Lukas 24,44-53

Lukas 24,44-53

Vier Prisen Salz | Christi Himmelfahrt | 18.05.2023 | Lk 24,44-53 | Catherine McMillan |

(Bei dieser Predigt werden nacheinander vier Salzstreuer hingestellt.)

«Sie brauchen mehr Salz» sagte die Ärztin. Mein Blutdruck war im Keller.
Kennen Sie das? Müdigkeit, Trägheit, Schwindel, sogar Ohnmacht?
Nicht unbedingt? Aber vielleicht kennen Sie das Gefühl der Entmutigung. Hoffnungs- und Visionslosigkeit. «No future»-Stimmung.
Mir begegnet diese Stimmung immer mehr, ob im persönlichen Leben, in der Politik oder in der Kirche. Ja, gerade in der Kirche.
Ich behaupte sogar, dass wir, die Kirche in Europa, (und mit ihr die Gesellschaft) unter einer Form von Hypotonie, niedrigem Blutdruck leiden. Müde Kirche, träge Kirche, Kirche auf dem Rückzug. Wir haben Mühe, den Kreislauf in Gang zu halten, alle (Mit-)glieder zu erreichen.
Heute an Christi Himmelfahrt sind die Kirchen auch nicht gerade voll. Wer weiss denn schon, was Himmelfahrt bedeutet? Es hört sich nach Science-Fiction an. Ein bisschen peinlich für eine Kirche, die modern und relevant sein will. Noch ein Grund, den Kopf zu senken und den Glauben nur im Privaten zu pflegen?
Doch Jesus sagte einmal: «Ihr seid das Salz der Erde!» Gerade ihr könntet der Welt wieder Hoffnung geben.
Lukas zeigt uns am Ende seines Evangeliums, wie! Wie wir Salz sein können, wie wir der Welt Hoffnung geben können. Er zeigt es uns durch seine Art, über die letzte Begegnung zwischen dem Auferstanden und seinen Jüngern zu schreiben. Welche Details er hervorhebt ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen, mit seiner verunsicherten Kirche in Kleinasien vor Augen.
Er überliefert uns den Auftrag an die Jünger. Diese Sätze, dieses Vermächtnis sind der Schlüssel zur Dynamik der Kirche in einer Zeit, die nicht weniger krisengeschüttelt war als die unsere.
Was hat er seinen Jüngern gesagt? Was hat er ihnen ins Herz gepflanzt? Wie wurden sie zu Salzstreuern der Freude, der Motivation und der Zuversicht?
Erstens heisst es: Er öffnete ihren Sinn für das Verständnis der Schriften.
Wenn wir als Christinnen und Christen unsere Zuversicht, unsere Lebensfreude und unsere Motivation erhalten wollen, müssen wir uns mit den heiligen Texten auseinandersetzen. Sie fordern heraus, ermutigen. Sie sind Schriften für das Unterwegs-Sein auf dem Weg der Nachfolge.
Eine Lehrerin sagte mir: «Ich muss so viel arbeiten – jeden Tag von früh morgens bis spät abends. Manchmal esse ich nur am Schreibtisch. Wenn ich endlich einen freien Tag habe, will ich mich entspannen. Spazieren laufen, ins Konzert gehen, fein essen. Wenn ich dagegen in die Kirche gehe, muss ich mich auf fremde Gedanken einlassen. Es ist nicht immer entspannend. Aber ich muss zugeben, es bringt etwas. Ohne diese Geschichten, ohne die Werte, ohne die Solidarität, fällt unsere Gesellschaft auseinander. Jeder schaut nur noch für sich.»
Die erste Prise Salz: Die Heilige Schrift (Salzstreuer hinstellen)
Zweitens: Jesus zeigte seinen Jüngern, dass sein Kommen und Sterben und Auferweckt-Werden von Anfang an Gottes Plan war. Damit stellt er die Füsse der Jünger auf ein festes Fundament, auf sich selber. Er, das Zentrum der Geschichte, der Eckstein, der Anker in der Zeit, von Anfang an vorausgesagt, am Ende der Zeit erwartet. Er ist der Anfang, die Mitte und das gute Ende.
Wenn wir als Christinnen und Christen unsere Zuversicht, unsere Lebensfreude und unsere Motivation erhalten wollen, werden wir uns an Jesus halten. An seinen Umgang mit den Armen und Unterdrückten. An seinen gewaltlosen Kampf für Gerechtigkeit. An seine Bereitschaft, für andere zu leiden.
Der Theologe Jürgen Moltmann schrieb: «Wer auf Christus hofft, kann sich nicht mehr abfinden mit der gegebenen Wirklichkeit, sondern beginnt an ihr zu leiden, ihr zu widersprechen. Frieden mit Gott bedeutet Unfrieden mit der Welt, denn der Stachel der verheissenen Zukunft wühlt unerbittlich im Fleisch jeder unerfüllten Gegenwart. Hätten wir nur das vor Augen, was wir sehen, so würden wir uns heiter oder verdrossen mit den Dingen abfinden, wie sie eben sind. Dass wir uns aber nicht abfinden, dass es zwischen uns und der Wirklichkeit zu keiner freundlichen Harmonie kommt, das macht die unauslöschliche Hoffnung. Sie hält den Menschen unabgefunden bis zur grossen Erfüllung aller Verheissungen Gottes.»
Eine Frau in Nigeria namens Jennifer Efidi riskierte ihr Leben, als sie bei den Präsidentschaftswahlen im Februar 2023 abstimmen ging. An diesem Tag gab es im ganzen Land Angriffe auf christliche Wahlberechtigte. Sie wurde mit dem Messer attackiert. An ihren Augen hatte sie schwere Verletzungen und musste sofort ärztlich behandelt werden, damit sie nicht erblindet. Vom Arzt ging sie direkt zum Wahllokal und wählte. Sie riskierte ihre Sehkraft und ihr Leben, um ihre Stimme abzugeben und ihrem Land zu mehr Frieden, Gerechtigkeit und Zukunft zu verhelfen.
Die zweite Prise Salz: Jesus und seine Gerechtigkeit (Salzstreuer hinstellen)
Drittens: Jesus erzählte seinen Jüngern, dass in seinem Namen allen Völkern Umkehr verkündigt werden wird zur Vergebung der Sünden.
Das hört sich für landeskirchliche Ohren vielleicht anstössig an. Kirchen der Reformation betonen gerne was Gott tut, den Geschenkcharakter des Glaubens. «Gott liebt dich. Gott vergibt dir. Gott nimmt dich an, so wie du bist.» That’s it. Bekehrungspredigten überlassen wir gerne den Freikirchen.
So werden wir aber dem Evangelisten Lukas nicht gerecht. Im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte kommt häufig das Wort «metanoia», Umkehr, vor. Das bedeutet: Die Richtung wechseln. Von der Sünde weggehen und auf Gott zulaufen. Wie in der Geschichte vom verlorenen Sohn, die nur im Lukasevangelium aufbewahrt ist. Der Sohn erkannte, dass er schlechte Entscheidungen getroffen und dabei sich selbst verloren hatte. Er wandte sich vom falschen Weg ab und lief zum Vater nach Hause. Er bekannte es seinem Vater und wollte in guter Beziehung mit ihm leben. Er wollte es fortan recht machen. Umkehr.
Jesus ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Selbst am Kreuz sprach Jesus Vergebung zu: «Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun.» Es war der Hauptgrund, warum er gekommen war.
Eine Bürde abwerfen zu dürfen, Vergebung zu empfangen, neu beginnen zu dürfen, ganz neu – wie wir im Lied «Da berühren sich Himmel und Erde» gesungen haben – das ist eine wirklich froh-machende Botschaft! Wenn wir als Christinnen und Christen unsere Zuversicht, unsere Lebensfreude und unsere Motivation erhalten wollen, werden wir immer wieder im Gebet unsere Verfehlungen vor Gott bringen und Vergebung empfangen. Wir werden immer wieder neu anfangen – unbelastet, frei, versöhnt, mit neuer Kraft. Wie wird sich das wohl in unseren Gemeinden und in unserer Umgebung auswirken?
Ein Freund von mir schickte zwanzig Jahre nach seinem Studienabschluss Bücher an die Bibliothek seiner Universität zurück, die er entwendet hatte. Sie waren erstaunt. Es hätte nicht sein müssen. Die Bücher waren überholt oder längst ersetzt. Keiner fragte mehr danach. Aber mein Freund fühlte sich federleicht.
Dritte Prise Salz: Umkehr und Vergebung (Salzstreuer hinstellen)
Viertens: Jesus sagte ihnen, dass allen Völkern diese froh-machende Botschaft erzählt würde. Von Jerusalem aus würde sich die Botschaft in die ganze Welt ausbreiten. Und sie selbst würden Zeugen sein.
Wer Jesus nachfolgt, gliedert sich in die ganze von Gott geliebte Menschheit ein. Jesus ist für alle gekommen, und was er getan und gelehrt hat, gilt allen.
Wenn wir als Christinnen und Christen unsere Zuversicht, unsere Lebensfreude und unsere Motivation erhalten wollen, werden wir Menschen aller Nationen, Kulturen und Hautfarben, Menschen aller Konfessionen, Geschlechter und Orientierungen, Menschen aller Arten von Begabung als Brüder und Schwestern ansehen und behandeln, ihnen Gottes Liebe bezeugen.
Ein junger Teenager half den Kindern einer afghanischen Familie mit ihren Hausaufgaben. Mit 15 war er schüchtern gewesen, einsam, für die Schule unmotiviert, fühlte sich anders als die anderen in der Schule. Aber immer, wenn er zur afghanischen Familie kam, liefen sie ihm freudig entgegen, brachten ihm Hausschuhe, süssen Tee und Gebäck. Die Kinder überreichten ihm selbstgemalte Bilder. Durch die unbedingte Annahme dieser muslimischen Flüchtlingsfamilie lernte der junge Mann Selbstvertrauen und Selbstliebe. Nun studiert er Sozialarbeit und hilft immer noch in seiner Kirchgemeinde freiwillig mit. Zeugnis ist keine Einbahnstrasse. Es ist Beziehung, ein Geben und Empfangen.
Vierte Prise Salz: Gastfreundschaft und Offenheit (Salzstreuer hinstellen)
Jesus versprach seinen Jüngern eine Kraft («Dynamis» auf Griechisch) aus der Höhe. Sie sollten zusammenbleiben, beten, auf die Kraft von oben warten. Pfingsten. Wir beziehen unsere Hoffnung von der Zukunft her, sagt Moltmann. Wir sind Menschen des Weges, Menschen, die etwas von Gott erwarten. Menschen die unter Gottes Segen stehen und gehen.
Sehen Sie, wie Jesus die Hände segnend über uns hält, auch wenn von weit weg?
«Und er hob die Hände und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, dass er von ihnen schied und in den Himmel emporgehoben wurde.» Die elf Jünger fielen hin und beteten ihn an. Dann kehrten sie mit grosser Freude nach Jerusalem zurück. Mit grosser Freude!
Wir freuen uns wie sie damals, weil wir nach vorne schauen können – in eine Zukunft mit Verheissung. Weil wir wissen, dass Jesus mit uns ist, mit seiner Kraft. Und dass wir einen Auftrag haben – seine Freude auszubreiten, Frieden zu stiften, seine Liebe zu bezeugen – bis wir ihn im Lichte sehen, wie es in dem Lied «Herr, wir bitten: Komm und segne uns» heisst.
Wir haben eine Berufung. Wir sind Salzstreuer und Salzstreuerinnen für Gott. Wir bringen Hoffnung in die Welt. Hoffnung, die unsere Welt heute mehr denn je braucht.
Wir singen das Lied «Herr, wir bitten: Komm und segne uns».


Lied vor der Predigt: RU+ 2: «Da berühren sich Himmel und Erde»
Lied nach der Predigt: RU+ 112: «Herr, wir bitten: Komm und segne uns»
Auch passend: RU+ 196: «Anker in der Zeit»


Fürbitten mit dem Refrain «Herr, wir bitten: Komm und segne uns»
(nach dem Vorlesen der Namen der Verstorbenen)
Jede Fürbitte enden wir mit dem Ruf: «Rühr uns an mit deiner Kraft!» Zur Verstärkung singen wir als Gemeinde den Refrain von «Herr, wir bitten: Komme und segne uns.»

Gott, wir bitten dich für alle, die traurig sind und leiden.
Für alle, die von ihren Lieben getrennt sind und sich nach ihnen sehnen.
Umarme sie in deiner Liebe.
Rühr uns an mit deiner Kraft!
Refrain gesungen: «Herr, wir bitten: Komm und segne uns»

Gott, wir bringen dir den Streit der Welt.
Die brutalen Tötungen von Zivilisten durch terroristische, fanatische Gruppen in Burkina Faso, Kamerun, Mali und Mosambik, Niger und Nigeria, Somalia und Sudan, um nur einige der Länder zu nennen.
Die mörderischen Kriege um Macht und Drogen in Südamerika.
Die Vertreibungen von Volksgruppen und religiösen Minderheiten in Myanmar, Syrien und Irak.
Besonders denken wir an die Menschen, deren Leben bedroht ist hier in Europa, an die Ukrainerinnen und Ukrainer, die Schutz und Zuflucht suchen.
An die Menschen, die Tag und Nacht daran arbeiten, dass eine Infrastruktur erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird.
Dass Hilfe dorthin kommt, wo sie dringend nötig ist.
Rühr uns an mit deiner Kraft!
Refrain gesungen: «Herr, wir bitten: Komm und segne uns»

Gott, wir bringen dir die Opfer von Hungersnöten und Klimawandel.
Bewege uns immer wieder durch dein Wort und durch das Beispiel von Jesus.
Gib uns Haltung und Durchhaltevermögen,
damit wir zu mehr Gerechtigkeit und zur Heilung der Schöpfung beitragen.
Rühr uns an mit deiner Kraft!
Refrain gesungen: «Herr, wir bitten: Komm und segne uns»

Unser Vater…


Catherine McMillan, Pfarrerin
Schwerzenbach
catherine.mcmillan@rez.ch


Biographische Angaben
Catherine McMillan Haueis, geb. 1961, Pfarrerin der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, tätig als Pfarrerin in Dübendorf-Schwerzenbach, zugleich mit 10% als Beauftragte für Internationale Beziehungen, Sprecherin beim Wort zum Sonntag, SRF, 2016-2018, Reformationsbotschafterin, 2016-2019

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