Lukas 14,15-24

Lukas 14,15-24

Quattro Stagioni? Eine geistliche Ernährungsberatung | 2. So. n.Tr. | 12.6.2023| Lk 14,15-24| Wolfgang Vögele|

Segensgruß

Der Predigttext für den 2.Sonntag nach Trinitatis steht Lk 14,15-26:

„Da aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist schon bereit! Da fingen sie alle an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und ein andrer sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Wieder ein andrer sprach: Ich habe eine Frau geheiratet; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten und Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch: Keiner der Männer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.“

Liebe Schwestern und Brüder,

Sonderangebote nur in haushaltsüblichen Mengen? In jedem Supermarkt werden zwölftausend Artikel angeboten, Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett und Spurenelemente. Wie die meisten hungrigen Kunden interessiere ich mich für Tiefkühlpizza: Der gläserne Schiebedeckel öffnet sich, in der Kühltruhe lagern vielleicht fünfundsechzig der dreihundert Milliarden Tiefkühlpizzas, die die Deutschen jährlich verzehren: Tonno, Speziale, Margherita, Quattro Stagioni oder Quattro Formaggi. Die Auswahl kostet manchmal mehr Zeit als die Zubereitung. Alltagsköche müssen nur neun Minuten warten, nachdem der Backofen auf die richtige Temperatur aufgeheizt hat. Wer sich eine Tiefkühlpizza warm macht, tut das meistens, um Zeit und Arbeit zu sparen: keinen Käse hobeln, keinen Teig ausrollen, keinen Speck würfeln. Bequemlichkeit beruht aber auf industriellen Täuschungen: Der geschmolzene Mozzarella hat nie eine Büffelkuh gesehen, er ist ein weicher Stoff mit Käsegeschmack, Analogkäse, diese Kühe standen im Labor neben den Erlenmeyerkolben und Reagenzgläsern. Schinkenstücke auf der TK-Pizza sind aus Formfleisch gepreßt oder gleich Schinkenersatz, die Meeresfrüchte aus Eiweißmasse mit Fischaroma. Pizza aus der Tiefkühltruhe – das ist Pappendeckel mit Vorgeschmack auf Steinofen, dolce vita und cucina di mamma. Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, leider gilt ähnliches auch für Fischstäbchen, aber ich habe das Pizzabeispiel gewählt, um euch nicht zu sehr zu verstören (große Prise Ironie).

Viele Menschen schlingen die Tiefkühlpizza genauso schnell herunter wie sie sie zubereitet haben – sie daddeln nebenbei auf dem Handy und verfolgen mit halbem Auge die Quizsendungen am Vorabend. Multitasking im Streß des postmodernen Alltags. Den Genießern von Tiefkühlpizza fehlt oft Zeit, für eine Mittagspause oder einen entspannten Abend. Ihnen fehlt auch oft die Gemeinschaft mit Familie oder Freunden, mit denen sie sich zum Essen zusammensetzen können. Und ihnen fehlen Ruhe und Geduld, die nötig sind, um ein gutes, selbst zubereitetes Essen zu genießen.

Alle gestreßten Angestellten, Kunden und Käuferinnen, die wohlbeleibteren und die hageren, die fülligen und die magersüchtigen sind gezwungen, sich mit dem Thema Essen beschäftigen. Essen ist ein Vorgang, der noch ausschließlich im Analogen stattfindet. Er kann nicht digitalisiert werden. Nur Werbung, für Tiefkühlpizzas, vegane Buletten, kalorienreduzierte Schokolade und Joghurt mit probiotischen Bakterien, ist überall in den sozialen Medien zu finden. Wer nicht ißt, den quälen Hungergefühle. Wer aber ißt, dem sieht man langfristig körperliche Auswirkungen an den falschen Stellen an. Sind sie Typ Birne oder Typ Apfel? Vielen Menschen macht das Angst, und sie reagieren mit Eßstörungen, sie essen dauernd zu viel oder anhaltend zu wenig, niemals angemessen und ausgewogen.

Andere Menschen machen aus dem Essen eine Religion oder eine Politik oder eine Weltanschauung. Sie ernähren sich aus Tierliebe vegetarisch und verzichten auf Fleisch. Sie ernähren sich wegen des Klimawandels vegan und verzichten ganz auf tierische Produkte. Sie verzichten auf Kohlenhydrate, auf Milchprodukte, auf Steaks und Schweineschnitzel, auf Industrie- und Preßfleisch, auf Gluten, auf von weither importierte Erdbeeren, Litschis und Avocados, auf Eier aus Betrieben, in denen männliche Küken geschreddert werden. Ob globaler Klimawandel und private Ernährung so zusammengebracht werden können, bleibt eine offene Frage.

Liebe Gemeinde, ich fühle mich schon wie eine dieser geleckten Ernährungsberaterinnen aus dem Frühstücksfernsehen, die alle drei Monate die nächste große Ernährungsmode in die Köpfe von Verbraucherinnen und Verbrauchern jagen. Lesen Sie es also an meinen Lippen ab: Ich. Bin. Kein. Ernährungsapostel.

Ich mache mir auch gelegentlich eine Tiefkühlpizza warm, in der Regel Tonno. Ich mag keine Fischstäbchen. Auch ich achte auf mein Gewicht und stelle mich gelegentlich auf die Waage. Aber ich zähle keine Kalorien. Und ich will das alles niemandem vorschreiben. Dies ist weder eine Verbraucher- noch eine Ernährungsberatung, die am Anfang und am Ende – als Topping – mit ein paar Bröseln Halleluja garniert sind. Ich will Ihnen nicht Völlerei, Grillorgien, Pommes und Hamburger mit Extrakäse abgewöhnen. Sie dürfen weiter eine ganze Tüte Chips und eine ganze Tafel Vollmilchschokolade mit Haselnüssen essen. Aus theologischer Sicht spricht nichts dagegen.

Ich bin sicher: Im Reich Gottes werden keine Kalorien gezählt. Es werden aber auch keine vorgefertigten Pizzas und keine Fischstäbchen serviert. Trotzdem ist das Reich Gottes kein Gourmetparadies oder ein Schlaraffenland. Beim Essen im Reich Gottes wird etwas ganz anderes wichtig: Zu lernen ist das aus diesem Gleichnis Jesu, das im Lukasevangelium erzählt wird. Essen ist das zentrale Thema.

Jesus sitzt beim Essen, er hat sich bei einem Pharisäer eingeladen. Vermutlich sind alle im kleinen Kreis auf dem Boden versammelt. Jesus nimmt sich aus mehreren Schalen und Körben, er beißt ab, er kaut, er schluckt hinunter. Und er erzählt eine Geschichte über das Essen, auf die ich sofort zurückkomme. Und Jesus stimmt einem seiner Sitznachbarn zu. Dieser Sitznachbar hat gesagt, es seien diejenigen selig zu preisen, die im Reich Gottes Brot essen werden. Dann erzählt Jesus das Gleichnis vom Abendmahl. Denn es ist günstig, über das Essen zu reden, wenn man schon gemeinsam beim Essen sitzt. So beginnt man den small talk des Glaubens, dessen theologischer Nährwert sich schnell steigert.

Schon das gemeinsame Essen hält einen Wert in sich selbst bereit. Das sei denen gesagt, die ihre Mittagspause kauend an der Tastatur verbringen und gar nicht mehr danach schauen, was sie da so schnell wie möglich herunterschlingen. Die täglichen Mahlzeiten unterbrechen Routine, Hektik und Streß des Alltags und verschaffen jedem eine Auszeit. Diese läßt ihn ein wenig herunterkommen von den täglichen Überforderungen. Deswegen wird auch im Reiche Gottes gegessen werden. Denn dieses, so hoffen wir, unterbricht den chaotischen und katastrophalen Lauf der Welt, in ein Reich, in dem Gottes Gegenwart gefeiert wird wie im himmlischen Jerusalem. Nach meiner Überzeugung wird das vor allem mit Musik und Singen, mit viel Freundschaft und geistlicher Gemeinschaft und deswegen auch mit gemeinsamem Essen geschehen. Gottes Reich wird kein Supermarkt mit zwölftausend Artikeln sein, in dem sich jeder einfach bedient. Wir wissen nicht, wie dieses angekündigte Reich genau aussehen wird. Jesus hat beides gesagt. Er hat gesagt: Das Reich wird erst noch kommen. Er hat aber auch gesagt: Das Reich ist schon mitten unter euch.

Der Prediger aus Nazareth hat in Bildern von diesem Reich geredet. Eines davon malt er uns vor Augen: Das Reich Gottes ist wie ein gelungenes Essen, ein großes Abendmahl in mehreren Gängen. Die Einladungen sind versandt: Um Antwort wird gebeten. Doch der einladende Hausherr erlebt eine Enttäuschung. Die erbetenen Antworten erweisen sich durchweg als Absagen. Landwirtschaft ist wichtiger. Ich muß mich um die Ochsen kümmern. Ich fahre mit meiner Frau in die Flitterwochen. Die Absagen spiegeln die bäuerliche Welt Jesu, aber sie lassen sich ohne weiteres in die Gegenwart übertragen: Zu viel Streß in der Familie. Ich muß mich endlich einmal um den Garten kümmern. Meine Freundin ist mir wichtiger.

Ich verstehe sehr gut, daß der einladende Hausherr sich gekränkt fühlt. Eine Einladung zur gemeinsamen Feier auszuschlagen, das ist, selbst wenn stimmige Gründe vorliegen, eine Zurückweisung von Gemeinschaft und Freundschaft. Der Hausherr schickt die Knechte also ein zweites Mal los. Nun werden Arme, Verkrüppelte, Blinde und Lahme zum festlichen Essen gebeten. Und die restlichen Plätze, die immer noch frei sind, stehen für Zaungäste und Passanten bereit. Ich verstehe das so: Der Zugang zum Reich Gottes erschließt sich nicht unbedingt über eine längere Frömmigkeitsgeschichte im eigenen Leben, nicht über Spendenfreudigkeit und geistlich-klerikale Diäten. Er erschließt sich schlicht einfach über die Tatsache einer Einladung. Der Hausvater sagt: Komm, du bist eingeladen. Und wer eingeladen wird, der bekommt auch zu essen und zu trinken. Er kommt in den Vorzug einer viel versprechenden geistlichen Eß- und Trinkgemeinschaft. Das könnte noch ein sehr schöner Abend werden. Wobei ich überzeugt bin, daß das exquisite Essen und der im Holzfaß gereifte Wein gar nicht den Kern dieses Abends ausmachen. Der innere Kern besteht darin, gemeinsam zu essen und zu trinken, sich Zeit zu nehmen für Gespräche mit Freunden und Tischnachbarinnen, sich Zeit zu nehmen für die Tischreden, die nach jedem Gang gehalten werden, sich Zeit zu nehmen für Feiern und Lachen, für Fröhlichsein, bestimmt auch für gemeinsames Singen und Tanzen. Das Reich Gottes ist eine fröhliche Veranstaltung, auf der jeder verbiesterte Zwang ausgesperrt bleibt. Alles kann. Nichts muß. Niemand muß sein Essen in sich hineinschlingen, weil sich die Gäste am kalten Büffet eine heiße Schlacht liefern. Niemand muß sich betrinken. Es gibt Zeit, Fröhlichkeit, Essen und Trinken im Überfluß. Das Reich Gottes und das Abendmahl, das ist Feiern ohne Hektik, das ist Pause, Unterbrechung und Abschalten, das ist Essen ohne Geschmacksverstärker  und Sättigungsbeilage und Trinken ohne Zuckerzusatz. Es gilt nur, die Einladung anzunehmen.

Weil die Geschichte Abendessen und Abendmahl miteinander verschränkt, hat man oft gedacht, Jesus würde hier vom Gottesdienst mit Abendmahl sprechen. Aber die Fülle von Essen und Trinken droht verloren zu gehen, wenn man nach vorne vor den Altar tritt und dann eine nach nichts schmeckende Oblate und einen winzigen Schluck halbtrockenen, schalen Weins erhält. Die Geschichte, die Jesus als Gleichnis erzählt, kann auch dazu anleiten, Essen und Trinken beim liturgischen Abendmahl wieder sorgfältiger zu gestalten: mit selbst gebrochenen Stücken Brot, die vielleicht jemand aus der Gemeinde selbst gebacken hat. Das Reich Gottes überbietet sich in gemeinsamem Essen und Trinken. Ein klein wenig davon sollte auch im Abendmahlsgottesdienst zu spüren, zu schmecken und zu kauen sein. Der nüchterne, intellektuelle Protestantismus sollte wieder aus einer Religion der Gedanken zu einer Religion sinnlich wahrnehmbarer Erfahrung werden.

Am Ende sei noch gesagt: Jesus ist das wohl bewußt, daß das Reich Gottes noch nicht angebrochen ist. Aber er ist sicher: Es leuchtet schon aus der Zukunft in die Gegenwart hinüber. Es beginnt nicht mit Erkenntnis, Gesetzlichkeit und Zwang, sondern mit einer Einladung, mit gemeinsamem Essen und Trinken.  Glauben bedeutet, sich zu geistlicher Gemeinschaft mit anderen Menschen, mit den Kranken, den Leidenden, den Bedürftigen zusammen zu finden. Wie die Pizza, auch die tiefgekühlte, nicht ohne eine Prise Salz auskommt, brauchen wir alle gelegentlich eine Prise vom Reich Gottes in unserem Leben. Lassen Sie sich das Reich Gottes schmecken! Im Glauben herrscht kein Verzehrverbot.

Amen und guten Appetit.


Nachbemerkung: Den Gedanken, das Abendmahl mehr von einem normalen Essen her zu verstehen, habe ich weiter entwickelt in folgendem Essay, der sich allerdings mehr auf Wein und Trinken als auf Brot und Essen konzentriert. Das Anliegen wird aber deutlich, egal ob man flüssige oder feste Nahrung betrachtet: ‚Des süßen Weinstocks starker Saft‘. Theologische Bemerkungen zum Weingenuß beim Abendmahl, Quatember 86, H.2, 2022, 87-95, https://quatember.org/quatember-text/2-2022-wein/.


Prof. Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com


Wolfgang Vögele, geboren 1962. Apl. Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er schreibt über Theologie, Gemeinde und Predigt in seinem Blog „Glauben und Verstehen“ (www.wolfgangvoegele.wordpress.com).

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