Matthäus 7,7-14

Matthäus 7,7-14

Kantate | 15.05.22 | Mt 7,7-14 (dänische Perikopenordnung)[1] | Rasmus H.C. Dreyer |

‚Die Theologie des Kreuzes ist unsere Theologie‘, sagt Luther, oder in der lateinischen Sprache, in der er dies schrieb: „CRUX sola est nostra theologia“. Viele Theologen werden dieses Zitat kennen, weniger die Kirchgänger. Ich kann ihnen erzählen, dass Luther das Wort Kreuz mit großen Buchstaben schreibt. CRUX. So wie der das Wort Gott mit großen Buchstaben schrieb, oder wie man auch in der Bibel das Wort HERR schreibt.

Das Lutherzitat stammt aus Luthers Vorlesungen über die Psalmen aus den Jahren 1519-1521. Hier findet sich sogar ein noch besseres Zitat: „Das Kreuz ist die Probe aller Dinge“. Diese zentralen und entscheidenden Formulierungen Luthers erschienen auch kurz nach der berühmten Schrift, wo Luther seine sogenannte Theologie des Kreuzes formulierte. Das geschah in den sogenannten Heidelberger Thesen, die er im Jahr 1518 bei einer Disputation vortrug. Ich will heute in meiner Predigt von diesen Thesen ausgehen, nicht zuletzt weil mich eine kurze Passage in diesen Thesen an das Evangelium dieses Tages denken lässt.  Jesus spricht hier davon, dass wir an der Tür Gottes anklopfen sollen. Eine Formulierung, die Jahrhunderte lang in der dänischen Taufliturgie wiederkehrte, in dem Gebet, mit dem seit Luther die Taufe eingeleitet wurde. In der heutigen Taufliturgie ist es nicht mehr enthalten, ich habe es aber hin und wieder bei einer Taufe Erwachsener verwendet. Hier  bitten wir mit den Worten des heutigen Evangeliums: „Allmächtiger, ewiger Gott, ich rufe dich an über diesen deinen Diener, der deiner Taufe Gabe bittet und deine ewige Gnade  durch die geistliche Wiedergeburt begehrt. Nimm ihn auf HERRE, und wie Du gesagt hast: „Bittet, so werdet Ihr nehmen, sucht, so werdet Ihr finden, klopft an, so wird Euch aufgetan …“. Die Taufe ist die Tür, die zu Gott und der Gemeinschaft mit ihm öffnet. Das ist ein starkes Gebet, und es wäre eine Erwägung wert, es wieder in die Taufliturgie aufzunehmen. Die dänischen Bischöfe haben bekanntlich Pläne für eine neue Taufliturgie.

Zurück zu Luther. In den Heidelberger Thesen spricht Luther er an einer Stelle unter Hinweis auf den Text des letzten Sonntags über Philipp, der gerne Gott sehen will – aber darauf verwiesen wird, Gott in Christus zu sehen. Dazu sagt Luther: „Es ist also im gekreuzigten Christus, wo sich die wahre Theologie und Erkenntnis findet“.  „Christus ist die Tür“, schließt Luther seine Erklärung an dieser Stelle. Christus ist die Tür – und eine Tür ist nur dazu da, dass man durch sie eintritt. Christus ist Tür und Weg zugleich. Luther sagt in einer seiner Thesen: „Den Namen Theologe verdient der, der das sichtbare und uns zugewandte Wesen Gottes so er erkennt, dass er das in Leiden und Kreuz sieht“. Mit anderen Worten: Wir können Gott nicht sehen, wir können weder seine Herrlichkeit erfassen, seine Majestät ergreifen oder ihn von Angesicht zu Angesicht sehen. Oder doch, nur durch seinen Gegensatz: Christus am Kreuz, Gott wird so verehrt, meint Luther, wenn wir ihn sehen, „wie er verborgen ist in seinen Leiden“. Das wirkt verkehrt, und das ist jedenfalls paradoxal. Das gibt Luther auch offen und ehrlich zu. Luther verweist auf noch einen Bibeltext, nämlich 1. Korinther 1,21, wo Paulus die Weisheit der Welt und die Torheit der Predigt einander gegenüberstellt. Anders gesagt: Es wirkt verkehrt, ja dumm, dass man Gott selbst in dem erniedrigten und leidenden Christus am Kreuz erkennen soll, dass das Kreuz unsere wahre Erkenntnis Gottes ist.

In einer späteren These von Heidelberg wendet sich Luther direkt gegen die, die er „Herrlichkeitstheologen“ nennt. Das sind die Gelehrten und die scholastischen Theologen seiner Zeit. Aber das ist auch mehr als das. Das sind auch wir. Wir, die wir Gott ergreifen wollen, uns ihm nähern wollen durch eigene Leistungen, oder die wir nicht sehen wollen, dass das Leiden, die tiefe Finsternis, der Tod und das Nichts da sind, wo Gott ist, und wo uns Gott wieder aufrichten kann. Luther sagt: „Die Herrlichkeitstheologie nennt das, was böse ist, gut und das, was gut ist, böse. Die Theologie des Kreuzes nennt die Dinge bei ihrem rechten Namen“. Der Herrlichkeitstheologe zieht all das vor, was das Eigentliche ins Gegenteil verkehrt. Er zieht Werke vor, Fortschritt usw. im Gegensatz zu Leiden, Niedergang, Kreuz und Untergang, wo Gott uns nahekommt.

Das klingt düster. Und Luther meint geradezu, dass wir ganz in die Finsternis müssen, bis hin zur Vernichtung von uns selbst, ehe wir wiederaufgerichtet werden können. Es ist wieder das Kreuz, worum es geht. Wir sollen sterben und auferstehen auch hier und jetzt. So wie das Kreuz Jesu Tod ist, aber auch Auferstehung.

Wenn Christus sagt, dass der Mensch neu geboren werden muss (Joh. 3), muss der Mensch erst sterben und dann mit Christus erhöht werden. Das kann man auch mit einem theologischen Wort Kenosis nennen, Selbstentäußerung und Zunichtewerden des Menschen – das ist das fremde und für uns verborgene und unbekannte Werk Gottes im Dasein, aber das ist zugleich ein Wegbereiter der Gnade. Die Theologie des Kreuzes, wo wir selbst uns fällen, wo wir daran leiden und uns plagen, dass wir uns nicht selbst Glück und Zufriedenheit verdienen können; wer ist jemals mit seinem Leben zufrieden? Nein, niemand kann das Perfekte vollbringen, aber in Christus können wir, die wie unvollkommen sind, vollkommen werden. Das Kreuz ist somit nicht das Ende eines Prozesses – dass wir auch einmal sterben und auferstehen werden. Es ist auch keine Art Erkenntnisprinzip, dass wir Gott nur so kennen, wie er historisch in der Welt erschien und an einem Kreuz starb. Nein, das Kreuz ist Ausgangspunkt für uns als Christen, da, wo Gott sein eigentliches Werk mit uns beginnt. Und das eigentliche Werk Gottes – was Gott mit uns will – ist uns seine Gnade gewähren. Erst müssen wir uns offenbaren, und das werden wir sicher in einem Leben erfahren – danach sollen wir uns in der echten Weise einkleiden. So liebt Gott uns, die wir nicht liebenswert sind. Nicht in unseren eigenen Augen, sondern in den Augen Gottes, weil wir glauben, dass wir über uns selbst verfügen. Aber hkier kommen wir immer zu kurz, oder zum Kreuz, bin ich versjucht zu sagen. Luther ist befreiend ehrlich: „Das Gesetz (also was wir infolge Gott tun sollen) sagt: Tue dieses Werk! Und es wird nie getan. Die Gnade sagt: Glaube an diese Person! Und sogleich ist alles getan“.

Aber nun – was ist dann Glaube? Ist das in unserer Zeit, die Authentizität verlangt, nicht auch etwas, was man leisten muss? Von ‚echtem Glauben‘ können wir manchmal reden. Oder die Konfirmanden reden von einem ‚hundertprozentigen‘ Glauben. Nein, Glaube ist keine Leistung. Nach Luther wird uns der Glauben von Gott gereicht, wenn Christus „in uns ist durch den Glauben, ja eins mit uns“. Durch das Kreuz, im Glauben ist Christus in uns. Christus hat Teil an uns und wir an ihm. Ist eine Einheit mit uns im Glauben. So sind wir nichts und alles, Sünder und gerecht, sterblich und unsterblich. Das ist wie bei Taufe und Abendmahl. Wir sind eins, aber hören etwas anderes. Wir hören, dass Christus tauft, wir hören, dass Christus im Brot und im Wein ist. So ist Christus auch in uns im Glauben. Denn auch Christus war und ist wie wir. Er starb wie wir. Deshalb ist das Kreuz die Tür, durch die wir eingehen zur Gemeinschaft mit ihm in seiner Auferstehung. Es sind vielleicht wenige, die diese Tür finden – oder das Tor, von dem Jesus später im Evangelium spricht. Nicht weil so wenige erlöst werden sollen, sondern weil es so schwer zu begreifen ist, dass der Weg zu Gott durch das Widersprüchlich zu Gott selbst geht. Ein Folterinstrument, an dem Gott mit uns und wie wir stirbt, aber nicht um zu sterben – sondern damit wir leben sollen.

Ich komme zum Schluss. Vielleicht war es etwas zu akademisch, ich bitte um Verzeihung. Ich weiß, es ist alles schwer zu begreifen. Aber hört die letzte These Luthers aus Heidelberg. Sie handelt von der Liebe Gottes. Von dieser These her Sind alle die anderen 27 Thesen aus Heidelberg natürlich zu verstehen.

Die letzte These enthält einen paradoxalen Widerspruch: Die Liebe Gottes und die Liebe der Menschen: „Die Liebe Gottes findet nicht das, was sie liebt, sondern schafft es. Die Liebe des Menschen entsteht durch das, was die liebt“. Die menschliche Liebe, erklärt Luther, ist eine gebundene Liebe, weil ihre Ursache ihr Gegenstand ist: Einer, der einen anderen liebt, liebt den anderen auf Grund seines Wertes. Gegenüber dieser menschlichen Liebe, die in Wirklichkeit sich selbst sucht, wenn sie Liebe sucht, steht die Liebe Gottes. Die Liebe Gottes ist nicht abhängig vom Wert ihres Gegenstandes. Also liebt Gott nicht die Menschen, weil sie ihm Gutes tun. Vielmehr leibt Gott das, was nicht liebenswert ist. Das sind wir. Wir, die wir ehrlich gesagt schwach sind. So ist es im Leben, wir können das genauso gut einräumen, auch wenn wir gerne unsere starken Seiten hervorkehren wollen – und Gott gegenüber. Wir sind schwach, aber Gott will uns lieben, die wir nicht liebenswert sind, und will uns stark machen. So gibt Gott, ist gütig, gut und gibt uns Gaben – seine Liebe ist großzügig. Das ist ein umgekehrtes Verständnis von Liebe als das der Menschen. Deshalb ist es ein Kreuz für uns. Aber durch dass Kreuz wird angeklopft, wird geöffnet – und wir erlangen Gemeinschaft mit Gott. Amen.

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Phd. Rasmus H.C. Dreyer

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[1] Zum dänischen Buß- und Bettag am Freitag, den 13. Mai

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