Kolosser 3, 1-4

Kolosser 3, 1-4

Osternacht | 17.4.2022 | Kol 3, 1-4 | verfasst von Thomas-M. Robscheit |

Friede sei mit Euch!

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern, liebe Brüder,

fällt es Ihnen in diesem Jahr besonders schwer, österliche Freude zu empfinden?

Angesichts des Krieges in der Ukraine, der bedrohlichen Teuerung und der sich am Horizont abzeichnenden Schwierigkeiten und Verwerfungen wäre das ja kaum verwunderlich. Sieg des Lebens über den Tod? Wo denn?

Oder ist es genau andersrum: das was die Osterbotschaft ausmacht, dringt nun leichter in unser Inneres? Feiern wir Ostern nicht trotz des Krieges, sondern wegen des zumindest im Fernsehen allgegenwärtigen Todes? Berührt uns der Kampf des Lebens gegen den Tod jetzt wirklich? Und wir erleben Ostern nicht nur als eine esoterisch angehauchte Wohlfühl-Zugabe zum Braten und wohlgesättigten Osterspaziergang mit Kindern oder Enkeln, die zwischen erstem Grün und blühenden Narzissen viel zu viele Ostersüßigkeiten in bunten Körbchen finden? Ein Nachhall nur von Goethes Osterspaziergang: Juhu, der Winter ist vorbei?

So ist es in diesem Jahr nicht.

Und letztes Jahr?

Da auch nicht, werden Sie sagen. Da war Corona, wie das Jahr davor übrigens auch. Wenn wir ehrlich sind, werden wir feststellen, dass Ostern noch nie das perfekte Sieges- & Jubelfest war. Kleine oder große Nöte haben Menschen immer belastet, und immer standen auch Leid und Tod mit im Raum.

Was ist das dann, diese Osterbotschaft? Eine, man mag das Wort, weil es so inflationär geworden ist, kaum verwenden: eine Zeitenwende? Ja, das sicherlich. Doch was hat sich denn verändert? Spüre ich irgendetwas von dieser Zeitenwende? Hat die Botschaft: „Jesus lebt!“ eine Auswirkung auf unsere Welt? Hatte sie das in den letzten 2000 Jahren? Wie ging es Christen der frühen Generationen? Unser heutiger Predigttext aus dem 1. Jahrhundert (Kol. 3, 1-4) wirkt auf mich erschreckend plakativ und ideologisch:

Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, offenbar wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.

Irgendwie ist das alles nicht falsch, aber erbauend, hilfreich im bedrängenden Alltag oder mutmachend wirkt dieser Text nicht. Vielleicht war das auch dem Verfasser, einem Paulusschüler, um das Jahr 75 schon bewusst. In den folgenden Zeilen versucht er die Osterbotschaft in den christlichen Alltag seiner Zeit zu übersetzten. In einem stark gnostisch geprägten Denken, in dem Menschen Mächten und Kräften unterstellt sind, guten oder bösen, wirbt er für einen ehrlichen, liebevollen und toleranten Umgang miteinander. Und zwar nicht aus humanistischen Gründen, sondern weil wir als Ebenbilder Gottes uns so untereinander verhalten dürfen, wie Gott mit uns umgeht: liebevoll.

Im gnostischen Denken des 1. Jh. ist der Mensch nicht völlig frei in seinen Entscheidungen. Er unterstellt sich einer Macht und daraus resultiert sein Handeln. Wer sich unter Christi Einfluss stellt, überwindet damit die weltlichen Fußangeln. Sein Handeln ändert sich. Es wird mitmenschlich, einfühlsam, tolerant, so unser Briefeschreiber.

Heute, 2000 Jahr später, schätzen wir die menschliche Entscheidungsfähigkeit weitreichender ein. Wir leben in der Vorstellung, dass man sich willentlich immer auf´s Neue entscheiden kann (& muss). Dass das eine Illusion ist, wird uns leider nur gelegentlich bewusst. Auch wir treffen Vorentscheidungen, die später Auswirkungen auf unser Handeln und Denken haben werden. Es sind oft Banalitäten: mit wem verbringe ich meine Lebenszeit? Oder: welche Nachrichten halte ich für glaubwürdig? Überprüfen kann ich den Wahrheitsgehalt in den seltensten Fällen. Halte ich Journalisten generell für eher intelligent, unabhängig und um Wahrheit bemüht oder vertraue ich lieber anderen Meinungen und Berichten? Halte ich Menschen, die in Institutionen, Behörden und Parteien arbeiten für aufrichtig bemüht oder vermute ich weitgehend geheime Absprachen? Das wird mein Weltbild entscheidend prägen und mein Handeln beeinflussen. Ich unterstelle mich im antiken Sinn mit meinen Ansichten und Vorentscheidungen Mächten und bin dann nicht mehr wirklich frei in meinen Entscheidungen. Das Ringen der Mächte um Einfluss auf Menschen erleben wir heute sicherlich anders, aber nicht weniger bedrohlich als vor 2000 Jahren. Zu Ostern wird uns Menschen eine gänzlich neue Option geschenkt. Das ist im Jahr 2022 nicht anders als damals in Kolossai: wir hören die Botschaft von der Auferstehung Jesu und dem Versprechen, dass das Leben stärker ist als der Tod.

Wie die Christen damals sie sind wir eingeladen, unser Leben auf die Osterbotschaft auszurichten.  Die Osterbotschaft hinterfragt jedes Jahr erneut die eingeschliffen irdischen Regeln, Machtverhältnisse und „unumstößlichen“ Gesetze. Ist der Tod in der Welt mit Ostern überwunden? Nein. Aber er ist nicht mehr das Letzte. Diese Osterbotschaft verändert Menschen: ihre Sicht auf das Leben, den Umgang mit anderen.

Mag sein, dass sich unser westlicher Blick auf die Welt so verändert hatte, dass wir fast blind geworden waren für böse Mächte, für das Lebensfeindliche und Bedrohliche. Die letzten Jahre und besonders dieses Frühjahr haben uns wachgerüttelt. Verändert hat sich unser Blick auf das Leben. Er ist ehrlicher und realistischer geworden. Vieles scheint nicht mehr sicher und selbstverständlich zu sein; vielleicht wird es dadurch für uns aber wertvoller und die Worte an die Kolosser auch für uns wieder wichtig: 2Überlege Dir, welchen Mächten Du Dich unterordnest. Du bist eingeladen. Zieht nun an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut! Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wenn einer Klage gegen den anderen hat; wie auch der Herr euch vergeben hat, so auch ihr! Zu diesem allen aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist!2 Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen. Amen

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Thomas-M. Robscheit

EKM, Apolda

thm@robscheit.de

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