Markus 16, 9-20

Markus 16, 9-20

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Quasimodogeniti, 22.4.2001
Predigt über Markus 16, 9-20 ,
verfaßt von Ulrich Nembach


Liebe Gemeinde,

vor Ostern – nach Ostern. Vor einer Woche feierten wir
Ostern. Heute leben wir in der Zeit nach Ostern, nach Ostern 2001. Damit leben
wir zugleich in der Zeit vor Ostern, nämlich vor Ostern 2002.

So können wir „vor Ostern – nach Ostern“ verstehen, wenn
wir nämlich Ostern kalendarisch betrachten. Ostern kann aber auch
theologisch gesehen werden. Und so verstanden wird das Wort „vor Ostern –
nach Ostern“ spannend. Ich denke, dass die Konfirmanden mich gut verstehen.
Dieses Vor- und Nach- Ostern betrifft nämlich ihre Situation im
Konfirmandenunterricht und die Konfirmation selbst. Wieso? Das werden wir
gleich sehen.

Zunächst müssen wir festhalten, dass es jedes Jahr eine
Konfirmation gibt, und doch ist die in diesem Jahr für die
diesjährigen Konfirmanden anders. Es ist ihre Konfirmation. Sie stehen im
Mittelpunkt in Kirche und privat. Sie treten vor den Altar. Ihretwegen reist
die Verwandtschaft an. Ähnlich ist es mit Ostern. Wir feiern alle Jahre
Ostern – kalendarisch gesehen. Aber persönlich gesehen, auf uns, auf
unseren Glauben bezogen ist Ostern mehr als ein alljährlich stattfindender
Feiertag. Warum das so ist? Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene
Text brachte mich auf diese Unterscheidung zwischen „alle Jahre wieder“ im
Sinne des Kalenders und „und persönlich“. Schauen wir uns den Text an. Er
liegt Ihnen vor in Luthers Übersetzung. – Sie haben hoffentlich alle
einen Text, oder?

Der Text ist sehr lang. Er ist auch nicht ganz einfach. Ich lese
deshalb nur die Verse 9 – 20 vor und bitte Sie, mitzulesen. Das doppelte
Lesen lässt einen Text besser verstehen.

I.

Viel ist in den Versen von Glaube und Unglaube die Rede. Die
Jünger, selbst sie (!), glauben nicht, dass Jesus lebt. Sie trauern weiter
und leben auf diese Weise nach Ostern immer noch in der persönlichen
Haltung von vor Ostern. Jesus kritisiert sie deshalb. Luther übersetzt:
„Er schilt sie“. Das ist sehr zurückhaltend formuliert. Der griechische
Text wir viel deutlicher, ist in seiner Wortwahl viel härter. Er gebraucht
dasselbe Wort, das wenig vorher schon einmal im Markus-Evangelium verwendet
wird. In Mk. 15,32 wird von Reaktionen auf die Kreuzigung Jesus berichtet. Dort
übersetzt Luther: „Und die mit ihm gekreuzigt wurden, schmähten ihn.“
Jemanden zu schmähen, ihn zu verhöhnen, weil er in seiner schlechten
Lage sich nicht wehren kann, ist hart. Jesus, mit anderen gekreuzigt,
erfährt keine Solidarität, selbst nicht von einem Mitleidenden,
sondern harsche Kritik. Das griechische Wort für diese Art scharfer Kritik
gebraucht in V. 14 Jesus, als er seinen Jüngern wegen deren Unglauben
Vorwürfe macht. Ein Ausleger nennt darum Jesu Kritik einen
„außerordentlich scharfen Tadel“ an die Adresse der Jünger. Ja, beim
Unglauben geht es nicht um eine Kleinigkeit, nicht eine kleine
Vorfahrtverletzung, selbst nicht um ein riskantes Überholmanöver,
sondern darum, dass einer vor den Baum fährt. Unglaube ist das Ende.
Glaube ist Leben.

Darum müssen wir uns den Text genau ansehen. Es genügt
nicht, nein und ja zu sagen. Es reicht auch nicht, dagegen zu sein, dass marode
Tanker über die Meere fahren, oder nur Jugendliche zur Vorsicht im
Straßenverkehr zu ermahnen. Immer wieder fahren Mädchen und Jungen
vor einen Baum. Alle Bäume zu fällen, ist keine Lösung. So ist
es auch mit dem Unglauben und dem Glauben. Der Text brachte mich drauf beim
genauen Lesen, wie gesagt.

II.

Schauen wir uns darum den Text noch einmal an und lesen nun auch
die ersten Verse, die ich vorhin nicht mitlas. Wieder lese ich vor und bitte
Sie, mitzulesen. Gleich in Vers 1 wird der Ostermorgen genannt. Der Sabbat,
unser Sonnabend ist vorbei; es ist nun Sonntag. Ebenfalls ist in Vers 9 vom
Ostermorgen die Rede. Immer geht es dabei um Maria aus Magdala. Ja, die Frauen
spielen Ostern eine große Rolle, was wir Männer – zugegeben
– leider oft vergessen. Was sonst alles gesagt wird, ist in den Versen 1-
8 und 9 – 20 verschieden, sehr verschieden.

Wenn wir aber, wie gesagt, genauer hinsehen, gibt es zwar
Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten. Die 3 Frauen, von denen in den Versen
1 – 8 berichtet wird, fliehen aus Angst und schweigen. Sie glauben nicht,
dass Jesus auferstanden ist. Die Jünger glauben auch nicht, V. 11.

Obwohl Ostern stattgefunden hat, bleiben sie bei ihrer Trauer. Sie
leben nach Ostern noch in der Zeit vor Ostern. Der Kalender mag sagen, was er
will. Sie bleiben bei dem Alten, ihrer Trauer.

III.

Wie sieht es bei uns aus? Wir leben nach Ostern zeitlich gesehen
wie die Frauen und die Jünger, wir leben nun so gar heute in der Zeit nach
Ostern 2001. Die Frage ist deshalb: Leben wir persönlich nach Ostern?

Jesus erschient uns nicht. Das ist aber nicht entscheidend. Jesus
war auch zunächst nicht den Jüngern, sondern nur Frauen erschienen.
Die Jünger erfuhren von der Auferstehung durch die Frauen, aber sie
glaubten nicht. Erst Jesus musste sie korrigieren.

Wir erfahren von der Auferstehung ebenfalls von anderen. Der Text
berichtet in Vers 15 von der Predigt. Die Jünger erhalten den Auftrag,
anderen von Ostern zu berichten. Der Gegensatz ist eklatant,
unüberbrückbar zum Schweigen, von dem in V. 8 die Rede ist. Dieser
Gegensatz ist deshalb auffällig, unübersehbar. Weitere Unterschiede
kommen hinzu, auf die wir hier nicht eingehen müssen. Der eine Gegensatz
reicht. Ausleger des Textes haben sich um Erklärungen bemüht.
Unterschiedliche Erklärungen wurden im Laufe der Geschichte gegeben.
Einigkeit besteht aber darin, dass die Verse 9 – 20, unser Predigtext,
später als die Verse 1 – 8 geschrieben wurden und dass diese Verse nicht
von Markus stammen. Vielleicht sagen nun Konfirmanden – und auch andere -,
dann sollten wir unserer Predigttext ganz streichen und schon gar nicht
über ihn am Sonntag predigten. Die Konfirmanden befinden sich in guter
Gesellschaft. Jörg Zink streicht in seiner Übersetzung unseren
Predigttext. Walter Jens streicht den Text auch und dichtet dafür ein paar
Zeilen, die er statt des Textes als Schluss des Markus-Evangelium schreibt.

Dagegen möchte ich einwenden, ehe wir heute eigene Dichtungen
veröffentlichen, sollen wir doch lieber den alten Text stehen lassen.
Zweitens, ist eine Frage zu stellen, die auch jeder Konfirmand stellen wird:
Warum haben die Leute früher den Text stehen gelassen, ja, warum hat
jemand vor Jahrhunderten bereits unseren Predigttext dem Markus-Evangelium
hinzugefügt? Ich denke, die Leute haben damals recht gehabt. Sie hatten
gute Gründe dafür, gleich zwei gute Gründe.

1. Mit Jesu Tod ist nicht das Ende der Geschichte Gottes mit den
Menschen gekommen. Also kann Furcht, Trauer, Schweigen nicht das Letzte sein.

2. Die Jünger glaubten zunächst nicht. Erst Jesus
muß sie ermahnen, ja in scharfer Weise korrigieren. Nun macht es keinen
Unterschied, ob jemand nicht glaubt oder ob er in Trauer verharrt. Beide Male
begreift er nicht, dass Jesus auferstanden ist. Und das ist die entscheidende
Tatsache! ,Also kann das Schweigen der Frauen sowenig das letzte Wort sein, wie
es der Nichtglaube der Jünger ist.

Die Verse 9 – 20 sind deshalb richtig. Auch haben alle die
Leute richtig gehandelt, die vor Jörg Zink und Walter Jens die Verse,
unseren Predigttext, in der Bibel stehen ließen.

IV.

Sie haben dabei nicht nur aus zeitlicher Perspektive heraus
richtig gehandelt, sondern auch persönlich. Jesus muss den Jüngern
klar machen, dass er auferstanden ist. Seine Auferstehung genügte nicht,
um sie aus ihrer Trauer zu befreien. Für die Jünger war auch nach
Ostern noch vor Ostern! Sie verharrten auf dem alten Stand. Jesus muss
eingreifen. Die anderen Evangelien berichten ebenfalls davon, dass Jesus erst
den Jüngern klar machen muss, dass er lebt, dass er nicht mehr tot ist,
dass er auferstanden ist. Ich erinnere an die Predigt vor einer Woche, am
Ostersonntag. Damals hörten wir, dass Jesus Maria begreiflich machte, dass
er lebt. Auch bei Matthäus wird von Jesus berichtet, dass er eingreift.
Die Evangelisten sind sich also einig, dass erstens Jesus aufersteht und dass
er zweitens diese Tatsache, den Jüngern klar macht, auch klar machen muss.
Die Jünger – wie auch vorher die Frauen – begreifen nicht. Erst
wenn Jesus ihnen die Auferstehung klar macht, verstehen sie. Heute ist genauso.
Wir müssen lernen, dass wir nach Ostern leben. Die Konfirmanden lernen,
was Glauben ist, was es heißt, persönlich zu begreifen, was Ostern
ist, nämlich die Tatsache zu verstehen: Jesus ist auferstanden. Diese
Tatsache musste Jesus damals den Jüngern begreiflich machen und uns
heute.

Ich sage bewusst „begreiflich machen“. Es genügt nicht, dass
Ostern stattgefunden hat, dass Ostern oft gefeiert wurde. Ostern muss auch
erfasst werden. Sonst bleiben wir nach Ostern auf dem Stand von vor Ostern.

Ich sage bewusst begreiflich machen. Wenn wir predigten von „nach
Ostern“, tun wir dasselbe, was wir auch sonst machen, wenn wir jemandem etwas
erklären, damit er oder sie es verstehen, begreifen kann. Das Wort
„Begreifen“ ist ein Bildwort, das den Vorgang etwas verstehen zu lernen,
verdeutlicht. Wenn ich etwas mit meiner Hand erfasse, er-greife ich es. Wenn
mich jemand nach einer Straße fragt und ich erkläre ihm den Weg,
mache ich ihm verständlich, wie er zu seinem Ziel kommt. Dasselbe tut die
Lehrerin, wenn sie etwas in Biologie erklärt, oder der Professor, wenn er
eine Theorie Studenten begreiflich macht.

Nur – und das ist hier der entscheidende Punkt – als die
Jünger von Jesu Auferstehung hörten, „glaubten sie nicht“. Ich kann
es erklärt bekommen, es verstehen und dann ablehnen oder für falsch
halten. Die Autofahrer, die vor den Baum fahren, haben alle einmal, ja oft
erklärt bekommen, dass eine solche Fahrweise falsch, unsinnig, weil
höchst gefährlich ist, dennoch fuhren sie vor den Baum. Sie hielten
die Erklärung für nicht so wichtig, oder sie meinten, bessere Fahrer
zu sein als die doofen anderen, die vor den Baum fuhren. Als Eltern, als
Lehrer, als Professor erlebt man es immer wieder, dass jemand einem nicht
glaubt. Als ich wieder einmal so ein Erlebnis gehabt hatte und ein Student
durchs Examen gefallen war, war ich wieder einmal ganz down. Ein Student wollte
mich trösten. Er meinte: „Warum regen Sie ich auf? Das ist doch ein
erwachsener Mensch, er muss wissen, was er tut.“ Er wusste es eben nicht. Die
Jünger wussten es auch, was sie taten, als sie nicht glaubten, als sie in
einer Vergangenheit lebten, die längst vergangen war. Jesus half ihnen.
Unser Predigttext will uns helfen, gerade unser Predigttext mit seinen zwei
Teilen. Die Frauen begreifen nicht, sondern trauern, trauern weiter. Darum
müssen die folgenden Verse, unser Predigttextes korrigieren. Das ganze
Kapitel, die Verse 1 – 8 und die Verse 9 – 20, sind notwendig. Wie
Jesus korrigierend eingreift, greifen die Verse 9 – 20 korrigierend ein.
Das ganze Text sagt darum: „Wir leben nach Ostern.“

Das schafft Freude. Darum wünschen wir uns: Frohe Ostern!

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
E-Mail: unembac@gwdg.de

 


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