Markus 9,14-29

Markus 9,14-29

Reminiszere | 25.02.2024 | Mk 9,14-29 (dänische Perikopenordnung) | Marianne Christiansen |

”Jesus aber ergriff seine Hand und richtete ihn auf“ 

Was bedeutet es, wenn jemand einen an die Hand nimmt? Zwei Handflächen berühren einander – allein darin liegt eine Entdeckung: „Du bist so wie ich. Wir sind hier zusammen, und wir können zueinanderkommen.“

Darin liegt auch eine Zusage: „Nimm etwas von mir, wenn du mich brauchst“. Und: „Ich wage es, dich zu berühren. Ich kann merken, dass du da bist. Ich will gerne teilhaben an deinem Leben“.

Da liegt in Wirklichkeit so viel in zwei Händen, die sich berühren, dass wir es gar nicht wagen würden im täglichen Leben, wenn wir darüber jedes Mal nachdenken sollten. Und wir geben eben täglich einander die Hand. Das ist eine schöne und gute Sitte. Anderswo in der Welt hat man andere schöne Sitten der Begrüßung, ohne einander die Hand zu geben. Vielleicht ist der Handdruck in Wirklichkeit auch ein so überwältigender Handdruck, dass es fast zu viel ist im Alltag.

Aber nun praktizieren wir also den Handdruck, und das hat sogar die Furcht vor Bakterien und Ansteckungsgefahr überlebt. Denn das liegt ja auch im Handdruck: „Ich bin bereit, deine Bakterien und Krankheiten zu teilen“.

Was für eine große Sache es ist, einander die Hand zu geben, zeigt sich darin: Wenn es wirklich in unserem Leben um etwas geht – beim Eingehen einer Ehe, bei entscheidenden Absprachen, bei Versöhnung zwischen Menschen, die Feinde waren, bei dem zarten Beginn der Liebe – da ist es wichtig, dass man einander die Hand gibt. In den Händen begegnen sich die beiden getrennten Wesen und teilen das Leben miteinander.

”Jesus ergriff seine Hand und richtete ihn auf“. In der griechischen Sprache, in der das Evangelium ursprünglich geschrieben ist, heißt es: „Indem er seine Hand ergriff, richtete er ihn auf, und er erhob sich“. Zwei Bewegungen, die in der Begegnung der Hände liegen: Jesus richtet ihn auf, und er erhebt sich selbst.

Dieser junge Mann befindet sich mitten in einem chaotischen Kreis von Zuschauern, mit einem verzweifelten Vater, der für sein Leben gekämpft hat, seit er ein kleines Kind war. Er ist ein Junge, der in den Augen aller anderen ein Problem ist, gefährlich, unheimlich, krank, besessen von einem kranken Geist, der zu Anfällen führt. Er ist ein Problem, eine Belastung. Er konnte nie der ganz gewöhnliche Sohn sein, der ganz gewöhnliche Mensch wie andere. Ihm musste immer geholfen werden, er musste behütet und versorgt werden. Nun wird er geheilt in einem dramatischen Augenblick. Noch immer ist er Gegenstand von etwas, was andere tun. Als er still auf der Erde liegt, denken alle, dass er wohl tot ist. Denn vielleicht kann so einer wie er in Wirklichkeit gar nicht leben – und schon gar nicht ein Leben zusammen mit normalen Menschen führen.

Aber Jesus nahm ihn an der Hand und richtete ihn auf. Der Mensch erhebt sich. Er steht selbst auf, durch seine Hand, die ihn erhob.

In der Begegnung zwischen den Händen der beiden wird die Würde des Menschen wiederhergestellt. Weil Jesus ihm die Hand gab und ihn nicht auf die Beine stellte oder ihn liegen ließ oder ihn bloß wegtrug, sondern ihm die Hand gab. Als ein gleichwertiger Mensch, nicht als ein von Dämonen besessenes Problem.

Wie es dem jungen Mann dann ging, darüber hören wir ja nichts. Sein Leben war wohl wie das aller anderen – voller Freude und Leid, ein Menschenleben im Guten wie im Bösen. Aber mit der Erfahrung, jemand zu sein, der die Hände anderer ergreifen und annehmen kann, und anderen die Hand reichen kann – geschaffen als Mensch vom Guten zum Guten, geschaffen im Bilde Gottes.

In einer gewissen Weise ist der Augenblick, wo sich die beiden Hände begegnen, das stille Zentrum in dieser gewaltigen Geschichte, von dämonischer Besessenheit, von Glauben und Unglaube, von den Jüngern, die nicht heilen können, weil sie etwas leisten wollen und nicht wie Jesus in Gebet und Hingabe leben können.

Jesus ist das wahre Bild Gottes. Das ist es, was wir bekennen und glauben, wenn wir Jesus Gottes Sohn nennen. Das bedeutet, dass wir in seinem Menschenleben sehen, was der Sinn des menschlichen Lebens ist und wer Gott ist. Die Kraft, die sich in Jesus zeigt, ist die Kraft Gottes. Jesus, das offenbarte Bild Gottes, reicht dem Menschen die Hand, der wie ein Toter auf dem Boden liegt und dessen Leben zerstört ist. Und der erhebt sich. Sie stehen einander gegenüber, so dass jeder sehen kann, dass auch der elende Mensch geschaffen ist im Bilde Gottes, mit demselben Wert wie der Sohn Gottes.

So müssen wir auch uns selbst und einander sehen. In dem Augenblick, wo wir einander die Hand reichen, werden wir daran erinnert, dass wir im Bilde Gottes geschaffen sind – mit gleicher von Gott geschenkter Würde.

Es gibt genug Dämonen, die das Leben und die Welt zerstören und dem Menschen seine Würde nehmen und das gute Leben beeinträchtigen. Dämonen, böse Geister sind ja nicht beherrschbare Größen wie im Film oder in unheimlichen Geschichten oder okkulter Verehrung des Bösen oder verborgener Kräfte.

Dämonen sind sowohl das unerklärlich Böse, das unser Leben in Krankheit, Missbrauch und Zerstörung des guten Lebens heimsucht, und die merkwürdige Lust am Bösen, die über uns alle kommen kann, so dass wir das Böse tun, das wir vielleicht nicht wollen, von dem wir aber getrieben sind, besessen, ein Drang zur Zerstörung des eigenen Lebens oder des Lebens anderer. Das Evangelium bedeutet, dass wir von der Macht der Dämonen befreit werden, weil wir nicht nur Spielbälle sind oder gleichgültige Mischungen von Gut und Böse, sondern dazu geschaffen sind, Gottes Kinder zu sein. Der Mensch ist nicht ein Dämon, ein böses Geschöpf. Das ist kein Mensch. Jeder Mensch ist in Gottes Bild geschaffen, geprägt durch die Güte, Liebe und Gnade Gottes, und es kann das Wunder geschehen, dass er sich erhebt von all dem, was das Leben zerstört. Das kann geschehen, wenn ihm jemand die Hand reicht – denn das ist die Bewegung Gottes, die Erhebung, die Jesus bringt.

Auch der Glaube ist in gewisser Weise eine Begegnung zwischen Händen. Seit der Erzählung des Evangeliums hat der Ruf des Vaters in zweitausend Jahren Gehör gefunden und uns Kleingläubigen Trost bereitet: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ – ich glaube, hilf mir, denn ich glaube nicht. Das muss bedeuten: „So hilf mir doch, ganz gleich wie mein Glaube oder mein Nicht-Glaube ist: Schaffe den Glauben in mir, indem du hilfst“. Dieser Ruf bewahrt uns davor, zu denken, dass Glaube eine Leistung ist – wenn du nur genug glaubst, kannst du das Unmögliche tun, wenn du nur genug glaubst, kannst du die Leute oder dich selbst gesund machen. Nur an sich selbst glauben, heißt es – und nicht selten wird das damit verwechselt, an Gott zu glauben. Als wäre Gott ein Mittel, mit dem man zeigt, was für einen großen Glauben du hast – an dich selbst. Aber wenn der Glaube eine Leistung ist, dann ist er ja nichts anderes als Glaube an sich selbst.

Der Glaube, den Jesus hervorruft, ist Offenheit und Hoffnung – wie eine Handfläche, die gereicht wird in Gebet und Hilfe.

„Alles ist möglich für den, der glaubt“, sagt Jesus. Das bedeutet nicht, dass derjenige, der glaubt, allesmögliche tun kann und ihm alles gelingt. Vielmehr ist für den, der glaubt, alles möglich. Alles kann erhofft werden – selbst das Unmögliche darfst du erhoffen und ihm deine Hände öffnen. Auch wenn es hoffnungslos aussieht und du meinst, dass du an dem ganzen Elend selbst schuld bist.

„Glaube ist eine feste Zuversicht dessen, was man hofft“, steht im Hebräerbrief (11,1). Und deshalb enthält der Ruf des Vaters das Glaubensbekenntnis für uns alle. Das Glaubensbekenntnis ist ein Gebet: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben: Ergreife meine Hand, auch wenn ich sie nicht selbst zuerst reichen kann, und richte mich auf, damit ich mich erheben kann“.

Das ist unser Glaube und unsere Hoffnung zu Gott. Amen.

Bischöfin Marianne Christiansen

Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev

Email: mch(at)km.dk

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