Lebt, was ihr seid!

Lebt, was ihr seid!

Predigt zu Eph 5,1–14 | verfasst von Malte Cramer |

 

Kanzelgruß

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2Kor 13,13)

 

1. Am Anfang steht das Licht

Liebe Gemeinde,

wenn man in den Urlaub fährt – etwas, wonach wir uns alle derzeit vermutlich noch mehr als sonst sehnen – und einen neuen Ort oder eine neue Stadt besucht, dann besichtigt man zumeist auch die örtlichen Sehenswürdigkeiten. Pflicht ist dabei für gewöhnlich auch ein Besuch in den Kirchbauten vor Ort. Denn häufig zählen gerade die Kirchen aufgrund ihrer Historie, ihrer besonderen Architektur und ihrer Kunstelemente zu den Sehenswürdigkeiten einer Stadt. Zu entdecken gibt es dort dann z. B. aufwendig erbaute Spitzbögen, prachtvoll gemalte Freskenzyklen, handgeschnitzte Skulpturen oder kunstvoll gestaltete Bodenmosaike. Insbesondere kunstaffine Besucherinnen und Besucher kommen dabei auf ihre Kosten und können sich ausgiebig an der Ästhetik dieser geschichtsträchtigen Gebäude erfreuen.

Wenn ich zurückdenke an Familienurlaube als Kind, so fand ich diese Besichtigungen von Kirchen im Urlaub meistens ziemlich langweilig. Damals als Kind oder Jugendlicher konnte ich die Faszination nicht wirklich teilen für jahrhundertealte, teils bröckelnde Gemäuer und Fassaden, kalte und dunkle nach Weihrauch riechende Räume, in denen man nicht einmal Fangen oder Verstecken spielen durfte und in denen häufig maximal in Flüsterlautstärke gesprochen werden durfte.

Heute hat sich dies bei mir etwas verändert. Durch mein Theologiestudium habe ich viel über die Architektur und Gestaltung von Kirchen gelernt und ein Interesse entwickelt, die damit verbundenen theologischen Aussagen zu verstehen. Und das erste und allerwichtigste, was ich hinsichtlich der Architektur von Kirchen gelernt habe, war: Am Anfang und im Zentrum aller architektonischer Gedanken und künstlerischer Ideen des Kirchbaus steht das Licht.

Ein Beispiel hierfür ist die architektonisch und theologisch kunstvolle Inszenierung des Sonnenuntergangs in geosteten Kirchen. Dort befindet sich über dem Eingangsportal häufig ein kleines Rundfenster. Dieses Fenster bündelt das Abendlicht der tiefstehenden und bald untergehenden Westsonne und wirft dadurch einen einzelnen langen Lichtstrahl durch den gesamten Raum des dunklen Kirchenschiffes, dessen Flucht im Kreuz über dem Altar liegt. Das ist nicht nur spektakulär anzusehen, sondern es wird damit zum Ausdruck gebracht, dass wir als Christinnen und Christen unseren Blick in den Dunkelheiten unseres Lebens auf das Kreuz Christi richten sollen, um von dort Trost und Halt zu erfahren.

Das Licht ist das entscheidende Moment. Erst durch das Licht wird den Ideen und Gedanken der Architektinnen und Künstler Leben eingehaucht. Genau darum geht es auch in unserem heutigen Predigttext aus Epheser 5,1–14; dass nämlich das Licht auch in unserem Leben und unseren Glauben der zentrale Ausgangspunkt ist:

 

Lesung des Predigttextes nach Luther 2017

 

2. Reflektionskörper des Lichtes Christi

Ein Chasid, ein besonders frommer jüdischer Mann, ging zu einem Rabbi und fragte ihn: „Rabbi, was ist wichtiger: die Sonne oder der Mond?“ Der Rabbi antwortete: „Wenn du mir eine solche Frage stellst, dann hast du dir sicherlich schon eine Antwort überlegt. Was ist deine Antwort?“ Der Mann antwortet: „Rabbi, die Sonne schenkt uns Licht und Wärme. Sie lässt wachsen und gedeihen und bringt Leben hervor. Die Sonne ist wichtiger.“ „Du hast falsch geantwortet“, sagt der Rabbi, „der Mond ist wichtiger, denn er schenkt uns Licht in der Finsternis der Nacht.“

Wer schon einmal fernab einer Großstadt gezeltet oder unter freiem Himmel geschlafen hat, der weiß vielleicht, wie strahlend hell der Mond im Dunkel der Nacht leuchten kann. Doch bekanntlich liegt die Leuchtkraft des Mondes nicht in ihm selbst begründet. Der Mond leuchtet nur deshalb, weil er durch das Licht der Sonne angestrahlt wird. Der Mond ist nichts weiter als ein Reflektionskörper des Sonnenlichts.

Wandelt als Kinder des Lichts.“ (V.8) Liebe Gemeinde, dieser Spitzensatz unseres Predigttextes, kann sehr anspruchsvoll klingen. Wenn wir das hören, fühlen wir uns vielleicht überfordert und denken schnell an unsere eigenen Unzulänglichkeiten und unsere Begrenztheit, die uns daran zweifeln lassen, diesem Anspruch auch nur ansatzweise gerecht werden zu können.

Lesen wir diesen Satz als Verpflichtung, als Befehl, dann verstehen wir ihn falsch. Dieser Satz ist vielmehr eine Ermutigung, eine Verheißung, eine Zusage! Denn der Anspruch als Kinder des Lichts zu wandeln, resultiert aus dem Zuspruch: „Ihr seid Licht in dem Herrn.“ (V.8a) Ihr seid bereits Kinder des Lichts. Ihr seid geliebte Kinder Gottes (V.1).

Wandelt als Kinder des Lichts.“ Liebe Gemeinde, „wandelt“, nicht: „werdet“. Wir sind nicht aufgefordert aus eigener Kraft Licht zu produzieren. Sondern ebenso wie der Mond nur deshalb leuchtet, weil er das Licht der Sonne reflektiert, so sollen auch wir in unserem Leben nichts anderes als Reflektionskörper des Lichts der Liebe Gottes in der Welt sein.

 

3. Lichtmangel im Leben

Es ist bereits einige Zeit her, da stieß ich auf einen interessanten Zeitungsbericht zum Thema Licht. Der schwedische Student Martin Sylwan litt an Winterdepressionen. Das betrifft in Schweden mehr als 20 % der Bevölkerung. Hervorgerufen werden diese durch Lichtmangel. Und bedenkt man, dass bspw. in Stockholm an den dunkelsten Wintertagen im Jahr die Sonne erst um halb zehn auf- und bereits um halb drei wieder untergeht, überrascht das wenig. Wer an Lichtmangel leidet, dem fehlen wichtige Vitamine im Körper und der fühlt sich kraftlos, lustlos, müde und niedergeschlagen. Gefühle und Gemütszustände, die vielleicht in den zurückliegenden Lockdown-Monaten auch vermehrt bei dem einen oder der anderen von uns aufgetreten sind.

Um gegen seine Winterpression vorzugehen, ging Martin Sylwan zu einer Lichttherapie ins Krankenhaus. Doch bereits nach wenigen Behandlungen brach er diese ab. „Die Lichttherapie tat mir zwar zunächst gut“, so Martin Sylwan, „aber die Atmosphäre im Krankenhaus machte mich wieder depressiv.“[i] Dies brachte den jungen Schweden auf die Idee ein Lichtcafé zu eröffnen. Ebenso wie im Krankenhaus sollte es in diesem Lichtcafé heilsames Licht geben, aber in einer gemütlichen und harmonischen Atmosphäre. Martin Sylwans Idee war ein großer Erfolg. Sein Lichtcafé in Stockholms Szeneviertel Södermalm ist heute in ganz Schweden bekannt und hat inzwischen viele Nachahmer gefunden. Zahlreiche Menschen kommen in den Wintermonaten regelmäßig ins Lichtcafé, verbringen dort einige Stunden, und tanken in dem wohltuenden Licht neue Energie.

Wandelt als Kinder des Lichts.“ Wie hört sich dieser Aufruf für uns an, wenn wir selbst an Lichtmangel in unserem Leben oder unserem Glauben leiden? Wenn wir durch Phasen unseres Lebens gehen, in denen es Dunkel um uns geworden ist und sich Finsternis breit gemacht hat? Das muss nicht gleich in Form von Depressionen geschehen. Das können Ereignisse und Umstände jeglicher Größenordnung bewirken: Das Scheitern einer Beziehung, eine Verletzung im Sport, ein eher bescheidenes Zeugnis in der Schule, der Tod eines geliebten Menschen, der Konflikt mit einer Arbeitskollegin oder einfach das Versinken im Alltagstrott. Phasen des Lichtmangels gibt es auch in unserem Glauben. Phasen, in denen uns unser Glaube kraftlos, matt und müde erscheint. Das müssen dann nicht gleich große Glaubenskrisen sein, sondern vielleicht einfach Phasen, in denen unser Glaube im Trott des Alltags langsam einzuschlafen droht. Genau in diese Momente unseres Lebens und unseres Glaubens ruft der Schlusssatz unseres Predigttextes mit lauter Stimme hinein: „Wach auf, der du schläfst und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ (V.14b)

 

4. Lichtcafés in unserer Gemeinde

Auf unserem Lebens- und Glaubensweg, kann es auch uns passieren, dass wir an Lichtmangel leiden; dass wir matt und müde sind. In dem Weckruf am Ende unseres Predigttextes steckt die Erinnerung an die Verheißung Gottes, dass er selbst, der das Licht ist (1Joh 1,5), uns längst mit seiner Liebe erleuchtet hat (V.2) und dies immer wieder neu will! Dieser Weckruf bedeutet: Steh auf und stell dich wieder neu in das Licht Gottes. Wende dich Gott und seiner Liebe immer wieder neu zu, „so wird er dich erleuchten“ (V.14). Auch wir brauchen regelmäßig eine Lichttherapie. Auch wir brauchen den regelmäßigen Aufenthalt in Lichtcafés, um dem Lichtmangel in unserem Leben und unserem Glauben entgegenzuwirken. Solche Lichtcafés, in denen dies möglich ist, entstehen überall dort, wo uns das Licht der Liebe Gottes begegnet.

Liebe Gemeinde, merken sie es? Sie sitzen gerade in einem solchen Lichtcafé – wenn auch aktuell nur digital. Und neben unserem Sonntagsgottesdienst gibt es alleine hier in unserer Gemeinde eine Vielzahl weiterer Lichtcafés – viele davon zur Zeit im digitalen Format. Doch hoffentlich bald auch wieder in Präsenz und mit persönlicher Begegnung. In diesen Lichtcafés unserer Gemeinde gibt es die Möglichkeit aufzutanken. Wir können unsere Energiereserven wieder auffüllen, um den Dunkelheiten unseres Lebens das heilsame und alles überstrahlende Licht Christi entgegenzuhalten und um den Zuspruch zu hören und uns gegenseitig zuzusprechen: Du bist ein geliebtes Kind Gottes (V.1). Du bist ein Kind des Lichts.

 

5. Tragt in die Welt nun das Licht!

Zurück in Martin Sylwans Lichtcafé. Das Publikum dort ist bunt gemischt: Studierende, Rentner, Geschäftsfrauen, Handwerker, Schülerinnen, Verkäufer. Sie alle tanken im wohltuenden Licht des Cafés ihre Lichtreserven auf und gehen anschließend mit neuer Energie wieder hinaus in die Dunkelheit des schwedischen Winteralltags; an ihre Arbeitsplätze, in ihre Schulen und Universitäten, in ihre Familien und Freundeskreise. Erleuchtet durch das Licht des Lichtcafés können sie dort wieder zum Licht für andere werden.

Liebe Gemeinde, auch die Lichtcafés unserer Gemeinde sind Orte zum Auftanken. Gestärkt und erleuchtet durch das Licht der Liebe Gottes, das wir dort erfahren können, dürfen wir wieder aus ihnen hinausgehen in unseren Alltag. Gestärkt und erleuchtet durch das Licht der Liebe Gottes dürfen wir anschließend den Dunkelheiten unseres Lebens mit dem Licht Christi begegnen. Als Kinder des Lichts können wir dann gar nicht anders als das empfangene Licht Gottes in der Welt aufleuchten zu lassen. Wir sollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen (Mt 5,15), sondern können hinausgehen in unsere Gesellschaft, in unseren Alltag und dort wo Menschen an Lichtmangel leiden, zum Licht für andere werden. Dies dürfen wir in dem Vertrauen tun, dass Gott durch uns Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit (V.9) hervorbringen und sein Licht in der Welt offenbar machen wird.

 

6. Heilige, durch die das Licht scheint

Liebe Gemeinde, bei dem Eingangsgedanken dieser Predigt an die Besichtigung von Kirchen im Urlaub, ist mir wieder folgende kleine Geschichte in den Sinn gekommen: Ein kleines Mädchen ging mit ihrer Mutter das erste Mal in eine alte, große Kirche. Aufmerksam und neugierig erkundete sie an der Hand ihrer Mutter das historische Gebäude. Da blieb das Mädchen vor einem der hohen Glasfenster des Seitenschiffs stehen, welches gerade vom Licht der Sonne durchflutet wurde. Sie reckte den Hals in die Höhe und sah mit fragendem Blick auf die bunten Figuren, die in den Glasfenstern zu sehen waren. „Mama, wer sind diese Menschen in den Fenstern?“ Fragte das Mädchen ihre Mutter. „Das sind Heilige, mein Schatz“, antwortete die Mutter, „weißt du, was Heilige sind?“ Das Mädchen reckte erneut ihren Kopf in die Höhe, legte ihre rechte Hand an ihr Kinn und sah nachdenkend einige Sekunden auf die erleuchteten Gestalten in den bunten Glasfenstern. Dann sagte sie zu ihrer Mutter: „Heilige, das sind Menschen, durch die das Licht hindurchscheint.“

Liebe Gemeinde, weil Christus uns erleuchtet, sind wir das Licht der Welt (Mt 5,14). Weil Christus uns erleuchtet, sind wir „Heilige“, durch die das Licht der grenzenlosen Liebe Gottes hindurchscheint – hinaus in die Welt. Weil Christus uns erleuchtet, sind wir Kinder des Lichts. Also: „Wandelt als Kinder des Lichts!“ Amen

Kanzelsegen

„Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ (Phil 4,7)

 

 

Malte Cramer

Herne

malte.cramer5@rub.de

 

 

Malte Cramer, geb. 1992, Doktorand am Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Neuen Testaments und Geschichte des Urchristentums der Ruhr-Universität Bochum, Lehrbeauftragter der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes; zuvor Studium der Evangelischen Theologie (Mag. Theol.) in Bochum, Heidelberg, Münster und Wuppertal, sowie Studium der Katholischen Theologie (B.A.) in Bochum und der Jüdischen Studien (B.A.) in Düsseldorf.

 

[i] Das Interview, dem dieser Satz entnommen ist, findet sich unter http://www.taz.de/!804855/, zuletzt abgerufen am 10.02.2021.

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