Markus 16,14-20

Markus 16,14-20

Himmelfahrt | 18.05.2023 | Markus 16,14-20 (dänische Perikopenordnung) | Thomas Reinholdt Rasmussen |

Wenn man vom Glauben redet, von Gott und anderen wesentlichen Fragen des Lebens, dann muss man auf die Erfahrung verweisen.

Dann bezieht man sich auf die Erfahrung und die Erfahrungswelt, die uns gemeinsam ist und mit der wir alle etwas verbinden können. Wir reden zur Erfahrung.

Es irritiert deshalb etwas, dass die Texte dieses Tages unsere Erfahrungswelt sprengen. Auch wenn man die besten Intentionen hat, den Glauben mit unserer Erfahrung und unserer Lebenswelt zu verbinden, so ist das nicht in den heutigen Texten enthalten. Sie gehen über unsere Erfahrung hinaus und reden von einer leiblichen Himmelfahrt, die in unseren Begriffen und gemeinsamen Rahmen überhaupt nicht zu erfassen ist.

Deshalb kann es im Grunde eine merkwürdige Aufgabe sein, von der Erfahrung auszugehen, wenn das Evangelium zuweilen über unsere Erfahrung hinausgeht bzw. unsere Erfahrung sprengt.

Denn das Problem ist wohl auch dies: Wenn nur an die Erfahrung appelliert werden kann, kann im Grunde nichts Neues gesagt werden. Dann ist die Welt grundlegend immer dieselbe, und was kann das Evangelium eigentlich noch bieten, wenn es eben nicht Grenzen sprengt und damit auch über unsere gemeinsame Erfahrung hinausgeht.

Das ist es, was die erste Lesung des heutigen Tages aufzeigt: Die Himmelfahrt Jesu sprengt unsere Erfahrungswelt, und das Evangelium ist so viel größer als unser Raum und unsere Welt.

Das Evangelium ist zugleich unsere Erfahrung und größer als unsere Erfahrung.

Deshalb zeigt der heutige Tag auch, dass der christliche Glaube keine Sekte ist. Das hätte er ja gut werden können. Es hätte gut sektiererisch werden können mit der eigenen Welt der Jünger in Jerusalem und ihrer Geheimlehre, aber das sprengt Jesus mit seiner Himmelfahrt.

Jesus ist nicht nur da für die wenigen Erlösten, sondern für die vielen Verlorenen. Er ist nicht das für die besonders Eingeweihten, sondern für alle gewöhnlichen Menschen, die verwirrt sind.

Himmelfahrt handelt nämlich gerade davon, dass das Evangelium für alle Welt ist, und deshalb lautet die Botschaft von Markus auch, dass wir hinausgehen sollen in alle Welt und das Evangelium für die ganze Schöpfung verkündigen sollen. Himmelfahrt Christi ist dort, wo das Evangelium verbreitet wird in alle Welt. Und eben dies sprengt alle Grenzen.

Wenn es aber verbreitet wird, dann kann es nicht allein auf unsere Erfahrung begrenzt sein. Dann ist es nicht nur ein Teil unserer Erfahrung und lässt sich durch sie auch nicht begrenzen. Dann müssen wir akzeptieren, dass das Evangelium größer ist als dies und zu uns in Ereignissen spricht, die außerhalb unserer Erfahrung liegen.

Denn das Evangelium ist im besten Sinne etwas, was unsere Grenzen sprengt.

Doch das bedeutet nicht, dass das Evangelium abstrakt ist. Das Evangelium ist konkret. Das Evangelium ist konkret in einer abstrakten Zeit. Denn unsere Zeit ist so unglaublich abstrakt.

Wenn man das gerade nicht meint – dass unsere Zeit abstrakt ist – kann man ja einen Blick werfen auf so etwas Verbreitetes wie die neuen Stadtwappen unserer Kommunen. Vor der Kommunalreform bezogen sie sich auf etwas konkretes in der Geschichte oder der Bedeutung der Stadt. Nun sind es abstrakte Figuren ohne unmittelbaren Sinn. Und man muss fragen, ob diese Abstraktion Ausdruck einer tieferen Abstraktion in der Konstruktion selbst ist.

Dies nur um zu sagen, dass wir in vieler Hinsicht in einer Zeit der Abstraktion leben. Man sehe nur das Internetz, das Zeit und Raum sprengt.

Zunehmend sind wir umgeben von Abstraktionen und dem Unkonkreten und damit auch dem, was wir nicht unmittelbar mit unserer eigenen Erfahrung verbinden können.

Und hier scheint der heutige Tag – Himmelfahrt Christi – ein Glied in dieser Bewegung zu sein. Aber das Entscheidende ist ja, dass die Himmelfahrt mit dem Sprengen von Erfahrung eine Rückkehr zum Konkreten ist. Jesus muss fort, damit der Glaube nicht zu einer Sekte wird, sondern eben für alle ist. Und alle sollen einbezogen werden, das Evangelium soll für die ganze Schöpfung gepredigt werden.

Deshalb ist das Konkrete, auf das heute verwiesen wird. Christus ist für alle da, gegeben für alle. Niemand ist vom Glauben ausgeschlossen, denn Jesus ist dank seiner Himmelfahrt nicht für die, die festhalten. Er ist eben nicht eingeschlossen in einem besonderen Kreis oder eine besondere Gruppe oder in der Auffassung einer besonderen Welt oder Zeit, so dass Jesus nur in einem besonderen historischen Kontext begriffen werden könnte.

Jesus ist dank der Himmelfahrt konkret gegenwärtig für jeden in jeder beliebigen Zeit und jedem beliebigen Raum. Jesus ist durch die Himmelfahrt nicht an eine besondere Zeit oder eine besondere Erfahrung gebunden, Jesus ist durch die Himmelfahrt konkret gegenwärtig in dem Raum und der Zeit, die unsere sind.

Deshalb sprengt der Glaube hier alle Erfahrung und jeden Erfahrungsraum, um nicht an eine besondere Zeit oder einen besonderen raum gebunden zu sein.

Die Größe der Himmelfahrt Christi besteht darin, dass Jesus Christus nun in dem Leben gegenwärtig sein kann, das wir miteinander teilen. In dem Abendmahl, das wir zusammen teilen, und in dem Wort, das wir gemeinsam hören.

Hier ist Jesus Christus wahrhaft gegenwärtig mit der Gnade, dem Frieden und der Liebe Gottes. Wirklich und wahr gegenwärtig mit der Gnade Gottes und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Nur indem er Zeit und raum verlässt, kann er bei uns gegenwärtig sein.

Das ist die Größe: Wirklich gegenwärtig in der Liebe, die die Welt trägt. Amen.


Bischof Thomas Reinholdt Rasmussen

Thulebakken 1

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