Matthäus 5,1-12

Matthäus 5,1-12

Gott ordnet die Welt neu – schon jetzt! | Reformationsfest | 31.10.2023 | Mt 5,1-12 | Peter Schuchardt |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

heute am Reformationstag denken wir natürlich an Martin Luther. 1517 hat er seine berühmten 95 Thesen veröffentlicht, in Wittenberg. Er hat sich dort mit dem Ablasshandel auseinandergesetzt. Im Grunde ging es ihm darum: Du kannst dir Gottes Liebe und Vergebung doch nicht erkaufen. Der Gott der Bibel schenkt uns seine Liebe und Vergebung. Er möchte der Kirche, uns Christen die Augen öffnen für den wahren Schatz des Lebens, das, was wirklich reich macht. Gottes gute Nachricht, das Evangelium seiner Gnade, ist der größte Schatz, den die Kirche hat[1]. Und diesen Schatz soll sie unter die Menschen verteilen, mit vollen Händen. Denn diese Botschaft macht das Herz fröhlich. Martin Luther hat das selbst erlebt, am eigenen Leib erfahren. Er hat dieses Evangelium in der Bibel entdeckt. Besser gesagt: Er hat es wieder-entdeckt. Denn diese Botschaft war doch die ganze Zeit da! Ja, sie steht ganz am Anfang und in der Mitte von allem, was Jesus erzählt, was er macht, wie er lebt – und wie er stirbt. Und dieses Evangelium ist unsere Zukunft. Dieses Evangelium war verschüttet worden unter vielem anderen im Laufe der Zeit, unter der Macht- und Geldgier, unter Traditionen, die sich vom Kern der Bibel entfernt hatten. Aber immer wieder brach das helle Licht dieser frohen Botschaft hervor. Und wir dürfen heute dankbar sagen: Bei Martin Luther strahlte es besonders hell auf – und es strahlt noch heute. Gott sei Dank!

Manchmal denken wir evangelische Christen ja, die Geschichte der Kirche beginnt mit dem Jahr 1517. Als ob zwischen der Auferstehung Jesu und der Reformation nichts war, nur ein großer Niedergang. Das stimmt natürlich nicht. Nein, die Geschichte der Kirche beginnt mit Jesus Christus. Er begleitet die, die zu ihm gehören durch die Zeiten: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,20). Seine Worte, sein Leben, seine Auferstehung, das ist der Grund der Kirche. Und das gilt für alle Kirchen, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, unsere evangelische, die katholische, die orthodoxen Kirchen, die Freikirchen. Alle Kirchen, alle Christen leben von dieser Botschaft, von diesem Evangelium. So gesehen sind alle Kirchen evangelische Kirchen. Denn ohne die frohe Botschaft von Jesus Christus gäbe es uns Christen gar nicht. Unser Reformationsfest ist im besten Sinn ein ökumenischer Festtag, ein Tag, der alle Christen und Christinnen ansprechen möchte, in welcher Kirche auch immer sie sich zuhause fühlen. Ein Tag, der an den Grund erinnert, auf dem die Kirche steht: Jesus Christus.[2]

Auch Martin Luther hat das immer wieder betont. Ja, das war doch sein Grundanliegen. Denkt daran: Er schreibt seine 95 Thesen, als er Mönch ist, bei den Augustiner-Chorherren, ein treues Mitglied der katholischen Kirche. Als dieses treue Mitglied hängt er sehr an seiner Kirche. Er liebt sie – und er leidet darunter, dass so viel im Argen liegt. Darum will er seine eine Kirche reformieren, erneuern. Neu machen will er sie, indem er sie auf ihren Anfangsgrund zurückführt. Auf die Geschichten, die Worte, das Leben von Jesus Christus. Und die findet Luther in der Bibel. Sie spielt für ihn die zentrale Rolle. Das ist bei uns evangelischen Christen auch so geblieben. Wir schätzen die Bibel, die Worte der Schrift sehr. Da kommt die große Bedeutung der Tauf- und Konfirmationssprüche her. Für viele Menschen ist in diesem einen Wort das ganze Evangelium für sie zusammengefasst. Und so wird dieses Bibelwort für sie zum Lebensbegleiter, Lebensratgeber, Lebenströster.

Unser heutiger Predigttext ist in besonderer Weise Lebensbegleiter, Lebensratgeber, Lebenströster. Er ist eine Zusammenfassung des ganzen Evangeliums. Es sind die Seligpreisungen. Mit ihnen beginnt die Bergpredigt. Sie ist die erste große Rede im Matthäusevangelium. Ja, wenn man das Neue Testament von Anfang an liest, dann ist es die erste Rede, die Jesus hält. Die Theologen sagen uns: Matthäus hat diese Rede zusammengestellt. Ich sage: Er macht das hervorragend. Denn er stellt in der Bergpredigt die Seligpreisungen an den Anfang. Ich lese sie euch einmal vor:

1 Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind. (Mt 5,1-12 Luther 2017)

Zwei Dinge, liebe Schwestern und Brüder, werden hier gleich deutlich. Die Menschen wollen Jesus hören. Viele sind gekommen. Darum steigt Jesus auf einen Berg. Und Jesus erzählt den Menschen von Gott. Darum ist es mehr als eine Bergrede, es ist eine Predigt. So kommt die Bergpredigt zu ihrem Namen. Und „Seligpreisungen“ werden diese Worte genannt, denn alle beginnen mit dem „selig sind“. Selig: Dieses Wort ist aus unserem Wortschatz ziemlich verschwunden. Früher sagte man über einen Verstorbenen: Gott hab ihn selig. Das meint: Gott möge dem Toten ewige Ruhe und Freude schenken. Oder man sagt von einer Frau: Sie lächelt selig. Damit ist dann gemeint: Sie ist überaus glücklich, fast schon ein wenig entrückt. Aber „entrückt“ ist mit „selig“ gar nicht gemeint. Selig, das kann ich auch übersetzen mit „glücklich“, oder „es wird ihm gut gehen“. Aber das ist zu wenig. Am ehesten trifft es: Freuen dürfen sie sich, weil Gott sie sieht. Jesus hebt einzelne Menschengruppen hervor und nennt sie selig. Und nun ist das Besondere: Das gilt schon jetzt. Jetzt in diesem Moment dürfen sich die Menschen freuen. Denn Gott ist bei ihnen. Es sind besondere Menschen, die Jesus seligpreist. Es sind Menschen, denen es nicht gut geht. Menschen, die leiden. Die nach Gerechtigkeit hungern. Und nun sagt Jesus: Ich sehe, wie es euch geht. Gott sieht, wie es euch geht. Aber das, was jetzt ist, das ist nicht alles. Ganz im Gegenteil. Gott sieht das Leid, die Traurigkeit. Und er will und wird es ändern. Die Traurigen werden getröstet. Die Friedensstifter werden Gottes Kinder heißen. Menschen, die jetzt unterdrückt, verfolgt, ausgegrenzt werden, die werden von Gott ins Recht gesetzt. Was für eine wundervolle Vision! Aber es ist noch mehr. Denn schon jetzt gilt: Ihr seid selig. Nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon jetzt. Das ist doch das, warum Jesus in diese Welt gekommen ist. Er will diese Welt verändern. Nicht mit Waffen oder Terror oder Gewalt. Sondern allein mit Gottes Liebe. Unsere harten Herzen möchte er mit der Botschaft von Gottes Liebe öffnen, sie wieder lebendig und weich machen. Und er will uns Hoffnung schenken. Schon jetzt. Gott ordnet diese Welt neu. Die, die unterdrückt, angefeindet, verachtet werden, die wird Gott ins Recht setzen. Seine Liebe macht das möglich. Und weil nichts und niemand Gottes Liebe aufhalten kann, weil schon jetzt Gottes Reich unter uns da ist und wächst, verborgen, aber beständig[3], darum kann Jesus das schon jetzt sagen: selig sind die jetzt Leid tragen, die sanftmütig sind und reinen Herzens – und eben nicht, irgendwann einmal, in ferner Zukunft, werden sie selig sein. Jesus kann das sagen, denn er ist ja der Sohn Gottes, der Messias, der Christus. In ihm wird das wahr, was im Alten Testament noch ein Traum der Zukunft war.[4]

Wenn Gott schon jetzt an meiner Seite ist, dann kann ich trotz aller Widrigkeiten meinen Weg gehen. Ich weiß nicht, wie lang mein Weg dauern wird. Aber wenn in allem Schlimmen, in allen Rückschlägen Gott trotzdem da ist, dann wird mein Weg gelingen. Gott gibt mir Kraft, er schenkt mir Zuversicht und Hoffnung. Das gilt auch für die so vielen Christinnen und Christen, die weltweit verfolgt und unterdrückt werden.

Das, liebe Schwestern und Brüder, das ist wirklich eine, nein, DIE gute Nachricht für uns und unsere Welt. Ich weiß: Vieles sieht düster aus. Manchmal droht man zu verzweifeln, weil so viele Kriege herrschen, so viele Menschen von Ungerechtigkeit bedroht sind, so oft sich die Starken und Ruppigen durchsetzen. Und doch haben wir Hoffnung. Denn dieses Wort ist uns als Kirche anvertraut. Am Anfang der Bergpredigt treten die Jünger zu Jesus. Er spricht seine Worte, die Seligpreisungen zum Volk, vor allem aber zu seinen Jüngern. Sie sollen dieses Hoffnungswort in die Welt bringen. Und das Wunderbare ist doch: Das haben sie getan. Und sie tun es auch heute. Denkt daran, liebe Schwestern und Brüder: Die Gruppe der Jünger und Jüngerinnen war nicht groß, es sind nicht viele, die sich damals auf den Weg in die Welt machen. Aber sie gehen los. Erfüllt mit Jesu Worten, erfüllt mit Gottes Geist, erfüllt mit der Hoffnung: Gott schafft eine neue Weltordnung, eine gute, eine gerechte Ordnung. Unsere Welt braucht dieses Hoffnungswort. Unsere Kirchen brauchen dieses Hoffnungswort. Wir, jeder einzelne von uns, braucht diese Hoffnung für sein Leben. Manchmal fragen uns ja Menschen: Ist eigentlich etwas anders geworden mit diesem Jesus? Ich sage: Mit ihm kommt die Hoffnung in unsere Welt. Gott verändert diese Welt. Diese unbeirrbare Hoffnung prägt seitdem unser Leben.

Martin Luther hat sein Leben darangesetzt, diese Hoffnung in die Welt zu tragen. Darum ist das Reformationsfest heute ein Hoffnungsfest. Denn er, Jesus Christus, Gottes Sohn, unser Herr, unser Erlöser, er schenkt uns diese Hoffnung. Heute hören wir sie wieder. Und wir dürfen sie weitertragen in unsere Welt, als Jünger und Jüngerinnen Jesu. Damit schenken wir ihr Gottes Zukunft, Gottes Hoffnung. Er wird alles zum Guten ändern.

Amen

Liedvorschläge:

EG 440 „All Morgen ist ganz frisch und neu“

EG 341 „Nun freut euch liebe Christen g`mein“ (Wochenlied) oder mit sehr schönem modernem Text „Mein Herz ist voll“ https://www.youtube.com/watch?v=FN9YjHr1ieU

EG 362 „Ein feste Burg ist unser Gott“

„Wir haben Gottes Spuren festgestellt“

„Wenn das Brot, das wir teilen“

 

Fürbittgebet

Lieber Herr Jesus Christus, du nennst uns selig, wenn wir uns für eine andere, eine bessere Welt einsetzen. Sei du bei uns mit all deiner Liebe, deiner Hoffnung, deiner Barmherzigkeit. Gib uns Kraft, wenn wir schwach werden. Gib uns Zuversicht, wenn wir verzweifeln. Hilf uns auf, wenn die Lasten des Lebens uns zu Boden drücken.

Wir bitten dich für alle, die Frieden stiften in diesen dunkeln Tagen. Leuchte ihnen mit deinem Licht. Lass sie weitermachen, trotz aller Rückschläge. Öffne unsere Augen für die Momente, in denen dein Friede aufleuchtet.

Wir denken an unsere Kranken, an die, die mutlos sind, die keinen Sinn mehr in ihrem Leben sehen, an die, die in Sucht und Drogen gefangen sind. Hilf ihnen, sei mit all deinen guten Engeln bei ihnen.

Wir bitten dich für deine Kirche auf dieser Welt. Lass uns Christen, in welcher Konfession auch immer, das Gemeinsame suchen, das, was uns verbindet. Lass uns laut für die Schwachen eintreten, die unterdrückt werden. Lass uns dein Hoffnungswort sagen in alles Hoffnungslose hinein.

Wir bitten für die Christen und Christinen, die ihren Glauben nicht frei leben können. Beschütze sie. Lass sie spüren, dass du bei ihnen bist.

Wir denken an uns selbst. Du weißt, wo wir dein Licht, dein Wort, deinen Trost brauchen. In der Stille sagen wir dir, was wir auf dem Herzen haben.

(Stille)

Wir danken dir, lieber Herr Jesus Christus. Du bist da. Du schenkst Hoffnung. So können wir unseren Weg gehen, voll vertrauen auf dich, unseren Herrn.

Amen

Pastor Peter Schuchardt

Bredstedt

E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

[1] So lautet die 62. These; vgl. https://www.ekd.de/95-Thesen-10864.htm

[2] Daran erinnert auch der Wochenspruch 1 Kor 31,11

[3] Lk 17,21

[4] Jes 61,1ff

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