Matthäus 13,24-30

Matthäus 13,24-30

Silvester 2021| Predigt über Matthäus 13,24-30 | Bernd Giehl |

Mein Gott, wie spät es schon wieder ist. 18 Uhr ist schon lang vorbei. Dabei wollte ich doch spätestens um 18 Uhr das Fleisch in den Backofen schieben. Um 19 Uhr kommen Klaus und Barbara. Die sind noch immer pünktlich gewesen. Anders als Christel und ihre Frau, wie heißt sie doch noch gleich: ach ja, Ulla, die kommen immer zu spät. Muss wohl an Ulla liegen.

Ob das gutgeht? Wusste bis vor einigen Monaten nicht, dass meine Tochter auf Frauen steht. Na ja, ist ja schon Mode heutzutage. Hoffentlich kommt Klaus nicht eines Tages an und verkündet mir, dass er sich von Barbara getrennt hat und mit einem Mann zusammenlebt. Gibt doch immer noch Überraschungen.

So. jetzt muss ich aber das Gemüse aufstellen. Sonst ist es nicht gar, wenn die Kinder kommen. Und die Soße muss allmählich auch angerührt werden. Ach ja, und das vegane Gericht für Barbara. Weil sie sonst wieder nichts isst.  Fünf Hände bräuchte man um das alles zu schaffen. Wenn mein Mann mir wenigstens helfen würde, aber der weiß ja nicht einmal, wie man eine Schürze bindet. Dem muss ich dann auch noch helfen, statt dass er mir zur Hand geht.  Aber wenigstens könnte er den Tisch decken. Schatz, deckst du mal den Tisch? Wo die Teller stehen, willst du wissen? Na, da, wo sie immer stehen: im Hängeschrank in der Küche. Muss ich denn alles selbst machen? Dabei rennt die Zeit, als hätte der liebe Gott ihr Flügel verliehen.
In Ordnung, ich höre schon auf.  Das war natürlich der falsche Anfang. Einer meiner Konfirmanden würde sagen, ich hätte in die falsche Schublade gegriffen. Origineller Vergleich übrigens; jedenfalls wenn man sich erinnert, dass ich vom Kochen geredet habe. Ja, da ist was dran. Als ob  ich  in die allgemeine Hektik einstimmen wollte, die eigentlich das ganze Jahr über geherrscht hat. Oder wie auf meiner schönen Bürotasse steht: „Es gibt viel zu tun. Fangt schon mal an.“

Nur ist Silvester der falsche Zeitpunkt dafür. Silvester – zwischen den Jahren – das ist die Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Irgendwie in unserer rasenden Gegenwart gibt es die Vorstellung noch, das Jahr gehe zu Ende und wie bei einem Tag, der zu Ende geht, könne man aufhören und die Hände in den Schoß legen. Tatsächlich einmal das tun, was wir uns sonst nur so selten gestatten: Zur Ruhe kommen. Nichts mehr tun. Wenn es geht, sich um nichts mehr zu sorgen. Zurückschauen auf das vergangene Jahr. Sortieren, was uns gelungen ist und was nicht. Es ist tatsächlich eine besinnliche Zeit, anders als in der übrigen Zeit des Jahres.

Insofern habe ich vorhin tatsächlich in die falsche Schublade gegriffen.

Aber natürlich habe ich das nicht ohne Grund getan.

Der Grund? Das ist unser Text. Das Gleichnis vom Unkraut im Weizen. Ob man sagen kann: es passt zu der Zeit „zwischen den Jahren“? Auf den ersten Blick würde ich das nicht sagen. Es strahlt keine Ruhe aus. Eher Hektik. Wobei das, was hier erzählt wird ein eher alltäglicher Vorgang ist. Jeder Landwirt kennt ihn. Auch jedem, der einen Garten hat, ist er vertraut. Man sät etwas, aber dann wächst irgendwann nicht nur das, was man gesät hat, sondern auch andere Pflanzen, die man nicht brauchen kann. Ich kann mich noch lebhaft erinnern, wie ich als Kind in unserem großen Garten Steine auflesen und Unkraut zupfen musste. Irgendwie nahm es kein Ende.

Wie gesagt: Das alles kennen wir. Dynamik kommt erst in die Geschichte, als der Herr erklärt: Das war der Feind. Der ist nachts gekommen und hat das Unkraut ausgesät. Vielleicht treibt uns das ein Lächeln auf die Lippen. Als ob es den böse Feind braucht, damit das Unkraut wächst. Als ob das nicht ganz von selbst käme, durch Samen,  der von den Rändern aufs Feld weht. Aber bleiben wir einmal bei der Erklärung, die die Geschichte bietet. Was kann man tun? Wenn der Feind identifizierbar ist, könnte man Gleiches mit Gleichem vergelten. Man könnte auch ihm die Ernte verhageln und ihm seinerseits Unkraut auf das Feld säen. Und wenn das nicht der Fall sein sollte, dann könnte man anfangen, das Unkraut zu jäten.

Das jedenfalls ist der Plan der Knechte. Aufs Feld gehen und das Unkraut jäten, ehe es dem Weizen den Platz und die Luft nimmt. Nur der Herr ist dagegen. Seine Begründung: Wenn ihr das Unkraut jätet, reißt ihr zugleich den Weizen aus,. Das soll aber nicht sein. Also wartet bis zur Ernte. Dann trennt ihr Weizen und Unkraut und verbrennt das Unkraut.

Was die Knechte wohl dazu gesagt haben? Es wird nicht erzählt. Vielleicht haben sie ja protestiert. Vielleicht haben sie ihre Erfahrung ins Spiel gebracht. Aber ob nun vorausgesetzt wird, dass der Wille des Herrn ausschlaggebend ist oder ob dem Erzähler der Schluss einfach nicht so wichtig ist: der Herr hat hier das letzte Wort. Die Knechte müssen  sich seinem Willen fügen. Egal, ob das nun vernünftig ist oder nicht.

Und jetzt? Tun wir einmal das, was wir sowieso meist tun, wenn wir eine solche Geschichte hören. Ergreifen wir Partei. Entweder für den Herrn oder die Knechte. Entweder für die Geduld oder das entschlossene Handeln der Knechte.

Was sagen Sie? Sie finden auch, dass die Geduld an ihre Grenzen kommt? Jedenfalls wenn wir das Unkraut übersetzen als das, was in der Welt nicht in Ordnung ist. Wenn wir an der Stelle des lieben Gottes wären, dann würden wir doch entschlossen handeln.  Zuerst einmal würden wir die Kriege abschaffen. Kein Land darf mehr gegen ein anderes Land das Schwert erheben. Auch keine Volksgruppe gegen eine andere Volksgruppe. Als nächstes würden wir den Hunger angehen. Dass Menschen im 21. Jahrhundert verhungern, wo es doch genug für alle gibt, das ist doch ein Skandal. Da kann Gott doch nicht einfach zusehen und nichts tun. Da muss er doch eingreifen und zumindest für eine etwas gerechtere Verteilung des Reichtums sorgen. Dann würden auch nicht mehr so viele Flüchtlinge aus Afrika oder dem Nahen Osten nach Europa kommen und elend in Flüchtlingsbooten ertrinken. Oder vor irgendeiner EU Außengrenze in Afrika oder an der weißrussischen Grenze  im Freien oder in Zelten vegetieren.

Das alles sollte anders sein. Und vom vielleicht drängendsten Problem haben wir noch gar nicht gesprochen: der Erderwärmung. Die einige Gegenden dieser Erde vielleicht unbewohnbar macht. An der sind wir alle beteiligt; die einen mehr, die anderen weniger. Auch dagegen sollte er schleunigst etwas tun.

Also, lieber Gott, die Probleme sind bekannt. Du könntest ruhig mal anfangen.

Aber gut. Gegen viele der Probleme gibt es ja mittlerweile Gruppen, die sich für ihre Lösung einsetzen. Aktivisten nennen sie sich und ein bisschen erinnert das an die  Aktivisten der sozialistischen Arbeit“, die es früher gab. Aktivisten setzen sich für ein bestimmtes Ziel ein. Es gibt sie mittlerweile für fast jedes Thema, egal ob es sich um die Schwulen- und Lesbenbewegung, die Rechte der Frauen, die Umwelt oder das Problem des Rassismus handelt. Sie setzen sich dafür ein, dass Hautfarben keine Rolle mehr spielen, dass Frauen nicht anders behandelt werden als Männer, dass die Umwelt geschont wird und anderes mehr.

Die bekanntesten sind die die „Fridays for Future“ und die LGBTQ-Bewegung also die Gruppe, die sich für die Rechte der Lesben, Schwulen und der transsexuellen Männer und Frauen einsetzen und die behaupten, dass es nicht nur zwei sondern viele Geschlechter gibt. Sie haben das „divers“ in den Ausweisen und Stellenausschreibungen durchgesetzt. Vielleicht kann man sie nicht über einen Kamm scheren, da es viele unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Methoden und Zielen gibt aber einige haben zum Beispiel die bekannte Autorin der „Harry Potter“ Bücher, Joanne K. Rowling heftig bekämpft und sich für den Boykott ihrer Bücher eingesetzt, weil Rowling es gewagt hat, in einem Essay für die Existenz zweier Geschlechter einzusetzen, was natürlich nicht sein kann, weil es nicht sein darf.

Sicher sind nicht alle Aktivisten so gnadenlos. J. K. Rowling  wird es überleben, aber ein Merkmal von Aktivisten zeigt sich darin doch. Ihr Eifer für ihr Thema blendet vieles aus. Sie haben sich ganz dieser einen Sache verschrieben und das macht sie bisweilen blind für die Folgen.  Manchmal fehlt es Aktivisten an Toleranz. Manchmal schießen sie über das Ziel hinaus.

Fragt sich nur, ob man das alles nur von Aktivisten behaupten kann. Ich fürchte, Geduld ist auch nicht gerade unsere Stärke. Egal, ob wir beim Arzt im Wartezimmer sitzen, vor der Apotheke warten müssen, weil immer nur zwei Leute hineindürfen, in der Schlange an der Supermarktkasse stehen oder auf den Freund warten, der sich für heute Abend sieben Uhr angekündigt hat, dann aber um Viertel nach sieben immer noch nicht da ist – all das macht uns Mühe. Dann können wir uns nicht mehr auf Anderes konzentrieren, Dann lauert in uns ständig ein Ärger, der sich ein Ziel sucht, aber nur selten eins findet.

Dabei verbringen wir doch einen großen Teil unserer Zeit mit Warten. Aber dann stellen wir

doch fest: Warten fällt uns schwer. Da sind wir nicht anders als Kinder auf einer langen Autofahrt, die spätestens nach einer halben Stunde anfangen zu fragen: Wann sind wir endlich da? Oder die auf Weihnachten warten, weil sie dann Geschenke bekommen und ungeduldig die Tage zählen, bis es endlich Heiligabend wird.

Nur Gott scheint eine andere Zeit zu haben als wir. Und dann mutet er uns auch noch zu, dass wir uns nach seiner Zeit richten.

Oder ist das auch noch nicht ganz richtig? Man könnte ja auch sagen: Er mutet uns Vertrauen in seine Macht und seine Güte zu. Auch wenn er uns kennt, mutet er uns zu, uns nach seiner Zeitrechnung zu richten.

Aber ist das überhaupt eine Zumutung? Man könnte es auch als eine Chance sehen. Die Dinge hin und wieder ein bisschen gelassener zu sehen. Sich nicht mehr ganz so heftig unter Strom zu setzen. Vertrauen zu lernen, dass er schon für seine Welt sorgt. Vertrauen und Gelassenheit könnten uns helfen. Besonders jetzt, wo wir in ein neues Jahr hineingehen.

de_DEDeutsch