Matthäus 17,1-9

Matthäus 17,1-9

Letzter Sonntag nach Epiphanias | 29.01.23 | Mt 17,1-9 (dänische Perikopenordnung) | Von Marianne Christiansen |

Und dann stiegen sie hinab von dem Berg, und es blieb auch keine Zeit, jemandem von dem zu erzählen, was sie erlebt hatten, denn gleich als sie hinabkamen, war da ein Vater, der Hilfe brauchte für seinen kranken Sohn, und seitdem ging es Schlag auf Schlag: Jesus und seine Jünger kamen nach Jerusalem zu Anhängern und Gegnern. Der Menschensohn ging seinem Leiden und seinem Tod entgegen, wie er es immer wieder seinem Gefolge gesagt hatte, als sie unterwegs waren. Da geschah so viel. Dachten Petrus, Jakobus und Johannes daran, als sie den Augenblick von Größe und Klarheit auf dem Berge erlebten? Den Augenblick, wo sie das Gefühl hatten, dass alles seinen Platz gefunden hatte, alles war gut – so gut, dass Petrus es festhalten wollte: „Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elina eine, so dass wir hier bleiben können in guter Gesellschaft – dann wissen wir auch, wo du bist – oben auf dem Berg in einer hellen Wolke“.

Sie müssen sich ja daran erinnert haben und es jemandem erzählt haben, denn Matthäus hat es niedergeschrieben. Er hat gemeint, dass es wichtig war – so wichtig, dass es etwas über Jesus sagt, aber vielleicht auch etwas über die Jünger – über die, die dann zu führenden Personen wurden, Petrus, Jakobus und Johannes.

Erzählen – ja. Manchmal könnte man denken: „Müssen wir im Gottesdienst unbedingt aus der Bibel vorlesen und immer wieder die alten Geschichten hören? Könnten wir nicht nur etwas Gutes über Gott und unser Leben sagen, dass wir schön und ordentlich leben sollen? Müssen wir unbedingt den Umweg gehen über de bald 2000 Jahre alten Texte, viele sind noch älter? Denn das ist ja schwer, und da sind viele Dinge, die wir nicht mehr verstehen und die übersetzt werden müssen. Warum müssen wir zum Beispiel von Moses und Elia hören – zwei Personen aus dem Alten Testament – ferne Personen, die eine Erklärung verlangen. Könnten wir uns nicht einfach damit begnügen zu sagen, dass Gott Liebe ist, und dann das Beste daraus machen?

Das könnten wir wohl sehr wohl – das würde auch zu etwas kürzeren Predigten führen – übrigens wird von dem Johannes, dem einen der drei Jünger, die mit auf dem Berge waren, erzählt, dass er sehr alt wurde und sein ganzes Leben von Jesus predigte – schließlich war er so schwach, wenn er hinausgetragen wurde um zu predigen, dass seine Predigt nur lautete: Liebe Kinder, liebt einander!

Das war es, was er nach seinem langen Leben aus der Begegnung mit Jesus gelernt hatte.

Aber das war eben etwas, was er aus der Begegnung mit dem Menschen Jesus gelernt hatte – und nicht aus einer Theorie. Denn wenn wir uns nur mit der Moral begnügen würden – „Gott ist Liebe, und ihr sollt euch ordentlich benehmen“, dann ist das nicht mehr Christentum, denn Christentum ist Evangelium. Evangelium bedeutet frohe Botschaft, ein Gerücht, eine Erzählung, die einen froh macht. Nicht eine Theorie, sondern ein Bericht, eine Lebensgeschichte, die Lebensgeschichte eines Menschen – eines Menschen mit Fleisch und Blut. Die Geschichte von Jesus, wie sie von verschiedenen Evangelisten erzählt worden ist und wie sie von Mund zu Mund weitergegeben ist, diese Geschichte ist nicht nur eine Geschichte aus der blauen Luft, sondern aus der Erde. Von einem Menschen. Wir können zwar nie hinter die Geschichten und die Quellen zurückgehen und völlig sicher sein, dass es „genauso geschehen ist, dass er das genau so gesagt und getan hat und dass es an einem Mittwoch war“ – aber wir haben Überlieferungen von denen, die es weitererzählt haben. Das, was etwas für sie bedeutete, haben sie weitererzählt. Wir haben das Zeugnis davon, was die Begegnung mit Jesus bedeutete.

Entscheidend ist nun, ob die Erzählung den Glauben daran in uns weckt, dass dieser Mensch uns den Sinn des Lebens zeigt, uns offenbart, was Gott ist. In dem Leben, das er lebte, in dem, was er sagte und tat, in seinem Tod und seiner Auferstehung. Ist seine Lebensgeschichte eine Geschichte von Gott? Ja, dann ist Gott Liebe. Nicht als Theorie, sondern als Leben. Und dann muss immer davon erzählt werden, vom Leben Jesu, und unserem Leben, dem Leben der Welt.

Deshalb lesen wir in den Schriften, der gemeinsamen Geschichte, ganz gleich wie sie sind, und deshalb legen wir sie immer wieder in unserem Leben aus. Wir sind hineingetauft in eine gemeinsame Geschichte, und sie wird uns erzählt, während wir leben und auf dem Wege sind.

Und lasst uns zurückgehen auf den Berg. Einen hohen Berg, wie dort steht. Ein hoher Ort, wo man hinaufstrebt, um die Größe eines Augenblicks zu erleben, Aussicht, Friede in der Seele.

Jesus und Petrus und Jakobus und Johannes – die drei engsten Freunde – sind hinaufgegangen. „Nach sechs Tagen“, steht da – und das sind sechs Tage, nachdem Jesus den Jüngern eingehend erzählt hat, dass er Leiden und entgegengeht und dass ihr Weg derselbe sein wird, wenn sie ihm folgen – sie werden alles verlieren.  Der Augenblick auf dem Berge, wo der sich müde wandernde Zimmermann vor den Augen der müden und angstvollen Jünger in eine Vision aus Licht und Sinn verwandelt, wie ein Trost ist, eine Hoffnung auf ihrem Weg in das Leiden. Moses und Elia, die großen Propheten aus dem Alten Testament, waren für die jüdischen Jünger die großen Gestalten, die beweisen sollten, dass Jesus wirklich der Messias war, der erwartete Christus, der das Volk befreien sollte. Darum geht es ja die ganze Zeit: „Gilt dieser Jesus? Offenbart er wirklich Gott?“ Die Sprache, die die Jünger verstanden, waren die Erzählungen des Alten Testaments davon, wie Elia zusammen mit dem Messias kommen würde und wie Moses auf ihn hinweisen würde.

Die Vision der Jünger ist also ein Augenblick, wo alles seinen Platz findet – aller Zweifel, alle Furcht verschwindet. Kein Wunder, dass Petrus das festhalten will. „Könnten wir doch hier bleiben, wo alles gut ist und alles reden von Leiden und Kreuz verstummt“. Die leuchtende Wolke und Gott, der redet, sind eine weitere Bestätigung, denn so haben die Jünger ja gehört von Moses, der die Stimme Gottes am brennenden Dornenbusch hörte, und auch er fiel auf sein Angesicht aus Furcht davor, Gott zu sehen, und auch er erhielt eine Aufgabe: „Gehe, denn du sollst mein Volk befreien“.

Etwas später rührt Jesus sie an und ruft sie zurück in das gewöhnliche Leben – als der Wanderer, der Mensch in verschlissener Tracht. Gemeinsam gehen sie hinab in das Leben, das sie leben sollen, mit Krankheit und Furcht und Heilung und Freude – ein Menschenleben, das mit dem Tod endet. Aber den Augenblick von Hoffnung, Licht, Auferstehung nehmen sie mit. Das ist wahr. Auch mitten im Finstern.

Der Augenblick, wo alles seinen Platz findet, die Wolke leuchtet, Gott redet – was sollen wir ihn nennen? Den Augenblick des Glaubens? Den Augenblick der Auferstehung? Den Augenblick der Ewigkeit? Das wäre nicht so wichtig, wenn nur Matthäus uns erzählen würde, dass Petrus und Jakobus und Johannes ein großes religiöses Erlebnis hatten. Schön für sie, aber ohne Bedeutung für andere. Die Augenblicke eines religiösen Erlebnisses, wo sich plötzlich alles öffnet und wo man die Nähe Gottes physisch oder seelisch spürt, die Augenblicke, die viele Menschen  erleben dürfen – ein- oder mehrmals in ihrem Leben, sind Gaben und Trost. Aber wenn die Erzählung von der Verklärung auf dem Berg weitergegeben wird als ein Teil der Geschichte Jesu, dann wohl deshalb, weil sie ein Evangelium ist, eine frohe Botschaft. Der Augenblick auf dem Berg ist ein kleines Lichtbild von der Hoffnung, der Auferstehung. Ein Bild, das man mitnimmt von dem Berg hinaus in die Welt. Ein Bild, an das man sich halten kann, wenn es am allerschwersten aussieht, in Krankheit, Leiden und Trauer.

Das ganze Evangelium, die Geschichte von Jesus, ist eine solche „Verklärung auf dem Berg“ für uns, die wir jetzt leben – ganz gleich ob wir nun religiöse Erlebnisse haben oder nie etwas anderes erleben als das wunderbare Leben, das vor uns liegt. Das Evangelium vom Menschen Jesus endet wie die Lebensgeschichte aller Menschen mit dem Tod – und dennoch nicht. Das Evangelium erzählt die überraschende Öffnung der Welt: Auferstehung von den Toten, Hoffnung. Das Evangelium ruft die Hoffnung ins Leben, dass die Liebe, die Jesus offenbart hat, auch da gilt, wo alles endet.

Deshalb erzählen wir das Evangelium immer wieder. Denn man kann keine Hütten oben auf dem Berg bauen und im Erlebnis bleiben. Man kann nicht in einem sorglosen Leben existieren, in einer völligen Überzeugung davon, dass alles in Wirklichkeit gut ist. Die Hoffnung auf die Auferstehung liegt nicht in unserem Verstand oder in unseren Erlebnissen oder Kräften. Sie liegt in der Lebensgeschichte Jesu, die uns stets erzählt, dass die Barmherzigkeit Gottes stärker ist als der Tod, auch wenn wir es nicht spüren können.

Das Evangelium verführt uns liebevoll, so wie wenn man mitten in einer Geschichte Kindern (oder sich selbst) das Ende der Geschichte erzählt, um ihnen bei den unheimlichen Passagen Mut zu machen. Wir haben das Ende der Geschichte schon gehört, so wie die Jünger auf dem Berg ein Bild davon sahen. Das frohe Ende der Geschichte schenkt Mut und Trost, in diesem wechselhaften Leben zu leben, auch wenn der Weg durch Verlust, Leiden und Tod führt. Er ruft uns zu aus der Zukunft. Amen.


Bischöfin Marianne Christiansen

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