Matthäus 25,31-46

Matthäus 25,31-46

Dem Geringsten Beachtung schenken | 6. Sonntag nach Trinitatis | 24.07.2022 | Mt 25,31-46 | Aus der Predigtreihe «Tiere, die Bibel und wir» | Berthold W. Haerter |

Das Weltgericht

31Wenn aber der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. 32Und alle Völker werden sich vor ihm versammeln, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. 33Und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die Böcke aber zur Linken. 34Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, empfangt als Erbe das Reich, das euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an. 35Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. 36Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet. Ich war krank, und ihr habt euch meiner angenommen. Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. 37Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich bekleidet? 39Wann haben wir dich krank gesehen oder im Gefängnis und sind zu dir gekommen? 40Und der König wird ihnen zur Antwort geben: Amen, ich sage euch: Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.41Dann wird er denen zur Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist für den Teufel und seine Engel! 42Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43Ich war fremd, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich war krank und im Gefängnis, und ihr habt euch meiner nicht angenommen. 44Dann werden auch sie antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder fremd oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben nicht für dich gesorgt? 45Dann wird er ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr einem dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan. 46Und diese werden in die ewige Strafe gehen, die Gerechten aber ins ewige Leben.

Mt 25,31-46

Liebe Gemeinde an diesem Sommersonntag

Es ist zurzeit am Tag warm, fast heiss. Aber finden Sie nicht auch, die Morgen sind herrlich!

Man kann draussen frühstücken oder in den Wald bzw. See gehen oder früh morgens aufs Velo steigen. Dann sieht man hoch oben die Schwalben. Sie künden einen schönen Tag an. Und auch auf der Erde tut sich etwas. Dort wo ich gegossen habe, da zeigen sich kleine Löcher der Regenwürmer. Selbst ein paar Schnecken knabbern an meinem Husarenkopf (Blume). Eidechsen huschen über die Steinplatten. Es sind herrliche Morgen. Man muss sie in sich aufnehmen und geniessen.

Jemand erzählte mir, morgens ginge sie gern auf den Friedhof. Es sei so still da, die kräftige Natur, die Vögel, Blumen, so stelle sie sich das Aufwachen bei Gott vor.

Erinnern Sie sich an den eben gehörten Bibeltext? Dort wird auch vom Eintreffen bei Gott erzählt. «Das Weltgericht» überschreibt die Bibel diese letzte grosse Rede Jesu.

Diese Anforderungen, die Jesus als Weltenrichter da an uns stellt! Sechs Mal redet er davon, wie barmherzig wir sein sollen. Sechs Mal hämmert er mir das ein. Die Wiederholungen bewirken genau das, worauf jede Lehrperson in der Schule hofft, wenn die Schüler/Schülerinnen nicht begreifen. „Sie verstehen es im Moment nicht, aber wenigstens vergessen sie es nicht.“

Hungrigen hat man Essen zu geben.
Durstigen hat man Trinken zu geben.
Fremde hat man bei sich aufzunehmen.
Nackte hat man zu kleiden.
Kranke und Gefangene hat man zu besuchen.

Das ist viel, was da von mir erwartet wird. Eben der Sommermorgen, der Gedanke, bei Gott könnte ich auch so erwachen. Und nun Jesu Rede, die sagt, wie das ist, wenn man nach dem Sterben zu Gott kommt. Das macht nicht Freude, das macht Angst. Ich weiss aber auch, dass nicht die Angst mich barmherzig machen soll, sondern ich soll ganz selbstverständlich handeln, ja so, dass ich am Ende überrascht darüber bin, dass ich so «gut» im Leben war.

Ich habe den Eindruck, Jesus will seine Jüngerinnen und Jünger von himmlischen Sommergefühlen auf den Boden der Realität zurückholen. Voller Hoffnung, ja begeistert und schwärmerisch folgen sie Jesus auf seiner letzten Wegetappe. Es müssen recht viel Menschen gewesen sein. Man war kurz vor Jerusalem. Dort sollte das grösste Fest der Juden, das Passafest gefeiert werden (das an den Auszug aus Ägypten erinnerte). Dieses Fest feierte man möglichst nahe beim Tempel. Es war die zentrale 1. Augustfeier (Nationalfeiertag Schweiz) in Israel. Da wollte man dabei sein. Auf der Reise dorthin hat Jesus seine AnhängerInnen nochmals zusammengerufen. Er hält ihnen diese Rede, so berichtet uns das Matthäusevangelium.

Wir, wir wissen heute mehr als Jesu Anhänger damals. Wir wissen, dass Jesus sich hier nicht zum grossen Sommerfest aufmachte, sondern er hier seine letzten eindrücklichen Worte vor Kreuz und Auferstehung spricht. Sie alle wissen auch, dass letzte Worte, die jemand bei einem Abschied spricht, einem meistens bleiben. Ja, wenn es Worte vor dem Sterben sind, dann kann man diese später oft sehr genau wiedergeben. Sie begleiten einen über Tage, Wochen und Monate. Sie werden manchmal zu einem Vermächtnis. Und wie man die gehörten Jesus-Worte auch dreht und wendet, sie sind Jesu Vermächtnis an uns. Hier erwartet Jesus von uns, was er selbst gelebt hat: Barmherzigkeit. Jesus gibt uns mit auf den Weg, wie wir leben sollen: Seid barmherzig! Jesus merkt, man versteht ihn nicht, wie er von einem Weltgericht redet, bei dem er als König mit Engeln kommen wird, um zu richten.

So erzählt er eine Geschichte. Die Menschen, die in Palästina vor 2000 Jahren leben, verstehen ihn nun. Da, beim Weltgericht, ist es, als wenn ein Hirte die Böcke von den Schafen scheidet. In Palästina trennte man nach einem gemeinsamen Weide-Tag die Schafe und die Ziegen(-böcke) voneinander, liess die Schafe auch in der kühlen Nacht draussen, während die Ziegen die Wärme des Stalls nachts brauchten.

Diese Scheidung uns verständlich zu machen, ginge vielleicht so: Wer von Ihnen hat oder hatte in seinem Leben schon einmal für ein Haustier zu sorgen? Die sollen aufstehen und sich nach rechts setzen, auf die Seeseite. Alle anderen die keine Haustiere je hatten, sollen links von mir sitzen.

Schnell hätte ich selektiert. Und – Hand aufs Herz – wenn ich rechts sitzen darf, … es ist die bevorzugte Seite.

Jesus sortiert hier auch. Die Rechten, die Schafe, sind also die Guten. Und er sagt genau, wer da hingehört: Alle, die in ihrem Leben Jesus gefunden haben und für ihn da waren.

Logischer Weise müssen wir also im Leben Jesu suchen. Aber wo findet man ihn? In der Bibel, im Gottesdienst, in der Kirche, im Beschäftigen mit dem allen, da kann und wird man Jesus erfahren. Es ist wohl der Wunsch von jeder Pfarrperson, dass Gott den einen oder die andere im Gottesdienst «anstupft», berührt, ja das der eine oder andere merkt, da in dieser Viertelsekunde, da war mir Gott ganz nahe.

Aber hier, in diesem Vermächtnis macht Jesus unsere Suche nach Gott praktisch. Jesus beugt hier unseren erhobenen Kopf vom Blick in den Himmel zum Blick auf die Erde hinunter. Und er macht das ziemlich brutal.

Jesus zeigt uns seine Doppelgänger hier auf Erden. Er sagt: Wenn ich dann gestorben, auferstanden und bei Gott bin, dann findet ihr mich immer noch auf der Erde. Ihr findet mich in denen, denen es schlecht geht, die Hilfe brauchen, die Not leiden. Das sind meine Doppelgänger: «Was ihr einen diesen meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan.»

Wer sind nun unsere geringsten Schwestern und Brüder? Bestimmt die Geflüchteten! Bestimmt die Menschen in der Ukraine, die jetzt unsere Unterstützung brauchen, geistig und praktisch. Sicherlich die Menschen, die hier in Not sind, Alkoholkranke, die nicht die Kraft finden, auszubrechen. Psychisch Erkrankte, die so leiden, dass sie nicht ins Leben zurückfinden. Einsame, die nicht in die Gemeinschaft finden, die sie sich so wünschen. Menschen, denen es so geht, haben wir im Ort.

Aber wir sind ja in einer Predigtreihe zu den Tieren und unser Verhältnis zu ihnen: Ja, Tiere sind auch die geringsten Schwestern und Brüder. Sie brauchen unsere Fürsorge, gerade weil wir Menschen uns die Erde «untertan» gemacht haben, sie ausbeuten. Nachhaltigkeit und Achten auf das «Öko-System» stecken noch in den Kinderschuhen.

Wir haben vom «Gelaich und Gewürm» gesungen (RG 100, 3: Erfreue dich, Himmel), die Gott loben.

Wir haben von den Bienen gesungen (RG 537, 6: Geh aus mein Herz), die uns Gottes Liebe zeigen und sehr gefährdet sind. Jetzt kommen die Wespen wieder auf den Sitzplatz, wenn man draussen isst. Die Eintagsfliegen suchen sich unsere Obstteller, die Ameisen finden jedes offene Honigglas. Die Kirschessigfliegen vernichten die Kirschernten usw.. Wie gehen wir mit ihnen um, Jesu Schwester und Brüder, denen Gott Atem schenkte wie uns, die also von Gott gewollt sind?

Albert Schweitzer, der Theologe, Musiker, Arzt und Ethiker, Gründer eines Urwaldspitals in Gabun hat gesagt:

«Wahrhaft ethisch ist der Mensch nur, wenn er der Nötigung gehorcht, allem Leben, dem er beistehen kann, zu helfen, und sich scheut, irgendetwas Lebendigem Schaden zu tun … Er reisst kein Blatt ab, bricht keine Blume und hat acht, dass er kein Insekt zertritt. Wenn er im Sommer nachts bei der Lampe arbeitet, hält er lieber das Fenster geschlossen und atmet dumpfe Luft, als das er Insekt um Insekt mit versengten Flügeln auf seinen Tisch fallen sieht.»

Natürlich wissen wir alle um gefährliches «Gewürm und Gelaich» wie die Malariamücke, die Tigermücke oder den Lerchenwickler usw.. Natürlich muss man diese bekämpfen, wenn sie Menschenleben gefährden. Aber man findet heute neue Wege, zum Beispiel mit natürlichen Feinden. Längst wird nicht mehr grossflächig, mit viel Chemie, schon gar nicht mit DDT gearbeitet. Die Erkenntnis ist da, dass man beobachten muss, Menschen beitragen müssen, dass sich gefährliche Populationen nicht vergrössern, dass nachhaltiger gearbeitet werden muss, und man nicht Häuserwände einspritzt, damit es keine Spinnen mehr gibt, was man bis heute noch tut. Auch müssen wir bewusster mit den kleinen Tieren leben lernen, denn wir brauchen sie. Albert Schweitzers berühmtester Satz lautet: «Ich bin das Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.» ( A. Schweitzer nach, S. Horstmann, Th. Ruster, G. Taxacher: Alles, was atmet, Regensburg 2018, 141)

Jemand erzählte mir, sie sammle jeden Regenwurm auf, den sie auf dem Gehsteig entdecke und bringe ihn zurück auf den Erdboden. So sollen wir nach Jesus mit dem Geringen umgehen.

Wenn wir darüber nachdenken, merken wir bald: Eigentlich haben wir keine Chance zu denen auf der rechten Seite zu gehören. Wie oft waren wir nicht barmherzig, aus Selbstschutz, weil wir Menschen in Not übersahen, weil es über unsere Kräfte ging, weil so kleine «Viecher» uns belästigten oder aus welchen Gründen auch immer. Gehören wir also zu den Linken, die in der Gottesferne einmal leben müssen? Und müssen wir jetzt immer völlig angespannt und bald verspannt durchs Leben gehen, um ja kein Leben, was Hilfe braucht, zu übersehen? Ist das das Leben? Ist so das Leben, wie Gott es will?

Jesu letzte grosse Rede hält er vor seinem Tod. Jesu Tod, das Kreuz, das ist Gottes Zeichen für uns, das sagt: Was Du auch getan hast: Dir ist vergeben. Sooft ich also zu Gott komme und mir bewusst mache, dass ich Fehler mache, vergibt mir Gott. Dafür steht Jesu Kreuz. Unser Chorfenster zeigt es, leuchtend strahlend, die Sonne schickt Wärme hindurch. Gott vergibt mir, wegen Jesus. Denn er liebt mich.

So von Angst befreit, hören wir Jesu letzte Rede anders. Jesus will uns nicht überfordern. Er gibt uns hier eine Lebensaufgabe. Wenn wir es versuchen, dem Geringsten Sorge zu tragen, ist uns Gottes Liebe gewiss.

«Befreit» diese «Weltgerichtgeschichte» hören, heisst aber auch, dass wir zugeben können, auch wir sind manchmal im Leben seelisch oder körperlich hungrig und durstig, nackt und fremd, krank und gefangen. Wenn uns geholfen wird, erfahren wir, dass Gott auch Dir und mir grösste Beachtung schenkt.

AMEN


Berthold W. Haerter

Oberrieden/Schweiz

Berhold.haerter@bluewin.ch

Geb. 1963, Pfarrer der Ev-Ref. Landeskirche Zürich seit 1993| Oberrieden am Zürichsee

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