Markus 4,26-29

Markus 4,26-29

Bauernprotest| Sexagesimä | 04.02.24 | Mk 4,26-29 | Verena Salvisberg |

Liebe Gemeinde

Mag sein, dass es mit den Bauernprotesten in Deutschland zu tun hat, die ich vor zwei Wochen hautnah miterlebt hatte, als ich in Hannover einen Weiterbildungskurs besuchte. Lange Schlangen von Traktoren, zum Teil hupend, zum Teil mit Bannern ausgerüstet, fuhren im Schrittempo am Tagungshaus vorbei. Der Protest weckte mein Interesse. Was sind die Gründe für den Unmut? Wofür kämpfen diese Bauern? Mich interessierte das und gleichzeitig war ich irritiert über das Verhalten der anderen Kursteilnehmer:innen. Sie reagierten nämlich überhaupt nicht. Da war kein Ärger, kein Unmut, kein Verständnis, einfach nichts. Die Bauern zogen vorbei, ohne nur die kleinste Bemerkung oder ein winziges Gespräch ausgelöst zu haben.

Ich masse mir nicht an, in der Landwirtschaftspolitik Bescheid zu wissen. In der Schweiz wie auch in Deutschland oder vielen anderen Ländern geht es schon längst nicht nur ums Säen und Ernten. Die Bauern bekommen Subventionen für alles Mögliche und wenn diese gestrichen oder gekürzt werden, geht es ans Lebendige.

Für mich war jedoch klar: die werden gute Gründe haben, sich zu wehren.

Und eben: Vielleicht gibt es einen Zusammenhang mit diesem Erlebnis, jedenfalls erinnerte mich kurz darauf die Lektüre des Predigtwortes an meinen eigenen kleinen, privaten, Bauernprotest vor vielen Jahren.

Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn einer Samen aufs Land wirft;

er schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same sprosst und wächst empor, er weiss nicht wie.

Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre.

Wenn aber die Frucht es zulässt, schickt er sogleich die Sichel, denn die Ernte ist da.

(Markus 4,26-29)

Im Studium war es, in der Vorlesung über die Gleichnisse Jesu, als ich mich zum ersten Mal eingehend mit dem Gleichnis von der selbstwachsenden Saat befasste.

αυτοματη – so heisst es im griechischen Text – wächst die Saat. Und der Bauer schläft und steht auf. Und er weiss nicht wie.

Als Bauerntochter, die zur Genüge erlebt hat, was es braucht bis geerntet werden kann, stundenlanges Jäten in der brütenden Hitze, bangen, ob das Wetter mitspielt, Arbeit rund um die Uhr ohne Schwimmbadbesuche oder gar Ferien. Von nichts kommt nichts, das habe ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen.

Von wegen schlafen! Von wegen automatisch!

Mir schien, der Professor, der uns die Vorlesung über die Gleichnisse hielt, wisse nicht wirklich, wie die Realität aussah.

Oder war das Jesus, der keine Ahnung hat? Er erzählte ja schliesslich das Gleichnis.

Oder war das vielleicht gar kein Bauer, der da den Samen aufs Land wirft? Es heisst ja einfach: wie wenn einerSamen aufs Land wirft.

Andererseits: Wer würde Samen streuen ausser dem Bauern?

In mir tobte damals ein kleiner Bauernprotest, aber ich behielt ihn für mich.

Zum Glück, würde ich heute sagen. Denn in dieser Vorlesung damals wurde Samen ausgestreut, der spross und wuchs und tut es noch immer.

Denn im Gleichnis geht es nicht um die detaillerte Beschreibung des Bauernlebens, nicht um die Anleitung zu einer erfolgreichen Getreidekultur.

Eigentlich geht es um eine verblüffend einfache Erzählung von etwas, was passiert.

Die Landmänner zu Jesu Zeiten machten es, mein Vater auch und die Bauern in Hannover auch, wenn sie nicht gerade protestieren: Samen säen. Dass gesät wird ist ein Ausdruck des Vertrauens in die Lebenskraft des Saatguts, in diesen dynamischen Prozess, der da seinen Anfang nimmt. Und zu beherzigen, dass das Gedeihen in einer anderen Hand liegt. Der Bauer weiss ja nicht wie.

Αυτοματη – von selbst.

Ich konnte das hören in der Vorlesung damals, trotz meines anfänglichen inneren Protests.

Mit dem Reich Gottes ist es ist es so, wie…

Darum geht es. Das Reich Gottes wird nicht verglichen mit dem Samen, nicht mit dem Bauern, nicht mit der Ernte, es wird verglichen mit diesem dynamischen Geschehen. Etwas, was einfach passiert.

Daraus kann man nicht einfach eine Handlungsanweisung oder eine richtige Haltung herauskristallisieren. Darum kann ich nicht viel anfangen mit Deutungen wie, man müsse eben Geduld haben wie der Bauer im Gleichnis.

Hingegen könnte eine mögliche Orientierung im Wirken Jesu liegen.

Drei Jahre lang hat er sein Leben in den Dienst des Evangeliums Gottes gestellt. Wo er sich aufhielt kamen Männer, Frauen und Kinder, Kranke und Angeschlagene, Reiche und Arme und fanden viel Lebenskraft und Lebensmut. Was er erzählte, die Art, wie er mit ihnen sprach, wie er ihnen zuhörte, liess in ihnen die Gewissheit wachsen, in diesem Menschen ist uns das Reich Gottes ganz nahe gekommen, ja eigentlich ist es schon da.

In dieser Art Menschlichkeit, dieser Zuwendung und Aufmerksamkeit wird Samen ausgestreut in der Gewissheit, dass ein anderer es wachsen lässt.

In einem alten Lied heisst es:
Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand. (RG 540)
Mir scheint der Rat, der im Zusammenhang mit einem anderen Samengleichnis ein paar Verse vorher gegeben wird, noch nachzuklingen.

Wer Ohren hat zu hören der höre.

Wenn man diesen Rat beherzigt, dann kann vieles nicht ignoriert werden, da gilt es zuzuhören und Interesse zu zeigen.

Man kann nicht so tun als gäbe es die Traktorenschlangen nicht, den Protest der Bauern. Nachfragen müsste man, betroffen sein, mitfühlen oder kritische Einwände äussern. Bloss ignorieren ginge nicht.

Diese Saat – da bin ich mir gewiss – würde aufgehen und spriessen.

Und jetzt, liebe Gemeinde halte ich mich an Martin Luther, der gesagt haben soll: Nach der Predigt trinke ich mein Wittenberger Bier, das Wort läuft ohne mich.

Amen

Pfrn. Verena Salvisberg Lantsch, Merligen

E-Mail: verenasalvisberg@bluewin.ch

Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Gemeindepfarrerin in Roggwil BE, Frick und Laufenburg, seit 2022 Regionalpfarrin der Berner Kirche im Kreis Berner Oberland/Oberes Emmental

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