Matthäus 5,1-12

Matthäus 5,1-12

Reformationstag | 31. Oktober 2023 | Mt 5,1-12 | Friedrich Seven |

1   Als Jesus das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm.

2   Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:

3  Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

4   Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

5   Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

6   Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

7   Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

8   Selig sind die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

9   Selig sind die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes heißen.

10  Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich.

11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen.

12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

 

Liebe Gemeinde, es gehört schon Mut dazu, diesen Text heute zu lesen.

Der Berg, von dem herab Jesus gesprochen hat, scheint zumindest heute viel zu hoch.

Wer möchte denn von denen hören, die Frieden stiften wollen, wer davon, dass ausgerechnet sie das Erdreich besitzen werden?

Soll man davon lesen und darauf hören, wenn doch jetzt die Waffen sprechen?

Wenn die Logik des Krieges gilt, müssen Gegenschläge sein und ist Vergeltung angesagt.

Welche Gerechtigkeit kann denn noch gemeint sein, wenn gegen den Starken nur der Stärkere helfen kann, das Aushungern zur Logik gehört und die Verfolgung mit Sieg und Niederlage verschwistert ist.

Da kann der Pazifismus wie Hohn wirken. Wer möchte schon dem Volk, das sich verteidigen muss, in den Arm fallen und den Menschen auf den Bahren und an den Bahren, unter Trümmern und in Trümmern zurufen: „Selig sind die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“

Was nützt mir, der ich um der Gerechtigkeit willen verfolgt werde, dass mir das Himmelreich nahe ist; was hilft mir das, wenn die Hütte brennt.

Die Seligpreisungen, wie dieser Predigttext landläufig genannt wird, haben heute einen schweren Stand und können kaum über die Kirche hinausdringen. Diese Worte können doch nur vom Berg gesprochen werden und müssen auf der Ebene verhallen.

Beweist ihre Lesung am Reformationsabend des Jahres 2023, in dem ein Gebietskrieg inzwischen in sein zweites Jahr gegangen ist, am Gaza der Schrecken immer noch zunehmen wird und unsere Wahrnehmung den ersten Krieg überlagert, beweist die Lesung nicht, dass wir in der Kirche auf einem Rückzug sind? Glauben wir wirklich, dass wir mit dieser gehörten Botschaft noch in den Alltag zurückfinden werden? Können wir reinen Herzens sein, wenn wir angesichts von Überfall und Geiselnahme diese Botschaft beherzigen wollen?

Gleich werden wir noch das ganze überhöhen, wenn wir diese Seligpreisungen mit dem so schönen Lied Gedenk an uns, o Herr, wenn Du in dein Reich kommst (EG 307) singen, und man könnte sagen, mit diesem Gesang entfernen wir uns endgültig von der Welt, um möglichst teilnahmslos an den Platz im täglichen Leben zurückzukehren. Im täglichen Leben können wir nicht übersehen und überhören, dass die „heile“ Welt in unserer Welt keinen Platz hat.

Doch In diesem Lied aus dem Kiew des 17. Jahrhunderts sind die Seligpreisungen mit einem Vers verbunden, der sich an jede einzelne Seligpreisung anschließt.

Durch diesen Kehrvers werden die Worte Jesu aus der Bergpredigt verbunden mit dem Wort eines mit Jesus gekreuzigten Mannes:  Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst (Lk. 23, 42).

Wir singen die Worte des Mannes am Kreuz. Mit ihm, der von seinem Leben nichts mehr erwarten konnte, einem Leben im Angesicht des Todes.  Plötzlich aber in den letzten Momenten dieses Lebens begreift er, wer da neben ihm am Kreuz hängt.

Er begreift, dass sein Leben anders hätte sein können, aber sich nun nicht mehr ändern lässt. Er ist jetzt ein anderer, wenn er ruft: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.

Er ist ganz darauf angewiesen sein, dass sich Jesus in seinem Reich seiner erinnert und seine Zusage bewahrheitet: Heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.

Hier in der Kirche, im Gottesdienst, können wir mit ihm rufen und sicher sein: Der Sohn Gottes, er wird uns nicht vergessen und uns in sein Reich mitnehmen, in dem wir endlich sanftmütig und zum Frieden fertig sein können. Reinen Herzens werden wir in der Klarheit Gottes sein.

Aber trägt uns bei dieser Hoffnung nicht eigentlich die bloße Todessehnsucht, der fade Glaube, dass wir im Himmel einen reichen Verwandten haben, der uns geistlich Arme zu sich holen wird?

Doch wir rufen nicht: Nimm uns mit, sondern: Gedenke an uns.

Der Herr soll uns in seines Vaters Reich nicht ohne Umstände nachholen, sondern an uns denken.

Dieser kleine Abstand zwischen dem Wunsch Nimm uns mit und der Bitte Gedenke an uns markiert unseren Ort in dieser Welt.  Wir sind Bettler, wie es Martin Luther gesagt hat, und können eigentlich keine Forderungen an Gott erheben; denn Forderungen folgen der Logik der Ermächtigung und Macht.

Diese Logik gilt nicht vor Gott und nicht für ihn. Vor Gott gilt keine Mechanik.

Unser erster Ort in dieser friedlosen Welt ist uns vom Mann am Kreuz vorgezeichnet: Wir können vor Gott sein im Gebet. Unser Hauptort ist auch in der Welt nicht unbedingt die Kirche, aber unbedingt der Gottesdienst, und unser Haupttun ist das Beten.

Von diesem Ort und von diesem Handeln her können wir die Hände rühren und das Unsere tun für die Opfer in Israel  und im Gazastreifen. Humanitäre Hilfe können wir leisten, die macht uns nicht zu blinden Parteigängern.  Wir brauchen aber auch nicht denen mit einem zum Motto erhobenen Pazifismus in den Arm zu fallen, die sich verteidigen müssen. Die Waffen, die wir eventuell liefern, müssen wir aber nicht segnen. Segen kann nur auf Menschen liegen und Verteidigung darf nicht auf Vernichtung zielen.

Wir können mutig gegen den Antisemitismus eintreten, der sich nur zu gerne als Kritik an Israel tarnt und gegenwärtig bei uns wieder auflebt.

Vom Ort des Gebets können wir aufbrechen und einen Platz finden, der uns Gott sei Dank nicht in die Kampfhandlungen führt, aber uns doch auf vielfältige Weise damit verbindet.

Bei alledem können wir als Kirchengemeinde Gebetsgemeinschaft bleiben, so wie wir es jetzt wieder tun werden, wenn wir mit dem alten Gesang aus Kiew unsere Herzen zum Himmel aufsteigen lassen und rufen:Gedenk an uns, o Herr, wenn Du in dein Reich kommst.

So folgen wir den Propheten, und so mag sich der Himmel für einen seligen Augenblick öffnen.

Amen!

Pastor i. R. Dr. Friedrich Seven, Bad Lauterberg

e-mail: friedrichseven@t-online.de

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