Matthäus 4,1-11

Matthäus 4,1-11

Der Teufel fährt Manta | Invokavit | 18.02.2024 | Mt 4,1-11 | Wolfgang Vögele |

Segensgruß

Der Predigttext für den Sonntag Invokavit steht Mt 4,1-11:

„Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Ps 91,11-12): »Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.“

Liebe Schwestern und Brüder,

der alte Mann trägt schwarze Sneaker und einen schwarzen Rollkragenpullover unter dem langen Mantel. Dazu Dreitagebart und Vokuhila. Die bleiche Gesichtsfarbe läßt sich nicht wegschminken. Die Mundwinkel sind nach unten gezogen, in seinen Augen spiegelt sich Verbitterung. Erschöpft sitzt er in einem schwarzen Opel Manta, dessen Türen wie in einem Comic mit einem Feuerschweif verziert sind. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage fließt Hoffnungslosigkeit über den Teufel wie eine kalte Dusche. Er hat das Duell mit Jesus von Nazareth verloren.

Er hat schon Hiob nicht davon überzeugen können, sich von Gott abzuwenden. Aber trotz aller Mißerfolge – der böse Mann überlegt schon wieder, wie er sich rächen kann. Zu gerne bringt er die Menschen durcheinander. Dazu muß er gar nicht groß eingreifen. Es genügen winzige Weichenstellungen an den richtigen Weichenstellen. Es reicht, die Unsicherheit der Menschen auszunutzen, Mißtrauen und Ängste zu säen, Neid zu schüren. In der Gegenwart glauben die Menschen nicht mehr an den Teufel. Sie ahnen, daß sie ihre Fehler und Hinterhalte nicht auf eine metaphysische Figur schieben können, sondern daß sie selbst dafür verantwortlich sind.

Der Teufel grinst in sich hinein: Bisher, im 21. Jahrhundert hatte er noch nicht viel zu tun. Es genügte, ein paar Statistiken zu fälschen und den Klimawandel zur Erfindung hysterischer Wissenschaftler zu erklären. Bei einigen Waffenlieferungen hat er dafür gesorgt, daß die Zollbeamten nicht allzu genau in die Container schauten. Den Rest haben Streit und Unvernunft unter den Menschen besorgt. Er muß lachen, als er an die Vorwürfe denkt, er sei für Diktatoren, Populisten und Kriegstreiber verantwortlich, besonders für den Russen und den erdbeerblonden Milliardär aus den USA, der vermutlich im November ein zweites Mal die Präsidentschaftswahlen gewinnen wird. Er legt seine Rechte aufs Herz: Bei ihm hat er zu keiner Zeit eingegriffen. Der denkt sich seine Show selbst aus. Nur beim Meßbecher des Friseurs, der dem Milliardär die Haare färbt, da hat er, der Teufel, minimal radiert.

Dem Teufel ergeht es wie jedem Menschen. Er freut sich über seine Triumphe, und er kann Niederlagen nicht ausstehen, weil sie ihn verbittern. Er kann Niederlagen nicht ausstehen, da ärgert er sich schwarz. Zu gerne würde er die Menschen weiter in Versuchung führen. Und es kränkt ihn, daß viele naive Menschen bei Versuchungen an eine Zigarette oder ein Stück Himbeertorte oder ein Glas Weißburgunder denken. Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt: Da haben die Werbestrategen den Teufel mit seinen eigenen Waffen geschlagen.

Im Duell mit Jesus von Nazareth hatte er nie auch nur den Hauch einer Chance. Drei Gegentore aus der Bibel hat er kassiert. Es war sein erster Fehler, daß er sich auf eine intellektuelle Disputation eingelassen hat. Sie hätten boxen sollen oder ein Wettrennen ansetzen. Da wären seine Chancen größer gewesen. Statt dessen setzte Jesus die rhetorischen Gegenschläge so präzise, daß er dreimal – dreimal! – verstummte und keine Antwort mehr wußte. Und jedesmal nahm sein Gegner das gleiche biblische Buch zu Hilfe, das fünfte Buch Mose. Gott selbst – denkt der Teufel – hat sich in dieser Geschichte schön im Hintergrund gehalten. Jesus erledigte das alles allein. Und er hat sich dummerweise auf Deutungen von Schriftstellen eingelassen. Jeder Dauergast in einer Fernsehtalkshow weiß, daß Schriftsätze so oder so aufgefaßt werden können. Textpassagen, auch biblische, bleiben stets mehrdeutig. Und wenn das Gegenüber die eine Deutung favorisiert, dann stiftet der Gesprächspartner dadurch Verwirrung, daß er beliebig viele andere Deutungen ins Spiel bringt. Aber das wollte ihm in dem Moment ums Verrecken nicht einfallen.  Ich bin ein Idiot, denkt er, bei dieser Versuchung habe ich von Anfang an alles falsch gemacht. Ich weiß, denkt er weiter, es gab viele Menschen, die haben mir Vorschläge gemacht, wie ich das Böse verfeinern und verbreitern kann. Der italienische Schriftsteller Dante Alighieri hat sehr interessante Vorschläge für die Ausgestaltung der Hölle, des Teufels Hotel für Sünder, gemacht. Je mehr man ins Zentrum herunterstieg, desto kälter wurde es. Im siebten Kreis der Hölle herrschten bei Dante Minusgrade. Die größten Sünder wurden eingefroren und mußten ihr Nachleben lang vor Kälte bibbern.

Im Mittelalter brachten es mehrere Maler zu großer Meisterschaft darin, die teuflischen Versuchungen des Einsiedlers Antonius darzustellen: Alpträume, aggressive Tiere mit Stacheln und guten Schneidezähnen, dazu boshafte Hexen, alles sehr detailreich und farbig. Goethe, der deutsche Schriftsteller, beschäftigte sich eigentlich lieber mit dem Schönen und ignorierte das Böse. Aber in seinem wichtigsten Drama gab er den teuflisch hilfreichen Hinweis, die Menschen über ihren Glauben einzufangen: Sag, wie hältst du’s mit der Religion? Mephisto triumphierte über Faust als Religionskritiker und Seelenfänger. Das hat mir gut gefallen, denkt der Teufel. Aber am Ende haben Faust doch die Frauen gerettet. Der Teufel verzieht das Gesicht und seufzt verbittert. Er steigt aus seinem Manta und tritt dreimal heftig gegen den Kotflügel: Nichts als N–I–E–D–E–R–L–A–G–E–N.

Liebe Schwestern und Brüder, selbstverständlich ist der Teufel kein Mantafahrer, der Fußgängern die Vorfahrt nimmt, kein Kühlschrankmonteur, der bestrafte Sünder im Gefrierfach gefangen hält, und er ähnelt auch nicht Gustav Gründgens, der den Mephisto mit weiß geschminktem Gesicht so lebensecht auf der Bühne gespielt hat. Manchmal hilft es trotzdem, sich den Teufel personal vorzustellen, ihn – mit ein wenig Ironie – in seinem Frust vorzuführen und so zweierlei zu zeigen über Gegenwart und Glaube.

Zum einen: Diese Jahre nach der Corona-Pandemie haben die Gesellschaft in eine Vielzahl von Krisen geführt: wuchernde Bürokratie, fehlendes Vertrauen in die Demokratie, Erstarken der Rechtsextremisten und Populisten, Ausbreitung von Verschwörungstheorien, Terroranschläge wie am 7.Oktober in Israel, unnötige Eroberungskriege wie der gegen die Ukraine. Zu viel löst sich auf. Zu viel geht schief. Zu viel zielt in die falsche Richtung. In all dem kann man den Glauben an Vernunft, pragmatisches Handeln und auch an Gott verlieren. In all diesen Krisen hat sich der naive Fortschrittsoptimismus in Luft aufgelöst. Man kann all die Fortschrittshindernisse der Gegenwart dem Teufel zuschreiben. Aber das ist nur ein billiger Versuch der Menschen, sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen. Das gilt im übrigen auch, wenn man die personale Vorstellung des Teufels als Mantafahrer ablehnt und statt dessen vom abstrakten Prinzip des Bösen spricht. Alle Menschen haben das Bedürfnis, sich die Krisen der Welt zu erklären, aber es verschiebt nur die Verantwortung, wenn man statt des bösen Teufels sehr viel abstrakter das Böse für all das Furchtbare dieser Welt verantwortlich macht.

Zum anderen – und das ist für den Glauben viel wichtiger: Matthäus erzählt von einer bitteren Niederlage des Teufels. Jesus Christus ließ sich nicht verunsichern. Der Teufel, der aus Wut über seine Niederlagen gegen das eigene Auto tritt: Seine Wut erfreut die Glaubenden.  Das metaphysische Drama schließt mit einem happy end. Also, liebe glaubenden Menschen, könnt ihr euch auf den Sieg des Glaubens verlassen? So sagen es die Enthusiasten des Glaubens, aber ich will Ihnen im letzten Viertel der Predigt eine Antwort entfalten, die gleichermaßen von enthusiastischem Glauben wie von nüchternem Wirklichkeitssinn geprägt ist.

In der naturalistischen Welt von Experiment, Statistik und Naturwissenschaften haben Gott, der Teufel und der Mythos keinen Platz. Sie verweigert die Erklärungen zu all dem, was über Zähl- und Meßbares hinausgeht. In der mythischen Welt dagegen wiederholt sich der Streit zwischen Menschen auf der Ebene der Götter. Die Erklärungen, die in den Naturwissenschaften fehlen, werden hier sozusagen nachgeliefert – um nicht zu sagen – im voraus geliefert.  Die schwarzen Löcher der Naturwissenschaften werden sozusagen durch phantastische Erzählungen aufgefüllt.

In diesem Gegenüber hält sich der evangelische Glaube zwischen Naturwissenschaften und Mythos. Schon die Reformation befreite die Welt von Dämonen, metaphysischen Mächten und allem Aberglauben und bereitete so den Boden für die modernen Naturwissenschaften. Auf der anderen Seite bediente sich der Glaube in der Geschichte des Jesus von Nazareth mythischer Elemente, etwa in Matthäus‘ Geschichte von der Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Teufel.

Und Matthäus wußte sehr wohl, daß es sich bei dieser mythologischen Geschichte der Versuchung noch nicht um den endgültigen Sieg Gottes über das Böse handelt. Diesen endgültigen Sieg sah Matthäus in dem Wort zusammen gefaßt, in dem sich der Glaube aller Christen verdichtet: Auferstehung. Erst indem Gott diesen Jesus von Nazareth von den Toten auferweckte, hat Gott die Welt und das Böse überwunden. Diese Auferstehung ist kein wissenschaftliches Faktum im Sinne moderner Erkenntnis. Sie ist ein Glaubenssatz: Auferstehung hat in Jesus Christus angefangen. Das glauben wir. So bekennen wir es im Glaubensbekenntnis.

In der Gegenwart ist darum beides zu spüren, der Glaube und das Böse. Wir können dieser zutiefst zweideutigen Lebenswelt nicht entkommen. Auf der einen Seite finden wir uns wieder in äußeren und inneren Krisen, die uns erschrecken: Krankheiten, Umweltkatastrophen, Kriege, politische Entwicklungen. Auf der anderen Seite sehnen wir uns nach den Verheißungen Gottes und finden auch gelegentlich deren Spuren, wenn wir der Geschichte des Jesus von Nazareth in der Bibel folgen. Gegenwart ist bestimmt von beidem: Enttäuschung und Leiden über die Krisen der Gegenwart, auf der anderen Seite die (christlichen) Hoffnungen, die niemand aufgeben will. Auferstehung heißt, daß Gegenwart und Zukunft ineinander verschränkt sind: Die Zukunft Gottes hat schon begonnen. Auferstehung heißt nicht, daß Gott seine angebliche Allmacht ausspielt und er Fehler und Unvollkommenheiten der Menschen kuriert. Gott macht sich vielmehr gleich mit den ohnmächtigen Menschen. Er gibt ihnen Hoffnung in einer Welt, die vom Bösen beherrscht scheint.

Die mythologische Geschichte von der Versuchung Jesu zeigt den enttäuschten Teufel. Genauso zeigt sie den verletzlichen Menschen Jesus, der sich in seinem Festhalten an den Verheißungen Gottes nicht beirren läßt. Jesus fährt keinen Manta. Aber die Engel dienen ihm (Mt 4,11). Er wird in die englische und himmlische Gemeinschaft aufgenommen.

Darin geht er uns voraus.

Das macht uns Hoffnung.

Und der Friede Gottes, der Reichtum, Macht und Ansehen übersteigt, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Prof. Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com

Wolfgang Vögele, geboren 1962. Apl. Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er schreibt über Theologie, Gemeinde und Predigt in seinem Blog „Glauben und Verstehen“ (www.wolfgangvoegele.wordpress.com).

de_DEDeutsch