Kolosser 2,12-15

Kolosser 2,12-15

Lebendig | Quasimodogeniti | 24.04.2022 | Kol 2,12-15 | Nadja Papis | 

Manchmal regen mich Bibeltexte einfach auf. Wirklich! Oder sollte ich das als Pfarrerin etwa nicht sagen? Oder schon gar nicht denken? «Man» muss die Bibel ja ehren und toll finden – in allem. Jetzt schäme ich mich. Bin ich einfach keine gute Christin? Zu wenig fromm? Zu wenig bibeltreu? Und doch: Diese Floskeln im Kolosserbrief nerven mich. Und ich weiss, dass es nachher noch schlimmer wird: Eine sogenannte Haustafel sagt uns, wie wir uns zu benehmen haben, welche Rolle wir im Gefüge von Ehe und Familie einnehmen und dass das göttliche Ordnung ist. Ich ärgere mich schon, bevor ich weitergelesen habe, erinnere ich mich doch deutlich daran, dass Frauen nicht gut wegkommen.

Was mache ich nun mit meinem Ärger? Was mache ich mit meiner Scham?

Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen den beiden: Der Ärger macht mich lebendig. Ich kann schimpfen, toben, vielleicht sogar mit dem Fuss stampfen. Wenn ich mich ausgetobt habe, kann ich wieder durchatmen und mich in Ruhe mit dem Text auseinandersetzen. Wer weiss, vielleicht enthält er ja doch noch etwas, das mir zu denken gibt.

Scham lähmt mich. Sie trennt mich von mir selber und allem Lebendigen in mir. Ich bleibe stecken, das Atmen fällt schwer, es geht nichts mehr, weder fühlen noch denken. Denn Scham betrifft mein Sein. Das ist ja auch der Unterschied zur Schuld. Schuldig fühle ich mich für etwas, das ich gemacht habe. Ich kann bereuen, mich entschuldigen oder eine Wiedergutmachung leisten. Schämen tue ich mich für das, was ich bin oder auch nicht bin. Mitten in mein Sein trifft sie, die Scham, und die Botschaft ist klar: Du bist nicht gut, du bist nicht wertvoll, du bist völlig daneben. Das lähmt komplett. Da ist nichts Lebendiges mehr. Insofern erinnert mich das an das biblische Bild der Sünde: Gottferne – fern von allem, von mir, vom Leben, von der Kraft, die dieses Leben wollte.

Ah, jetzt bin ich doch mitten in unserem Bibeltext:

Mit ihm seid ihr begraben worden in der Taufe, und mit ihm seid ihr auch mitauferweckt worden durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat. 13 Euch, die ihr tot wart in euren Verfehlungen, im unbeschnittenen Zustand eures Fleisches, euch hat er zusammen mit ihm lebendig gemacht, indem er uns alle Verfehlungen vergeben hat. 14 Zerrissen hat er den Schuldschein, der aufgrund der Vereinbarungen gegen uns sprach und uns belastete. Er hat ihn aus dem Weg geräumt, indem er ihn ans Kreuz heftete. 15 Die Mächte und Gewalten hat er ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt, ja im Triumphzug hat er sie mit sich geführt.

Begraben und mitauferweckt – wir waren tot und wurden lebendig gemacht – unsere Schuldscheine ans Kreuz geheftet… Wow!

Aber was heisst das eigentlich?

Die Briefschreibenden, die sich hinter der Autorität des berühmten Apostel Paulus verstecken, brauchen Glaubenssätze, welche damals gang und gäbe waren. Alle christlich Glaubenden nickten dazu, das waren gebräuchliche Bilder – damals. Und heute? In unseren Kirchen sprechen immer noch viele in diesen Bildern, obwohl sie meiner Meinung nach kaum mehr verständlich sind für heutige Menschen. Kein Wunder kommen immer weniger Menschen in die Gottesdienste. Daher richtet sich ein Teil meines anfänglichen Ärgers auch gegen die Selbstverständlichkeit dieser Sätze, die für mich als kirchenfern Aufgewachsene nicht mehr als leere Floskeln sind. Wie kann ich ernsthaft Eltern bei der Taufe erzählen, ihr Kind stürbe mit Christus und werde dann wieder auferweckt? Was fangen wir überhaupt mit dem Bild der Auferstehung auf, das sicher wieder überall gepredigt wurde an Ostern?

Ich mache mich auf die Suche nach heutigen Bildern und Worten, welche die umfassende Erlösungserfahrung beschreibt, denn die ist natürlich nach wie vor aktuell. Es ist ein Versuchen, ein Herantasten, sicher keine abschliessende Lösung.

Auf dieser Suche stosse ich auf den Namen des heutigen Sonntags: Quasi modo geniti – Lateinisch. «So wie neugeborene Kinder» heisst das. In der antiken Kirche wurden an Ostern Menschen getauft und ins Christentum aufgenommen. Schon wieder sind wir beim Kolosserbrief: Sie wurden in der Taufe mit Christus begraben und wiederauferweckt – wie neugeboren. Eine Woche lang trugen sie ihre weissen Taufgewänder zum Zeichen des Reinen, Neuen und Vollendeten. Sie galten als «neugeborene», neugeboren in der Taufe, die nun ihr neues Leben begonnen haben.

Wie neugeboren… 

Ich fühle mich wie neugeboren!

Dieser Spruch kommt uns heute noch über die Lippen. Wenn ich nach einer anstrengenden Sportaktivität unter der Dusche alle Erschöpfung abwasche… Wenn ich nach langer Übermüdung gründlich ausschlafe… Wenn ich frisch verliebt bin…

Mit einem Neugeborenen beginnt neues Leben. Immer wenn ich ein kleines Kind sehe, denke ich: Willkommen, Leben! Nicht willkommen im Leben, sondern willkommen, Leben! Hier ist es, das Leben: offensichtlich, unverstellt, frisch. Noch keine Enttäuschung, noch keine Bitterkeit, noch keine Schuld und schon gar nicht Scham. Leben pur. Das also ist es, was gemeint ist: neues Leben.

Was ist der Sinn unseres Lebens?

Was ist der Grund unseres Lebens?

Was ist die Aufgabe, die uns das Leben stellt?

Ganz einfach: zu leben.

Ganz einfach?

Nein und doch ja.

Ja und doch nein.

Gott hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht. 

Mir fällt das Passiv auf. Nicht: Ich lebe, sondern ich bin lebendig gemacht. Nicht: ich stehe auf, sondern ich wurde auferweckt.

Das Leben ist ein Geschenk. Das Leben ist mir gegeben. 

Natürlich liegt es an mir, wie ich es lebe. Aber zuallererst wurde es mir geschenkt.

Wie neugeboren…

Das ist für mich immer und immer wieder das grösste und unfassbarste Geheimnis unseres Glaubens: Am Anfang steht die Glaubenserfahrung des Beschenkt-Werdens, am Anfang steht die Bewegung vom Göttlichen hin zu mir, zum Menschlichen. Am Anfang steht Zuwendung, die einfach da ist, ohne dass ich etwas dafür tun oder sein muss. Eine Zuwendung zu mir – trotz all meiner Schuld, trotz all meiner Scham, trotz meinem Unglauben, trotz meinem Ärger.

Wie befreiend ist das!

Wie erlösend!

Mir kommt so viel Liebe entgegen – und dir auch!

Das macht mich lebendig, das fordert mich heraus, lebendig zu werden, dieses Leben zu leben, so wie es ist, es fordert mich, frei zu sein von allem, was mich einengt – auch längst überholte Rollenbilder und leere Glaubensfloskeln. Und meine Urteile darüber.

Wie neugeboren…

Neu belebt…

Neu geliebt…

Gott hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht. Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.

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