Lukas 10,23-37

Lukas 10,23-37

13.Sonntag nach Trinitatis | 03.09.23 | Lk 10,23-37 (dänische Perikopenordnung) | Eva Holmegaard Larsen |

Manchmal ist da einfach etwas, was getan werden muss. Wenn man an einem Menschen in Not vorbeigeht, ist da einfach etwas, was man tun muss – ob man nun Lust oder Zeit dazu hat oder nicht.

Zwei Menschen gehen vorbei. Einer bleibt stehen. Und wir vermuten, dass dieser dritte Passant stehen bleibt, weil er einfach weiß, dass er das muss.

Jesus erzählt diese Geschichte einem jungen Mann, der gerne wissen will, was er tun muss, um sicher zu sein, das in Gottes Augen Richtige zu tun. Was soll ich tun?

Du musst stehen bleiben können! Lautet die Antwort.

In der Erzählung vom barmherzigen Samariter fehlen alle Motive zu helfen und zu handeln. Es geschieht spontan. Der, der stehen bleibt und hilft, handelt spontan – ohne viel nachzudenken. Denn hier ist einfach nur etwas, was getan werden muss.

Die beiden, die vorbeigehen, handeln auch spontan. Ihre erste Reaktion ist, dass sie sich abwenden. Die beiden fallen uns dadurch auf, dass sie Priester (also Pastoren) sind – sonst würden wir uns wohl nicht so sehr darüber wundern, denn es sind ja viele, die jeden einzigen Tag an jemandem vorbeigehen.

Viele gehen vorbei, ehe jemand stehen bleibt! Das ist mehr die Regel als eine Ausnahme.

Aber das hier sind zwei Priester, das gibt zu denken! Das war uns doch immer klar. Heuchler in heiligen Gewändern.

Er aber, der dagegen stehen bleibt – der erlösende Engel – das ist ein Fremder. Er ist aus Samarien, der nördlichsten Provinz. Er war Samariter, aus einer anderen Kultur mit einer anderen Religion. Er war ein Ungläubiger, ein Fremder – og niemand erwartete etwas von ihm.

Warum bleibt er stehen?

Das tut er, weil da manchmal etwas ist, was getan werden muss. Ohne dass wir erst überlegen sollen, ob wir es sind, die es tun sollen – ob das unsere Verantwortung ist oder die anderer, oder ob es bis morgen warten kann. Und was kostet es?

Manchmal muss man einfach zupacken anstatt darauf zu warten, dass all die rechten Motive und Voraussetzungen und Fragen geklärt sind, wer verantwortlich ist, wer Zeit hat und Ressourcen.

Die beiden Priester – wenn wir davon absehen, dass sie Priester sind, denn das lenkt zuweilen davon ab, wie viele von uns dafür argumentieren würden, dass nicht wir es sind, die heute Verantwortung übernehmen – die beiden, sie gehen vorbei an dem notleidenden Mann an diesem Tag. Ich denke nicht, dass sie besonders böse und kalt oder gleichgültig sind. Es sind nicht besonders schlechte Menschen. Sie haben es nur eilig. Sie sehen weg und hoffen, dass sicher andere vorbeikommen, die das Notwendige tun.

Das kennen wir gut.

Es ist nicht so leicht, dass man sich aufhalten lässt. Nicht einmal wenn es sich um unsere eigene Familie zuhause handelt. Da ist ein Kind, das Aufmerksamkeit braucht, oder ein Ehepartner, der lange Zeit nicht gesehen wurde.

Wir würden alle gerne etwas mehr tun. Für den Nachbaren, für die Freunde, für unsere alten Eltern und alle die anderen, die unsere Zeit und Fürsorge beanspruchen. Wir würden auch gerne die ganze Welt retten und alle Probleme der Erde lösen. Aber nicht gerade jetzt. Denn gerade jetzt geht es um etwas anderes.

Und das ist ja auch der Fall! Da ist immer jemand, der nach uns ruft und etwas von uns will. Und wir sind immer zu spät dran. Es ist nicht leicht, aufgehalten zu werden, und dann trösten wir uns damit, dass da sicher andere kommen, die mehr Zeit haben.

Die beiden, die vorbeigehen – die Priester – wer weiß, was sie in Jericho vorhatten? Vieleicht war das etwas Wichtiges und Unaufschiebbares. Vielleicht war da jemand, der auf sie wartete, den sie auch nicht enttäuschen konnten.

Wir alle haben mit uns selbst zu tun und laufen mit unseren kleinen Problemen umher. Es waren Priester – vielleicht gingen sie und dachten über ein Problem nach, für das man eine Lösung finden sollte. Wenn man etwas bissig sein wollte, könnte man sich vorstellen, dass sie an die Predigt des nächsten Sonntags dachten, die von der Nächstenliebe handelt.

Aber was ist es, was Jesus dem jungen Mann sagen will? Er will ihn an das Gebot erinnern: Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt.

Mit Herz und Seele. Nicht nur mit dem Gehirn und mit deinen Gedanken und eigenen inneren Gefühlen. Die Liebe zu Gott fordert dich ganz, mit Gehirn, Herz, Mund, Armen und Beinen.

Glaube funktioniert nicht in einem geschlossenen System, denn Gott lässt sich nicht denken, ohne dass du den Nächsten mitdenkst. Gott selbst hat sich als ein Mitmensch offenbart. Als ein Freund, ein Herz, eine Seele, die sich in die unsere gelegt hat.

Und wer ist dann unser Nächster? Er, der stehen blieb und dem armen Menschen im Graben half, er war ein Fremder. Das sollen wir beachten. Denn wie fremd ist man eigentlich einem Menschen gegenüber, der ein Gesicht hat und uns ganz nahekommt?

Manchmal können wir gar nicht unseren Feind kennen, wenn wir ihm nahekommen. Ein Mensch, dem gegenüber wir alle möglichen Vorurteile hatten, und wir sind sicher, dass wir ihn nicht mögen. Dann begegnet man sich im Supermarkt und kommt dennoch ins Gespräch, und dann ist das ja nur ein ganz anderer Mensch, vor dem wir stehen. Ein Nächster.

Wieviel mehr Mensch wird man dann, so dass man einem anderen Meschen zu Hilfe kommt so wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter?

Die beiden lebten sicher jeder für sich in einer ganz bestimmten Vorstellung von einander und wie die Welt und alles zusammenhängt, ehe sie sich auf der Landstraße begegneten.

Der Samariter war auf der Durchreise und dachte wohl, dass er nichts Konkretes mit diesen Menschen in diesem Land zu tun haben würde.  Denn die verhöhnen seine Religion und sehen in ihm eine Bedrohung ihrer eigenen Kultur. Er ist nicht willkommen. Er ist nur auf Durchreise.

Und der Mann, der überfallen und bestohlen wird – er ist vielleicht ein Mensch, der sich selbst immer für stark und unabhängig hielt. Ein Mensch, der immer für sich selbst sorgen konnte und keine Hilfe von anderen brauchte.

Beide erleben, dass ihre Vorstellungen von sich selbst und ihrer Welt durchbrochen werden. Der Samariter kann nicht einfach weiterreisen, unberührt und auf Distanz – wie er das vorhatte.

Und der notleidende Mann im Graben erlebt, dass auch er von anderen Menschen abhängig ist.

Da geschieht eine Begegnung – ihre Wege kreuzen sich. Die Welt ist nicht dieselbe nach dieser Begegnung. Sie selbst sind auch nicht mehr dieselben. Sie glaubten, ihren Lebensweg zu kennen. Aber das taten sie nicht. Ihre Bestimmung war eine andere: Der eine sollte stehenbleiben und helfen, der andere die Hand nach Hilfe ausstrecken.

Wenn Jesus diese Geschichte erzählt, so vielleicht um zu erzählen, dass wir Menschen immer mehr sind als wir selbst. Denn für die beiden Menschen, die sich in der Erzählung begegnen, wird deutlich – dass die Blasen, in denen wir leben, und die Selbstbilder, die wir mit uns tragen, in einem Moment zusammenfallen können.

Gehe hin und tu desgleichen – sagt Jesus. Geht hin und mischt euch ein in das Leben und die Welt. Denn alles liegt an der Begegnung zwischen Meschen, in Augenblicken, wo wir einander ausgeliefert sind und wo wir handeln müssen.

Die Erzählung vom barmherzigen Samariter ist eine Erzählung darüber, dass da manchmal etwas ist, was wir einfach tun müssen. Manchmal müssen wir einfach auf unsere innere ethische Stimme hören und stehen bleiben, ungeachtet all dessen, was dich davon überzeugen will, dass du auch nur weitergehen kannst.

Denn was ist Nächstenliebe? Das ist, immer wenn man einem anderen Menschen auf seinem Weg begegnet, sich selbst die Frage stellen: Was will wohl Gott von mir in dieser Situation?

In jedem anderen Menschen liegt eine Wohltat für uns verborgen. Eine Möglichkeit, auch selbst ein klein wenig mehr Mensch zu werden. Amen.

Pastorin Eva Holmegaard Larsen

Nødebovej 24, Nødebo, DK-3480 Fredensborg

E-mail: ehl(at)km.dk

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