Matthäus 19,16-26

Matthäus 19,16-26

6. So. n. Trinitatis | 24.07.2022 | Mt 19,16-26 (dän. PO*) | Mikkel Wold |

16 Und siehe, einer trat zu ihm und sprach: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe? 17 Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gut ist nur der Eine. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote. 18 Da sprach er zu ihm: Welche? Jesus aber sprach: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; 19 ehre Vater und Mutter« (2. Mose 20,12-16); und: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). 20 Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch? 21 Jesus sprach zu ihm: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! 22 Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt davon; denn er hatte viele Güter. 23 Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen. 24 Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. 25 Da das die Jünger hörten, entsetzten sie sich sehr und sprachen: Ja, wer kann dann selig werden? 26 Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.

(Lutherbibel 2017, Mt 19,16-26)

Der reiche Jüngling ist wohl ganz verschieden gesehen worden – je nach dem Kontext, in dem seine Geschichte gelesen wird. Reich sein und vollkommen sein, das ist etwas, was in einigen Kulturen suspekt ist, in anderen nicht. Hier in unserem Teil der Welt existiert oft eine gewissen Schadenfreude darüber, dass die Wohlhabenden zwar ein beneidenswertes Leben dank ihres großen Reichtums leben, aber letztlich dann doch nicht so stark sind. Deshalb ist das mittelmäßige Gemüt nicht so traurig darüber, dass der reiche Jüngling betrübt davonging. Ein Pastor erzählte einmal, wie ein Mitglied des Kirchenvorstandes nach dem Hören dieser Geschichte ausrief: „Da wurde er entlarvt“. In dem Sinne, dass es der reiche Jüngling doch nicht so ernst meinte mit seiner Frage, wenn er sich einfach aus dem Staub macht, wenn etwas verlangt wird. Dabei wird nicht daran gedacht, dass dieselbe Erzählung auch das Mitglied des Kirchenvorstandes selbst treffen könnte.

Etwa in die gleiche Richtung geht die Einstellung, für die der Wunsch nach Vollkommenheit grundsätzlich unter Verdacht steht. Wenn Mittelmäßigkeit das Ziel ist, dann ist der Wunsch nach Vollkommenheit ja schon fast asozial.

Das ist spaßeshalber etwas auf die Spitze getrieben, aber dennoch betrifft es im Grunde die Wirklichkeit, in der wir uns bewegen. Vor allem wenn es um diesen Text geht, ist es nicht unüblich, dass er als eine Kritik an der Werkgerechtigkeit ausgelegt wird. Da kann man ja sehen, es nützt nichts, sich darum zu bemühen, die Dinge so gut wie möglich zu machen oder vollkommen sein zu wollen im Suchen nach dem Reich Gottes, denn der Mensch ist und bleibt ein Sünder. Hört deshalb auf mit dem Streben nach Höherem – es dient uns am besten, wenn wir geerdet sind, lebt also von der Gnade und überlasst es den Werkgerechten, nach dem zu fragen, was man tun soll. Wir wissen es besser, denn da ist nichts zu tun, alles wird ja durch die Gnade Gottes bewirkt.

Auf diese Weise versucht man, die Gnade mit einer ganz gewöhnlichen Trägheit zu verbinden, und dabei macht man alles Streben nach tieferem Sinn verdächtig. Und obendrein wird ein solch naiver Zugang zuweilen als gute lutherische Theologie ausgegeben. So missversteht man die Rede von der Gnade, wenn man sie nicht als Rettung sieht, sondern mehr als etwas Gleichgültiges. In seinen Tagebüchern schreibt Kierkegaard gerade dazu: „Wie entsetzlich sind wir doch demoralisiert“, sagt er, „durch die Art und Weise, in der wir die Gnade verstehen. Denn so predigen wir eigentlich, dass Streben nach Vollkommenheit anmaßend ist … nein bleibe im Schmutz der Verweichlichung – und dann der Gnade“. Aber so soll es ja nicht sein, dass die Gnade ein Vorwand wird, im Schmutz und der Verweichlichung zu bleiben, wie er das nennt. Und er fährt so fort: „Nein, das Verhältnis soll so sein: Dein Streben soll so angestrengt wie möglich sein, und dann ist es dennoch Gnade, wenn du erlöst wirst“.

Eben darum geht es! Mit anderen Worten: Fort mit dieser Zufriedenheit mit der Mittelmäßigkeit, die aus irgendeinem Grund gerade bei uns Zuhause ist und uns geprägt hat. Ist vielleicht das Klima daran schuld? Wenn es so oft Schmuddelwetter ist und fast nie extremes Wetter, hat das vielleicht unser Gemüt geprägt, so dass wir das Grau und das Durchschnittliche lieben. Gibt es in Dänemark zu wenig Berge? Natürlich hat unser fehlender Sinn für die Extreme auch seine guten Seiten, das führt z.B. zu einer Tendenz zu relativ friedlichem Umgang  mit Differenzen, aber wenn es auf unsere Auffassung  vom Glauben und der Theologie in der hier beschriebenen Weise abfärbt, ist es angebracht, auf das zu verweisen, was Kierkegaard sagt: „Dein Streben soll so angestrengt sein wie möglich“. Warum sollen wir nicht unser Bestes geben?

Im heutigen Evangelium hören wir von dem Jüngling, der zu Jesus kommt mit dem Wunsch nach ewigem Leben. Das kann so viel bedeuten. War es so, dass er das ewige Leben für einen besonderen Gewinn hielt, den man sich erwerben konnte, indem man gewisse Gebote einhielt? Vielleicht – das Evangelium sagt nichts darüber. Aber Jesus spricht jedenfalls vom ewigen Leben als einem Eingang zum Leben. „Willst du aber zum Leben eingehen“, sagt er. Nicht nur das Leben, das sich nach dem Tode entfaltet, sondern auch etwas, was hier und jetzt beginnt. Ein Leben in Fülle satt Leere, würden wir vielleicht sagen. Ein Leben in der Gegenwart Gottes. Ein Leben, in dem ich gläubig bin.

Es ist jedenfalls wichtig, dass Jesus nicht das Suchen des Jünglings als Ausdruck für Hochmut oder religiöse Selbstüberhebung ablehnt. In der Wiedergabe der Episode im Markusevangelium steht sogar, dass Jesus ihn ansah und ihn liebgewann. Aber die Liebe zu ihm hinderte ihn nicht daran zu sagen, worum es geht: Willst du vollkommen sein, verkaufe, was du hast und gib es den Armen und komm dann und folge mir. Es wäre spannend, was geschehen wäre, wenn der Jüngling dem Rat Jesu gefolgt wäre. So etwas haben Reiche im Laufe der Geschichte ja getan. Das geschah hier aber nicht, denn die Forderung Jesu war zu hoch für den Reichen, der betrübt davonging.

Die Jünger, die bei Jesus standen und Zeugen dieser Episode wurden, waren erschrocken, als Jesus ihnen sagt, dass es leichter sei für ein Kamel, durch ein Nadelöhr zu gehen als für einen Reichen, in das Reich Gottes zu kommen. ‚Nadelöhr‘ nannte man die kleinere Pforte neben dem Stadttor, die so niedrig war, dass sich ein Kamel in der Regel weigerte, durch diese Pforte zu gehen, und es war wohl dieses Bild, an das Jesus dachte. Fast unmöglich, aber nicht undenkbar.

Die Jünger verstanden aber sehr wohl den Ernst, um den es in dieser Situation ging. Das hier war ja nicht nur die Frage nach irgendeiner zufälligen reichen Person, die nicht auf ihren Reichtum verzichten wollte, um sich ihnen anzuschließen. Sie sahen, das zeigen ihre Fragen, dass der reiche Jüngling mit einer Forderung konfrontiert wurde, die ihn unglücklich machte. Sie hatten ja so gesehen das Ihre in trockenen Tüchern, denn sie hatten ja alles verlassen. Dennoch sind sie erschrocken über die Situation. Aber Jesus begegnet ihrer verständlichen Frage mit der Antwort, dass für Gott alles möglich ist. In dieser Situation bedeutet das: Gott ist der, der erlöst, und er tut das mit der Barmherzigkeit und Gnade, die für uns eintreten, wenn wir uns als unvollkommen erweisen.

So ist das Evangelium dieses Sonntags erstens eine Auseinandersetzung mit dem Missverständnis, dass die Gnade etwas ist, über das ich in der Weise verfügen kann, dass ich fünf und sieben gerade sein lassen kann, denn wenn Gott vergibt und auch sonst grenzenlos liebt, dann kann ich ja so gesehen mir einen guten Gag machen und auf all das Streben nach Vollkommenheit verzichten. Und dies ist zweitens eine Absage an den Glauben daran, dass Halbheitern authentischer und echter sind als der Versuch, sein Bestes zu geben, und dies ist eine Absage an die Tendenz, alle Versuche zu verdächtigen, vollkommen sein zu wollen. Jesus wollte ja den Mann nicht zum Narren halten, als er ihm sagte, dass da noch etwas war, war er tun konnte. Der Mann ging betrübt davon, aber da steht nichts darüber, dass Jesus ihn zurückrief, um ihm zu sagen, dass das alles nun auch wieder nicht so schlimm gemeint sei und dass er im Übrigen seine kurze etwas fanatische Bemerkung bedauere, dass er alles verkaufen solle, was er habe, und es den Armen geben solle. Für Gott ist alles möglich, sagt Jesus. Das ist die Rettung des reichen Jünglings und unsere Rettung. Das bedeutet: Wenn ich entdecke, dass es mir im Glauben so geht wie dem reichen Jüngling und ich den Forderungen nicht gerecht werde, die an mich für die unbedingte Liebe zu Gott und meinem Nächsten gestellt sind, dann soll ich wissen, dass ich damit nicht verloren bin. Aber ich soll dieses Wissen und diese Gewissheit nicht zu einem Schlafkissen machen für mein Streben, die Liebe so zu realisieren, wie Jesus es befiehlt. Die Gnade ist somit nicht eine Zusage, dass alles eigentlich egal ist. Die Gnade ist meine Existenzgrundlage, mein Zugang dazu, so gut zu leben, wie ich es vermag, ohne an meiner eigenen Unvollkommenheit zugrunde zu gehen. In dieser Weise wirkt das Reich Gottes in uns. Indem wir unser Bestes geben, um die Worte Jesu anzunehmen und nach ihnen zu leben, die Liebe so gut leben wie wir können und auf die Gnade Gottes vertrauen, so dass wir nicht angesichts unserer eigenen Unvollkommenheit zugrunde gehen. Amen.


Pastor Mikkel Wold

1263 København K

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