Matthäus 25,14-30

Matthäus 25,14-30

Aus dem Rahmen fallen | Neunter Sonntag nach Trinitatis | 14. August 2022 | Mt 25,14-30 | Rudolf Reengstorf |

Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu.  Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.  Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen.  Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen.  Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!  Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen.  Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!  Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine.  Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe?  Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen.  Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat.  Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.  Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. (Matth. 25,14-30

Liebe Leserin, lieber Leser!

Für manchen Ausleger liegt der Sinn des Gleichnisses von den anvertrauten Zentnern auf der Hand. Man braucht – so sagen sie – nur darauf zu achten, wie das mit Zentner übersetzte Wort in der griechischen Urfassung lautet: Talente steht da. Na bitte – ist doch wohl ein Wink mit nem Zaunpfahl. Nicht? Also: Jeder Mensch verfügt über Talente, Fähigkeiten, die ihm von Gott in die Wiege gelegt sind – der einen mehr, dem andern weniger. Aber Talent hat jeder. Und es kommt darauf an, dieses Talent auch zu entdecken, es anzunehmen, an ihm zu arbeiten und damit zu wuchern. Denn dazu hat Gott es uns gegeben. Wer dagegen sein Talent schlummern lässt, der verfehlt das ihm von Gott zugedachte Leben und so weiter und so weiter.

Ich halte solche Weisheiten für banal und für viel zu langweilig für eine Predigt. Solche Plattitüden hätte Jesus – wenn ihm wirklich daran gelegen wäre – auch ohne ein Gleichnis unter die Leute gebracht. Denn wenn er ein Gleichnis erzählt, dann geht es ihm immer um das,was aus dem gewohnten Rahmen fällt, was sich nicht von selbst versteht. Das, worauf der sogenannte gesunde Menschenverstand erst gestoßen werden muss.

Naja, können Sie nun sagen: mag ja sein. Aber dieses Gleichnis von den anvertrauten großen Geldvermögen – das passt doch nun ganz genau in unsere bekannte Alltagswelt. Schon jedes Kind lernt beim Monopoly-Spielen, dass man mit Geld noch viel mehr Geld machen kann, wenn man es richtig anlegt und für sich arbeiten lässt. Wer aber sein Vermögen ruhen lässt, es in den Sparstrumpf steckt oder gar vergräbt, der hat am Ende weniger als am Anfang, weil die Teuerungsrate es sicher auffrisst.

Bloß – und jetzt wird’s interessant – für die Leute, die diese Geschichte von Jesus zuerst gehört haben, war das überhaupt nicht selbstverständlich. Im Gegenteil, die haben das als empörenden Skandal empfunden. Denn unter den Juden galt das Zinsverbot, das in der Heiligen Schrift festgelegt ist (2. Mose 22,24 u.ö.). Die beiden ersten Knechte, die ihr Geld verdoppelt haben, hatten nach jüdischen Maßstäben verbrecherischen Wucher betrieben. Statt von ihrem zurückgekehrten Herrn gelobt und befördert zu werden, hätten sie ins Loch geworfen werden müssen, wo Heulen und Zähneklappern herrschen. Nur der dritte Knecht, der in der Geschichte dumm dasteht, alles verliert und ins Loch kommt – nach jüdischem Recht hat er allein alles richtiggemacht. Er hat das ihm anvertraute Vermögen so verwahrt, dass er es am Ende auf Heller und Pfennig zurückgeben konnte. Ja, er hat sogar den Mut aufgebracht, seinem auf verbotenen Gewinn drängenden Herrn die Leviten zu lesen, wenn er sagt: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.“ Und ausgerechnet er, der alles richtiggemacht hat, wird in Grund und Boden verdammt. Eine total verrückte Welt war das, von der Jesus hier erzählte.

Und genau darum ging es ihm. Seine Hörer auf eine Wirklichkeit aufmerksam zu machen, die in spektakulärer Weise konträr stand zu ihrer Alltagswelt. Er war ja angetreten, um das Reich Gottes in diese vom Menschen so fürchterlich durcheinander gebrachte Welt zu bringen. An sich erwartete man das Reich Gottes erst am Ende der vom Menschen beherrschten Welt und Zeit. Jesus aber machte deutlich: Das Reich Gottes kommt nicht erst in der Zukunft. Es ist uns schon jetzt nahe, ist in Ansätzen schon da und am Werk inmitten der ihm widersprechenden Wirklichkeit. Natürlich steht es quer zum gewohnten Leben, quer zu dem, was man für richtig und falsch hält, quer zum gesunden Menschenverstand. Wo Gottes Reich in dieser Welt aufleuchtet, da fällt es aus dem Rahmen und erscheint als verrückt.

Genauso wie diese Geschichte den Menschen damals als verrückt erschien. Was da mit Geld gemacht wird, dass dem der viel hat, viel gegeben, und dem der wenig hat, auch das noch genommen wird, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, das ist und bleibt in der Tat ein Skandal. Und doch macht diese Skandalgeschichte sehr eindrucksvoll deutlich, wie es sich mit dem Reich Gottes verhält.

Wie der Herr in der Geschichte so ist Gott – und dann ja auch Jesus – sozusagen außer Landes gegangen, und sie sind sehr lange Zeit fort. Da müssen die Zurückgebliebenen in einer Welt leben, die von anderen Herren bestimmt wird und in der Gott und Jesus nichts zu sagen haben. Aber die Leute Jesu brauchen nicht passiv auf Gottes und Jesu machtvolle Rückkehr zu warten. Nein, den Leuten Jesu ist schon ein gehöriger Batzen vom Reich Gottes anvertraut. Ein enorm dynamischer Batzen ist das, Der nur darauf wartet, eingesetzt zu werden, um sich dann auf unglaubliche Weise auszuwirken und zu vermehren.

Was das für ein Batzen ist? Das, was wir bei Jesus gelernt haben: Die Hinwendung zu den Mühseligen und Beladenen, die sich nicht damit abfindet, dass die einen das Licht des Lebens genießen und die anderen im Schatten des Todes sitzen. Die einen im Überfluss schwimmen und die anderen in Hunger und Elend umkommen. Die einen vor Kraft und Gesundheit strotzen und die anderen durch Behinderungen und Krankheiten vom Leben abgeschnitten sind. Die einen als die Rechtschaffenen, Tüchtigen und Erfolgsmenschen Ansehen genießen und die anderen als arme Teufel und hoffnungslose Fälle abgetan werden. Gegen all das ist Jesus angegangen, weil es dem Willen Gottes, der Bestimmung des Menschen als seines Ebenbildes und der Grundordnung seines Reiches widerspricht.

Und seht doch, was draus geworden ist. Macht und Geld zerstören die Welt immer noch, aber überall wird diese Herrschaft unermüdlich und kreativ untergraben. Und die Opfer, die Looser werden nicht allein gelassen von denen, die mit dem Erbe Jesu wuchern in ambulanten und stationären Pflegediensten, in Behinderteneinrichtungen und beschützenden Werkstätten, auf Rettungswagen und bei Feuerwehreinsätzen, bei den Tafeln überall im Land und einem Staatswesen, in dem soziale Wohlfahrt großgeschrieben und das vom Obersten Gericht überwacht wird, weil aus der Initiative Jesu Menschenrechte geworden sind. Was für ein Pfund!

Entscheidend für die Zukunft der Kirche ist, dass sie dabeibleibt, um des Reiches Gottes willen aus dem von Macht und Geld gesetzten Rahmen zu fallen, quer zu treiben und die Schlagseite zu den Mühseligen und Beladenen zu halten. Da verschließen sich in Europa viele Länder gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Da müssen die Kirchen doch aus dem Rahmen fallen. Statt sich schweigend wegzuducken, müssen sie, wenn sie Kirche Jesu bleiben wollen, Flagge zeigen gegenüber dem hartherzigen Egoismus ihrer Regierungen und mit den Pfunden Jesu wuchern. Und wir – wir sind nicht fein raus, weil die Lage sich bei uns entspannt hat. Um ein bekanntes Wort Dietrich Bonhoeffers zu aktualisieren: Nur wer für die an der Festung Europa scheiternden, vor seinen Küsten ertrinkenden Flüchtlinge schreit, darf gregorianisch singen. Amen.


Rudolf Reengstorf
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