Lukas 14,15-24

Lukas 14,15-24

Unbequem! Der Gast, die Botschaft | 2. So. n. Trinitatis | 18.6.2023 | Lk 14,15-24 | Udo Schmitt |

„Don’t discuss politics and religion.“ Diskutiere nicht über Politik und Religion, wenn du irgendwo eingeladen bist. Wahrscheinlich wirst du dein Gegenüber nicht überzeugen können, wenn er (oder sie) eine andere Meinung vertritt. Genauso wenig wie umgekehrt dein Gegenüber dich und deine Meinung ändern wird. Hier ist der Streit schon vorprogrammiert. Also, mein Sohn: „Diskutiere nicht Politik und Religion“. So stand es im Ratgeber für Gentlemen in den Zeiten Queen Victorias. Vor hundertfünfzig Jahren, oder so. So gesehen war Jesus kein victorianischer Gentleman.

Er hatte sich von einem Pharisäer einladen lassen, einem Oberen der Pharisäer. Hatte sich gleichsam in die Höhle des Löwen gewagt, denn die Pharisäer und er vertraten eine andere Religion. Eigentlich war es dieselbe, das Judentum. Aber ihre Sichtweise darauf war so weit auseinander, dass es bald schon zum Bruch kommen sollte. Jesus war vielleicht kein Revoluzzer, aber manche seiner Ansichten waren revolutionär. Und es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen (wie schon Georg Christoph Lichtenberg bemerkte).

Manch ein alter Bart drohte in Flammen aufzugehen, wenn das stimmte, was dieser Rabbi aus Galiläa da behauptete. Und lebte. Sein Zugehen auf die Gescheiterten und Randständigen, das verwirrte, verstörte die Wohlsituierten und Anständigen. Er scheute sich nicht an die Grenzen zu gehen und darüber hinaus. Nutten, Zuhälter und Ausländer. Und er forderte das auch von denen, die ihm nachfolgten. Und er konfrontierte im Laufe dieses Abends beim Tischgespräch auch seinen Gastgeber mit dieser Radikalität. So steht es hier geschrieben.

Er sprach aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.

Manch eine Benefiz-Gala und „Charity“-Aktion, von der feinen Gesellschaft inszeniert, steht ja in dem Ruf beziehungsweise Ruch, es ginge hier gar nicht so sehr um den guten Zweck, sondern viel mehr um den gesellschaftlichen „Event“ für Leute mit viel Geld: Die Reichen und die Schönen treffen sich. Erst gibt es Kaviarhäppchen und der Sekt fließt in Strömen – und danach auch noch ein großer Scheck für die armen Kleinen. Sie haben das Ihre schon gehabt. Sagt Jesus immer wieder mit bitter drohendem Unterton über die Reichen. Hier im Lukasevangelium. Sie haben das Ihre schon gehabt.

Gleichwohl ist die Mahnung an den Pharisäer hier doch ein Affront. Dem Gastgeber vorzuhalten, er solle gefälligst lieber die Armen, Verkrüppelten, Lahmen und Blinden einladen… Das ist ja nicht gerade höflich und freundlich von Jesus. So was tut man als Gast eigentlich nicht. Den Gastgeber kritisieren. Also selbst wenn die Suppe versalzen und der Braten zäh war, darf man das doch nicht so sagen. Und fragt der Gastgeber: Wie hat es geschmeckt? Dann sagt man eben: Interessant! Und bedankt sich mit einem artigen Lächeln. Man. Aber nicht Jesus. Er kennt da keine Kompromisse.

Der Gastgeber, in höchste Verlegenheit gebracht, man sieht ihn förmlich rot werden und schwitzen, rettet sich mit einem unverfänglichen Trinkspruch: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! Ein Toast auf die Güte Gottes und seine Barmherzigkeit. Eine Art Friedensangebot zugleich an den unbequemen Gast. „Wir haben doch alle den gleichen Gott!“, sagt man dann heute, um die leidige Diskussion über Religion abzuwürgen. Lass uns nicht streiten! Wir haben doch alle den gleichen Gott!

Nein. Sagt Jesus. Und er tut dies in einem Gleichnis. Wir haben es gerade gehört. Wie Menschen eingeladen werden und sich mit wichtigen Geschäften entschuldigen. Man kennt das. Sie würden ja gerne kommen, aber leider, leider… So werden dann andere eingeladen, den Festsaal zu füllen und die Hochzeitstorte anzuschneiden. Die Armen der Stadt zuerst. Und als der Saal immer noch Platz hat, sogar die von außerhalb, die Fremden. Über alle Grenzen hinaus.

Was Jesus damit sagen will? Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Es reicht nicht zu den Eingeladenen zu gehören, man muss auch hingehen. Es reicht nicht zum auserwählten Volk zu gehören, man muss auch danach handeln und leben. Den frommen Juden sagt er damit: Seid nicht so selbstgerecht und selbstgefällig. Ihr haltet euch für etwas Besseres als die Armen, die sich verkaufen müssen an die Besatzer. Ihr blickt auf sie herab und verachtet sie. Fast noch mehr als die Ausländer, die ihr Gojim schimpft, die Unbeschnittenen und Schweinefleisch-Fresser, die Römer und die Griechen.

Der Weg Gottes – von höchster Höhe herab – macht nicht Halt in euren vornehmen Vorort-Villen auf den Hügeln in den bessern Vierteln der Stadt. Er geht weiter – weiter hinab – bis in die Gosse, in die schmutzigsten Ecken, in die Elendsquartiere der Stadt, zu den Ärmsten der Armen, und darüber hinaus, bis zu den Unreinen selbst. Sein Erbarmen ist nicht aufzuhalten. Keine Grenze, kein Zaun, den ihr zieht, kann seiner Barmherzigkeit Einhalt gebieten.

Ich bin nicht gekommen, um den Reichen schöne Augen zu machen, sagt Jesus. Und auch nicht, um den Reichen Reden zu halten, die ihren Ohren angenehm sind, die ihre Bäuche pinseln und ihre Börsen kitzeln. Ich bin gekommen, um den Armen eine frohe Nachricht zu bringen, eine Botschaft der Hoffnung und Befreiung: Euch gehört das Himmelreich. Ihr seid eingeladen, euch satt zu essen, satt zu trinken an dem süßen, schweren Wein der Liebe Gottes in Ewigkeit.

Und nicht sie. Die Reichen. Mögen sie sich auch für noch so fromm halten. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wenn sie die Botschaft hören, aber nicht danach leben, dann ist es, wie wenn sie eine königliche Einladung bekommen und sich mit geschäftlichen Terminen entschuldigen. Wenn der König ruft – der König aller Könige –, dann hätten sie alles stehen und liegen lassen sollen. Sich waschen und sauber anziehen und unverzüglich losgehen, das hätten sie sollen. Stattdessen sind es Alltagssorgen, Kaufverträge, die Besichtigung eines Grundstücks, das neue Auto, der Termin bei der Bank, der Anwaltstermin, Erbschaft und Ehevertrag und andere Geschäfte, die Vorrang haben, Vorfahrt haben, jetzt mal eben gerade wichtiger sind.

Sind sie nicht! Sagt Jesus. Entscheidet euch! Jetzt. Denn jetzt ist der Bräutigam da. Das große Hochzeitsfest hat schon begonnen. Noch stehen die Tore zum Festsaal offen. Aber es wird keine Platzkarten geben. Man wird euch keine Plätze freihalten, wenn ihr jetzt nicht kommt, weil ihr gerade Wichtigeres zu tun habt. Die Plätze werden besetzt. Wenn nicht von denen, die eingeladen sind, dann von denen, die sich einladen lassen. Und die Letzten werden die Ersten sein. Die Ärmsten der Gesellschaft, die das Allerletzte sind, sie werden in der ersten Reihe sitzen und werden den König „Vater“ und den Bräutigam ihren Bruder nennen dürfen.

Harter Tobak. Ein kompromissloser Jesus missachtet alle Etikette und ruft zur Entscheidung. Über eine Antwort des Gastgebers schweigt das Lukasevangelium. Und vielleicht hat er ja auch keine Antwort gewusst. Und nur betreten geschwiegen. Die Abendgesellschaft, die Mahlgemeinschaft im Hause des Ober-Pharisäers dürfte nach so harten Worten nicht mehr lange gewährt haben. Der Schwarm hat sich verlaufen. Die Wege trennen sich. Es geht nicht anders.

Die Botschaft Jesu ist kompromisslos. Und nicht besonders „gentlemanlike“, nicht freundlich und höflich, sie taugt nicht zum Small-Talk bei Lachs-Häppchen und Finger-Food. Er sagt, wir sollen uns nicht scheuen, uns schmutzig zu machen, indem wir uns einlassen auf die, die unsere Hilfe brauchen. Indem wir uns gemein machen mit den Versagern und den Verzweifelten. Mit den Vertriebenen und Verfluchten. Mit den Fremden und Flüchtlingen, den Andersaussehenden und Andersriechenden. Nur keine Scheu davor! Seid nicht fies dafür!

Denn Gott war sich auch nicht zu fein. Er hat sich ja schließlich auch mit uns eingelassen.


Liedvorschläge:

                  Komm, sag es allen weiter (EG 225)

                   Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn (EG 363)

                   Gott rufet noch. Sollt ich nicht endlich hören? (EG 392)

                   Dein Reich komme / Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn (HuE 282)


Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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