Kolosser 2,12-15

Kolosser 2,12-15

Ostern – Das Fest der Unverfügbarkeit | Quasimodogeniti | 24.04.2022 | Kol 2,12-15 | Uland Spahlinger |

Kolosser 2 (BasisBibel)

12In der Taufe wurdet ihr mit ihm begraben. Mit ihm wurdet ihr auch auferweckt. Denn ihr habt an die Kraft Gottes geglaubt, der Christus von den Toten auferweckt hat. 13Ja, ihr wart tot aufgrund eurer Verfehlungen. Und eure auf das Menschliche ausgerichtete Natur hatte die neue Beschneidung noch nicht empfangen. Aber Gott hat euch zusammen mit Christus lebendig gemacht, indem er uns alle Verfehlungen vergeben hat. 14Er hat den Schuldschein getilgt, der uns belastete –einschließlich seiner Vorschriften, die gegen uns standen. Er hat ihn ans Kreuz angenagelt und damit beseitigt. 15Er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt. Er führt sie im Triumphzug mit, der für Christus abgehalten wird.

Liebe Leserin, lieber Leser,

„klingt ja fast wie Paulus,“ hätte mein bibelkundebegeisterter Mitstudent Helmut, damals Ende der 70er Jahre, gesagt. Wir hatten gerade gelernt, dass der Brief wahrscheinlich gar nicht von Paulus selbst verfasst worden war, sondern vielleicht von einem seiner Schüler, der sich – aus Verehrung für den großen Lehrer – dessen Namen „ausgeborgt“ hatte. Das galt im Altertum nicht als schändliches Plagiat, sondern als Achtungsbezeugung. 

Und tatsächlich: der Abschnitt, den wir eben gehört haben, erinnert stark an eine Passage im Römerbrief, Kapitel 6, hier auch wieder in der Version der BasisBibel:  3Ihr wisst doch: Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind einbezogen worden in seinen Tod. 4Und weil wir bei der Taufe in seinen Tod mit einbezogen wurden, sind wir auch mit ihm begraben worden. Aber Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt. So werden auch wir ein neues Leben führen.

In der Tat, das klingt sehr ähnlich, gerade der erste Teil. Die Gemeinden hat offenbar sehr beschäftigt, wie sich das mit der Rettung durch die Taufe verhalten mag. Es war ja auch ein durchaus ungewöhnliches Beitrittsmodell: nicht die Geburt machte dich zu einem Christenmenschen, nicht die Beschneidung, nicht irgendwelchen angsteinflößenden Eintrittsrituale, nicht der Geldbeutel oder eine Pro-Forma-Mitgliedschaft (wie etwa beim Kaiserkult). Nein, du wurdest Schritt für Schritt hineingeführt in das Leben und die Lehre der Christengemeinde, bis du dann schließlich Taufbewerber:in werden konntest. Und dann brauchte es die Zustimmung von beiden Seiten: Du musstest deine Bereitschaft erklären und die Gemeinde oder der Gemeindevorstand musste zustimmen. Das war gut geordnet – und es dauerte seine Zeit, denn: Großes war und ist mit der Taufe verbunden. Nicht ein nettes Familienfest (was an sich auch dazu gehören darf), sondern die Begegnung mit etwas sehr Geheimnisvollem und Lebenveränderndem. Im Römerbrief macht Paulus den Zusammenhang mit dem Sterben und der Auferstehung Jesu auf: 4…weil wir bei der Taufe in seinen Tod mit einbezogen wurden, sind wir auch mit ihm begraben worden. Aber Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt. Im Kolosserbrief heißt das etwas anders: 12In der Taufe wurdet ihr mit ihm begraben. Mit ihm wurdet ihr auch auferweckt. Denn ihr habt an die Kraft Gottes geglaubt, der Christus von den Toten auferweckt hat. 13Ja, ihr wart tot aufgrund eurer Verfehlungen.

Paulus ist hier grundsätzlicher als sein Schüler, finde ich. Er nimmt die ganze Existenz des Menschen hinein in das geheimnisvolle Geschehen von Tod und Auferweckung Jesu, die er als das ganz Andere beschreibt, das völlig Neue, einen echten und vollkommenen Neuanfang – der schon im Hier und Jetzt Auswirkungen hat, Spuren hinterlässt, ja eine Prägung, die dir mit der Taufe eingeprägt wird wie mit einem Prägestempel. 

Der Kolosserbrief dagegen führt uns auf die Spur der Moral oder der Ethik: …ihr wart tot aufgrund eurer Verfehlungen.  

Hier wird nicht von der Existenz geredet, sondern vom Verhalten. Es geht um Vorschriften, um Verfehlungen, um einen Schuldschein. Unser kleiner Abschnitt führt die Taufe in einen sozusagen juristischen Raum – das würde dem Römerbrief-Paulus so nicht einfallen. Der juristische Raum nun hat einen Nachteil und einen Vorteil. 

Der Nachteil ist, dass du die Taufe wie einen Gerichtsprozess behandeln kannst, wo du dich auf Paragraphen beziehst und diese zu deinen Gunsten auslegst. Das funktioniert für den Glauben aber nicht so recht. 

Der Vorteil ist, dass du die Taufe wie einen Gerichtsprozess behandeln kannst, wo du ganz konkretes Handeln beurteilst und schaust, ob es zur gesetzten Norm passt. Das funktioniert – in gewissen Grenzen – ziemlich gut für christliches Leben; es hat ja immer noch etwas für sich, dass Konfirmanden die 10 Gebote lernen und besprechen. 

Das juristische Modell hat zweifelsohne seine Grenzen. Mit diesen Grenzen musst du umgehen – und zwar so, dass am Ende nicht das Urteil steht, sondern die zweite Chance (vgl. die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin Joh. 8). Das war den Christen von Anfang an bewusst, genau wie den Juden, die neben das Recht und die Gerechtigkeit immer auch die Barmherzigkeit stellen. Bei den Propheten können wir darüber ebenso lesen wie etwa in der Bergpredigt Jesu. Glaube und Lebensführung sollten aufeinander bezogen sein – so eng wie möglich. Heute übrigens ganz genauso. Daran hängt ja die Wirkung nach außen, die Glaubwürdigkeit. Es ist kein Zufall, dafür aber um so beschämender, dass der Kirche die Leute weglaufen, weil sie, gerade von den so genannten Amtsträgern her – nicht mehr glaubwürdig ist und es nicht einmal schafft, da, wo sie unglaubwürdig geworden ist, klar Schiff zu machen. Aber das nur am Rande (wiewohl es in unseren Zusammenhang durchaus hineingehört).

Ich will eine andere Spur verfolgen, von der ich meine, dass sie in unserer Gegenwart eine ebenso große Rolle spielt. Dazu gehe ich für einen Moment aus der theologischen Betrachtung heraus. Der Soziologe Hartmut Rosa ist da ein unbelasteter Gesprächspartner. In seinem kleinen Buch „Unverfügbarkeit“ beschreibt und hinterfragt er den eigentümlichen Drang des Menschen, sich möglichst alle Lebensbereiche verfügbar zu machen. Er schreibt über den Oberbürgermeister einer großen deutschen Stadt der berichtete, „in Jungendzentren oder auf Jugendversammlungen entwickelten sich etwa häufig „leuchtende Augen“, weil Ideen für die Gestaltung eines Platzes, einer Schule oder eines Festes auf Begeisterung stießen. Leider könne er dann im Grunde stets nur bremsen: Gute Idee, aber es bedarf jenes Antrages, dieser Zustimmung, jener rechtlichen Prüfung jener Genehmigung und Sicherung, ehe die Idee umgesetzt werden kann – und auf diesem Wege „versandet“ alle Energie.“[1] Ähnlich bei Unglücken, hierzu schreibt er: „Indessen nimmt das Verlangen, Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit zu schaffen, …. problematische Züge an. Wo immer sich Unglücke und Unfälle ereignen, versuchen wir Schuldige und Verantwortliche auszumachen, und zwar so, als seien die Voraussetzungen dafür „im Grunde“ verfügbar gewesen. Jemand muss doch die Verantwortung tragen. …. Jemand muss doch die (Bau-)Vorschriften missachtet, die Schutzmaßnahmen vernachlässigt, die Warnzeichen übersehen haben. Immer wieder hat es den Anschein, als bündelte sich dann die ganze ….. Energie in der Wut auf diejenigen, welche das Unglück nicht im Vorfeld oder in der Bearbeitung verfügbar gemacht haben.“[2]Oder noch ein ganz anderer Bereich: „Auf was genau hat man einen Anspruch, wenn am eine teure Konzert- oder Theaterkarte kauft? Darauf, dass die Künstler pünktlich, gut gelaunt und inspiriert sind? Dass es keine störenden Nebengeräusche gibt? Dass das Konzert oder die Vorführung mindestens 90 Minuten dauert?  Was kann man verlangen, wenn man einen Urlaub bucht? Dass das Wetter gut, die anderen Gäste höflich und gesund, die Straße ruhig, das Essen schmackhaft ist?“ [3]

Und was bedeutet das für die Verantwortung der Veranstalter?

Liebe Gemeinde, das sind keine theologischen Probleme – es sind Situationen, die tagtäglich in unserem Alltag auftauchen. Und ich bin mit Hartmut Rosa der Überzeugung, dass sie daherkommen, dass wir meinen, wir könnten und müssten alles, aber auch alles im Griff haben. Dass wir nach Verfehlungen suchen, Schuldscheine ausstellen, Vorschriften erlassen: das passiert und macht uns manchmal das Leben zur Hölle, manchmal schneidet es uns ab von den Möglichkeiten des Menschlichen. Und es trennt uns – und damit komme ich wieder zurück zum Kolosserbrief – es trennt uns vom Gott des Lebens. Für den Kolosserbrief ist die „auf das Menschliche ausgerichtete Natur“ die Natur, die uns von Gott getrennt hält. Mit Hartmut Rosa würde ich sagen: das ist eine unmenschliche Natur, oder vielleicht gar keine, denn sie versucht, das auszuschließen, was unverfügbar ist. Und unverfügbar ist uns der Fluss des Lebens, die Verfehlung, die darin liegt, dass wir auf Verfehlungen fixiert sind und nicht auf Vergebung, auf Vergeltung und nicht auf Gnade.

Eine leblose Angelegenheit ist, so gesehen, das Leben. 

Eine leblose Angelegenheit wäre, so gesehen, das Leben, wenn nicht – ja, wenn nicht Gott eingegriffen hätte, und ich finde das Bild wunderbar, das der Kolosserbrief dafür gefunden hat: Aber Gott hat euch zusammen mit Christus lebendig gemacht, indem er uns alle Verfehlungen vergeben hat. 14Er hat den Schuldschein getilgt, der uns belastete –einschließlich seiner Vorschriften, die gegen uns standen. Er hat ihn ans Kreuz angenagelt und damit beseitigt. 

Ja, es ist richtig: klingt fast wie Paulus. Aber anders als dem Römerbrief geht es dem Kolosserbrief um die Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Er fragt danach: wie kann sich euer Leben als eine lebendige, von Gott befreite Angelegenheit verwirklichen und zeigen? Und er gibt die Antwort: Gott selbst hat aufgeräumt. Er hat den Ort gefunden, an dem euer Schuldschein, eure lebensfeindlichen Vorschriften und eure Verfehlungen ihren Lastschriftcharakter verlieren, bedeutungslos werden, wertlos. Eine große Befreiung entspinnt sich da – manche würden sagen: eine Neugeburt. So dürft ihr euch nach Gottes willen ansehen: wie die neugeborenen Kinder. Quasimodogeniti.

In dem afrikanischen Osterlied „Er ist erstanden, halleluja“ ist das im deutschen Text haarscharf auf den Punkt gebracht: „Er ist erstanden, hat uns befreit; / dafür sei Dank und Lob allezeit. / Uns kann nicht schaden Sünd oder Tod, / Christus versöhnt uns mit unserm Gott. (EG 116,5)“

Und das dürfen wir feiern – mitten in einer Welt mit so viel Tod – aber feiern als Fest des Lebens. 

Amen.

Dekan Uland Spahlinger, Dinkelsbühl

Email: uland.spahlinger@elkb.de


[1] Hartmut Rosa, Unverfügbarkeit, Suhrkamp tb 5100, 20201, S. 105f.

[2] Ebd. S. 107 und 108

[3] Ebd. S. 109

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