Matthäus 11, 25-30

Matthäus 11, 25-30

Liebe Geschwister,

mit diesem Abschnitt endet eine Zusammenstellung von kurzen Reden und
markanten Worten Jesu, kritische Worte über seine Zeitgenossen,
vernichtende Urteile auch und Spott über die Neunmalklugen und Alles-besser-Wisser,
und zum Abschluß eine Einladung an alle Müden und Beladenen
in ein leichteres, angenehmeres, in ein sanftes Leben. Angenommen, Jesus
hätte die Rede so gehalten, dann wäre es vielleicht so weitergegangen:

Nach der Predigt verzog sich das Volk. Einige waren etwas irritiert,
wußten nicht so recht, was sie davon halten sollten. Andere waren
verärgert, empört auch und wütend, denn sie fühlten
sich angesprochen. „Muß man sich so etwas bieten lassen?“ fragte
etwa ein Pharisäer seinen Weggefährten, und fuhr fort: „Da
hat man nun Jahre lang gelernt, hat die Schrift studiert und was kluge
Menschen dazu gesagt und geschrieben haben, und dann sagt so ein hergelaufener
Rabbi einem, man habe keine Ahnung. Frechheit, so etwas.“ – „Habt
ihr auch die Menschen studiert?“ fragte der andere, „habt
ihr erforscht, wie sie sind und was sie brauchen, wie man sie erreichen
kann, um sie zu gewinnen?“ – „Gewinnen?“ wunderte sich
der Pharisäer „gewinnen können die Menschen, wenn sie
zum Glauben kommen. Aber sie wollen ja nicht. Lesen nicht in der Schrift,
diskutieren nicht mit uns in der Synagoge, sondern kümmern sich
nur ums Geld. Oder lungern den ganzen Tag ohne Arbeit herum. Solchen
Menschen sollte Gott sich offenbaren?“ – „Mit knurrendem
Magen kann man nicht beten,“ konterte der Weggefährte, „und
wenn die Kinder hungern, kann man nicht in der Synagoge diskutieren,
sondern muß sich um Brot und Geld kümmern. Alles andere wäre
wenig verantwortungsvoll. Überhaupt finde ich es eher verantwortungslos,
daß manche Tagelöhner über Tage auf Arbeit warten müssen.
Wovon sollen sie denn leben, wenn sie keine Arbeit haben!“ Das
seien alles nur Faulenzer, meinte der Pharisäer, wer arbeiten wolle
und könne, der fände auch Arbeit. „Oder etwa nicht?“ fragte
er dann in einem Tonfall, der Widerspruch ausschloß.

Der Weggefährte – sie gingen eher zufällig nebeneinander
und kannten sich nur vom Sehen – verlangsamte seinen Schritt, ohne
daß der Pharisäer es bemerkte. Der schimpfte wohl noch vor
sich hin, jedenfalls sah der zeitweilige Weggefährte ihn noch eifrig
gestikulieren. Er fand es bedenklich, wie dieser Mensch über die
kleinen Leute dachte, über Arme und Ungebildete.

„Shalom, Sammi,“ wurde er angesprochen, „du warst
also auch bei diesem Jesus. Was hältst du von ihm? Also, ich finde,
der hat es diesen Hochnasen mal so richtig gegeben. Scheint der richtige
Mann für Hungerleider wie wir zu sein. Schade, daß es von
der Sorte nicht ein paar mehr gibt. Wäre gut für unser einen.
Gut wäre es übrigens auch, wenn du mir von deinem Brot abgäbest,
das du da unterm Arm trägst.“ Samuel, wie er richtig hieß,
gab seinem neuen Gesprächspartner ein großes Stuck und erreichte
damit, das der erst einmal kaute statt unentwegt zu reden.

Irgendwo tobten Kinder herum, er hörte sie lachen und lärmen.
Das Wort Jesu über Vater und Sohn fiel ihm dabei ein. Er hatte es
nicht verstanden. Aber das passierte ihm öfter, und er grämte
sich deswegen nicht. Er verstand sein Handwerk, das war ihm wichtiger
als geheimnisvolle Sätze zu verstehen. Das Lachen der tobenden Kinder
wurde plötzlich von einem Schmerzgeschrei übertönt. „Halt
mal,“ sagte er zu dem Dauerredner, drückte ihm das Brot in
die Hand und rannte los. Da kam ihm auch schon sein Sohn weinend entgegengerannt,
eine blutende Wunde am Kopf. Samuel nahm in auf den Arm, tröstete
ihn, wischte das Blut ab. Die Wunde war nicht sehr groß und stammte,
wie er nun erfuhr, von einem anderen Jungen, der mit Steinen nach Bäumen
geworfen hatte. Wenn er groß sei, hatte der Junge gesagt, würde
er mit viel größeren Steinen nach den Römern werfen.
Ein Stein aber habe ihn getroffen, schluchzte sein Sohn, als er hinter
einem Baum stand. „Da ist der Junge,“ rief er, und zu dem
Jungen: „Guck mal, das ist mein Vater.“ Der Junge machte
sich so fluchtartig davon, daß Vater und Sohn lachen mußten.
Dann rief Samuel ihm nach: „Komm her, ich tu dir nichts. Ist alles
in Ordnung, ihr könnt wieder miteinander spielen.“ Sein Sohn
rutschte ihm vom Arm und lief zu dem anderen, der ihm die Hand entgegenstreckte,
und weg waren die beiden. Wie sein Sohn ihn in dem Gewühl entdeckt
hatte, war ihm rätselhaft, und auch, daß er an dem einen Schmerzensschrei
sofort seinen Sohn erkannt hatte. Aber so war das wohl zwischen Vater
und Sohn.

Samuel verzichtete darauf, nach dem Dauerredner zu suchen. Das Brot
hatte der bestimmt schon längst verdrückt, und reden konnte
man mit dem sowieso nicht vernünftig. Er schlug den kürzesten
Weg nach Hause ein, freute sich auf einen Schluck frischen Wassers in
kühlem Schatten. Ein Fremder sprach ihn an, dem Akzent nach ein
Galiläer. Sein Name sei Judas, stellte er sich vor, einer von den
Leuten um Jesus und für das leibliche Wohl zuständig. Ob es
im Ort wohl etwas zu essen gäbe, wollte er wissen. Geld hätten
sie allerdings keines. „Na, dann komm mit, meine Frau hat heute
gebacken, da wird für euch was übrig sein. Oder, noch besser:
Bring eure Leute zu mir nach Hause, nächste Straße rechts
das zweite Haus. Ich werde ein Lamm schlachten, und ihr sollt meine Gäste
sein. Judas bedankte sich und lief zurück, Samuel überlegte,
wie er das nun seiner Frau beibringen könne.

Als er das Haus betrat, waren seine Frau und eine andere, ihm fremde,
dabei, Essen vorzubereiten. „Wundere dich nicht,“ sagte sie,
während sie ihm Wasser reichte, das ist Maria aus Magdala, eine
Jüngerin Jesu.“ – „Warst du auch da?“ wunderte
Samuel sich, „ich dachte, du wolltest Brot backen?“ – „Hab
ich auch,“ lachte seine Frau, „war niemand sonst am Backofen.
Und dann bin ich euch nachgegangen, hab Jesus zugehört und Maria
kennengelernt. Als Jesus von den Müden sprach, die Erquickung brauchen,
hab ich gedacht: „Die brauchst du heute auch: Zu den Leuten reden,
mit den Leuten reden, die einen kritisieren, die anderen ermutigen, noch
andere trösten, das kostet Kraft.“ Und da hab ich ihn und
seine Leute eingeladen. Ist dir doch recht?“ – „Ja, sicher
doch. Aber wieso hat dann ein Judas mich gefragt, ob es hier irgendwo
etwas zu essen gäbe?“ wunderte Samuel sich, bis Maria augenzwinkernd
sagte: „Einladungen sind doch eigentlich Sache des Hausherrn.“

Bald kamen die Gäste, es wurde ein langer Abend in milder Luft,
und als Samuel zu singen begann, fielen alle ein. Noch viele Lieder wurden
gesungen, Lieder von Frieden und Freiheit, von Gerechtigkeit für
die Unterdrückten, vom Trost für die Betrübten und von
Entlastung der Beladenen – Lieder zum Lobe Gottes eben, wie schon
David sie gesungen hatte. Als sie bemerkten, daß Jesus im Gras
lag und fest schlief, verstummten sie alle, verteilten sich im Haus und
im Innenhof und legten sich leichten Herzens schlafen, in den Ohren und
im Sinn noch das eine oder andre Lied zur Ehre Gottes. Amen

Gebet: Guter Gott, die Müden und Beladenen lädst du ein zu
dir zu kommen, um ihnen Ruhe zu gönnen, nach der sie sich sehnen,
um ihnen Erquickung zu reichen, nach der sie lechzen.

Wir denken an Menschen, die müde sind: Müde vom Alter oder
von ihrer Krankheit; müde von ihrer Arbeit oder ihrer Arbeitslosigkeit;
müde vom täglichen Trott oder vom täglichen Streit; müde
von ihrer Sucht oder vom Leben auf der Straße; müde vom Kampf
um Essen und Trinken, vom Kampf um Anerkennung und Recht. Für sie
wie für alle, die auch müde sind, bitten wir dich um Ruhe und
Erquickung, daß sie neue Kraft sammeln und sich ihres Lebens freuen
können.

Wir denken an Menschen, die beladen sind: Beladen mit Verantwortung
und Entscheidungsdruck, mit engen Terminen und der Pflicht zum Erfolg;
beladen mit Versagen, mit Schuldgefühlen und mit Schuld; beladen
mit Sorge um andere Menschen und mit eigener Not. Für sie wie für
alle, die auch beladen sind, bitten wir dich um Ruhe und Erquickung,
daß sie neue Kraft sammeln und sich ihres Lebens freuen können.

Daß uns nicht erdrückt, was und belastet, daß uns nicht
abheben läßt, was uns erleichtert, darum, guter Gott, bitten
wir dich und beten gemeinsam: Unser Vater im Himmel, …

Liedvorschläge: 398, 1 + 2; Ps 99, 1 – 3 (= 286, 1 – 3);
363, 1, 2, 7; 428, 1 + 2

 

Paul Kluge, Pastor em.
Grosser Werder 17
D-39114 Magdeburg
E-Mail: Paul.Kluge@t-online.de

 

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