Lukas 2,1-20

Lukas 2,1-20

Weihnachten 2023 | Christvesper | Lk 2,1-20 | Ulrich Nembach |

Liebe Gemeinde,
wir feiern Weihnachten. Die Kirche ist festlich geschmückt. Die Lichter brennen. Wir sind feierlich gestimmt. Ich lese die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium, Lukas 2, 1-20.  Bitte hören Sie genau hin! Genaues Hinhören lässt uns manches entdecken.

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

15 Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Also, alles wie immer, werden Sie sagen. Ist es so?

[1.]

In Europa herrscht Krieg. Auch im Nahen Osten herrscht Krieg. Beide Kriege werden mit grausamer Härte geführt. (Nebenbei, es sind nicht die einzigen Kriege zurzeit). Im Ukraine-Krieg sollen schon mehrere 100.000 Tote zu beklagen sein; hinzu kommen zahllose Verletzte. Die Bevölkerung in den Kampfgebieten leidet Not. Verzweiflung herrscht, Chaos. In Gaza fragte ein alter Mann in die Kamera: „Wo sollen wir denn hingehen?“ Er war aus dem Norden Gazas in den Süden geflohen, wie die Israelis es gesagt hatten. Nun soll er erneut fliehen, aber wohin?!

Im Weihnachtsevangelium hören wir von Maria und Josef, die vor mehr als 2000 Jahren unterwegs waren. Auch sie hatten Weisung erhalten, wohin sie gehen sollten. Dort angekommen, gab es keine Bleibe für sie. Ein Dach über dem Kopf bot ihnen schließlich ein Stall.

Wenn Sie diese Geschichte nicht kennten, liebe Gemeinde, sie würden entgeistert den Kopf schütteln. Christus, der Herr, kommt in einem Stall zur Welt. Abwegiger könnte es nicht sein. Dennoch, in dieser Umgebung konnte, an diesem unwirtlichen Ort musste Maria gebären. Ein Ochse und ein Esel sind dabei und schauen zu. Es ist ihr Stall.

Bei Lukas, Sie erinnern sich, ist von den Tieren nicht die Rede. Wir haben sie in idyllischen Gemälden vor Augen, wie sie die alten Meister schufen, in ungewöhnlicher Perspektive oft und beeindruckend schön [zum Beispiel: Hans Baldung gen. Grien, 1520, Sammlung | Die Geburt Christi (pinakothek.de)].

In den Weihnachtskrippen unserer Tage sind Ochs und Esel ein hübsches dekoratives Element. 1223 standen sie leibhaftig in der Felsengrotte bei Greccio (nahe Rieti, gut 80 km nordöstlich von Rom), als Franz von Assisi die Weihnachtsgeschichte, auf den Tag genau vor 800 Jahren, erstmals im lebendigen Bild vergegenwärtigte – nicht der Attraktion wegen oder um eine heimelige Atmosphäre zu schaffen, sondern zur Erinnerung an Jesu Geburt und als einprägsamen Weckruf an die Kirche. „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn…“ – so las man von alters her beim Propheten Jesaja (Jes 1, 3).

Lukas stellt lediglich nüchtern fest: „Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ Mit diesem einfachen Satz endet der erste Teil der Weihnachtsgeschichte. Was nun folgt, ist etwas ganz anderes. ‚Schnitt‘ – würde es beim Film heißen. Was folgt, spielt an anderem Ort, mit anderem Personal und vor allem in anderer Beleuchtung. Der folgende Teil der Geschichte lebt vom Kontrast zur Dunkelheit und Enge des Stalls. Er markiert einen Kontrast, der größer kaum sein könnte.

[2.]

Freies Feld, einige Hirten bei ihrer Herde, Nacht. Der Himmel ist hell erleuchtet. Heller, ja viel heller als selbst die stärksten Scheinwerfer im Kino eine Szene erhellen können. Licht fällt auf die Menschen. Es sind einfache Landarbeiter, Unterprivilegierte, wie wir heute sagen. Und ausgerechnet sie, die arm sind, der niedrigsten sozialen Schicht angehören, diese Außenseiter werden für würdig befunden, als erste zu hören, was in ihrer Nähe, in Bethlehem, geschehen ist: Christus, Herr und Heiland, der Retter ist da, geboren in der Stadt Davids.

Wer das sagt, ist nicht irgendjemand. Eine solche Botschaft zu überbringen, bedarf es wohl eines besonderen Boten. So spricht der Engel des Herrn. Umgeben von göttlichem Licht, tut er den Hirten kund, was geschah. Und der Futtertrog fürs Vieh, diese ungehörig merkwürdige Wiege, wird zum Zeichen, an dem sie das neugeborene Kind erkennen werden. Denn die Hirten sind eingeladen, dieses Kind mit eigenen Augen zu sehen. Man möchte fast meinen, Jesus sei eigentlich nur deswegen in einem Stall geboren worden, weil die Hirten ungehinderten Zutritt haben sollten. Welche Palastwache hätte hergelaufenen Hirten Eintritt gewährt?

Liebe Gemeinde, unsere Weihnachtsgeschichte wischt die Realität nicht beiseite. Wir lesen kein Märchen. In der Erzählung des Lukas geht es vielmehr um eine Begebenheit, die ein Reporter oder eine Moderatorin heute, ohne zu übertreiben, mit dem Wort „sensationell“ kommentieren würde. In dieser Nacht am Rande der Welt begann die Welt eine andere zu werden. Wir mögen mal lauter, mal leiser fragen, ob das denn so sei. Zum Ende des zweiten Teils der Weihnachtsgeschichte hören wir den Lobpreis der Engel:
       Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!

[3.]

Wiederum ‚Schnitt‘, Blende erneut auf die Erde. So geht es weiter im letzten Teil: Die Hirten machen sich auf nach Bethlehem. Sie finden das Kind und seine Eltern. Sie reden von dem, was zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Es ist so wunderbar und wunderlich, dass alle, die davon hören, nur staunen können. Maria behält fest im Gedächtnis, was die Hirten berichten, und sucht sich im Stillen darüber klar zu werden. Die Hirten aber kehren um. Sie kehren zurück aufs Feld zu ihrer Herde, nun ihrerseits Gott lobend und preisend. Erfüllt von dem, was sie gehört und gesehen hatten, tun sie es den Engeln gleich.

Wir in unserer zur Weihnacht festlich geschmückten Kirche werden im Schein der Kerzen gleich einstimmen. Staunend, vielleicht gedankenverloren stehen wir da und werden singen

       O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren,
Christ ist geboren;
Freue, freue dich, o Christenheit!

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen

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