Markus 10,2-9.13-16

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Markus 10,2-9.13-16

In guten und in bösen Tagen? | 20. Sonntag nach Trinitatis | 22.10.23 | Mk 10,2-9.13-16 | Luise Stribrny de Estrada |

(Der Predigttext wird als Evangelium vorher gelesen)

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht,

hat uns Hoffnung und Zukunft gebracht.

Es gibt Trost, es gibt Halt, in Bedrängnis, Not und Ängsten

ist wie ein Stern in der Dunkelheit.

Amen.

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,

die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das ihre,

sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,

sie freut sich aber an der Wahrheit;

sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

Die Liebe hört niemals auf…

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1.Korinther 13,4-8a.13)

Was für ein wunderbares Lied auf die Liebe, was für ein Glaube an die Liebe, die immer währt! Oft hören und lesen wir es bei Trauungen und freuen uns mit dem Brautpaar über seine Liebe und seine Überzeugung, dass sie sie leben werden “bis der Tod sie scheidet”.

Dann treffe ich eine junge Frau zwei Jahre nach ihrer Hochzeit wieder. “Wir haben uns getrennt”, vertraut sie mir an. Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. In den Traugesprächen hatte ich die beiden als ein überzeugendes und sympathisches Paar erlebt, hatte auch die kleine Tochter der beiden kennengelernt. Die Hochzeit hatten wir in einer wunderschönen alten Dorfkirche gefeiert, die beiden hatten sich ein Haus gekauft und es zusammen eingerichtet, alles schien perfekt zu sein. – Und nun dies: “Wir haben uns getrennt.”

Trennungen, Scheidungen passieren. Die Liebe hört auf oder geht andere Wege. Das gehört zu unserem Alltag dazu. Wir können nicht die Augen davor verschließen. Wie gehen wir damit um?

Jetzt kommt unser Predigttext ins Spiel. Jesus wird von den Pharisäern gefragt, ob sich ein Mann von seiner Frau scheiden darf und verweist auf die Tora, die Fünf Bücher Mose. Dort gibt es eine Regelung, die besagt, dass der Mann bei einer Scheidung seiner Frau einen Scheidebrief geben und sie damit aus seinem Haus entlassen soll (Dtn 24,1). Jesus macht deutlich, dass dieses Gebot nur wegen der Herzenshärte der Männer gegeben worden ist, für ihn gilt der Satz, der bei jeder Trauung zu hören ist: “Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden” (V.9). Jesus verschärft das Gebot, das Mose formuliert hat.

Warum tut er das? Zum einen, weil für ihn seit der Schöpfung Mann und Frau zusammengehören. Gott hat sie aufeinander zu geschaffen, einer entspricht der anderen. Sie sind einander ebenbürtig. Nur zusammen sind sie sein Ebenbild. Durch die Sexualität sind sie eins, sie sind nicht mehr zu trennen. Zum anderen engagiert er sich für die Frauen, die bei der Regelung aus der Tora nur als Objekt vorkommen. Eine Frau kann ihrem Mann keinen Scheidebrief schreiben, sie ist auf ihn angewiesen und an ihn gebunden. Wie weit sie nach der Scheidung finanziell versorgt ist, bleibt ungeregelt. Sie ist bei einer Scheidung die Schwächere. Sie, die Frau, will Jesus mit seinem Verbot der Ehescheidung schützen.

Im zweiten Teil unseres Predigttextes geht es um die Kinder, die von den Frauen zu Jesus gebracht werden, damit er sie segnet. Auch sie sind – ebenso wie die Frauen, besonders die geschiedenen – in der damaligen Gesellschaft schwach und zählen nicht. Unter anderem deshalb wollen die Jünger sie wegschicken. Jesus lädt sie ausdrücklich zu sich ein. Er stellt sie den Umstehenden als Beispiel dar: “Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen” (V.15). Er sieht in den Kindern nicht die Kleinen, die ohne Bedeutung sind, sondern diejenigen, die einen Glauben haben, von dem sich alle zwei Scheiben abschneiden sollen.

Jesus geht es darum, die Benachteiligten in die Mitte zu stellen und für sie zu sorgen.

Trotzdem haben wir es schwer mit Jesu Rede gegen die Ehescheidung. Gesellschaftlich hat sich Vieles in den letzten 2.000 Jahren verändert, und das, was damals sinnvoll, wenn auch umstritten war, passt heute nicht mehr. Lange, bis ins 18. Jahrhundert, basierten Ehen nicht auf der Liebe, sondern darauf, dass die Familien zusammenpassten und die Frauen versorgt waren. Dadurch waren die Ehen weniger anfällig für Trennungen. Manchmal, wenn beide großes Glück hatten, kam die Liebe dazu. – Für uns ist eine Ehe ohne Liebe nicht vorstellbar, sie ist die Grundlage der Ehe, auf ihr baut sie auf. Hinzu kommt, dass unsere Ehen und Beziehungen sehr bunt geworden sind: Ich habe Freundinnen, die als Lesben zusammenleben und schwule Freunde, zwei Männer, die verheiratet sind. Ich kenne Patchwork-Familien, wo beide Partner Kinder mit in die Ehe bringen und noch ein gemeinsames Kind haben. Hinzu kommen Trans-Paare und andere. In einem Radiointerview erzählt ein älterer Mann: “Heute Nachmittag kommen unsere drei Kinder zu Besuch: Die älteste Tochter kommt mit ihrer Frau, der Sohn mit seiner Partnerin und mit ihren fünf Kindern aus zwei Beziehungen und die jüngste Tochter mit ihren drei Pflegekindern.” So bunt sind unsere Beziehungen geworden. Es gibt nicht mehr nur das eine Modell von Ehe und Familie.

Was sagen wir als evangelische Christinnen und Christen zu Trennungen und Scheidungen? Wenn eine Ehe gelingt und hält, ist es ein Geschenk und ein Glück. Aber es liegt auch an der harten Arbeit, die beide Ehepartner hineinstecken. Und es liegt daran, dass sie sich vergeben, wenn einer oder eine den anderen verletzt hat. – Andererseits sind Trennungen und Scheidungen so häufig geworden, dass sie für die meisten normal sind. In Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden. Bestimmt fallen Ihnen auch ein oder mehrere Paare ein, die sich getrennt haben. Ich kenne beides: Paare, bei denen ich denke: “Sie laufen zu schnell auseinander. Warum setzen sie nicht mehr Energie daran, ihre Ehe zu erhalten?” Und Paare, bei denen ich finde: “Endlich haben sie den Absprung geschafft. Schon so lange sind sie unglücklich, sie tun sich einfach nicht mehr gut. Es wird Zeit, dass jeder ein neues Leben anfangen kann.” Wenn es über eine längere Zeit viel Streit zwischen den Ehepartnern gibt und auch noch die Kinder dies miterleben, ist es oft besser, einen Schlussstrich zu ziehen und sich zu trennen.

Eine Trennung oder Scheidung hinterlässt bei allen, die beteiligt sind, Wunden: bei den Partnern und bei den Kindern, auch bei anderen Familienmitgliedern. Sie können heilen, aber es braucht Zeit. Am Anfang ist alles wund und tut weh. Mit der Zeit können die Verletzungen vernarben. Aber es bleibt eine schmerzhafte Zäsur im eigenen Leben, ein Vorher und Nachher. Ich erinnere mich an eine Freundin, die ihre Ehe beendet hatte, das Paar hatte zwei kleine Kinder. Sie sprach mich an und sagte: “Wenn Markus und ich uns die Kinder übergeben, ist es jedes Mal entsetzlich. Wir brüllen uns nur an. Die Kinder weinen. Kennst du nicht jemanden, der uns dabei als Mediator begleiten könnte? Vielleicht hilft das.” Leider kannte ich keinen, der dazu am Sonntagabend bereit gewesen wäre. Inzwischen kann das geschiedene Paar wieder miteinander reden, ohne ausfällig zu werden. Aber es sind Jahre vergangen.

Auch nach einer Scheidung bleibt die gemeinsame Biografie, das, was beide über die Jahre geteilt haben. Keiner kann das einfach zur Seite legen und abschneiden. Der andere, die andere bleibt ein Teil meines Lebens, auf jeden Fall in der Vergangenheit, vielleicht auch in der Gegenwart, und das muss ich akzeptieren und meinen Frieden damit machen. Oft bleiben gemeinsame Kinder, die immer wieder an meinen geschiedenen Partner erinnern: im Aussehen, in ihren Gesten, in dem, was und wie sie reden. Die gemeinsame Zeit mit meinem Partner, meiner Partnerin ist nicht einfach vorbei, sondern bekommt eine neue Qualität.

Wie ist das mit Gott? Ich glaube, dass Gottes Liebe jeden Menschen trägt, egal, ob er in einer Beziehung lebt oder geschieden ist. Ich glaube nicht, dass Gott will, das Menschen in krankmachenden, sie einengenden, gar gewalttätigen Beziehungen leben. Gott will, dass wir das Leben in Fülle haben. Und er weiß, dass nicht immer alles glatt geht, dass wir manchmal Versprechen nicht halten können. Ich glaube, aber auch, dass Gott will, dass wir uns für unsere Beziehung und Ehe einsetzen und miteinander an ihr arbeiten. Und er spannt den Horizont weit und nimmt uns mit hinein in seine Liebe, die die größte ist, noch größer als Glaube und Hoffnung. (1.Korinther 13,13)

Zum Schluss möchte ich Ihnen von einem Paar erzählen, dass in eine heftige Krise geraten war. In einem Gespräch eröffnete die Frau ihrem Mann, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte. Sie hatte schon seit einiger Zeit eine Beziehung zu dem anderen. Jetzt gab es zwischen ihnen Schwierigkeiten und sie wusste nicht, was sie wollte: Wollte sie die Beziehung mit dem anderen fortsetzen oder sich von ihm trennen? Wollte sie bei ihrem Mann bleiben oder von ihm weg? Sie war total konfus, orientierungslos. “Aber ich liebe dich doch”, sagte sie ihrem Mann, “kannst du mir verzeihen?” – Er konnte nicht mehr. Hatte sich erstmal auf einen Spaziergang gemacht. Jetzt stand er am Meer und überlegte. Was wollte er? Konnte er ihr vergeben? Merkwürdig, jetzt fielen ihm die Worte aus dem Gottesdienst zu ihrer Hochzeit ein: “Ich will dich lieben und ehren in guten und in bösen Tagen.” Jetzt waren die bösen Tage. Viele gute hatten sie schon erlebt. “Vielleicht gibt es doch einen Weg für uns beide”, dachte er, und machte sich auf den Rückweg.

Amen.

Liedvorschläge: EG 432 Gott gab uns Atem; EG 295 Wohl denen, die da wandeln; EG.E 12 Meine engen Grenzen; EG 623 Herr, deine Liebe; EG.E 17 Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt.

Pastorin Luise Stribrny de Estrada, Lübeck, E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

Pastorin Luise Stribrny de Estrada, geb. 1965, Pastorin der Nordkirche, 2001-2009 Pfarrerin der ev. Gemeinde deutscher Sprache in Mexiko, seit 2009 Pastorin der Philippuskirchengemeinde in Lübeck, die 2021 mit den beiden Nachbarn zur Gemeinde Marli-Brandenbaum fusionierte. Zur Zeit beschäftigt mich besonders die Seelsorge.

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