Lukas 22,47-53

Lukas 22,47-53

Das Wichtigste immer vor Augen | Okuli | 12.03.2023 | Lk 22, 47-53 | Peter Schuchardt |

Die Gnade unsere Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

bei den Olympischen Spielen in Peking gab es einen unglaublich emotionalen Moment. Matthias Steiner wurde Olympiasieger im Gewichtheben. Er stemmte die unglaubliche Last von 258 Kilo hoch. So viel hatte er niemals vorher geschafft – und er wird es auch später nicht noch einmal hinkriegen. Wer sich die Aufnahmen ansieht[1], der erkennt, was für eine gewaltige Anstrengung das war. Und dann, als er es geschafft hat, bricht der Jubel aus ihm heraus, er hüpft, jubelt, kniet auf dem Sportpodest. Doch das ist nicht das Bewegendste. Das Bewegendste ist die Siegerehrung. Denn da hält Steiner zusammen mit der Goldmedaille ein Bild seiner Frau Susann hoch. Sie war ein Jahr zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Diese Goldmedaille hat er nicht für unser Land, auch nicht für sich selber, sondern für seine verstorbene Ehefrau gewonnen. Matthias Steiner trug viel größere Lasten auf dem Herzen als die 258 Kilo, die er hochstemmte. Das Strahlen der Siegerehrung bewegt noch heute, 15 Jahre später. Die Erinnerung an seine Susann hatte ihm die Kraft gegeben, diese außergewöhnliche Leistung zu erreichen. Er hatte sie immer vor Augen, bei allem, was er tat. Sein Sieg war viel mehr als der Sieg eines Sportlers in olympischen Wettkampf. Sein Sieg war ein Sieg der Liebe.

Manchmal kommen Paare zu mir zum Gespräch, die sich zerstritten haben. An irgendeinem Punkt auf dem gemeinsamen Weg haben sie die Liebe aus den Augen verloren. Und dann geht es immer wieder um die gleichen unwichtigen Dinge, über die sie sich streiten. Einmal fragte ich ein Paar: Wo ist eure Liebe geblieben? Das hat sie sehr nachdenklich gemacht. Denn der Streit, die Wut, die Enttäuschung können sich wie eine zähe Masse auf die Liebe legen. Dann muss man sich Zeit nehmen, um die Liebe zueinander wieder freizulegen. Manchmal gelingt das nicht mehr. Das ist dann traurig. Ich war darum sehr froh, als ich Monate später einen Anruf von diesem Paar bekam: Es geht uns wieder gut, sagten sie. Sie hatten ihre Liebe, wieder freigelegt, wieder gefunden. Der Weg zueinander war nicht leicht, aber sie hatten jetzt ja wieder das Wichtigste für ihr Miteinander vor Augen: Ihre Liebe zueinander.

Ja, die Liebe kann eine große Kraft in uns freisetzen. Sie hilft uns, auch schwere, dunkle, schwierige Zeiten zu überstehen. Das kann die Liebe: Sie kann uns Kraft geben, dieses Schwere auszuhalten und zu tragen. Paulus schreibt davon in seinem Hohelied der Liebe: die Lieber erträgt alles (1 Kor 13,7). Oft sagen mir Ehepaare, die ihre Goldene oder Diamantene Hochzeit feiern: Herr Pastor, glauben Sie man nicht, das war immer leicht. Wir hatten auch schwierige Zeiten. Aber wir haben es gemeinsam geschafft, da durch zu kommen! Die Stärke der Liebe zueinander, die zeigt sich ja erst, wenn diese schweren Zeiten kommen. Und das Glück der Liebenden ist dann noch größer, wenn sie im Rückblick erkennen: Wir haben es gemeinsam geschafft!

Niemand, der heiratet, der eine Beziehung eingeht, weiß, was die Zukunft bringen wird. Es braucht großes Vertrauen zueinander, um den Weg gemeinsam zu gehen. Und dieses Vertrauen wächst ja immer aus der Liebe zueinander.

Die Liebe steht im Mittelpunkt, im Zentrum der Bibel. Das zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Buch hindurch. Gott liebt diese Welt. Er liebt sein Volk Israel. Er liebt uns Menschen. Die Bibel erzählt Gottes Liebesgeschichte zu uns. Wir Menschen sind, was Gott angeht, oft wie Frischverliebte. Alles soll so gut, so schön, so strahlend hell wie nur irgend möglich sein. So kann unser Leben mit Gott auch aussehen, hell, schön und gut, aber es gibt eben auch die anderen Zeiten. Wir Menschen leben nicht immer so, wie Gott es von uns möchte. Manchmal verlieren wir die Liebe zu Gott auf unserem Weg aus den Augen, so wie das Paar seine Liebe zueinander verloren hatte. Aber so wie unsere menschliche Liebe zueinander in guten wie in bösen Tagen da sein sollte, so ist Gottes Liebe zu uns ganz sicher auch in den bösen Tagen da. Um uns das zu zeigen, wird Gott ein Mensch. Seine Liebe kriegt Hand und Fuß, ein Gesicht und eine Stimme. Er kommt zu uns in seinem Sohn Jesus Christus. Nun in den Wochen vor Ostern, in der Passionszeit, denken wir in unseren Gottesdiensten besonders an das Schwere, was Jesus auf seinem Weg durchmacht. Wir hören von Leiden, von Enttäuschung und Einsamkeit, durch die Jesus hindurchmuss. Auch der Predigttext für heute aus Lk 22 erzählt von Verrat und Dunkelheit. Er führt uns in den Garten Gethsemane. Dort ist Jesus hingegangen, nachdem er ein letztes Mal mit seinen Jüngern gegessen hat. Unser Abendmahl, das wir heute feiern, erinnert immer wieder daran. Jesus bittet seine Freunde, mit ihm zu wachen und zu beten. Doch sie schlafen ein, vor Trauer, wie Lukas in seinem Evangelium schreibt. Jesus weckt sie und ermahnt sie zu beten, das Gespräch mit Gott zu suchen, denn nun, so sagt er, beginnt eine große Prüfung. Hier setzt unser Predigttext ein:

47Noch während Jesus das sagte, näherte sich eine Truppe. Judas, einer der Zwölf, ging an der Spitze. Er kam auf Jesus zu, um ihn zu küssen.48Aber Jesus sagte zu ihm: »Judas, willst du den Menschensohn wirklich mit einem Kuss verraten?«49Da verstanden seine Begleiter, was geschehen sollte. Sie fragten: »Herr, sollen wir mit dem Schwert zuschlagen?«50Und einer von ihnen schlug nach einem der Männer, die dem Hohepriester unterstanden. Er hieb ihm das rechte Ohr ab.51Aber Jesus sagte: »Hört auf damit!« Er berührte das Ohr und heilte den Mann.52Dann wandte er sich an die Leute, die ihn festnehmen wollten: die führenden Priester, die Hauptmänner der Tempelwache und die Ratsältesten. Er sagte: »Mit Schwertern und Knüppeln seid ihr hier angerückt! Bin ich denn ein Verbrecher?53Ich war täglich bei euch im Tempel. Aber dort habt ihr keine Hand gegen mich erhoben. Doch jetzt ist eure Stunde gekommen, und die Finsternis tritt ihre Herrschaft an.« (Lk 22, 47-53 BasisBibel)

Liebe Schwestern und Brüder, wir fragen oft in unseren dunklen und schweren Zeiten, wie Gott das zulassen kann. Wie kann Gott das zulassen, das unsere Welt so zerrissen, so voller Krieg und Gewalt ist? Für die Bibel ist aber klar: Das sind Dinge, die wir Menschen selber angerichtet haben. Wir Menschen können nicht machen, dass die Sonne morgens aufgeht oder das die Ernte auf unseren Feldern erfolg- und ertragreich wird. Aber es ist unsere Aufgabe, unsere Verantwortung, diese Kriege, diese Gewalt, diesen Unfrieden zu beenden. Das, was wir tun können, das sollen wir dann auch tun. Es mag schwer und mühsam sein, aber es ist und bleibt unsere Aufgabe. Wir dürfen dabei vertrauen: Gottes Geist will uns dabei helfen.  Doch so wie das Paar sich auf die Suche nach ihrer verlorenen Liebe machen musste, so nimmt Gott uns auch in die Verantwortung für das Weltgeschehen, für das, was menschliche Taten und Untaten hervorgebracht haben. Alles aber, unser ganzes menschliches Tun, ist umgeben und getragen von Gottes Liebe.  Darum erzählt uns Lukas von dem Verrat des Judas und davon, wie Jesus gefangen genommen wird. OKULI, so heißt dieser Sonntag. Das kommt aus dem Lateinischen: Okuli mei semper ad Dominim sunt, meine Augen sehen immerzu auf den Herrn, so heißt es im Psalm 25. Was auch geschieht, ich sehe auf Gott. Ich setze mein Vertrauen auf ihn, was auch geschehen mag. Dieses Wort ist wie eine Überschrift über den ganzen Leidensweg, den Jesus geht. Und es passt gut zu unserem Predigttext. Von außen betrachtet, könnten wir einfach sagen: Hier wird erzählt, wie Judas Jesus verrät und wie er gefangen genommen wird. Doch Lukas erzählt uns viel mehr. Denn Jesus ist hier nicht ein Opfer, das einfach ergriffen und gefesselt wird. Nein, er ist derjenige, der hier handelt, der das Sagen hat, und der sich gefangen nehmen lässt. Jesus fragt Judas, als der ihn zur Begrüßung küssen will: Willst du das wirklich tun? Und als seine Jünger zu den Schwertern greifen wollen, da weist er sie sofort zurück: Hört auf damit! Selbst in diesem Moment, wo er in höchster Gefahr ist, zeigt er sich als der Sohn Gottes und heilt den Soldaten, der verletzt worden ist. Selbst nun ist Jesus voller heilender Liebe. Selbst jetzt gibt er ein Zeichen für den Beginn der Herrschaft Gottes[2]. Und er zeigt: Ich werde nicht den Weg der Gewalt gehen. Ich gehe den Weg der Liebe, die sich selber hingibt. Doch die Liebe, die in Jesu ist, fragt auch nach der Wahrheit (1Kor 13,6b) und stellt die kritische Frage an die Priester und Ratsältesten: Jeden Tag war ich bei euch im Tempel. Dort hättet ihr mich jederzeit festnehmen könne. Aber jetzt, in der Finsternis, bei dunkler Nacht, da kommt ihr. Das ist feige von euch. Aber jetzt, für kurze Zeit, scheint die Dunkelheit zu gewinnen. Jesus wird abgeführt. Sein Weg geht weiter, über Folter und Verurteilung hin zum Tod am Kreuz. Und doch: Jesu Augen sind immerzu auf Gott gerichtet. Ihm vertraut er sich an, gerade auch jetzt in der Finsternis. Und würden wir Jesus fragen, würde er uns antworten: Aber ich weiß doch, dass Gott mit seiner ganzen Liebe da ist, selbst in den Untaten der Menschen ist er da. Er wird mir helfen.

Die Passionsgeschichte, liebe Schwestern und Brüder, erzählt, was Menschen anderen Menschen antun können. Sie ist aber vor allem eine Geschichte, wie die Liebe die Finsternis und das Böse besiegt. Aber so wie unsere menschliche Liebe ihre wahre Stärke erst zeigt, wenn wir durch schwierige Zeiten gehen, so zeigt sich die Größe und Stärke von Gottes Liebe doch auch gerade in dem Weg, den Jesus geht. Er wird von Menschen verlassen, verspottet, gefoltert und hingerichtet. Aber Gottes Liebe ist viel stärker. Sie ist bei Jesus. Sie führt ihn am Ostermorgen wieder ins Leben und ins Licht zuführen. Die Ostergeschichte ist die Geschichte vom Sieg der göttlichen Liebe.

Soweit sind wir noch nicht. Jetzt tritt die Finsternis ihre Herrschaft an, wie Jesus sagt. Jetzt geht Jesus seinen Weg weiter in die Dunkelheit hinein. Aber selbst dieses Wort ist hoffnungsvoll, so düster es auch klingen mag. Denn Jesus geht mit dem tiefen und festen Vertrauen seinen Weg: Gott ist bei mir. Seine Liebe wird mich tragen und halten, selbst dann, wenn ich zu stürzen drohe, selbst dann, wenn die Qualen des Sterbens mich an meine Grenze führen. Lukas erzählt , dass Jesus sich am Kreuz zweimal an seinen himmlischen Vater wendet: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun (Lk 23 34) und Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist (Lk 23, 46).

Jesus hat immerzu seinen himmlischen Vater und dessen Liebe vor Augen und im Herzen. Darum kann er so liebevoll, so hass-los, so voller Vertrauen reden. Heute geht die Frage an uns, was wir vor Augen und im Herzen haben, woran wir uns orientieren. Ist es die Wut, der Zorn, das Gucken auf uns selbst, nach dem Motto Hauptsache, es geht mir gut? Oder ist unser Blick auf Gott gerichtet, auf seine Liebe, seine Barmherzigkeit, seine Gnade. Gott lädt uns ein, auf ihn zu sehen, ihm das Leben anzuvertrauen, in guten wie in bösen Tagen, selbst dann, wenn Erinnerungen und Trauer tonnenschwer auf unserer Seele Lasten. Wir müssen nicht bei der Olympiade gewinnen. Aber der Sieg, den Gottes Liebe uns schenkt, der ist viel größer und wichtiger. Denn seine Liebe macht uns frei.

Amen

Liedvorschläge:

EG 401 Liebe, die du mich zum Bilde

EG 406 Bei dir, Jesu, will ich bleiben

EG 407 Stern, auf den ich schaue

Fürbittgebet

Barmherziger Vater,

dein Sohn geht voll Vertrauen den Weg in Leid und Dunkelheit.

Weil er dich vor Augen hat, ist er voller Liebe.

Wir bitten dich:

Öffne unsere Herzen für deine Liebe,

damit wir getröstet sind in allem,

was uns das Herz schwer macht.

Öffne unsere Augen für die unter uns, die es schwer haben,

die viel an Krankheiten und Kummer zu tragen haben,

die einen Sinn in ihrem Leben suchen.

Lass uns ihnen zur Seite stehen und helfen.

Wir bitten dich um Frieden in der Ukraine und die Menschen dort.

Wir bitten auch für die Länder,

in denen auch Krieg herrscht und die wir aus dem Blick verloren haben.

Wir bitten dich für unsere Kinder und Jugendlichen.

Behüte sie auf ihrem Weg ins Leben.

Öffne ihre Augen für das Wunderbare der Schöpfung,

in der wir leben.

Wir bitten dich,

blicke du gnädig auf alle, die sich nach deiner Nähe und Hilfe sehnen.

Wende auch uns dein Angesicht zu.

Du kennst ja all unsere Sorgen, Ängsten und Fehler.

Wenn du uns ansiehst, dann können wir leben, trotz allem.

Dafür danken wir dir.

Dir sei Ehre in Ewigkeit.

Amen

Pastor Peter Schuchardt

Bredstedt

E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

[1] Siehe https://www.youtube.com/watch?v=3TwEzQ-YINI

[2] Vgl. Ulrich Wilckens, Theologie des Neuen Testaments Bd. 1, Teilband 4, 2. Auflage 2014, S. 113

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