Mt 7,12-20 | Offene Grenzen

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Mt 7,12-20 | Offene Grenzen

Predigt zu Matthäus 7, 12-20 | Buß- und Bettag | 17. November 2021 | von Eberhard Busch |

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts traf ein Schiff aus Europa auf der anderen Seite des Atlantik ein. Darin waren Christen, die in der alten Heimat um ihres Glaubens willen hart bedrängt waren. Sie hofften, in der Neuen Welt im Frieden leben zu können. Sie siedelten in der Gegend von Philadelphia, das heißt auf deutsch „Bruderliebe“, Geschwister-Liebe. Aber dann entdeckten sie mit Schrecken, dass diese so genannte Neue Welt so neu gar nicht war. Von solcher Geschwisterliebe war wenig zu finden unter denen, die vorher schon dort waren. Da setzten sich einige der Siedler zusammen und formulierten einen Aufruf an die Einwohner des Gebiets. Zuweilen können Neuankömmlinge ja den Alteingesessenen etwas beibringen. Jener Aufruf begann genau mit dem Satz, der bei Matthäus in Kapitel 7 steht und den wir zu Anfang der Predigt gehört haben: „Alles, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das sollt ihr auch ihnen tun.“ Und dazu setzten sie Worte, die das Bibelwort gut erläutern – die Worte: Dies tut, „ohne einen Unterschied zu machen hinsichtlich des Geschlechts, der Abstammung oder der Hautfarbe!“ Gleichstellung von Mann und Frau, von hoher und niedriger Herkunft, von Weißen und Dunkelhäutigen. Daran arbeiten wir heute noch.

Wir können dabei ergänzen: Dies tut, ohne Grenzzäune zu bauen, gar mit Stacheldraht oder mit einem eisernen Vorhang: du gehörst zu uns und du nicht. Dies tut, ohne eine Trennungslinie zu ziehen zwischen Bekannten und Unbekannten, zwischen Einheimischen und Fremden, zwischen Willkommenen und Unwillkommenen. „Alles, was ihr wollt, dass es euch die Leute tun, das sollt ihr ihnen tun“ – ohne derlei Abgrenzungen zu machen. Wie ernst es Jesus nach diesen Worten meint, unterstreicht der Zusatz:  „Darin besteht das Gesetz und die Propheten“, das heißt: Was in der Heiligen Schrift geschrieben steht in ihren vielen Worten, das läuft alles darauf hinaus. Daran bemisst sich, ob ihr verstanden habt, was Gott von euch erwartet.

Im selben Matthäusevangelium kommt übrigens die merkwürdige Formulierung noch einmal vor: daran „hängt das ganze Gesetz und die Propheten“. (Mt 22,36-40) Woran hängt denn alles und jedes, was Gott uns aufträgt? So wird Jesus gefragt und er gibt jetzt eine andere Antwort als zuvor, aber eine, die zu der vorherigen Antwort passt. Was sollen wir denn in jedem Fall tun? Jesus sagt: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und ganzer Seele und von ganzem Gemüt.“ Dies ist das wichtigste Gebot, das andere Gebot aber ist gleich wichtig: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Du kannst Gott gar nicht lieben und schätzen und anbeten, ohne den Menschen neben dir wahrzunehmen und ernst zu nehmen und lieb zu haben, so sehr, wie du auch auf dich selbst achten solltest und nicht leichtfertig mit deiner Zeit und deinem Leben umgehen darfst. Und eben solche Sorgfalt ist im Umgang mit all unseren Mitmenschen unbedingt angezeigt. Wie der Reformator Johannes Calvin sagt: Es ist nicht genug, „dass wir uns von allem Bösen enthalten, sondern wir müssen uns einsetzen für unsere Nächsten, so wie wir wollen, dass man es für uns tut“.

Dass das gar nicht so selbstverständlich ist, legt uns Jesus im Fortgang seiner Rede in Matthäus 7 nahe. Ja, er mahnt uns dringend, dass wir sein Gebot um Himmels willen nicht auf die leichte Schulter nehmen und auf die lange Bank schieben. Er macht es dabei nicht wie jemand, der sich bei uns mit einem Geldschein einschmeichelt. Geschweige macht er es wie ein Warenhaus-Besitzer, in dessen Geschäft alles zu haben ist, was unser Herz begehrt. Er redet zu uns vielmehr so, wie es im Lied des Hallenser Apothekers Christian Friedrich Richter heißt: „Es kostet viel, ein Christ zu sein und nach dem Sinn des reinen Geistes leben … Man muss hier stets auf Schlangen gehn, die leicht ihr Gift in unsre Fersen bringen, da kostet’s Müh, auf seiner Hut zu stehn, dass nicht ihr Gift kann in die Seele dringen.“ In einem anderen Bild sagt Jesus: „Geht ein durch die enge Pforte.“ Sie ist derart schmal, dass man dabei pralle Koffer mit unserm Hab und Gut nicht mitnehmen kann.

Hingegen ist die Pforte weit und der Weg gar breit, der zum Verderben führt. Trotzdem gibt es viele, die ihn gehen. Und „Wehe, wenn sie losgelassen!“, mit Friedrich Schiller zu reden. Da werden auch manche niedergetrampelt, von solchen, die gleichsam pralle Koffer mit sich tragen. Jedoch die Mehrheit hat die Wahrheit nicht in ihrer Tasche, geschweige in ihren Koffern. Aber auch die Minderheit hat die Wahrheit nicht für sich gepachtet. Vor der kleinen, aber lautstarken Opposition der Impfgegner sei gewarnt! Man bedenke es bitte auf allen Seiten, was Jesus sagt: „Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt.“ Machen wir die Augen auf und halten wir die Ohren offen, um zu entdecken, wo es lang geht.

Aufmerksamkeit tut not, und dies umso mehr, weil es inbesondere zwei Klippen gibt – Klippen, auf denen man ausrutschen und sich den Hals brechen kann. Zum einen tauchen immer wieder Verführer auf, die uns nach dem Mund reden, „falsche Propheten“ nennt sie unser Text, Unholde, die sich jedoch als hold gebärden. Wölfe, die sich wie im Märchen als liebe Großmutter ausgeben, aber nur, um die sieben Geißlein besser fressen zu können. Oder wie es im Predigttext heißt: Gestalten, „die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Es scheint so lustig, so chic, so zeitgemäß, sich auf sie einzulassen, mit ihnen zu gehen, bis wir ihnen auf den Leim gegangen sind. Wie manche sind so auf die schiefe Bahn geraten! Wie oft sind wir auf Verführungen hereingefallen! Vorsicht!

Zum andren redet Jesus in einem neuen Bild von einem Baum, der gute Früchte bringt, und von einem anderen, einem faulen Baum, der unfruchtbar ist. Eigentlich stehen beide da, um Gutes hervorzubringen. Der eine kommt einem vor wie der, auf den Psalm 1 zugespitzt ist: „Wohl dem, der seine Lust hat am Gesetz des Herrn und sinnt darüber Tag und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit.“ An Wasserbächen trotzt er der Klimakrise. Aber der Andere steht unnütz da. Er bringt nicht das, wofür er geschaffen ist. Vielleicht ist er recht ansehnlich, gar nicht dürr. Man haut ihn darum nicht so schnell um. Er ist ja voller Blattwerk, Blätter noch und noch. Er sieht doch gut aus. Er stiehlt dem anderen, dem fruchtbaren Baum die Show. Aber der Schein trügt: Er bringt nichts. Er ist im Grunde hohl und lässt seine Umwelt leer. Er hält der Klimakrise nicht stand. Wie lange wird er noch dastehen?  In der Klosterkirche Aldersbach in Bayern ist an der Kanzel das Bild von einem unfruchtbaren Baum zu sehen. Wer die Predigt hört, wird dabei gewarnt vor einem Hören zum einen Ohr hinein und zum anderen Ohr hinaus.

Aber hören wir nun gut zu! Diese zwei Mahnungen sind wie Zeichen für Tempolimit an einer vielbefahrenen Straße. Sie haben wir tunlichst zu beachten. Aber sie wollen ja nicht den Verkehr lahmlegen, sondern flüssig halten. Sie legen uns übrigens auch keine Scheuklappen an, die unsere Aussicht schmälern. Sie helfen uns, besser zu sehen, worauf es ankommt. Sagen wir es noch einmal mit dem Satz, mit dem wir begonnen haben – mit dem Satz im Munde Jesu, an unsre Adresse: „Alles, was ihr wollt, dass es euch die Leute tun, das sollt ihr auch ihnen tun. Das ist das Gesetz und die Propheten.“ Und dazu die Worte jener bedrängten Flüchtlinge – die Worte, die das Bibelwort vorbildlich beleuchten – die Worte: Dies tut, „ohne einen Unterschied zu machen hinsichtlich des Geschlechts, der Abstammung oder der Hautfarbe!“ Unser Gott verleihe uns den Mut, dazu zu stehen!

Eberhard Busch

37133 Friedland

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