Lieben und geliebt werden

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Lieben und geliebt werden

Predigt zu Johannes 21,15-19 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Marianne Frank Larsen | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |

Jeden Abend geht sie in das Büro ihres Mannes und sagt gute Nacht. Und jeden Abend steht sie und wartet darauf, dass er seinen Blick hebt vom Computer und ihr antwortet. Das tut er nie. In dem kleinen Buch das die dänische Schriftstellerin Ida Jessen über das Ende einer Liebesbeziehung schreibt, sitzt der Mann, den sie liebt, mit dem Computer auf dem Schoß und den Blick fest auf den Schirm gerichtet. Er weigert sich aufzublicken und gute Nacht zu sagen. Obwohl sie ihn darum gebeten hat. Er meint, das sei ein irritierendes Verlangen, das sie an ihn stellt, klebrignennt er es, so als klebe sie an ihm und begrenze so seine Freiheit, seinen Blick zu heben, wenn es ihm passt, und zu antworten, was  er will. Ich komme gleich, sagt er jeden Abend, ohne den Blick zu heben. Das eine Wort, was ich haben wollte, wolltest du nicht geben, denkt die Autorin, wenn sie zurückblickt; es war wie eine Befreiung, als du dich von mir zurückzogst, Abend für Abend. Warum sollte ich unruhig zu Bett gehen?

Ja, denn die Sache ist ja die, wenn da jemand ist, den man liebt, dann will man auch geliebt werden. Das liegt ja im Wesen der Liebe, dass man nicht jemanden bloß in die blaue Luft lieben kann, unabhängig davon, og er oder sie sich darum schert oder nicht. Liebt man jemanden, eine Mutter oder einen Vater, ein Kind oder einen Freund bzw. eine Freundin, ja dann liegt in der Liebe eine Sehnsucht, zu spüren, zu hören oder zu sehen, dass man selbst eben von dem bestimmten lieben Menschen geliebt ist. Vielleicht nur dadurch, dass er den Blick hebt und gute Nacht sagt. Aber das bestimmt man ja nicht selbst. Man kann die Liebe nicht erzwingen bei einem anderen Menschen. Sie muss von selbst kommen, spontan und frei. Das ist es, wonach man sich sehnt. Und wenn das nicht geschieht, kann man nichts machen. Man kann nur in der Tür stehen jeden Abend wie Ida Jensen in ihren Erinnerungen[1] und auf die Befreiung hoffen, die der andere geben kann – oder dass er sich zurückzieht von einem. Und es tut weh, einen Menschen zu lieben, der einem nicht antwortet, den Bildschirm nicht aus den Augen lässt und nicht aufblickt, um einem gute Nacht zu sagen.

Das Entscheidende ist: So, wie es mit unserer Liebe ist, so ist es auch mit der Liebe Jesu im heutigen Evangelium. Denn es ist ja deshalb, dass Jesus wieder und wieder so fragt, wie er das tut: Petrus, liebst du mich? So eine Frage sagt etwas sowohl über den, der fragt, als auch über den, der gefragt wird. Denn so fragt man nur, wenn man selbst liebt und deshalb so gerne wissen möchte, dass man von dem anderen geliebt ist. Und damit zeigt die Frage, dass Jesus nicht ganz anders liebt als wir. Wir glauben, dass es die Liebe Gottes ist, die sich in seinen Worten und Händen verbirgt. Und dennoch ist er nicht erhaben über die Sehnsucht, die in unserer Liebe liegt. Es ist ihm nicht gleichgültig, wie Menschen auf die Liebe antworten, die er gibt. In dieser Hinsicht gleicht er einem verletzlichen Menschen wie uns. Oder in diesem Punkt gleicht die Liebe Gottes unserer Liebe. Er braucht die Antwort des Petrus und die Liebe des Petrus, und deshalb fragt er immer wieder – wie die Autorin, die jeden Abend zu ihrem Mann geht.

Aber die Frage sagt ja auch etwas über Petrus. Denn so wird man nur gefragt, wenn der andere Grund hat, zu zweifeln. Geliebte und Freude, Kinder und Eltern, die wissen, wo sie einander haben – die brauchen nicht zu fragen: Liebst du mich? Danach fragt man nur, wenn man einen Grund hat, an der Liebe des anderen zu zweifeln. Kein Wunder, dass diese Frage Petrus traurig macht.

Aber die Sache ist ja die, dass Jesus einen guten Grund hat, im Zweifel zu sein, und das wird ganz deutlich, wenn wir hören, was Petrus antwortet: Du weißt, dass ich dich lieb habe. Das fällt auf, wo doch die Frage lautete: Liebst du mich? Ich habe dich lieb. Das ist nicht dieselbe vorbehaltlose Hingabe, wie wenn man sagt: Ich liebe dich. So, indirekt, zeigt sich die Selbsterkenntnis bei Petrus. Denn das Gespräch im heutigen Evangelium findet nach Ostern statt. Nach der Nacht zum Karfreitag, wo Petrus drei Mal verleugnet hat, dass er Jesus kennt, und so seine eigene Beziehung mit dem Gefangenen im Hof des Hohen Priesters abgestritten hat. Als er darauf ankommt, hat er nicht den Mut, sich zu seiner Liebe zu dem Mann zu bekennen, mit dem sein eigenes Leben steht und fällt. Das ist viel zu gefährlich. Aber auch tief beschämend für Petrus, als der Hahn drei Mal kräht und er entdeckt, was er getan hat. Deshalb kann er nicht mehr die großen Worte in den Mund nehmen und sagen: Ich liebe dich. Petrus hat etwas über sich selbst, seinen eigenen Mut und seine eigene Liebe gelernt. Und das ist eine Selbsterkenntnis, die in der beherrschten Worten liegt: Ich habe dich lieb.

Drei Mal leugnete Petrus in jener Nacht im Hofe des Hohen Priesters, Jesus zu kennen. Drei Mal gab Jesus ihm die Möglichkeit, die Liebe zu erklären, die er verleugnet hatte. Drei Mal steht Petrus nun zu seiner Selbsterkenntnis und seiner Liebe mit einer Wortwahl, zu der er stehen kann. Sie ist durch die Liebe hervorgerufen, die er in der Frage hört, die Jesus ihm stellt. Hervorgerufen, weil er in der Frage hört, dass er noch immer geliebt ist von dem, den er verraten hat. Auferstehung bedeutet auch das. Dass die Liebe, die verleugnet, getreten und begraben wurde, nun von den Toten aufersteht und wieder den Geliebten ruft.

Vergebung kann in einer Weise zum Ausdruck kommen, die unsere eigene Großzügigkeit und die Schuld des anderen zur Schau stellt, so dass niemand im Zweifel ist. So aber handelt Jesus nicht. Weide meine Schafe, sagt er, und nicht Sei Hirte für meine Schafe. Ohne Erklärung. Und doch ist uns ganz klar, was sich hinter diesen Worten verbirgt. Drei Mal gibt Jesus Petrus die Aufgabe, die er für ihn hat. Drei Mal sagt er indirekt: Ich brauche dich. Ich vertraue dir. Auch wenn du mich verraten hast, glaube ich daran, glaube ich daran, dass du mir dabei helfen kannst, was ich getan haben würde. Das ist vielleicht die schönste Art und Weise, in der einem vergeben werden kann: Indem der, den man verraten hat, einem Vertrauen entgegenbringt und einen erneut um Hilfe bittet. Petrus wird so nicht dadurch abgekanzelt, dass Jesus ihm vergibt. Im Gegenteil. Er wird aufgerichtet und mit dem betraut, womit der dienen kann. Nämlich ein Hirte zu sein für die Menschen, die zum Glauben an Jesus kommen werden. Sie vor Hoffnungslosigkeit und Kälte zu schützen und Nahrung zu finden für ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Liebe.

Heute ist es unsere Liebe, nach der er fragt, auch dort, wo wir versagt haben und trotz der Menschen, die wir zurückgewiesen haben. Uns gibt er den Auftrag, die Menschen zu lieben und zu schützen, die er uns anvertraut hat. So als brauche er uns und unsere Liebe. So als seien wir wertvoll für ihn. So als liebte er uns mit der Liebe, die hofft, dass wir den Blick heben und frei mit unserer Liebe antworten. Er erniedrigt uns nicht mit seiner Vergebung. Er richtet uns auf und sieht uns als Menschen, die etwas beitragen können. Und so erzählt das heutige Evangelium in der schönsten Weise, was Ostern für Petrus und für uns bedeutet: Vergebung. Denn hier begegnen wir einer Liebe, die wir nicht töten können. Sie steht trotzig aus dem Grabe auf. Und dann werden wir aufgerichtet. Weil er uns aufrichtet und uns braucht.

Und dann zum Schluss: Das Gespräch mit Petrus findet an einem Morgen nach Ostern am See Genezareth statt. Jesus liegt nicht tot in seinem Grab, wie man meinen könnte. Er sitzt helllebendig am Strand und hat ein Feuer an gezündet und wartet auf das Frühstück. Deshalb dichtet Hans Anker Jørgensen so schön i seinem Osterlied: Es ist wie von mächtigen Händen erlöst sein vom Ertrinken im Dunkeln am Morgen unter Freunden.[2] Für mich ist auch das ein Bild für das Paradies: Am Wasser zu sitzen in der Morgensonne und einen Blick empfangen, der sagt: Man ist unter Freunden. So ist es bei Petrus und uns anderen, wenn wir dem auferstandenen Meister begegnen, heute und dereinst, wenn alles vorbei ist: Es ist wie von mächtigen Händen erlöst sein vom Ertrinken im Dunkeln am Morgen unter Freunden. Amen.

 

Sognepræst Marianne Frank Larsen

DK 8000 Aarhus C

mfl(at)km.dk

[1] Ida Jessen: Ramt af ingenting, 2012.

[2] Dänisches Gesangbuch Nr. 249, V. 5.

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