Markus 4,26-32

Markus 4,26-32

Sexagesimae | 04.02.24 | Mk 4,26-32 (dänische Perikopenordnung) | Rasmus H.C. Drejer |

Das Lied des dänischen Liederdichters H.A. Brorson „Hier heißt’s schweigen, tief sich neigen“[1] gehört in diese Zeit, die Lichtmess, die in Dänemark noch gefeiert wird – im Februar, im Winter und dennoch schon das kommende Frühjahr. Es ist eine alte Tradition, dass man dieses Lied in „schweren Zeiten“ singt. Oft ist dieses Lied ein Lied zur Jahreszeit hier im Winter – seine Bilder beziehen sich auf diese Jahreszeit, Bilder von Schnee und Kälte. Aber man bedenke: Die Dänen in Südschleswig sangen dies Lied, als sie unter deutscher Herrschaft leben mussten. Und während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg hielt der dänische König Christian X eine berühmte Rede an seinem Geburtstag im Jahre 1941, in der er zu Beginn eine Zeile dieses Liedes zitierte: „Schwere Zeiten langsam schreiten“. Denn wir befinden uns in schweren Zeiten, problematischen Zeiten, auch wenn die Sonne scheint und der Frost in der Luft und auf den Feldern klirrt. In diesem Sinne ist es ein kleiner Trost, ein kleines Senfkorn vielleicht, dass König Christian X damals das Lied Brorsons zitierte, um die Dänen damit zu trösten, dass der Feind hoffentlich bald nicht mehr Dänemark unterdrücken werde und das Volk wieder frei sein möge. Damals dauerte es einige Jahre, bis das geschah. Wir hoffen, dass wir dennoch nur „schweigen und uns neigen“, bis der Sommer das Land ergrünen lässt – und die Welt.

Brorson schrieb dieses Lied als eines seiner allerletzten Gedichte. Es erschien erst nach seinem Tod. Brorson dachte vor allem an die Sehnsucht der menschlichen Seele nach Jesus, und wer sehnt sich nicht nach etwas in diesen kalten und dunklen Tagen?

Ja, „hier heißt’s schweigen, tief sich neigen“: Wir müssen alle warten, warten auf Tauwetter, aber – Frühling und Sommer sind auf dem Weg.

Ich weiß das. Denn ich sah neulich ein Winterling (dänisch Erantis) aus der Erde sprießen. Der dänische Liederdichter Johannes Johansen hat ein ganzes Lied geschrieben über diesen Frostbezwinger, den Winterling. Ja, so wie Grundtvig über die Osterblume dichtete als ein Bild für die Auferstehung Jesu. Johansen schreibt in einem Vers in dem kleinen Lied, der im jetzigen Gesangbuch fehlt:

Kann ein Tropfen aus deinem Blut

füllen uns mit Kraft und Mut?

Ist deine Gnade stark genug

gegen einen Weltuntergang?

Und er fährt fort:

Ach Winterling, dass du den Mut hast

Und das Lied schließt:

„Dank Winterling, du stehst auf.

Leuchtend von oben bis unten

Mit einem evangelischen Trotz.

Leuchte auch durch uns!“

Dieser Satz könnte die Überschrift sein für unser Verhältnis zu Gott. „Nacht und Tag, und der Same geht auf, wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre“, steht im Evangelium dieses Sonntags. Gott arbeitet an seiner Sache. So wie der Winterling an seiner Sache arbeitet, in dem er die winterschwere Erde durchbricht.

So kann die winterliche Erde ein Bild dafür sein, wie das Leben unerträglich sein kann, langweilig, arm, einsam, unglücklich. Aber wir werden als Menschen keineswegs übergangen. Wir sind unverwüstliche, unschätzbare kleine Körner, die Gott selbst gesät hat. Denkt nur: Wir haben das Leben, die Liebe, Essen auf dem Tisch und nicht zuletzt die Vergebung bekommen.

Es geht mit anderen Worten darum, das Große im Kleinen zu sehen, wenn wir es mit Gott zu tun haben. Ich will es mit einer Geschichte sagen: Da war einmal eine Frau, die verstehen wollte, wer Gott ist. Sie stand zusammen mit einem Mönch an einem Strand, und der Mönch gab ihr einen Teelöffel und sagte, sie solle ein Loch in den Sand graben. Die Frau grub. Der Mönch sagte zu ihr: „Versuche nun, das ganze Meer in dein Loch zu stecken“. „Das ist unmöglich“, sagte die Frau.  Der Mönch antwortete: „Wenn du dir vorstellst, dass das Loch, das du gegraben hat, deine Gedanken und Vorstellungen darüber sind, wer Gott ist, und Gott ist wie das Meer – wie kannst du dann jemals ganz verstehen, wer Gott ist?“

Die Evangelien, die wir jeden Sonntag in den Kirchen auslegen, versuchen uns ein Bild davon zu geben, wie Gott ist, wer er ist, und wer wir sind im Verhältnis zu ihm. Wir graben kleine Löcher, die unsere Vorstellung von Gott enthalten. Die Predigt ist eine Art, wie wir das tun. Die Sakramente, die heiligen Handlungen der Kirche in der Form von Taufe und Abendmahl, sind eine andere Art.

Hier ist jedes gesäte Korn gleich viel wert. Auch wenn wir als verschiedene Menschen und zu verschiedenen Zeitpunkten zu Gott kommen. Wenn wir taufen, ist da kein Unterschied, ob wir ein zwei Monate altes Kind taufen, einen kommenden Konfirmanden oder eine erwachsene Frau. In dem Augenblick ,wo sie getauft sind, sind sie Gottes Kinder, werden es immer sein so wie die, die vor ihnen getauft sind. Und wenn wir das Abendmahl feiern, dann wird ein großer Teil der Kirchgänger sich bei den Einsetzungsworten erheben und sich zum Altar bewegen, um das Abendmahl zu empfangen.

Wenn wir am Tisch des Herrn versammelt sind und niederknieen, wird der Pastor den Leib Christi austeilen in der Form einer Oblate. Ein kleines Stück Brot, das seinen ersten Ursprung in einem Korn hat, das gesät wurde, gewachsen ist, geerntet wurde, gemahlen wurde, gegärt ist, gebacken, zur Nahrung wurde – und damit einging in den großen Kreislauf Gottes mit uns, ein Teil der Ewigkeit wurde.

Wir können einander nicht in das Innere sehen. Aber wir können in den kleinen Körnern, die in uns gesät sind – das sind wir in den Augen Gottes – in die Ewigkeit blicken. Alle und jeder sind wir immer schon Körner, die für die Ewigkeit geerntet sind. Wir wachsen, Gutes und Böses wächst in uns – aber Gott sieht das Samenkorn vom Garten des Paradieses. Das kleinste Korn, der kleinste Keim kann wachsen und die größte Pflanze auf dem Felde werden.

Zum Schluss will ich euch warnen. Denn ich enthülle nun den Schluss eines recht bekannten Kinderfilms – Disneys Film Frost, der stark inspiriert ist von Hans Christian Andersens „Schneekönigin“. Hier geht es auch darum, wie die Macht des Frosts gebrochen wird. ie Schneekönigin Elsa hat eine Schwester – Anna, die sie liebt und die sich für sie sich opfert trotz der eisigen Kälte, die von ihr ausgeht und die ihr ganzes Königreich Arendal frieren lässt. Der böse Prinz Hans will Anna zur Frau haben, und er will deshalb Elsa aus dem Wege schaffen. Gerade als er sie töten will, springt die Schwester Anna dazwischen und wird von Elsas Eisstrahlen zu Eis gefroren. Ein Eissplitter hat ihr Herz gefroren, und sie stirbt. Anna – der Name bedeutet übrigens Gnade auf Hebräisch – hat sich damit selbst aus Liebe geopfert. Elsa bricht zusammen in Trauer über ihre eigene Schuld und weint ihre Liebe aus. Aber Annas Tat war ein echtes Werk der Liebe. Damit ist der Zauber gebrochen, und Elsas gefrorenes Dasein ist beendet, denn „nur ein echtes Werk der Liebe kann ein gefrorenes Herz auftauen“, wie es heißt. Auch in Elsa war ein Keim des ursprünglichen göttlichen Samens. Sie können gemeinsam zurückwachsen in das Leben. Das Königreich erblüht aufs Neue. Die Menschen können ein warmes Leben führen. Arendal blüht auf, wird wieder das Paradies, das es ursprünglich war.

Klingt das wie ein Motiv, das wir im Christentum kennen? Ja, das ist es. Das ist die Geschichte Gottes mit uns:

„Eia, süße Erstlingsgrüße,

Erstlingsgrüße vom Lenz herwehn!

Lass es nur frieren, Kälte mich spüren,

Kälte mich spüren, das wird vergehn,

Eia süße Erstlingsgrüße,

Erstlingsgrüße vom Lenz herwehn!“[2]

Amen

Adjunkt (Assistenzprofessor), Københavns Universitet

Ph.d. Rasmus H.C. Dreyer

Slagelse, Danmark

Email: rhd(at)teol.ku.dk

[1] Lied Nr. 547 im Dänischen Gesangbuch, deutscher Übersetzung im Deutsch-dänischen Kirchengesangbuch.

[2] V. 4 des Liedes von Brorson

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