärtigen Situation wäre es wunderbar, einen Jona zu haben. Der würde einfach das nächste Flugzeug besteigen, in die große, böse Stadt im Osten fliegen und dem Präsidenten des Landes seinen Untergang voraussagen, wenn er nicht sofort von seinem Krieg gegen das kleinere Land ablassen würde. Und dann würde das Wunderbare passieren, der Krieg würde aufhören und der Präsident würde die Weltgemeinschaft um Verzeihung bitten.

So weit, so wunderbar. Einen solchen Jona würden wir uns wünschen. Einen, der nur mit der Kraft seiner Worte dazwischenfahren und den Mächtigen Bescheid stoßen kann. Nur dass sich wohl kaum einer so etwas vorstellen kann. Wenn auch ein Alexej Nawalny das nicht vermag, wer soll es denn sonst können? Ein solcher Prophet bleibt dann zwar immer noch eine interessante Möglichkeit, aber eben auch nicht mehr.

Also müssen wir wohl an einer anderen Stelle andocken. Und was bliebe da anders als Ninive?

Aber können wir das? Wollen wir das? Uns mit einer so mächtigen und bösen Stadt identifizieren? Uns sagen lassen, dass wir bald vom Angesicht der Erde ausgelöscht werden?

Machen wir uns also ruhig klein. Auch in Ninive gab es ja nicht nur mächtige Menschen, deren Befehle gehört und umgehend ausgeführt wurden. Aber haben sie keine Verantwortung? Die Frage ist so umstritten wie die Prozesse gegen hundertjährige KZ-Wächter, die in der Bundesrepublik noch geführt werden. Haben sie damals nur auf Befehl gehandelt oder tragen sie eine Mitschuld an dem, was damals geschah?

Gut möglich, dass der Vergleich hinkt. So wie man eben auch Bibeltexte nie eins zu eins auf die Gegenwart übertragen kann. Und doch geht es um Verantwortung und Schuld. Wahrscheinlich tragen wir alle Verantwortung, der wir uns nicht entziehen können, auch wenn wir das gerne wollten. Und selbst wenn wir keine Verantwortung tragen für das, was früher geschah, weil wir da ja noch nicht einmal geboren waren, so müssen wir uns doch mit dem Konsequenzen herumschlagen. In unserem Fall mit der Erderwärmung, die dadurch entstanden ist, dass vor allem die westliche Welt seit mehr als 150 Jahren ungebremst CO2 in die Luft geblasen hat. Lange konnten wir das guten Gewissens tun, aber seit etwa 50 Jahren, seit dem ersten Bericht des Club of Rome wissen wir, dass unser Handeln ungeahnte Konsequenzen hat.

Und doch sind dreißig Jahre vergangen, ohne dass die Regierungen der Welt daraus spürbare Konsequenzen gezogen hätten. Erst in den letzten zwanzig Jahren, als die Konsequenzen immer sichtbarer wurden, hat sich etwas geändert. Immer mehr Hitzeperioden sind über die Erde gezogen, immer mehr Dürren sind gekommen. Nicht dass man einzelne Dürreperioden Überschwemmungen oder Hitzewellen dem Klimawandel hätte zuordnen können, aber in der Summe sind sie doch ein starkes Indiz dafür, dass der Klimawandel eingetreten ist und dass seine Konsequenzen uns alle betreffen.

Also werden wir handeln müssen. Und nicht erst in einigen Jahren, sondern jetzt. Wir werden die CO2 Emissionen, die wir in die Luft blasen, radikal verringern müssen. Wir werden von Kohle, Öl und Gas umstellen müssen auf erneuerbare Energien. Wir werden weniger Auto fahren müssen und mehr aufs Fahrrad oder die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen müssen.

Das alles wird sicher nicht ohne Schmerzen abgehen. Eine Menge Leute in der Autoindustrie oder in der Mineralölwirtschaft werden erst einmal arbeitslos werden. Sie werden hoffentlich neue Jobs in Feldern finden, die dann entstehen, aber wer gewinnt und wer verliert, das wird die Zeit zeigen. Solche Umstellungsprozesse erfordern Zeit und Geduld. Auch in Ninive werden die Soldaten oder die Leute aus der Waffentechnik nicht von einem auf den anderen Tag eine neue Beschäftigung gefunden haben. Womöglich war nach einiger Zeit, als die Erinnerung an den Propheten zu verblassen begann, der eine oder andere unzufrieden mit dem Umbau des Staates. Davon erzählt die Jonageschichte leider nichts mehr. Sie endet mit dem unzufriedenen Propheten, der unter seinem Rhizinunsstrauch sitzt und Gott, der ihn zu überzeugen versucht. Ob das gelingt wird ebenfalls nicht erzählt.

Ohne Vertrauen, das das alles am Ende doch noch gelingt, wird es also nicht gehen. Aber das kennen wir ja schon aus anderen Zusammenhängen.

Bernd Giehl * Albert-Einstein-Str.9 * 64569 Nauheim

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