Lukas 12,15-21

Lukas 12,15-21

Wir haben genug. Mehr als genug. | Erntedank | 01.10.23 | Lk 12,15-21 | Udo Schmitt |

„Ja, mach nur einen Plan,
sei nur ein großes Licht,
und mach dann noch ’nen zweiten Plan,
gehn tun sie beide nicht.

So ruft es der Bettler Peachum dem Polizeipräsidenten Brown zu, im 3. Akt der Dreigroschenoper. Die „Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens“, auch bekannt als das „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“, hat Bertolt Brecht gedichtet. Brecht war Kommunist, kannte aber (als er das Lied in den 20er Jahren schrieb) noch nicht das Desaster, das der real existierende Sozialismus mit seiner Planwirtschaft anrichtete. Alle fünf Jahre ein neuer 5-Jahres-Plan, der dann regelmäßig scheiterte und schöngeredet werden musste. Planvoll ging die DDR zugrunde.

Dabei weiß auch schon ein Sprichwort: Der Plan ersetzt den Zufall durch den Irrtum. Aber immer wieder machen Menschen Pläne. Und immer wieder irren sie sich. Vor über hundert Jahren begannen die deutschen Militärs den ersten Weltkrieg und waren siegesgewiss. Sie hatten ja einen Plan, den so genannten Schlieffenplan, der in einem Bogen die deutschen Heere durch das neutrale Belgien nach Frankreich führen sollte. Doch der Plan ging schief. Schon nach wenigen Wochen. Dabei hätte der Chef des Generalstabs Moltke (genannt der Jüngere) gewarnt sein müssen. Sein Vorgänger und Onkel Moltke (der Ältere) hatte auf die vielen Unwägbarkeiten in der Planung eines Feldzugs hingewiesen. Und er hatte es auf die knappe Formel gebracht: „Kein Plan überlebt die erste Feindberührung.“

Aber so ist das mit Plänen. Wir hängen daran, auch wenn sie den Realitäts-Check nicht bestehen. Wir halten daran fest, auch dann noch, wenn sie sich schon lange als falsch erwiesen haben. Wir hängen an unseren alten Irrtümern, nach dem Motto: „Meine Meinung steht fest – bitte verwirren Sie mich nicht mit Tatsachen.” Es mag ein Irrtum sein, aber – hey! – es ist immer noch meiner – mein Traum. Da ist mein Ziel, das behalte ich im Blick. Und wenn ich erst meine Pläne umgesetzt habe, dann… Dann fange ich zu leben an. Das ist hier nur eine kleine Durststrecke, eine vorübergehende Flaute, die zu erwartende Erstverschlechterung, aber dann, dann fängt mein Leben an. „Eines Tages. Du wirst schon sehen, werden die Himmel für mich blau sein, eines Tages, die Felder so grün, eines Tages“ (Barbara Streisand). Dann. Komme ich ganz groß raus… – Oder auch nicht.

Der Mensch denkt, Gott lenkt. Der Mensch plant, Gott lacht. Wir rechnen uns etwas aus, und haben doch – wie man so sagt – die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Und das ist Gott. So steht es schon in der Bibel und auch in anderen alten Schriften. Im Buch Sirach etwa, das vor knapp 2200 Jahren geschrieben wurde, heißt es: „Mancher kargt und spart und wird dadurch reich und denkt, er habe es zu etwas gebracht, und sagt: Nun will ich mir ein gutes Leben machen, essen und trinken von dem, was ich habe –, doch er weiß nicht, dass sein Stündlein so nahe ist und dass er alles anderen lassen und sterben muss.“ (Sirach 11, 17-19)

Und die Moral von der Geschicht ist nicht: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not! Sondern eher: Spare in der Not, dann hast du, wenn du tot! Geld ist zum Ausgeben da. Es macht wenig Sinn, jetzt zu sparen, um später mal der Reichste auf dem Friedhof zu sein. Das Leben ist jetzt schon – und hier. So erzählt es auch Jesus im Gleichnis vom reichen Kornbauern. Ein Mann ist reich. Das Land hat gut getragen. Aber er will mehr. Er baut größere Scheunen, größere Ställe. Immer mehr. Dann, so denkt er, wenn ich das erst habe, den Erfolg gesichert habe, werde ich glücklich sein. Dann erst?

In seiner „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ hat Heinrich Böll die Geschichte eines Fischers erzählt, der am Strand liegt und döst. Ein Tourist, schick angezogen, flink und eifrig, kommt vorbei, weckt ihn auf und befragt ihn, was er gefangen hat. Warum er denn nicht öfter rausfährt, um noch mehr zu fangen, will er wissen. Der Fischer versteht nicht, wozu das gut sein soll. Der Tourist malt ihm aus, wie er im Beruf aufsteigt, mehrere Boote hat, viele Angestellte und wie er immer mehr verdient. Aber wozu das Ganze, will der Fischer wissen. Ja, dann, dann könne er sich zur Ruhe setzen und am Hafen sitzen und dösen. Aber das, meint der Fischer, kann ich doch auch jetzt schon.

Wachstum. Das ist das goldene Kalb unserer Zeit. Wachstum, wir brauchen Wachstum. Sagen alle. Es ist ein ökonomischer Zwang. Aber es ist noch keine Garantie dafür, dass man dann glücklich ist, denn: „Wohlstand ist, wenn man mit Geld, das man nicht hat, Dinge kauft, die man nicht braucht, um damit Leute zu beeindrucken, die man nicht mag“ (Das Zitat stammt angeblich von Alexander von Humboldt, andere geben Walter Slezak als Quelle an).

Noch ein Stall, und noch ein Stall, noch größer als der erste. Es muss so sein. Erst 5 Kühe, dann 50 Kühe, dann 500. Erst ein Auto, dann zwei. Erst ein Kleinwagen, dann eine Familienkutsche, schließlich ein SUV (Ess-Juu-Wii), ein geländegängiger Allrad-Panzer für den Großstadt-Nomaden. Da passen ja auch die Golfschläger viel besser rein, wenn man auf der Kö unterwegs ist. Nur schade, dass er so viel schluckt und dass er auch in keine Parklücke mehr passt. Aber wir haben nicht die Wahl. Auch unsere Bauern nicht: Entweder du machst mit im Spiel „doppelt oder nichts“, oder du spielst nicht mehr mit. Friss oder stirb! Wachse oder weiche! Wer nicht mitmacht, muss vom Markt gehen.

Dabei wissen wir ja, spüren es, erleiden es, dass das „immer mehr und immer mehr“ nicht automatisch glücklicher macht. „Immer mehr ist nicht genug“ (Petra Pinzler). Was nützt mir mein wirtschaftliches Wohlergehen, das volle Konto, die dicke Brieftasche, wenn ich nicht gesund bin? Oder keine Zeit habe – für die Familie, für Freunde und für mich selbst? Oder meinen Enkeln eine verwüstete Erde hinterlasse? Oder wenn andere für meinen Wohlstand leiden müssen, irgendwo am anderen Ende der Erde im Elend stecken, damit ich Billigware in Massen habe? Immer mehr ist nicht genug.

Das wusste auch schon Jesus, er sagt: Seht euch vor und hütet euch vor jeder Art von Habgier! Denn auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu.

Das Leben wächst. Es wächst uns zu. Aber nicht aus dem Haben und Besitzen. Das Leben ist ein Geschenk. Wie die Liebe, die Gesundheit und das Glück. Unverfügbar. Nicht planbar. Aber schon jetzt – da. Und jetzt schon ein Grund, dankbar zu sein.

Das ist es, was uns die Bibel empfiehlt: Jeden Tag dankbar aus Gottes Hand zu empfangen. Jeden Morgen mit Danken beginnen und jeden Abend dankbar zurück in Gottes Hände legen. Die Hände, die das Leben geben, bewahren und erhalten. Alles, was wir in diesem Jahr erreicht haben, nehmen wir aus seiner Hand. Erfolge und Misserfolge. Wenn etwas gelingt, dann sollen wir nicht sagen: Das habe alles ich gemacht! Alles geplant! Sondern Gott dafür danken, dass ER es hat gelingen lassen, wachsen und blühen lassen, und Früchte tragen lassen für mein Leben.

Und gerade heute – am Erntedanktag – wollen wir uns das noch einmal bewusst ins Gedächtnis bringen, es uns selber zurufen: Seht die Früchte, die Äpfel, das Brot! Was geht es uns doch gut! Wir haben so viel! Viel mehr, als wir zum Leben brauchen. Lasst es uns teilen mit den Armen, mit denen die fliehen vor Hunger und Krieg. Es ist genug für alle da. Mehr als genug. So viel hat uns Gott gegeben, nicht um es in Speichern zu verstecken. Es zu horten, zu verstecken: „Mein Schaaatz!“

Soviel hat er uns gegeben. Nicht weil wir es geplant haben, nicht weil wir es verdienen. Sondern, dass alle Menschen davon satt werden und leben können. Darum trägt Mutter Erde ihr Frühlingskleid und ihren Herbstmantel für uns, darum die Saat und darum die Ernte. Und darum das Wachstum, das wir brauchen: Damit wir Menschenkinder – nicht haben, nein – sondern sind: dankbar, glücklich und zufrieden. Reich ist nicht der, der viel hat. Reich ist der, der genug hat. Und wir haben genug. Mehr als genug. Darum wollen wir Gott dafür danken. Heute und alle Tage unseres Lebens.

Liedvorschläge:

                        Mit der Erde kannst du Spielen… Eine Handvoll Erde (Bäcker/Jöcker)
Die Ernt ist nun zu Ende (EG 505)

                        Wir pflügen und wir streuen (EG 508)

                        Ich bin das Brot, lade euch ein (EG.E 11)

                        Brich dem Hungrigen dein Brot (EG 420)

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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