Matthäus 28,16-20

Matthäus 28,16-20

Trinitatis | 12.06.2022 | Mt 28,16-20 | Jens Torkild Bak |

Nachdem wir uns durch Weihnachten, Ostern und Pfingsten begeben habe und nachdem uns im Lichte dieser drei Festtage deutlich geworden ist, wer Gott ist, als Vater, Sohn und Heiliger Geist, sind wir nun am Sonntag Trinitatis bereit, die gute Botschaft in ihrer Gesamtheit zu erfassen.

Nur sollte man vielleicht nicht darum bitten, derjenige zu sein, der dazu berufen ist, die Dänen zu missionieren. Wie es Ansgar ging, als er zu diesem Zweck im 9. Jahrhundert nach Dänemark geschickt wurde, sieht man deutlich an der zerschlagenen und zerrissenen Gestalt, die ihm der Bildhauer Hein Heinsen hier südlich des Doms in Ribe in seiner Statue gegeben hat.

Natürlich haben die Dänen inzwischen auf etlichen Kursen sich mehr zweckmäßige Dialog-Mittel angeeignet, aber das Problem der Dänen ist grundlegend dasselbe wie früher. Wir wollen nicht, dass uns eine „Wahrheit“ aufgedrängt wird!

Recht besehen gilt das für „alle Völker“, sollte man meinen, vorausgesetzt, dass sie das selbst entscheiden können oder könnten. Nichtsdestoweniger hörte ich neulich einen Kollegen, der die Dänen als ein Volk besonderer Art beschrieb. Angeblich soll der Autor eines amerikanischen Reiseführers nämlich u.a. Dänemark so beschrieben haben: Es sei das einzige Land, in dem er kein Diktator sein wolle. Denn hier wird alles lächerlich gemacht! Das ist möglicherweise eine Wanderlegende, aber gut ist sie, und noch besser wäre sie natürlich, wenn das auch bedeutete, dass wir Dänen überhaupt immun sind gegen politische Verirrungen.

Wenn wir allein auf den  Inhalt sehen – und nicht auf alle möglichen Missbräuche in der Geschichte der Kirche und der Gemeinden bis hin in unsere Zeit, dann kann die christliche Botschaft ihrem Wesen nach, in Wort und Sakrament, auch nie etwas werden, was den Menschen aufgezwungen wird, oder eine Wahrheit, die ihnen aufgedrungen wird.

Die christliche Botschaft ist ihrem Wesen nach ein Ruf zur Freiheit, eine Freiheitsbewegung. Und der Befehl, das zu halten, „was ich euch befohlen habe“, um nun die Worte Jesu aus dem heutigen Text zu zitieren, ist immer ein Befehl, an der Freiheit festzuhalten und sie sich nicht nehmen zu lassen.

Das zentrale Wort „Erlösung“ bezeichnet das Ziel des religiösen Lebens in vielen anderen Religionen als der christlichen. Aber in christlichem Zusammenhang macht es nun einmal wirklich einen guten Sinn, wenn man bedenkt, dass das dänische Wort für Erlösung, „frelse“, eigentlich „freier Hals“ bedeutet, d.h. Befreiung des Sklaven von der Halskette. Da befinden wir uns natürlich unmittelbar nicht – unter Sklaven. Aber deshalb kann man sehr wohl eine Kette um den Hals haben. Es ist doch wohl so, dass jede Zeit ihre Ketten hat, seien sie materiell oder geistig, und das jeder Mensch nur allzu gut seine eigenen Ketten kennt.

Als Gott in Jesus von Nazareth Fleisch und Blut wurde, zerbrach das Bild von dem Gott des Gesetzes, der das Individuum rundum überwacht und kontrolliert. Der Gott des Gesetzes, der eine Trennung vollzieht zwischen einerseits denen, die ihm gehören, die das Reich erben sollen, und andererseits denen, die außen vor und verloren sind. Hinter diesem zerbrochenen Gottesbild zeigt sich statt dessen ein anderer Gott, ein Gott, der den Menschen nur mit Liebe und Gnade begegnet, ein Gott in Bezug auf den man bemerken muss, was einem selbst an den Gnaden gaben der Liebe fehlt, zugleich aber ein Gott, vor dem man frei sein kann und man selbst sein kann.

Der Tauf- und Missionsbefehl, der im Gott Jesu begründet ist, kann nie ein Joch werden, das dem Individuum auferlegt wird, eine neue Kette, die ihm um den Hals gelegt wird. Der Tauf- und Missionsbefehl ist vielmehr eine Botschaft von etwas, das einen befreit. Von der Furcht. Der Furcht vor dem Tod, der Übertretung, dem Bösen, der Niederlage, dem Gesichtsverlust, der Einsamkeit – und all dem, was uns sonst noch um den Schlaf bringen kann.

Wenn Jesus in seiner Rede gegen die Sorgen in der Bergpredigt die Frage stellt: Ist das Leben nicht mehr als Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? – dann geht es im Evangelium dort darum, uns daran zu erinnern, dass ein Mensch aus Gottes Gnade mehr ist als die eine oder andere weltliche Sorge, die sich ihm um den Hals legt. Das Evangelium, in dessen Dienst der Tauf- und Missionsbefehl steht, gibt unserem Leben ein neues Niveau, eine neue Sicht, einen neuen Horizont, wenn wir vom Dasein bedrückt und gequält werden. Und wenn wir z.B. aus sicher guten Gründen besorgt sind über all die Datum, die über uns gesammelt werden, so ist es vernünftig daran zu denken, dass der Mensch mehr ist als alle seine Daten. Darum geht es im Tauf- und Missionsbefehl.

Aber dennoch mögen wir Dänen es nicht, dass jemand uns missionieren will.  Das steht fest. Wir wollen selbst bestimmen. Natürlich spielt auch die Scham eine Rolle, wenn es um Mission geht. Das schrieb der Rektor der Universität Odense und seinerzeit Präsident des Komitees zum Reformationsjubiläum 2017, selbst Naturwissenschaftler mit einem Doktor in Chemie, einmal in einem Beitrag in einer dänischen Zeitung:

Wir sind in Dänemark voller Scham, wenn es um Glauben geht. Tabus sind keine konstanten Größen, aber es ist wohl allgemein bekannt, wenn man einen Dänen dazu bringen will, verlegen auf den Boden zu blicken, muss man nur nach seinem persönlichen Glauben fragen. Die meisten finden das unangebracht. Das mögen wir nicht, auch wenn 85,9 % der Bevölkerung dänischer Herkunft freiwillig bezahlende Mitglieder der Volkskirche sind. Das Verhältnis zu Gott ist ganz und gar Privatsache … und es geschieht selten, dass man Lust hat, seinen eigenen Glauben in aller Öffentlichkeit zu zeigen.

Das schrieb Jens Oddershede, und er fügt dann spitz hinzu: Es ist vielleicht auch besser, das zu lassen [von seinem Glauben zu reden], wenn man dann auf unsicheren Boden gerät, wie z.B., als jemand im dänischen Radio während des Reformationsjubiläum Martin Luther mit Martin Luther King verwechselte.

Persönlich würde ich das nun jederzeit verteidigen – nicht die Unwissenheit, die einem nicht gut ansteht und neben vielem anderen auch daran liegt, dass die Art und Weise, wie man in der Volkskirche die Botschaft vermittelt, durch aus verbesserungswürdig ist – aber die Scham würde ich verteidigen wollen. In einer allzu sehr auf Identität fixierten Zeit meinen wir, dass wir einander für alles Mögliche Rechenschaft ablegen sollen. Es sollte mehr geben, was jeden von uns angeht, ohne dass wir uns veranlasst fühlen, uns dafür vor anderen als Gott zu verantworten.

Sich zu sich selbst bekennen bedeutet nun einmal, dass man dem Drang widersteht, sich selbst zu erklären. Stattdessen sollte man einigermaßen freimütig der sein, der man ist, das tun, was man tut, die Entscheidungen treffen, die man trifft, und es dabei bewenden lassen, ohne Tatsachen zu schmücken. Sich zu sich selbst bekennen, das ist sicher nicht etwas, was von selbst kommt, sondern etwas, in dem man sich üben muss – als eine Übung zugleich in persönlicher Freiheit und im Vertrauen zu Gott. Und als ein Ausdruck für das, was aus der Sicht des Empfängers im Tauf- und Missionsbefehl liegt, und wo es darum geht, die Halskette abzulegen und frei atmen zu können.

Wie aber ist das zu vermitteln? Wie kann man eben das weitergeben? Der dänische Kronprinz, dessen Gottesverhältnis wohl dem der Mehrheit der Bevölkerung entspricht, hat in einem Interview gesagt, dass er mit seinen Kindern das Vaterunser betet und damit einer Tradition folgt, die er aus seiner eigenen Kindheit kennt. Ist das geistlich zu weit gegangen? Ist die Taufe, also die Kindertaufe, ein Übergriff? So wird es oft dargestellt, wenn man gegen die Kindertaufe damit argumentiert, dass man auf das unverletzliche Selbstbestimmungsrecht des Individuums verweist. Nein! Man kann zwar dies und jenes unterschiedlich sehen, und man kann einen anderen Weg wählen. Aber es handelt sich hier nicht um einen Übergriff. Es geht vielmehr darum, dem Kind Worte, Erzählungen und Rituale mitzugeben, die den Horizont und die geistige Welt erweitern. Wenn das Kind später als Erwachsener seinen Horizont wieder einengen will, ist das durchaus möglich. Es ist nie zu spät.

Wir sollten uns unserer Tradition, die wir übernommen haben, nicht so schämen. Weder hier bei uns noch draußen in der weiten Welt – ungeachtet der Vorstellung, der ideale unverdorbene Mensch sei ein unbeschriebenes Blatt. Das Dasein eines Menschen beginnt nie damit, dass er in sich selbst ruht, vielmehr beginnt es damit, dass er einige Worte empfängt, Erzählungen, Erlebnisse und Traditionen und dadurch die Möglichkeit erhält, zu sich selbst zu finden – das danken wir dem Tauf- und Missionsbefehl. Einen frohen Sonntag! Amen.

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Dompropst Jens Torkild Bak

DK-6760 Ribe

Email: jtb(at)km.dk

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