Lukas 18,1-8

Lukas 18,1-8

Gebet ist keine Zauberei | Vorletzter So. des Kirchenjahres | 13. 11. 2022 | Lk 18, 1-8 | Winfried Klotz |

18 1 Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,

2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.

3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!

4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte, noch vor keinem Menschen scheue,

5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. a) Kap 11,7-8

6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!

7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?

8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?

Bewusst schließt der Evangelist Lukas das Gleichnis von der Witwe und dem gottlosen Richter an Jesu Lehre vom Hereinbrechen des Reiches Gottes an. Gottes Herrschaft ist mit Jesus angebrochen, aber sie verwirklicht sich nicht wie durch Zauberhand, sondern auf dem Weg des Kreuzes Jesu, des Leidens seiner Schüler und der Bedrängnis der Gemeinden. So sagt Jesus vor unserem Abschnitt:

„Schon jetzt, mitten unter euch, richtet Gott seine Herrschaft auf!“ Daran schließt sich die ernste Ankündigung an: „Es wird die Zeit kommen, wo ihr euch danach sehnt, auch nur einen Tag unter der Herrschaft des Menschensohnes zu erleben. Aber es wird euch nicht vergönnt sein.“ (Lk. 17, 21-22)

Die Gemeinde Jesu steht in einer großen Spannung; auf messianische Zeiten voller beglückender und staunenswerter Gotteserfahrungen folgt eine Zeit der Anfechtung, in der alles in Frage gestellt ist. Typisch dafür ist ein Satz aus Lukas 24, der Geschichte von der Begegnung des auferstandenen Jesus mit den Jerusalem verlassenden und nach Emmaus wandernden Jüngern: „Und wir hatten doch gehofft, er sei der erwartete Retter, der Israel befreien soll!“ Lk. 24, 21)

Jesu Sterben am Kreuz hat erst einmal alle Hoffnungen durchgestrichen. Die Begegnungen mit dem Auferstandenen schenken einen neue Anfang, die Gabe des Heiligen Geistes bringt eine neue Dynamik in die Jüngergemeinde. Aber der Zahn der Zeit nagt an der Hoffnung; „wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung“, schreibt Paulus im Römerbrief. (Rö. 8, 24) Wie weit reicht die Geduld gerade in schweren Zeiten?

Das ist der Horizont, in den Lukas das Gleichnis stellt. Deshalb ist beharrliches Gebet unverzichtbar. Die Einleitung, die Lukas dem Gleichnis gibt, redet vom einem „Muss“ des Gebets. Das entspricht dem griechischen Urtext. Die Übersetzung der Gute Nachricht Bibel sagt: „Mit einem Gleichnis zeigte Jesus seinen Jüngern, den Männern und Frauen, dass sie immer beten müssen und darin nicht nachlassen dürfen.“

Wir können diesen Horizont vielleicht nicht nachvollziehen. Wir kennen als christliche Gemeinden in Europa kaum Bedrängnis und Verfolgung wegen des Glaubens. Wir kennen das Schrumpfen der Kirchen und Gemeinden. Wir beklagen den Verlust christlicher Traditionen und Werte. Das nehmen wir zur Kenntnis, ohne uns zu sehr zu sorgen; es betrifft uns nur indirekt. Außerdem betreiben die Verantwortlichen der Kirchen doch intensiv die Sanierung; Zusammenlegung und Rückbau sollen zukunftsfähig machen. Nachbarschaftsräume heißt das bei uns in Hessen-Nassau. In größeren Städten werden Anlaufstellen für Taufen, Trauungen und Beerdigungen geschaffen; Eventagenturen. „Du willst dich taufen lassen? Komm einfach zwischen 17 und 22 Uhr vorbei. Alles, was du brauchst, ist dein Personalausweis.“ So die Ankündigung auf der Internetseite von St. Moment, Hamburg. (https://stmoment.hamburg/goldmoment/)

Taufe wird beworben mit „Goldmomente“. In der Beschreibung heißt es: „Mit deiner Taufe sagst du „Ja!“ zum Leben und unserer Welt. Die Taufe ist eine der sinnlichsten Möglichkeiten, Gottes Segen zu spüren. Schon Jesus hat sich in einem Fluss taufen lassen. Wenn wir heute mit Wasser taufen, spüren und erleben wir die große Kraft, die in diesem Ritual liegt. Wer bei uns getauft wird, gehört zu unserer evangelischen Kirche und zur großen Gemeinschaft aller Christ*innen weltweit.“ Hier wird versucht, Taufe damit schmackhaft zu machen, dass sie eine positive Lebenseinstellung befördert, dass sie Gottes Segen vermittelt, dass sie ein Ritual der Kraft ist. Zudem vermittelt sie die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche und verbindet mit der weltweiten Gemeinschaft der Christen.

Im Neuen Testament dagegen ist die Taufe ein Zeichen für die Umkehr. Apostelgeschichte 2 erzählt, dass die Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus die Zuhörer erschütterte. Im Gewissen getroffen fragten sie: Was sollen wir tun? Kehrt um, sagt Petrus, und lasst euch auf den Namen Jesu taufen zur Vergebung eurer Sünden … (Apg. 2, 36-38) Was in Hamburg und anderswo geschieht ähnelt dem Geschäftsmodell eines Schnellrestaurants. Wird da noch ein Glaubensgespräch geführt, ein Bekenntnis zum dreieinigen Gott gesprochen, in die Gemeinschaft mit Christen eingeladen- Hauskreis, Diakoniekreis …? Oder ist Taufe nur ein Segens- und Kraftritual? Ist das verantwortliches missionarischen Handeln? Wird hier Christus noch als Brücke zu Gott verkündigt, als der, in dem Gott „für uns ist“? Die Rede ist von Segen, nicht von Rettung aus Verlorenheit.

Diese kirchlichen Bemühungen nehmen wir zum großen Teil kaum wahr. Mehr besorgt uns, was wir im persönlichen Bereich erleben. Berufliche Tiefschläge, Enttäuschungen in Ehe und Familie, Unsicherheit, was die gesellschaftliche Spaltung und die Weltlage betrifft. Wir wurden in den letzten Jahren konfrontiert mit der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und schon seit längerem der Klimaveränderung. Dazu kommt die wirtschaftliche Verunsicherung durch Inflation. Es gibt eine Menge Belastungen; im Alter erfahren wir eine zunehmende Verengung unseres Lebenskreises. Und so kreisen wir vor allem um uns und die Weltprobleme. Aber auch in Bezug darauf stellt sich uns die Frage: Wieviel Wasser der Not verkraftet das Feuer des Heiligen Geistes, ohne zu verlöschen?

Auf diese Frage antwortet das Gleichnis von der machtlosen Witwe und dem gottlosen Richter und seine nachfolgende Auslegung durch Jesus.

Die Witwe steckt in Problemen; sie hat keine unterstützende Familie, aber einen für sie übermächtigen Gegner. Deshalb sucht sie Hilfe bei einem Richter. Das ist kein Jurist im heutigen Sinn, sondern jemand mit Einfluss. Vielleicht ein Gutsbesitzer mit Ländereien und deshalb Einfluss. Das Gleichnis schildert ihn als gottlos und menschenverachtend. Bei ihm dreht sich alles um seine Interessen, seinen Vorteil, sein Ansehen. Warum einer völlig unbedeutenden Witwe beistehen, die noch nicht einmal etwas rüberschieben kann? Der Patron schickt die Witwe immer wieder weg; für sie hat er keine Zeit, ihr zu helfen bringt ihm keinen Vorteil; Gottes Weisung und die Meinung anderer interessieren ihn nicht. (Jes. 1, 17)

Die Witwe dagegen ist resolut, obwohl abgewiesen kommt sie immer wieder und fordert Hilfe ein. Oder auch: sie kommt immer wieder, weil die Bedrängnis das Leben ihr zu Hölle macht. Schließlich steht der Richter ihr bei, sie ist so lästig und könnte schließlich sogar gewalttätig werden.

Was lehrt uns das? Vom Richter können wir kaum etwas lernen, von der Witwe schon. Trotzdem ist gerade der Richter für Jesus wichtig. Wenn schon ein gottloser Richter sich irgendwann dazu bequemt, einer armen Witwe zu helfen, wieviel mehr wird der barmherzige Gott die Bittrufe seiner Leute hören! (2. Mose 22, 22f; Psalm 68, 6; Jes. 57, 15; Lk. 1, 48. 51.52; 1. Sam. 2, 8)

Jesus, nein die Heilige Schrift insgesamt bekennt Gott als den, der Gebet erhört! „Denn wer bittet, empfängt; wer sucht, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan, sagt Jesus.“ (Lk. 11, 9, ff) „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören? Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?“ sagt ein Psalmbeter, der in Not und Ungerechtigkeit mit Gottes Eingreifen rechnet. (Psalm 94, 9)

Es ist eine große Sache mit Gott, wir haben durch Jesus eine weit offene Tür zu IHM. Deshalb „lasst uns freimütig hintreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden und uns so geholfen werde zur rechten Zeit“, mahnt der Hebräerbrief. (4, 16)

Ich will hier nicht noch mehr Worte der Bibel zitieren; es ist an uns, eine Entscheidung zu treffen: Folge ich meinem zweifelnden, ja manchmal ungläubigen Herzen oder vertraue ich Jesus? Wir haben keine Sicherheiten für die Erhörung unserer Gebete, wir haben Gott nicht in der Hand, können ihn nicht bestimmen. Gebet ist keine Zauberei, sondern ich gebe mich betend in Gottes Hände, darauf vertrauend, dass ER mich hält. Es kann sein, dass alles ganz anders ausgeht als ich erbeten habe. Es kann sein, dass Gott mich lange warten lässt. Es kann sogar sein, dass Gott mir sagt, hör auf zu rufen und zu klagen, geh durch die Not! Es ist uns kein bequemer Weg versprochen von Jesus. Versprochen ist nur, dass ER gegenwärtig ist; das aber ist in jedem Fall Kraft und Trost und Hoffnung.

Und noch etwas: Es kann auch sein, dass eine Mauer der Schuld zwischen Gott und uns steht. Also Verfehlungen des Guten, die wir vor Augen haben, aber in unserem Stolz nicht als Schuld bekennen und bereinigen. Manchmal sollten wir erst Frieden mit unseren Nächsten suchen, bevor wir Gott mit unseren Gebeten belästigen. Ich sage das bewusst negativ. Es gibt auch ein scheinheiliges, heuchlerisches Beten. Bedauernswert ist auch, wenn im Gottesdienst agendarische Gebete abgespult werden; wollen wir wirklich Gottes Ohr? Warum legen wir dann nicht unser Herz ins Gebet? Hören wir auf, viele Worte zu machen, hören wir auf betend andere zu belehren. Gott will wissen, wie es uns ums Herz ist, was unser echtes Anliegen ist. ER will ein liebevolles, ernstes Gespräch mit uns führen, wenn wir beten.

Schließlich, wer betet gelangt auch zum Tun. Wir beten auch darum, dass Gott uns Kraft und Mut und Weisheit zum Handeln gibt und das richtige Maß für unser Tun erkennen. Wann soll ich handeln, wann stille stehen? Wer betet, erkennt seine Grenzen, aber auch Gottes Möglichkeiten, Grenzen zu überschreiten. Wir retten weder uns selbst noch unsere Nächsten noch die Welt, aber wir haben den als Herrn, der retten kann.

Ich kehre noch einmal zum Gleichnis und seiner Auslegung zurück. Ich habe gefragt: Wieviel Wasser der Not verkraftet das Feuer des Heiligen Geistes, ohne zu verlöschen?

Der Evangelist weiß um die Kraft des Heiligen Geistes, aber auch um die Größe der Anfechtung und Bedrängnis der Gemeinde Jesu – auch von ihrem Scheitern. Deshalb sein Rat: Bleibt an der Quelle der Kraft, bleibt verbunden mit Jesus im Gebet. Lasst euch nicht einschüchtern, aber meint auch nicht ihr hättet alles im Griff, oder schlimmer, müsstet alles im Griff haben. Gott ist eure Hilfe, Gott schafft euch Recht. Das ist die Zusage Jesu. Das Feuer des Heiligen Geistes verlöscht nicht, wenn Jesus bei euch ist. Er sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Amen.


Winfried Klotz, Pfr. Jg. 1952, verh. 3 erw. Kinder, theol. geprägt von Otto Michel und Hans Joachim Iwand; die Meditation von Iwand zum Text ist sehr lesenswert. H. I. Iwand, Predigt-Meditationen, Göttingen 1963, S. 316

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