Matthäus 25,14–30

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Matthäus 25,14–30

Anfangen! | 9. Sonntag nach Trinitatis | 14.08.2022 | Mt 25,14–30 | Christoph Kock |

 

I. Matthäus muss nachsitzen

Matthäus ist sauer. Nur er steht noch im Klassenraum. Die anderen sind schon auf dem Weg nach Hause. Es ist warm. Durch die offenen Fenster weht ein Lüftchen. Ein vergessenes Arbeitsblatt segelt vom Pult zu Boden. Matthäus muss nachsitzen. Darauf läuft es doch hinaus. Herr Gotthilf hat ihm zwar nicht sauer, aber doch bestimmt zu verstehen gegeben, dass er ihn nach der 6. Stunde zu sprechen wünscht. Und dass es etwas dauern könnte. Wo bleibt er denn nur? Matthäus schaut auf die Uhr über der Tür. Fünf vor Zwölf. Da stimmt doch was nicht. Bevor er sich darüber wundern kann, öffnet sich mit einem energischen Ruck die Tür und Herr Gotthilf steht, leicht außer Atem, vor ihm. „Da bin ich endlich. Setz dich. Wir haben zu tun.“

Herr Gotthilf sieht Matthäus an. „Wir müssen über das Ende sprechen.“ „Das Ende?“ wiederholt Matthäus. Herr Gotthilf nickt und kramt in seiner Tasche. „Machen wir es so: Ich lese das Stück vor, dass du heute Morgen abgegeben hast, und du hörst zu.“ Dann hat er gefunden, was er gesucht hat, und beginnt zu lesen.

II. Von den anvertrauten Talenten

Jesus sprach:

Mit dem Himmelreich ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging:

Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes.

Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.

Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach:

Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen.

Da sprach sein Herr zu ihm:

Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach:

Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen.

Sein Herr sprach zu ihm:

Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach:

Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine.

Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm:

Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

III. Herrn Gotthilf hat Fragen

Herr Gotthilf blickt Matthäus an. „Was liegt Jesus am Herzen? Warum erzählt er diese Geschichte?“

Sofort sprudelt es aus Matthäus heraus. „Jesus will, dass die Menschen ihre Gaben nutzen, die sie von Gott bekommen haben. Um von ihm zu erzählen. Um in seinem Namen Gutes zu tun. Dass sie ihr Talent entdecken, damit arbeiten und die Gemeinde dadurch größer wird. Bis Jesus wiederkommt.“

„Das fällt aber in deinem Text kaum ins Gewicht“, gibt Herr Gotthilf zu bedenken. „Der Dialog mit den ersten beiden Knechten wirkt hölzern, beinahe langweilig. Sie sagen ihr Sprüchlein auf und bekommen dasselbe Sprüchlein zu hören: ‚Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!‘ Was denn für eine Freude, frag ich mich. Die Musik spielt bei dir an anderer Stelle.“

„Beim dritten Knecht“, gibt Matthäus zögernd zu. „So ist es“, redet sich Herr Gotthilf in Fahrt. „Dem depressiven Verweigerer gibst du die Bühne. Der den Herrn für hartherzig hält und von Anfang an weiß, dass er selbst scheitern wird. Und genau so schlimm, wie er es sich vorstellt, wird es denn auch. Was sage ich, noch schlimmer!“

Herr Gotthilf atmet durch. „Du magst das mit dem Heulen und Zähneklappern.“ Mehr eine Feststellung als eine Frage.

Matthäus schaut auf den Boden. „Sie haben recht. Das kommt bei mir schon mal vor. Menschen können ihre Chance vertun. Jesus warnt eindringlich davor. Klar, das ist drastisch. Aber manchmal muss er das klar und deutlich sagen. Sonst kommt die Warnung nicht an und niemand nimmt sie ernst.“

Sie schweigen. Allein das Ticken der Uhr ist im Klassenzimmer zu hören.

IV. Der Schluss

Matthäus fasst sich ein Herz und fragt: „Ihnen gefällt der Schluss also nicht?“ Herr Gotthilf überlegt. „Lass es mich so sagen: Ich hätte gern mehr über den 1. und 2. Knecht erfahren. Über die Freude, die ihnen bevorsteht. Dein Schluss, lieber Matthäus, macht mich traurig. Wie fürchterlich Jesus wird, wie grausam, wie unbarmherzig. Warum verflucht Jesus jemanden, den er liebt. Sonst hätte er dem dritten Knecht doch gar nicht den Auftrag und das Talent gegeben. Heulen und Zähneklappern. Völlige Finsternis. So kann es doch nicht aufhören!“ Herr Gotthilf schnieft und reibt sich verstohlen mit dem Ärmel eine Träne aus dem Gesicht.

„Aber Jesus ist doch gar nicht grausam. Das wollte ich nicht.“ Matthäus ist überrascht. Ihn irritiert die Reaktion seines Gegenübers. „Wie konnte das passieren?“ Herr Gotthilf lächelt: „Stell dir vor, du willst ein Bild aufhängen und brauchst einen Hammer. Du denkst: Der Nachbar müsste einen haben. Du denkst: Ob er mir den Hammer leiht? Er hat doch neulich kaum gegrüßt. Du denkst: Ich habe ihm doch gar nichts getan. Aber manche Leute sind so. Der würde mir den Hammer sowieso nicht geben, eigensinnig, wie der ist. Solche Menschen können die Nachbarschaft vergiften. Vielleicht glaubt der noch, ich bin auf ihn angewiesen. Auf ihn und seinen blöden Hammer. Du rennst wütend herüber und klingelst. Als der Nachbar die Tür öffnet, schreist du ihn an: ‚Sie können ihren Hammer behalten, Sie Rüpel!‘. Herr Gotthilf schaut Matthäus an und fragt ihn: „Was wird der Nachbar über dich denken?“[1]

Matthäus braucht einen Moment, bevor er antwortet: „Der Nachbar wird denken: Was für ein Verrückter wohnt da neben mir, mit dem will ich nichts zu tun haben.“ Herr Gotthilf nickt. „Hättest du weniger gegrübelt, einfach nur geklingelt und nach dem Hammer gefragt, wäre es mit euch beiden anders weitergegangen. Manche Gedanken machen viel kaputt.“

„Sie meinen, der 3. Knecht denkt sich Jesus kaputt? Das geht doch gar nicht.“. Herr Gotthilf seufzt. „Doch, leider geht das. Indem sich der dritte Knecht von seiner Angst leiten lässt, wird Jesus zu dem Herrn, vor dem sich der Knecht fürchtet. Manche Gedanken machen viel kaputt.“

V. Wohin damit

„Was mach ich denn nur mit meiner Geschichte?“, will Matthäus wissen. „Wenn dich meine bescheidene Meinung interessiert“, antwortet Herr Gotthilf. „So darf es nicht enden. Für das Ganze brauchst du einen anderen Schluss. Matthäus strahlt: „Ich hab da auch schon eine Idee. Darf ich es Ihnen eben noch vorlesen? Dauert auch nicht lange.“ Herr Gotthilf ist einverstanden. Jetzt kramt Matthäus in seinem Rucksack und zieht schließlich einen Zettel hervor.

„Und Jesus trat herzu, redete mit seinen Jüngern und sprach:

Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.

Darum gehet hin und lehret alle Völker:

Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes

und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Herr Gotthilf nickt versonnen. „Der Auftrag zu taufen und ein Versprechen. Das gefällt mir, Matthäus. Das Beste hast du dir wirklich für den Schluss aufgehoben. Jesus ist gar nicht weg, sondern da. Jeden Tag. Bei denen, die tun, was ihm wichtig ist. In dem, was sie tun. Mit den Gaben und Talenten, die sie in sich tragen. In den Grenzen, die ihnen gesetzt sind. Mich überzeugt das, andere hoffentlich auch. Den letzten Satz muss ich mir merken: Jesus sagt: ‚Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.‘“ Matthäus‘ Blick fällt wieder auf die Uhr über der Tür. Eigenartig, immer noch fünf vor Zwölf.

Amen.


[1] Die Parabel mit dem Hammer hat Herr Gotthilf von Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, München 1983. Den Hinweis auf zerstörerische Kommunikation sowie auf Zusammenhang der Perikope mit Mt 28,20 verdanke ich Lars Hillebold, Lamento Mori. Von Talentschmieden und Zähneklappern, GPM 76 (2022), 409–416. Hillebolds „Gebet dazwischen“ (a.a.O., 413), das mit Mt 28,20 endet, ist ein Schatz.


Baustein für eine Begrüßung in einem Abendmahlsgottesdienst

Worte wirken, Gedanken entwickeln Kraft. Im Guten wie im Schlechten. Manche Gedanken machen eine Menge kaputt. Gedanken über Gott und Jesus sind da keine Ausnahme. Leider. Es gibt Vorstellungen, die wirken zerstörerisch. In der Bibel gibt es Abschnitte, die mit Vorsicht zu hören sind. Deshalb wirkt diese Begrüßung fast schon wie ein Warnhinweis auf einer Zigarettenschachtel.

Welche Worte uns ansprechen und welche Gedanken den Ausschlag geben, liegt an uns. Wo wir hinhören. Jesus sagt: „Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.“ Seine Gegenwart feiern wir als Gäste an seinem Tisch.


Schuldbekenntnis

Du hast uns viel geschenkt, Gott.

Aber wir trauen uns nur wenig zu.

Du hast Talente in uns angelegt.

Aber wir lassen sie verkümmern.

Du stellst Ansprüche an uns,

und wir haben Angst,

dass wir ihnen nicht gerecht werden.

Wer kann das schon?

Gott, manchmal ist das schwer:

Erkennen und tun, was in unserer Hand liegt.

Verantwortung übernehmen,

für uns selbst ebenso wie für andere.

Grenzen anerkennen,

ohne sie größer zu machen als sie es sind.

Hilf uns dabei.

Herr, erbarme dich.


Gnadenzusage mit Am 5,4


Tagesgebet:

Liebender Gott

Du willst, dass wir dich suchen,

und lässt dich finden.

Sei du der Schatz unseres Lebens,

das Ziel unserer Sehnsucht,

der Grund unserer Freude,

heute und jeden Tag

bis in Ewigkeit.

Amen.

(nach: Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 423)


Präfation (nach „Singt dem Herrn ein neues Lied“ (EG.RWL 599)

Heilsam ist es und gut, dein Lob zu singen,

du Gott des Lebens,

ein neues Lied oder ein altes,

dir gefällt beides.

Mit dir hat alles angefangen.

Sternenstaub und Pusteblume,

Sonnenlicht, das durch grüne Blätter fällt,

und für Luft zum Atmen sorgt.

Du hast dir die Ehre gegeben

in Jesus Christus Mensch zu werden,

Gastgeber an einem Tisch,

an dem mehr Gäste Platz finden

als wir es uns vorstellen können.

Du hältst unser Heimweh wach,

nach einem Ort,

den noch niemand kennt

und an dem wir doch Zuhause sein werden.

Das ist uns wunderbar und unbegreiflich.

Dafür danken wir dir und stimmen ein

in den Lobgesang,

der Himmel und Erde erfüllt

und die Grenzen von Raum und Zeit überwindet.


Lieder:

„Tut mir auf die schöne Pforte“ (EG 166)

„Meine engen Grenzen“ (EG.E 12)

„Ich sage ja“ (EG.E 10)

„Die Erde ist des Herrn“ (EG 677; EG.E 32)

„Singet dem Herrn eines neues Lied“ (EG.RWL 599)

„Da wohnt ein Sehnen“ (EG.E 24)


Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

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