Römer 6,3-11

Römer 6,3-11

Tot und doch lebendig | 6. Sonntag nach Trinitatis | 24.07.22 | Römer 6,3-11 | Barbara Pfister |

3 Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? 4 Wir wurden also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit,
wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt worden ist, auch wir in der Wirklichkeit eines neuen Lebens unseren Weg gehen. 5 Wenn wir nämlich mit dem Abbild seines Todes aufs Engste verbunden sind, dann werden wir es gewiss auch mit dem seiner Auferstehung sein. 6 Das gilt es zu erkennen: Unser alter Mensch wurde mit ihm gekreuzigt, damit der von der Sünde beherrschte Leib vernichtet werde und wir nicht mehr Sklaven der Sünde seien. 7 Denn wer gestorben ist, ist von allen Ansprüchen der Sünde befreit. 8 Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir fest, dass wir mit ihm auch leben werden. 9 Denn wir wissen, dass Christus, einmal von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. 10 Sofern er starb, starb er der Sünde ein für alle Mal; sofern er aber lebt, lebt er für Gott. 11 Das gilt auch für euch: Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus.

(Römer 6,3-11; Zürcher Bibel)

Mitgegangen – mitgehangen!

«Mitgegangen – mitgehangen!» Eine Redewendung, die ich früher in meinem pädagogischen Alltag sehr oft verwendete. Wer bei einem Streich oder einer verbotenen Aktion mitmacht, muss die negativen Konsequenzen mittragen, wenn die Gruppe auf frischer Tat ertappt wird. Doch ab und zu war die Konsequenz von «mitgegangen – mitgehangen» auch durchaus erfreulich, wenn z.B. ein Kind der Klasse einen Wettbewerb gewonnen hatte und alle andern mit in den Genuss des Preisgeldes kamen.

Dieses «mit» durchzieht unseren heutigen Predigttext: mitgekreuzigt, mitbegraben, mitgestorben, mitauferweckt… Während bei verbotenen Aktionen unsere individuelle Entscheidung massgeblich ist, ob wir mitmachen und somit auch mitverantwortlich sein wollen, so geht es in dieser Passage des Römerbriefes nicht so sehr um einen individuellen Entscheid als vielmehr um das grundsätzliche «Mensch sein». Gewisse Dinge des «Mensch sein» sind uns allen mitgegeben, ob wir wollen oder nicht. Niemand von uns hat selbst gewählt, in welcher Zeit und auf welchem Kontinent wir geboren werden wollen. Nationalität, Bürgerort, die vorhandenen oder fehlenden finanziellen Ressourcen, Bildungschancen oder auch die Familienkonstellation sind uns mitgegeben – sozusagen als «Erbe».

… mit allen negativen Folgen

Die ersten Kapitel der Bibel (Vgl. Genesis 1-3) beschreiben ein für die gesamte Menschheit gigantisches Ausmass von folgeschwerem «mitgegangen-mitgehangen». Da lebten die ersten Menschen ihre ursprüngliche Berufung, das, wozu sie geschaffen worden sind: Sie liebten Gott und einander und kümmerten sich um die Schöpfung. Dazu waren sie fähig, weil sie frei waren und aufs engste mit ihrem Schöpfer verbunden. Doch dass diese Bindung an Gott die grösstmögliche menschliche Freiheit garantiert, diesem Konzept misstrauten sie und durchtrennten bald schon diese Verbindung.

Leider wurde ihnen erst im Nachhinein bewusst, dass mit dieser Trennung das heilsame Zusammenspiel von «Bindung und Freiheit» komplett auseinanderbrach. Die erhoffte grössere Freiheit trat nicht ein, dafür eine unheilvolle Verstrickung in alles, was Beziehungen verunmöglicht: die Beziehung zu Gott, zum Nächsten, zu sich selbst und zur Schöpfung. Bis hin zur Endkonsequenz dieses absoluten Beziehungsabbruchs: dem Tod – dem Ende aller Beziehungen.

Niemand von uns ist direkt schuldig an dieser Misere und trotzdem gilt für uns alle, als nachfolgende Menschengenerationen: «Mitgegangen – mitgehangen». Es ist unser «Erbe» als Menschen, dass uns diese ursprünglich völlige Freiheit hin zum Guten oder Bösen abhandengekommen ist. Wir sind «eingepflanzt» in den Grund und Boden von Sünde, Vergänglichkeit und Tod, von Geburt an. Dies ist der Grund, weshalb Zerstörerisches aus unseren Gedanken, Worten oder Taten hervorwächst.

Gibt es daraus ein Entrinnen?

Der Ausweg: MIT Christus sterben

Der Apostel Paulus gibt uns im Predigttext die Antwort: Es gibt einen Ausweg! «Verpflanzt» werden und uns neu verorten. Paulus nutzt die Taufe als Bild um diese zu erklären, denn sie zeigt eindrücklich, dass nicht nur der Weg in die Misere, sondern auch der Ausweg daraus, nach dem Prinzip «mitgegangen-mitgehangen» funktioniert. Doch entscheidend ist, mit wem wir mitgehen und somit aufs engste verbunden werden.

Wir Pfarrpersonen werden kaum müde, zu betonen, dass die Taufe das sichtbare Zeichen für Gottes bedingungsloses «ja» zu uns ist und damit der Beginn eines neuen Lebens mit Gott markiert wird. Und das stimmt. Doch es ist nur die halbe Wahrheit. Paulus beginnt seine Ausführung anders:

Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? (V3) Wir sind also mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod. (V4a) Wenn sein Tod gewissermassen zu unserem Tod geworden ist (V5a) ist der Mensch, der wir waren, als wir noch ohne Christus lebten, mit ihm gekreuzigt worden. Unser von der Sünde beherrschtes Wesen ist damit gestorben. So müssen wir nicht mehr länger Sklaven der Sünde sein. (V.6) Denn wer gestorben ist, ist von allen Ansprüchen der Sünde befreit. (V7)

Unser Ausweg aus der Misere beginnt mit Tod und Sterben.
Die Taufe lebt vom Prinzip «mitgegangen – mitgehangen» mit Jesus Christus. Mit dem, den Gott in die Welt sandte, um uns einen Ausweg zurück in den ursprünglichen Zustand der Freiheit zu eröffnen. So wie das, was die ersten Menschen getan haben Auswirkungen auf alles Folgende hatte, so hat nun auch das, was Jesus Christus tat, Auswirkungen für alle die, die sich aufs engste mit ihm verbünden. Dieses «sich verbünden mit ihm» beinhaltet die Bereitschaft, mit ihm zu sterben. Dabei denke ich weder an Todeswünsche noch Suizidgedanken oder falsch verstandenes Martyrium. Es geht auch nicht um unseren physischen Tod, den wir auf dem Friedhof betrauern, sondern um das Absterben und Begraben unseres sündigen, todverfallenen «Mensch seins», welches sich in unserer Trennung von Gott, also unserer Gottlosigkeit, zeigt. «Mit Christus zu sterben» heisst: Ich bin bereit, meine Selbstzentriertheit und Selbstüberschätzung aufzugeben und zuzugeben: Ich brauch dich Gott – ohne dich kann ich nicht leben.

Mit-sterben als Befreiung

In diesem Sinne «mit Christus zu sterben» bringt einen heilsamen Macht- und Statuswechsel mit sich:  Unsere bisherige «Sklavenbesitzerin» – so nennt die Bibel die zerstörerische Macht der Sünde (Vgl. Römer 6,16+7; Johannes 8,34 u.a.) – verliert ihren Anspruch an uns. Der Tod ist nicht das Ende der Existenz, sondern aller Beziehungen. Wenn jemand stirbt, sind fortan Verträge nicht mehr bindend und auf das Zurückzahlen der Schulden kann kein Anspruch mehr erhoben werden – jedenfalls nicht gegenüber dem Verstorbenen.

Wenn wir mit Christus sterben, heisst das also: wir sind tot für die Sünde. Wir stehen in keiner Beziehung mehr zu ihr. Sie ist nicht länger unsere «Besitzerin». Bei uns gibt es fortan nichts mehr zu holen!

N.T. Wright erzählt dazu ein Beispiel[1] von einem Hausmieter. Dessen Vermieter war ein Tyrann. Er betrat das Haus unangemeldet, erhöhte die Mietkosten und drohte mit juristischen Massnahmen, sollte der Mieter seinen Forderungen nicht nachkommen. Aus Angst gab der Mieter jeweils nach und ging auf die Forderungen ein. So lange, bis er ein neues Haus fand. Zu seinem Glück übernahm ein anderer die noch ausstehenden Mietkosten und der Mieter konnte umziehen. Am neuen Ort fand er endlich Frieden.

Wir haben bereits gesehen, dass Freiheit ohne Bindung unmöglich ist. Also heisst Christ werden und sich taufen lassen: ich verbünde mich aufs engste mit Jesus Christus. Ich gebe ihm Raum in mir und ich finde meinen Platz, sozusagen meine neue Wohnung, in ihm. Jesus Christus ist meine neue Identität – mich ohne ihn und ihn ohne mich gibt’s in Zukunft nicht mehr zu haben.

Mit-auferweckt werden zu ewigem Leben

Doch die Taufe ist nicht nur ein Bild dafür, dass wir mit Christus gekreuzigt, gestorben und begraben werden, sondern auch mit ihm zu einem neuen Leben auferstehen.

Mit unseren 3 Tröpfchen Wasser geht diese Symbolkraft weitgehend verloren. Doch früher oder in anderen Kirchen und Kulturen, wo man die Täuflinge noch ganz ins Wasser taucht, wird dies deutlicher sichtbar. Da wird man wortwörtlich «aus der Taufe gehoben» was umgangssprachlich bedeutet: neu geschaffen und ins Leben gerufen werden – ganz ähnlich, wie wir es im Eingangsvers gehört haben:

Ich habe dich befreit! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir. (Jesaja 43,1)

Mitten in diesem vergänglichen Leben, zwischen Geburt und Tod, beginnt mit dem eingepflanzt werden in Christus das ewige Leben. Ewig bedeutet nicht einfach zeitlos, sondern ein Leben in neuer Qualität. Ein Leben, über das Sünde und Tod keine Macht mehr haben, weil unser «mit Christus gestorben sein» bereits hinter uns liegt und wir jetzt «mit ihm leben».

Als Menschen, die «mit Christus leben», müssten wir eigentlich auch schon mit ihm bei Gott, unserem Vater im Himmel, sein. Doch das dem nicht so ist, merken wir tagtäglich. In diesem neuen Leben liegt eine unauflösbare Spannung: «In Christus» sind wir schon dort, wo wir hingehören, während wir immer noch voll und ganz hier auf Erden sind. Ich habe dies einmal versucht zu malen…

Der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus ist nicht mehr sichtbar unter uns. Er ist zurückgekehrt in die unsichtbare Welt zu seinem himmlischen Vater. Das zeigt dieser gelbe Bereich oberhalb des Kreuzesquerbalken, wo sich der Kopf der Figur befindet. Und doch ist er gleichzeitig auf geheimnisvolle Weise auf dieser Welt geblieben, nämlich durch uns! Wir, die wir «in ihm sind», d.h. mit ihm gestorben und auferweckt worden sind, verkörpern Jesus Christus auf dieser Welt. (Vgl. Epheser 4,15; Kolosser 2,19)

Die Taufe und der Glaube an Jesus Christus sind somit nie etwas rein Individuelles, denn nur zusammen mit allen andern, die er ebenfalls gerufen, befreit und sich «einverleibt» hat, machen wir ihn sichtbar auf dieser Erde. Wir brauchen einander auf dem Weg, näher zu Christus, dem Kopf dieses Leibes. Wir brauchen Eltern, die uns den Weg weisen, Paten, die uns begleiten, eine christliche Gemeinde, wo wir miteinander den Glauben an Gott feiern, teilen und einander ermutigen können. Und wir brauchen auch die Lebensgeschichten von Glaubensvorbildern, die vor uns ein Leben «mit Christus» begonnen haben und nun bereits am Ziel angekommen sind.

Tot und lebendig im hier und jetzt

Dieses Wissen darum, wo wir in Wirklichkeit hingehören, zu wem wir gehören, das ist nicht einfach eine Jenseitsvertröstung für die Zukunft. Sich seiner Taufe zu vergewissern ist ein starkes Mittel, um im Hier und Jetzt zu überleben.

So fordert Paulus uns auf: Betrachtet euch als solche, die für die Sünde tot, für Gott aber lebendig sind, in Christus Jesus. (V 11) Oder andere Übersetzungen sagen es noch deutlicher: Haltet daran fest!

Ich nehme nochmals die Geschichte vom Mieter auf, der endlich in ein neues Haus umziehen konnte. Es kann passieren, dass auch am neuen Ort eines Tages der alte Vermieter wieder vor der Tür steht, klingelt, vielleicht sogar poltert und seine Forderungen nach höherer Miete lautstark rumschreit. Im Kopf des Mieters mag sofort das alte Muster losgehen: Besser seinen Forderungen nachkommen und bezahlen, dann beruhigt er sich! Doch der Mieter muss diesem Gedanken nicht Folge leisten. Er kann auch die letzte Quittung hervorholen und sich zu vergewissern: das Geld, auf das der alte Vermieter Anrecht hatte, ist bezahlt! Ich schulde ihm nichts mehr! Er hat keine Macht mehr über mich! Da ist der neue Mietvertrag, der verbindlich ist. Von jetzt an bin ich nur noch meinem neuen Vermieter verpflichtet!

Oder mit den Worten des Römerbriefes:
Erinnere dich daran, wer du wirklich bist! Tot für die Ansprüche deines alten Lebens und der Sünde, aber lebendig mit Christus, um für Gott zu leben.

Wenn wir «mit Christus» leben, haben wir eine ganz neue Freiheit. Wir müssen nicht länger dem Anspruch der Sünde nachgeben. Wir müssen im Bild vom Mieter gesprochen weder die Türe aufmachen noch den alten Vermieter zufrieden stellen. Wir sind befreit zu entscheiden, auf wen wir hören und wem wir uns verpflichten wollen.

Zur Erinnerung, was meine wahre Identität ist, wo ich hingehöre und zu wem, dazu habe ich etwas bei den Katholiken abgeschaut. Ich habe neben meine Tür so ein kleines Wassergeschirr gehängt zur Tauferinnerung mitten im Alltag.
Dabei geht es nicht um eine magische Wirkung der Taufe. Nicht das Wasser oder die Worte machen den Unterschied, sondern das, was in der Taufe geschieht und auf das wir uns im Glauben einlassen:

Ich bin mit Christus gestorben und mit ihm zu einem neuen Leben auferweckt.
Nun lebe in Wirklichkeit nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Das Leben, das ich noch im Hier und Jetzt lebe, lebe ich im Vertrauen auf den Sohn Gottes, der mir seine Liebe erwiesen und sein Leben für mich gegeben hat. (Gal 2,20)

Amen


Liturgische Hinweise

Eingangsvers:

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst/befreit; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43,1)

Liedvorschläge:

Ich bin getauft auf deinen Namen (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 177)
Wenn wir mit Christus gestorben sind (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 176)
Ich will dir danken, weil du meinen Namen kennst (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 183)
Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Licht, mein Leben (reformiertes Gesangbuch der Schweiz 239)

Tauferinnerung:

Während dem Musikstück nach der Predigt dürfen die Gottesdienstbesuchenden, die das wollen beim Taufstein vorbeikommen, sich selbst entweder mit dem Wasser ein Kreuz auf die Handinnenfläche zeichnen oder sich bekreuzen und dazu laut oder leise sprechen: «Ich bin mit Christus gestorben» (dieser Satz steht auf dem Taufstein geschrieben). Neben dem Taufstein steht ein grosser Spiegel mit einer kleinen Christusfigur darauf. Auf dem Spiegel steht, was laut oder leise gesprochen werden kann, während man einen Blick in den Spiegel wirft: «Ich bin mit Christus auferweckt. Er lebt in mir!»

 


[1] Vgl. N.T. Wright: Paulus für heute, der Römerbrief Band 1; Giessen 2014; S. 138


VDM Barbara Pfister
Bubikon
E-Mail: barbara_pfister@gmx.ch

Barbara Pfister, geb. 1977, Pfarrerin in der ev. ref. Kirche Wetzikon (Zürich).

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