Matthäus 6, 19-23

Matthäus 6, 19-23

19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die
Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.
20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch
Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.
21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so
wird dein ganzer Leib licht sein.
23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster
sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß
wird dann die Finsternis sein!

Liebe Gemeinde,

„Krisenstimmung am Aktienmarkt“ – „Weltfinanzmärkte
im Terrorschock“ – „Weltwirtschaft: Angst vor dem Absturz“
– Schlagzeilen aus der vergangenen Woche.

„Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die
Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen.“
– Ein Bibelvers aus der Bergpredigt zum Erntedankfest 2001.

Wir erleben, wie die Kurse an den Börsen ins Sacken geraten.
Ich frage mich: musste erst etwas so unfassbar Furchtbares geschehen,
um deutlich zu machen, dass die scheinbar allgewaltigen Finanzmärkte
doch nicht so unerschütterlich sind?.

Ernüchterung und Abkühlung gab es ja schon seit längerem.
Die Experten hatten bereits seit mehr als einem Jahr gewarnt, es könne
nicht unaufhörlich in die Höhe gehen mit Dax und Nemax. Doch
kaum jemand hörte auf sie.

Schon zu sehr war, angeheizt von smarten Werbespots mit kühnen
Gewinnversprechen, Börsenspekulation zum Volkssport geworden. Die
Gier nach raschem Reichtum, sie passt ja so gut zum Lebensstil der Spaßgesellschaft.

Als die künstlich hochgejubelten Kurse ins Trudeln gerieten,
kam der große Katzenjammer für viele Kleinanleger, die feststellen
mussten, dass sie ihr Geld blindlings aus dem Fenster geworfen hatten.

Es scheint mir eine grundsätzliche, tragische Schwäche des
Menschen darin zu liegen, dass er das, was er besitzt, häufig erst
dann zu schätzen weiß, wenn er es verloren hat: Gesundheit,
Arbeit, intakte Beziehungen.

Liebe Gemeinde, in Gesprächen mit Menschen der älteren Generation,
die den Krieg noch erlebt haben, fällt mir oft auf, dass sie sehr
viel mehr Bescheidenheit besitzen als die Jüngeren.

Wer am eigenen Leib erlebt hat, wie Besitz und Heimat, Haus und Hof
verloren gingen, der bekam oft fortan ein neues Verhältnis zu irdischen
Gütern. – Besitz und auch Wohlstand sind nie etwas völlig
Gesichertes, sie sind stets gefährdet. Es ist ein riskantes Spiel,
wenn jemand denkt, er sei gegen alle Wechselfälle des Lebens gesichert
oder versichert.

Ich glaube, nur die Tatsache, dass jeder von uns jeden Tag eine gehörige
Portion Glück hat, bewahrt uns unseren gewohnten Alltag. Doch was
machen wir, wenn wir Erfolg haben, wenn wir gesund sind, uns wohl fühlen?

Wir nehmen es als selbstverständlich. Aber wehe, wenn etwas schief
geht! Ein Unfall, eine notwendige Operation, eine misslungene Prüfung:
plötzlich bricht die Welt zusammen, scheint sich das Schicksal
gegen uns verschworen zu haben. So sind wir nun einmal.

Mathematiker rechnen uns zwar vor, dass es wahrscheinlicher ist, von
einem Blitz getroffen zu werden, als einen Hauptgewinn im Lotto zu erzielen.
Trotzdem ist jeder Lottospieler enttäuscht, wenn es wieder einmal
nicht geklappt hat mit den 6 Richtigen – oder hadert derjenige mit dem
Schicksal, der mit einem Gipsbein aus der Klinik humpelt: wieso unter
all den vielen Fußgängern musste der Radfahrer ausgerechnet
mich anfahren?

Wir neigen also eher dazu, die angenehmen Dinge des Lebens als die
natürlichen und die lästigen und bedrohlichen als Fehler oder
Unfälle zu betrachten.

Das ist menschlich. Typisch menschlich. So sind wir nun einmal. –
Aber andererseits sind wir auch nicht dumm. Wir haben im Laufe unserer
Entwicklung gelernt, dass doch immer wieder der eine oder die andere
von uns ins Unglück gerät. So kam der Mensch auf den Notgroschen,
auf die Reserve, auf die Versicherungen. Und heute verdienen ganze Zweige
der Wirtschaft daran, Vorsorge für Unglücks- und Schadensfälle
gegen jährliche Gebühren anzubieten. Schutz vor Motten, Rost
und Dienstahl.

Jesus dagegen scheint eine ganz andere Meinung von Vorsorge und Versicherung
zu haben. Wenige Verse nach dem Predigttext finden sich die berühmten
Sätze: „Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken
werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Sehet die
Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht,
sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret
sie doch.“

Jesus fährt fort: „Und warum sorgt ihr für die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht,
auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in all seiner
Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine dieser Lilien.“

Liebe Gemeinde, ich habe einige Zeit gebraucht, diese Verse zu verstehen.
Nicht säen, nicht ernten, und doch ernährt werden? Ohne eigenes
Zutun prachtvoller gekleidet sein als der höchste Herrscher? Ist
das so gemeint? Und wie kann das funktionieren?

Die Bergpredigt, aus der all diese Zitate stammen, ist sicherlich
der wichtigste Teil der Überlieferungen aus dem Leben Jesu Christi.
Und viele ihrer Sätze gewinnen ihre Bedeutung erst aus den vorangegangenen
oder folgenden Worten.

Zwei Worte aus der Umgehung unseres Predigttextes haben mich auf die
Spur gebracht. Erstens der Hinweis Jesu: „Niemand kann zwei Herren
dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder
er wird dem einen anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt
nicht Gott dienen und dem Mammon.“

Das ist das eine Wort. Mit Mammon ist die uneingeschränkte, gottgleiche
Macht des Geldes gemeint. Gottesdienst und Streben nach finanzieller
Allmacht schließen sich gegenseitig aus. Wer sein Leben nur per
Saldo nach Gewinn und Verlust zu planen versucht, der hat keinen Platz
mehr in der Jahresbilanz für Gott. „Ihr sollt euch nicht Schätze
sammeln auf Erden.“

Der zweite Vers, der mir geholfen hat, lautet: „Trachtet am ersten
nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles
andere zufallen.“

Auf den ersten Blick ist das ja fast eine märchenhafte Zauberformel
für das Leben: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, so
wird euch alles andere zufallen.“ – Das klingt so ähnlich
wie die Aufforderung aus dem Predigttext: Sammelt euch Schätze
im Himmel! – Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes!

Dann wird euch alles andere zufallen, heißt es. Dann braucht
ihr euch nicht um Kleidung sorgen wie die Lilien auf dem Felde, und
nicht um Nahrung, wie die Vögel unter dem Himmel. – Ist das nicht
zu schön, um wahr zu sein?

Die Auflösung für das Verständnis dieser scheinbar
märchenhaften Worte liegt in dem kleinen Hinweis „zuerst“.
Damit ist eine Rangordnung gemeint. Jesus will natürlich nicht,
dass seine Nachfolger, seine Christen von Stund an wie Vagabunden umherziehen,
in der Hoffnung und Zuversicht, Nahrung, Kleidung und Obdach würden
sich schon irgendwie finden. Nein, die Sätze Jesu sind keine Aufforderung
zu einer Art religiösem Hippiedasein. Was wir zum täglichen
Leben brauchen, wird uns nicht in den Schoß fallen. Aber es wird
uns leichter fallen.

Was Jesus sagt, will uns davor bewahren, den materiellen Dingen in
unserem Lehen den ersten Rang einzuräumen. Denn das ist ein aussichtsloses
Vorhaben. „Sammelt euch Schätze im Himmel, denn wo dein Schatz
ist, da ist auch dein Herz“ – das ist nichts anderes als der Rat
Jesu, Gottes Wort und Gebot über alles andere zu stellen.

Kein Befehl Jesu – sondern ein Rat. Ein Rat, der sich auf die Erfahrung
gründet: wo Menschen versuchen, selbst die Absicherung ihres Lebens
oder Lebensstandards zu gewährleisten, so müssen sie in ständiger
Sorge vor Zwischenfällen und Katastrophen leben.

Ihre ganze Aufmerksamkeit, ihr Gefühl und ihren Spürsinn
werden sie auf nichts anderes mehr verwenden als darauf, mögliche
Gefahren von ihrem materiellen Besitz abzuwenden, von ihrer beruflichen
Karriere, von ihrem politischen Einfluss. Einer Illusion werden sie
ihre ganze Lebensenergie widmen. Die vollkommene Sicherheit gibt es
nicht.

„Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist,
so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Wo mein Blick klar und unverfälscht
ist, nicht allein auf meinen privaten Vorteil eingeengt, dort komme
ich mit mir selbst ins Reine.

Heute, zu Erntedank, lenken wir bewusst unseren Blick auf die Früchte
und Lebensmittel hier in der Kirche, als Erinnerung, wie viel bei unserem
Essen und Trinken von der Arbeit anderer abhängt. Und denken wir
bitte daran: das gilt auch in anderen Bereichen unseres Lebens. Dankbarkeit
für das, was ich bin und habe, und Besinnen darauf, wem ich es
verdanke – das ist der Anfang vom „Schätze sammeln im Himmel“.

Das ist keine Garantie gegen Fehlschläge und Krisen, beileibe
nicht. Aber es ist der richtige Weg, an solchen Schwierigkeiten nicht
zu scheitern. Gott erspart seinen Christen nicht die Schwierigkeiten,
aber er lässt sie nicht mit ihnen allein.

Amen.

Peter Kusenberg, Pastor und freier Journalist
Adelebsen-Erbsen
E-mail: peter.kusenberg@kirche-erbsen.de

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