Lukas 18, 1-8

Lukas 18, 1-8

Die unwahrscheinliche Diplomatie des Reiches Gottes | Lk 18,1-6 (7.8) | Vorl. Sonntag im Kirchenjahr | 13.11.22 | Jochen Riepe |

I

Daß das Unwahrscheinliche eine Chance bekommt, daß Menschen ‚in sich gehen‘ (Lk 15,17), umdenken und Recht und Frieden einziehen können, das ist die aufregende, buchstäblich ‚ent-feindende‘ Botschaft dieses Textes:

Hört, was der ungerechte Richter sagt‘, ruft Jesus, der Künder des Reiches Gottes und Werber für die Liebe – zum Feind.

II

Der eine zeigt auf den anderen und bedroht ihn. Der andere packt sich an den Kopf und zeigt ‚den Vogel‘. Streit. Gegnerschaft. Wer kennt das nicht: Es wird immer lauter. Die Fetzen fliegen. Ich verrenne mich und stehe mit dem Rücken zur Wand. Ich fühle mich allein und möchte heulen. Ich weiß mich im Recht und werde wütend. Meine Atmung wird schneller, das Herz rast, ich schlage um mich… Wer hilft mir hier heraus, ohne daß ich mein Gesicht verliere? Ein verletztes Tier, sagt man, beißt um sich, auch wenn man ihm helfen will.

Wo ist der Exit? Gewiß denkt ihr jetzt an den Krieg, der nicht weit von uns tobt und der schon viel zu lange dauert. Wann ist es genug- endlich genug? Manche sehen die Situation als unlösbar – ‚nur noch schlechte Optionen‘, meint ein Politologe (J. Varwick). Manche fürchten eine Eskalation bis hin zu einem atomaren Inferno. Kann uns der Sprecher des Reiches Gottes einen Wink geben – heute am Volkstrauertag?

III

Furcht‘ jedenfalls kennt der Richter im Gleichnis Jesu nicht – weder ‚vor Gott‘ noch ‚scheut er sich vor den Menschen‘. Er gleicht wohl eher jenem Typus, den wir einen Dickfelligen und Abgestumpften nennen. Er fühlt sich sicher und hat Beziehungen zu den Tonangebenden. Besonders mutig ist er nicht, aber als ein Gefolgsmann der wichtigen Leute, weiß er: Die werden ihn schützen, wenn er seinen Amtspflichten nicht nachkommt.

Jesu Zuhörer nicken, insbesondere die Frauen: Ja, solche Menschen kennen wir, und das Verhalten dieses Mannes ist alles andere als ungewöhnlich. Es ist zu erwarten. Natürlich, das Ideal lautet anders: Richter sollen Recht sprechen und sich für die Armen und Witwen in besonderer Weise einsetzen. Sie tun oft das Gegenteil – der ‚alte Adam‘ in Gestalt eines Amtsträgers: Er macht sich lieb Kind bei den Mächtigen und steckt auch gern einmal ein Trinkgeld ein. Eine Hand wäscht die andere. Im Alten Testament wird darum die Richterschaft gemahnt, sich in ihrem Tun ‚von der Furcht des Herrn leiten zu lassen‘(2. Chr. 19,7), ohne ‚Ansehen der Person‘ und ‚ohne Annehmen von Geschenken‘.

IV

Ganz und gar überraschend, ja unerhört,  ist aber das Verhalten dieser Witwe, und wenn irgendwo, dann scheint  schon hier etwas vom Reich Gottes auf: ‚Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!‘  Jesu Hörer werden aufmerken: Diese Frau – was ist in sie gefahren? Kann das gutgehen? Das ist nicht ihre Rolle. Sie ist offensiv und fordert, und sie fordert immer wieder – ‚lange Zeit‘. Gehen  wir ihr nach: Sie spricht im Tor, dem Ort des Gerichts, vor. Sie stellt den Richter auf der Straße. Sie kreuzt seinen Weg auf dem Markt. ‚Schaffe mir Recht‘.

Das ist für viele Ohren neu: Eine Arme nicht in der Position des Opfers, das Mitleid erregen will. Sie bettelt nicht demütig um Almosen oder kniet ehrerbietig vor dem Stärkeren. Vielleicht ist es die Not, die sie antreibt. Vielleicht aber ist es auch ein robustes Vertrauen auf das Amt des Richters.  Ist dieses Amt nicht in besonderer Weise eingesetzt, den Armen Recht zu schaffen? ‚Dafür seid ihr schließlich da!‘ So die Frau. Jesu Zuhörer werden gespannt sein, wie der Diplomat des Reiches Gottes diese Geschichte vom Zusammentreffen sehr unterschiedlicher Naturen weitererzählt: Das Erwartbare und das Unwahrscheinliche.

V

Streit. Konflikt. Krieg. Einer zeigt auf den anderen. Unlösbar sei der Konflikt zwischen der Ukraine und Rußland, meinen einige und vermuten, daß er noch lange dauern wird. Inzwischen sterben viele Menschen, auf beiden Seiten, Zivilbevölkerung, Soldaten. Wer die Diskussion in unserem Land verfolgt hat,  wird –grob gesagt- zwei Meinungsblöcke kennengelernt haben. Der eine, ‚gesinnungsethische‘, völkerrechtlich argumentierende fordert eine vorbehaltlose moralische, finanzielle und militärische Unterstützung der überfallenen Ukraine – bis zum Sieg. Das Land habe ein Recht auf Selbstverteidigung und dabei sei ihm unbedingt beizustehen.

Andere meinen in verantwortungsethischer Tradition: Ja, aber diese Maximalposition führt letztlich zu einer Eskalation, die immer mehr Opfer und Zerstörung in der Ukraine und vielleicht auch in Mitteleuropa bewirken wird. Darum sei alles das zu fordern und zu fördern, was Gespräche, Verhandlungen, diplomatische Initiativen zugunsten eines Interessenausgleichs der Konfliktpartner ermöglicht. Und sie blicken dabei nicht nur nach Moskau und Kiew, sondern auch nach Washington. Denn dort scheint zumindest ein Schlüssel zum Tor eines Waffenstillstands zu liegen.

Hilft uns Christen hier das Gleichnis über die Diplomatie des Reiches Gottes weiter? Gibt Jesus uns einen Wink?

VI

Natürlich, man kann diesem ungerechten Richter die Züge des russischen Präsidenten geben. Der Gedanke stellt sich ja von selbst ein. Fürchtet der sich vor Gott? Fürchtet der sich vor den Menschen? Keiner weiß das. Wir kennen nur ein mediales Bild und wissen, daß auch die Medien ihre eigenen Interessen haben und gern einen Gut-Böse-Dualismus vertreten. Darum sollten wir dies aus dem Gleichnis mitnehmen: Jesus macht aus dem Richter keinen Dämon, kein Ungeheuer. Er ist kein Monolith unter Gottes Sonne, die bekanntlich ‚über Gut und Böse‘ (Matth. 5,45) aufgeht und auf diese Weise die Welt zusammenhält. Auch er ist eingebunden, kann belangt und bestraft werden.

In einem  ‚inneren Monolog‘  gestaltet der Evangelist Lukas die große Chance und den Wendepunkt, wenn man so will: Das Ankommen des Reiches Gottes in einem Menschenherz. Der Ungerechte geht in sich, ‚denkt bei sich selbst‘, bedenkt die Folgen seines Handelns und überlegt zugleich – dafür sorgt schon der ‚alte Adam‘ in ihm-, wie er gesichtswahrend aus der leidigen Angelegenheit herauskommt. Soll man dieses unlautere, soz. unmoralische Motiv  akzeptieren, sogar darauf ‚hören‘? Ja, alles, was einer moralisierenden Zweiteilung der Welt  entgegenwirkt, alles, was deeskaliert und dem Schalom, dem Ausgleich, dient, hat ein Recht vor Gott.

Feindbilder fixieren in der Regel die harte Fassade, die kalten Augen. Eiszeit. KGB. Kalter Krieg. Das Böse. Jesu Strategie der ‚kreativen Ent-feindung‘ (P. Lapide) aber hofft: Dahinter arbeitet es, und diese Arbeit versetzt der ‚kieselharten Stirn‘ (Jes 50, 4) einen Spalt oder Riß. Sie gibt Raum der Stimme der Selbsterhaltung (Lk 16,3), vielleicht sogar des Gewissens: ‚diese Frau nervt … ich will ihr Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage‘.

VII

Ja, die kluge selbstbewußte Witwe! Sie treibt Jesu Gleichnis zum ‚narrativen Knotenpunkt‘ ( M. Wolter).  Sie sorgt dafür, daß dieser Riß überhaupt entstehen kann. Im Harthörigen arbeitet es, und es bedarf der geduldigen, unermüdlichen, eben nervigen Arbeit, sein Gewissen zu locken. Sie, auch eine Agentin in eigener Sache, läßt sich nicht abweisen und wird so zur – Diplomatin des Gottesreiches. Der Mann muß gefordert und an den Verhandlungstisch gezogen werden.

Kann das Wort Waffen ersetzen? Das kann keiner garantieren, aber wir sehen täglich, was Waffen bewirken. Vielleicht wäre der Frau beinahe die Hand ausgerutscht – eine satte Ohrfeige!-, aber sie bewahrt die Contenance des Unterhändlers: Sie sagt ihr Wort. Und der Erzähler betont: eine ‚lange Zeit‘. ‚Aber wer hält das durch?‘ fragen Jesu Hörer. Wie kommt man sich vor, wenn man immer wieder zum Gespräch ruft, wenn man anklopft, gegen Türen rennt und den anderen auffordert, seinem Amtseid zu entsprechen? Not  – lehrt beten und sprechen. Und Beten und Sprechen zeichnet die Anwälte der Feindesliebe, die Anwälte des Unerwarteten und Unwahrscheinlichen, aus.

VIII

 ‚Hört, was der ungerechte Richter sagt‘, fordert Jesus seine Hörer auf. Mögen die Motive auch windig sein: Er öffnet sich.

Jesus war kein Politiker, aber vielleicht so etwas wie der Streitschlichter und Chefdiplomat des Reiches Gottes. Man kann die Stelle finden, da die Streitenden sich bewegen und von Maximalpositionen abrücken, wo der Stärkere gemäßigt und der Schwächere nicht gedemütigt wird, sondern sein Gesicht wahren kann. Dazu muß man ihre Bedrohungsängste, ihre vitalen Interessen und  ihre Bereitschaft zu Kompromissen ausloten, und die findet nur der, der – redet! Lange redet. Persönlich. Nicht über die Medien. Das ist ein Eckstein der christlichen Friedensethik. Darum sollten unsere gutbezahlten Politiker und Diplomaten der Witwe gleich, ja, Druck machen und ihr Wort sagen – in Moskau, Kiew und auch in Washington, ‚ob man es hören will oder nicht‘ (2. Tim. 4,1).

Aber vielleicht tun sie das ja längst im Geheimen und finden auf Bali einen Ausweg für ‚eine Zeit danach‘, nach dem Krieg.

 Beten wir darum ‚allezeit‘ und ‚lassen wir nicht nach‘.

(Gebet nach der Predigt): O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, / daß ich Liebe übe, wo man sich haßt./ Daß ich verzeihe, wo man sich beleidigt, / daß ich verbinde, da, wo Streit ist, / daß ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht, / daß ich den Glauben bringe, wo der Zweifel drückt, / daß ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert.

( Franziskusgebet / Le Souvenir Normand 1913 i.A.)

Lieder: O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens (eg 416) https://www.youtube.com/watch?v=bLkVnVeVFRA ; / Sonne der Gerechtigkeit (eg 263); / Wir haben Gottes Spuren festgestellt (eg 648)


Lit.: W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu, 1985 / A. Merz, Die Stärke der Schwachen, in: D. Dormeyer et al. (Hgg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, 2007, S. 667ff  / M. Vogt, Grundzüge christlicher Friedensethik, in: Handbuch militärische Berufsethik I Grundlagen, 2013, S. 53ff/ J. Varwick, Der Ukraine-Krieg muß eingefroren werden    https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/warum-der-ukraine-krieg-eingefroren-werden-muss/  https://www.foreignaffairs.com/ukraine/ukraine-war-will-end-negotiations

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