Markus 4,26-29

Markus 4,26-29

Wachsen im Reich Gottes | Sexagesimä | 04.02.2024 | Mk 4, 26-29 | Rainer Kopisch |

Liebe Gemeinde!

Von den 21 Bibelstellen des neuen Testamentes, die auf Jesus direkt zurückgehen, hören wir als Predigttext in diesem Gottesdienst seine Rede aus dem vierten Kapitel des Markusevangeliums. Jesus stellt das Reich Gottes im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat vor. Einer unserer gewohnten Gedanken, der vom kommenden Reich Gottes wird in Frage gestellt. Zur Vorbereitung eine Betrachtung vorweg:

Wenn Sie es bisher gewohnt waren, im Vaterunser um das Kommen des Reiches Gottes zu bitten, es also für die Zukunft zu erwarten, werden Sie das ab heute nicht mehr können.

Sie werden sich an Ihren neuen Gedanken gewöhnen müssen, dass das Reich Gottes in Ihrem Erlebnishorizont zu erleben ist. Diesen Erlebnishorizont bietet allein die Gegenwart.

Sie erinnern sich an das früher im Gottesdienst gern gesungene Eingangslied „Gott ist gegenwärtig, lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten.“

Falls Sie einen Widerspruch darin sehen, vom gegenwärtigen Gott zu singen und im selben Gottesdienst im Vaterunser-Gebet um das Kommen seines Reiches zu bitten, sollten wir einen Blick in den Kleinen Katechismus Martin Luthers tun.

Im dritten Abschnitt zum Vater unser schreibt er zur Bitte „Dein Reich komme“: „Was ist das? Gottes Reich kommt auch ohne unser Gebet von selbst, aber wir bitten in diesem Gebet, dass es auch zu uns komme.“

Auf die Frage „Wie geschieht das?“ antwortet Martin Luther:

„Wenn der himmlische Vater uns seinen Heiligen Geist gibt, dass wir seinem heiligen Wort durch seine Gnade glauben und danach leben, hier zeitlich und dort ewiglich.“

Wenn wir jetzt Luthers Ausdruck vom heiligen Wort auf Jesu Gleichnis vom Reich Gottes beziehen, sind wir gut vorbereitet.

Ich lese den Predigttext Markus Kapitel 4, Vers 26 bis 29:

26 „Jesus sprach:

Mit dem Reich Gottes ist es so, wie ein Mensch Samen aufs Land wirft

27 und schläft und steht auf, Tag und Nacht; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.

28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.

29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Ein Architekt, der es gewohnt ist, seine Gedanken in Worten und Skizzen auf den Seiten eines Buches festzuhalten, hat das auch in unserem Zweier-Gespräch über das Gleichnis vom Reich Gottes gemacht. Von ihm stammen die Skizzen-Bilder, die der Predigt voranstehen und auf die ich mich im Verlauf der Predigt beziehe.

Ihm fiel beim Betrachten seiner Skizzen-Bilder auf, dass der Bauer sich zwischen Saat und Ernte offenbar nicht um das Land kümmert.

Stimmt hier etwas mit dem Text des Gleichnisses nicht?

In der Tat:

Der Vers 29 von der Ernte der reifen Frucht ist nicht ursprünglich von Jesus, sondern von Markus dem Gleichnis angefügt, wie Julius Wellhausen schon 1903 in seinem Kommentar zum Markusevangelium bemerkte. Julius Wellhausen richtete in seinen Kommentaren die Aufmerksamkeit auf die Beziehung des historischen Jesus von Nazareth zum frühen Christentum wie Wikipedia es formuliert.

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass mit dem Tod Jesu das Reich Gottes, das Jesus und seine Jünger bewusst erlebt haben, keineswegs beendet ist, sondern weiterhin Bestand hat. Die Verkündigung Jesu der Frohen Botschaft, dem Evangelium von Gott, haben seine Jünger übernommen. Zahlreiche Gemeinden entstanden und Menschen übernahmen die Verantwortung für die neue Botschaft von Gottes Reich.

Jahrzehnte nach Jesu Tod entstanden nach und nach schriftliche Zeugnisse der neuen Glaubensbewegung, deren Anhänger sich Christen nannten. Wir bekennen uns zu dieser neuen Bewegung. Viele dieser Zeugnisse sind in unserem Neuen Testament erhalten.

Das echte Jesuswort, das der Evangelist Lukas überliefert hat, gilt deshalb auch für uns:

„Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; man wird auch nicht sagen: siehe, hier! Oder: dort! Denn siehe das Reich Gottes ist mitten unter euch.“

Mit dem Weglassen des Vers 29 aus unserem Markustext entfällt auch für uns die Gefahr, über die Bedeutung von Ernte in Bezug auf das „Reich Gottes“ nachdenken zu sollen. Einerseits würden wir uns außerhalb des Reiches Gottes stellen und versuchen, mit unserem Verstand das Reich Gottes in den Blick zu nehmen. Andererseits kämen wir in dogmatische Spekulationen über die Bedeutung von Ernte im Zusammenhang mit Gottes Reich.

Was glaubte Markus, als er den Vers 29 ergänzte? Die Frage ist eben spekulativ.

Natürlich hat auch unser Glaube ab und zu mit Verstandesproblemen zu tun.

Unsere innere Gefühlswelt hilft uns oft wahrzunehmen, was über die Möglichkeiten unseres objektiven Nachdenkens und Verstehens hinausgeht.

Mir fällt dazu eine Szene aus Gothes Tragödie Faust ein:

Margarete fragt Faust: „Wie hast du‘s mit der Religion?“ und später: „Glaubst du an Gott?“ Faust vermeidet das Wort Gott und redet über den Allunterhalter und seine sichtbare Schöpfung, das Himmelsgewölbe, die Erde, die Sterne und sie als Menschen, die sich ins Auge sehen. Er endet mit einer als Frage formulierten Feststellung:

„Und drängt nicht alles nach Haupt und Herzen dir und webt in ewigem Geheimnis unsichtbar
sichtbar neben dir? Erfüll davon dein Herz, so groß es ist, und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, nenn es dann wie du willst, nenn‘s Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Namen dafür!

Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut.“

Goethe unterscheidet hier Haupt und Herz, also Verstand und Gefühl.

Wenn wir uns dem Gleichnis vom Sämann nähern, haben wir einerseits klare Bilder und Abläufe vor Augen. Die kleinen Skizzen-Bilder meines Gesprächspartners machen deutlich:

Ob der Bauer schläft oder wach ist, die Saat geht von selbst auf und wächst.

Die Entwicklung des kleinen Samenkorns wie im Predigttext ist in den großen Skizzenbildern

noch einmal schön zu verfolgen.

So also redete Jesus vom Reich Gottes.

Die in der Reihe größer werdenden Herzen, die zwischen den Skizzenbildern zu sehen sind, sind ein kreativer Einfall meines Architekten, der sich damit in den Entwurf der Predigt einbringt.

Er fragte sich: „wo ist eine mögliche Verbindung vom Gleichnis zu uns?“

Seine Antwort ist eine wachsende Liebe in unseren Herzen.

Er hat eine zeichnerische Art eines Gleichnisses gefunden, des Gleichnisses vom Reich Gottes als wachsende Liebe in den Herzen der liebenden Menschen.

Das Wachsen ist die zentrale und elementare Möglichkeit der Schöpfung Gottes. Wir Menschen als Geschöpfe Gottes haben eine besondere Verantwortung für die Schöpfung Gottes in der Welt, in der wir leben.

An der Vielzahl von wachsenden Problemen in der Welt dürften wir inzwischen langsam verstehen, dass wir Menschen dazu neigen, das natürliche Wachstum als Vorlage für künstliches Wachstum zu nehmen.

Man kann diese Entwicklung seit langem auch an Universitäten studieren.

Wirtschaftswissenschaft als Volks- oder als Betriebswirtschaft ist heute selbstverständlich.

Bankwirtschaftslehre ist eine Grundlage für die Bereitstellung und Vermehrung von Kapital.

Spätestens seit den Zeiten von Marx und Engels wissen wir um die Ungleichstellung von Arbeit und Kapital. Ausbeutung von billigen Arbeitskräften hat es gegeben, seit es Arbeitgeber gibt. Die Unterdrückung von Menschen ist nichts Neues.

Regime, die mit der Unterdrückung Andersdenkender ihre Herrschaft sichern, finden zahlreiche Vorbilder. Menschenverachtende Despoten finden Wege, an der Macht zu bleiben.

Wo die Plätze für die Ausübung von Macht an der Spitze von Staaten knapp werden, bilden sich terroristische Organisationen, die machtgierigen und einflussbesessenen Menschen neue Möglichkeiten bieten.

Wir Menschen brauchen Regeln, um miteinander leben zu können.

Demokratische Verhältnisse wurden in der Menschheitsgeschichte entwickelt, um Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit in Staat und Gesellschaft zu schützen.

Ich will noch einmal auf die Mitte der Jesusbotschaft vom Reich Gottes hinweisen.

«Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.» Das hat der Autor des ersten Johannesbriefes in aller Klarheit erkannt. (1. Johannes 4, 16b)

Das Geheimnis des Gottesreiches hat Jesus verkündigt durch seine Reden und sein Tun:

Es ist ein Reich der Liebe. Es ist nicht irgendeine Gefühlsromantik, sondern ist die erlebbare Realität der Kraft unerschöpflicher Liebe, die Gott uns in unfassbar unendlichem Maße zufließen lässt. Wenn wir sie weiter schenken, macht es uns glücklich. Sie füllt vielmehr unser Herz in dem Maß, wie wir sie weitergeben. Unser Herz wächst wie ein Muskel, der trainiert wird. Gönnen Sie sich die Freude, andere Menschen als von Gott geliebt erleben zu dürfen. Gott liebt alle Menschen. Sie können sich davon überzeugen, wenn Sie es auch tun.

Um es deutlich zu sagen:

Die Weitergabe der unendlich barmherzigen Liebe Gottes

ist der Sinn des Reiches Gottes, wie ihn Jesus uns lehrt,

und unsere lebenslange Aufgabe. Die Liebe hört nie auf.

Amen

Liedvorschlag: EG 182 Halleluja – Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt

Wochenlied: EG 295 Wohl denen, die da wandeln

Pfarrer i. R. Rainer Kopisch
Braunschweig
E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de
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Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich benutzt:
Das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage,
Das Neue Testament, Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch von Ernst Dietzfelbinger,
Claus Petersen, WeltReligion – Von der paulinisch-lutherischen Kreuzestheologie zur Botschaft Jesu von der Gegenwart des Reiches Gottes, 101/102 mit Zitat Julius Wellhausen
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Rainer Kopisch, Pfarrer i. R. der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig,
Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz,
letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

Roonstr. 6
38102 Braunschweig
rainer.kopisch@gmx.de

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