Lukas 2,1-14

Lukas 2,1-14

Heiligabend | 24.12.2023 | Lukas 2,1-14 | Marianne Christiansen |

Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude

Warum sollten wir uns nicht fürchten, wenn es da genug gibt, vor dem man sich fürchten muss? Darauf antwortet der Engel nicht. Er steht nur mitten in der Finsternis, mitten in der Welt, im Brennpunkt der Welt bei Bethlehem, und sagt: „Fürchtet euch nicht, ich verkündige euch große Freude“.

Seht! Als würde das die Furcht bekämpfen, dass man sieht. Und es ist wohl so: Es geht darum, den Blick auf etwas anderes zu richten als uns selbst und unsere eigene Furcht. Seht nach oben, nach dem Licht, das kommt. Seht, da kommt eine große Freude.

Eine große Freude für das ganze Volk. Also nicht nur für mich, sondern für alle. Für die ganze Welt.

Die Welt ist immer größer als wir glauben. Das Universum erweitert sich ständig, sagen die klugen Leute, und wir kennen nur einen kleinen Teil von ihm. Davon kann einem schwindelig werden. Allein die Welt, die wir kennen – unsere Erde und die nächste Umgebung – ist unfassbar groß. Wir verstehen nur einen kleinen Teil davon. Aber wir verstehen allmählich, dass wir miteinander und mit der übrigen Natur zusammengehören in dieser Welt und voneinander abhängig sind.

Es fällt nicht leicht, sich dazu zu verhalten. Vielleicht hören wir deshalb zuweilen uns selbst und einander sagen: „Ja, aber in meiner Welt – in meiner Welt sieht es so und so aus“ – so als könnten wir eine Welt für uns selbst haben. Und hier in der Weihnachtszeit können wir auch den Drang spüren, uns in unserer eigenen Welt zu verkriechen mit Erinnerungen und mit Dingen, die wir zu tun pflegen, Traditionen und etwas, was man bestimmt essen muss. Es ist als müssten wir uns selbst vergewissern, dass die Zeit nicht vergeht. Die Welt, die Welt, die wir kennen, soll immer dieselbe bleiben. Das ist wohl allgemeinmenschlich und gehört zum Weihnachtsfest. Wir sehen uns nach einem Zuhause.

Aber unsere eigene kleine Welt und die große Welt hängen immer zusammen. Und selbst die am meisten eingewurzelte Tradition verändert sich, weil wir uns verändern und weil die Welt sich verändert. Das ist keine Bedrohung. Veränderung kann gute Neuigkeiten bringen.

Das Weihnachtsevangelium ist zugleich eine ganz kleine und eine riesige kosmische Erzählung. Diese Erzählung behauptet, dass die Geburt Jesu als ein kleines Kind ohne Nummer in der Volkszählung des Kaisers in einem zufälligen Stall in der Finsternis im Nahen Osten für die ganze Welt von Bedeutung ist. Hier wird der Sinn sichtbar. Das Kind in der Krippe gibt Sinn in der ganzen Welt mit Sternen und Engeln und Staubkörnern.

Ein neugeborenes Kind in der Krippe, in Windeln gewickelt. Ein verletzliches, kostbares neugeborenes Kind wie Milliarden von anderen Kindern. Wir Kinder in unserer Familie, wie das Kind, das gerade jetzt in Gaza geboren wird, in der Ukraine, in der Dürre am Horn von Afrika.

Seht das Kind. Geht nach Bethlehem und seht das Kind. Seht es als ein Zeichen dafür, wer Gott ist und was der Sinn des Lebens ist.

Ist das wirklich alles?

Ja, das ist alles.

Das wahre Wunder in der Erzählung sind nicht die Engel oder die himmlischen Heerscharen, die wie die Sterne singen. Das wahre Wunder ist, dass die Hirten sich wirklich auf den Befehl des Engels erheben und aufmachen. Sie nehmen die Hoffnung ernst und laufen ihr nach. Sie gehen nach Bethlehem und suchen ein unansehnliches neugeborenes Kind in einem Stall und sehen es. Sehen Gottes Licht und Hoffnung in dem Kind. Sehen etwas anderes als sich selbst und ihre eigenen Probleme. Das Wunder ist, dass sie die Freude teilen mit den beiden Fremden, besorgten und müden Menschen, die weit weg von ihrem Zuhause in einem Stall ein Kind bekommen haben, weil da für sie kein Platz in einem richtigen Haus war.

So ein ganz kleines Kind und eine große Freude für das ganze Volk. Wird er dann ein großer Mann und bringt alles in Ordnung? Löst die Klimakrise und hindert die Menschen daran, Krieg zu führen und einander zu hassen im Internet oder einander zu mobben im Schulhof? Bietet er unserem Drang Einhalt, Böses zu tun?

Ja.

Die Barmherzigkeit, der Friede und die Gerechtigkeit – das ist die langsame Kraft Gottes in der Welt, die Jesus in sie hineinlebt. Wir kennen das Wort für seinen Weg – er heißt Liebe. Sie ist es, die Auferstehung von den Toten schafft. Sie ist es, die uns vergibt und uns erlöst von all dem Zerstörten im Leben und im Tode.

Diese Liebe sieht nicht nach viel aus. Aber sie ist es, die in die Krippe gelegt ist als ein heimatloses Kind ohne Rang. Sie ist das Größte von allem.

Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird. Wendet den Blick fort von der Furcht und habt einen Blick für das wunderbare Leben der Welt. Die Freude besteht darin, dass Gott gegenwärtig ist im Kleinsten und am meisten Verletzlichen. Dann haben wir auch den Mut, mit dabei zu sein und uns von der Freude ergreifen zu lassen, indem wir zusammen da sind mit all den anderen Lebewesen in derselben Welt. Die Freude ist, dass es eine andere und größere Macht gibt als die Mächte, die zerstören und Furcht verbreiten.

Der Glaube daran und die Hoffnung darauf, dass sich die Macht Gottes in der ganzen Welt durchsetzt, die wir kennen, ist das Zentrum in dem ganzen Weihnachtsfest, das viele eifrig vorbereitet haben und nun feiern können. Für viele fällt es schwer zu feiern, weil sie einen geliebten Menschen vermissen, ohne den das Leben schwerfällt, oder weil sie es sich nicht leisten können, ihren Lieben das Essen und das Fest zu bereiten, das zu Weihnachten gehört. Viele vermissen das Zuhause, das nicht mehr existiert. Aber für uns alle kündet Weihnachten von einer neuen Hoffnung im Leid und gibt uns Mut, uns zu erheben und die Augen zu öffnen für die Freude. Sie zeigt sich, wo wir sie nicht erwarten, und ruft uns in das Zuhause, das größer ist als unser kleines Zuhause und unsere verlorene Heimat. Die gemeinsame Heimat von uns allen in der Liebe Gottes. Diese Heimat ist für die ganze Welt. Frohe Weinachten! Amen.

Bischöfin Marianne Christiansen

Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev

Email: mch(at)km.dk

de_DEDeutsch