Matthäus 9,9-13

Matthäus 9,9-13

Septuagesimae | 05.02.2023 | Mt 9,9-13 | Winfried Klotz |

Die Berufung des Matthäus und das Mahl mit den Zöllnern (Mk 2,13-17; Lk 5,27-32)

9 Als Jesus weiterging, sah er einen Mann namens Matthäus am Zoll sitzen und sagte zu ihm: Folge mir nach! Da stand Matthäus auf und folgte ihm.   8,22; (9-13) Mk 2,13-17; Lk 5,27-32

9-13: Nur das Matthäusevangelium identifiziert den bekehrten Beamten der Zollstelle von Kafarnaum mit Matthäus, dem Mitglied des Zwölferkreises und späteren Apostel (vgl. auch 10,3: «Matthäus, der Zöllner»). Bei Markus und Lukas fehlen diese Hinweise; bei ihnen hieß der Zöllner Levi (vgl. die Einführung zum Matthäusevangelium).

10 Und als Jesus in seinem Haus beim Essen war, kamen viele Zöllner und Sünder und aßen zusammen mit ihm und seinen Jüngern.    11,19; Lk 15,1f; 19,7

in seinem Haus: entweder im Haus des Matthäus oder im Haus Jesu.

11 Als die Pharisäer das sahen, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?

12 Er hörte es und sagte: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.

13 Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.   Hos 6,6; Mt 12,7; Lk 19,10

Ist Jesus nicht großartig, er erkennt sofort das Potential eines Menschen. Er sieht Matthäus am Zoll sitzen und weiß, den brauche ich in meiner Zwölfergruppe. Und so ruft er ihn: Folge mir nach! Sofort steht Matthäus auf und schließt sich Jesus an. Seine Aufgabe Zoll zu kassieren ist ihm nicht mehr wichtig. Jetzt hat er Wichtigeres zu tun. Jetzt fühlt er sich großartig. Der fromme Rabbi Jesus hat ihn gerufen.

Ist die Geschichte von Matthäus und Jesus wirklich so einfach gestrickt? Ist Matthäus wirklich geeignet Jesus nachzufolgen? Kann Jesus diesen Menschen brauchen in seinem Team? Viele Umstehende bezweifeln das.

Arbeitet Matthäus nicht mit der Besatzungsmacht zusammen? Hat er nicht gierig den Zoll kassiert? Und manchmal auch etwas mehr? Hat er sich damit nicht mit Leuten zusammengetan, die Gottes Gesetz nicht achten? Hat er sich damit nicht verabschiedet aus der Gemeinschaft des Volkes Gottes?

Mhm … Aus Sicht derer, die sich an das Gute halten, ist Matthäus ein Mensch im Defizit. Vor seinem Leben steht ein großes Minus. Warum ruft Jesus diesen Menschen? Braucht er nicht die Guten, die Gottesfürchtigen, um Gottes Herrschaft aufzurichten? Was kann Matthäus für das Gelingen der Gottesherrschaft einbringen? Was ist sein Potential?

Und dann isst Jesus auch noch mit Matthäus und seinen Freunden. Verhält sich Jesus hier nicht so, als sei es kein Problem, das Matthäus aus der Gemeinschaft des Volkes Gottes weggelaufen ist?

Wozu braucht Jesus Matthäus? Oder muss es heißen: Wozu braucht Matthäus Jesus?

Die Reaktion des Matthäus auf den Ruf Jesu deutet darauf hin, dass Matthäus Jesus braucht. Das Festmahl im Anschluss ist noch ein Hinweis darauf, welche befreiende Kraft der Ruf Jesu für Matthäus hat. Jesus hat Matthäus aus einer Gebundenheit befreit. Jesus hat Matthäus wieder eingefügt in die Gemeinschaft seines Volkes. Damit dies geschehen konnte musste Jesus eine Grenze überschreiten. Genau darin sah Jesus seine Aufgabe, Gottes Volk sammeln für seinen Gott.

Folge mir nach, hat Jesus zu Matthäus gesagt. Jesus ruft ihn in die Gemeinschaft mit sich hinein. Das ist nicht ein Ruf zum Glauben, wie man es missverstehen könnte. Matthäus wird nicht zu einem neuen Glauben gerufen, sondern zu einem neuen Leben, einem Leben eingefügt in den Bund mit Gott. Wer in heutigen säkularen Zeiten meint, christliche Werte verteidigen zu müssen, greift zu kurz. Er steht in der Gefahr, das Vertrauen auf Gott, dass uns Jesus ermöglicht, zu einer christlichen Weltanschauung zu machen. In heutigen Zeiten kommt es vor allem darauf an, das sichtbar wird, Christsein ist ein Ruf in eine Gemeinschaft hinein. Ohne Gemeinschaft, zuerst die Gemeinschaft mit Jesus Christus und damit zu Gott, dann die Gemeinschaft mit Schwestern und Brüdern, die ihr Vertrauen auf Jesus Christus gesetzt haben, ist christlicher Glaube hohl und leer, eben nur eine religiöse Weltsicht, die sich nicht von anderen Ideologien unterscheidet. Ohne Gemeinschaft ist christlicher Glaube unverbindlich, unterworfen meinen persönlichen Wünschen und Erwartungen. Ohne Gemeinschaft fehlt fröhliches Essen und Trinken, aber auch die Auseinandersetzung mit meinen Schwestern und Brüdern. Es fehlt die tröstende Zuwendung und die Korrektur, das gemeinsame Tragen von Schwierigkeiten. Noch einmal: Jesus ruft Matthäus in die Gemeinschaft hinein, diesen Sohn Israels, der sich verlaufen hatte, der verloren gegangen ist.

Ich habe zu Beginn vom Potential geredet, das Jesus bei Matthäus sieht. Damit meine ich nichts, was Matthäus selbstverständlich in sich trägt. Damit meine ich das, was in dem Augenblick zur Wirksamkeit kommt, in dem Matthäus aufsteht und Jesus folgt. Indem Matthäus aus seiner Ecke zu Jesus kommt, beginnt für ihn ein neues Leben. Denn genau in diesem Augenblick erfährt Matthäus die Barmherzigkeit Gottes. Die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes braucht jeder Mensch, der Jesus folgt! Das ist Grund ein großes Festmahl zu feiern. Wer wie Matthäus Gottes Barmherzigkeit in Jesus erfahren hat, kann Bote dieser Barmherzigkeit werden. Das ist das Potential des Matthäus. Genau das aber fehlt all denen, die aus Tradition und eigener Leistung sich in der Gemeinschaft mit Gott sehen.

Die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes fehlt den Kritikern in unserer Geschichte. Sie sehen, dass Jesus mit denen isst, die gottlos gelebt haben. Miteinander essen dient nicht nur dazu, den Hunger zu stillen; es ist Ausdruck der Gemeinschaft! Jesus macht sich gemein mit Gottlosen! Die Kritiker Jesu vermuten, dass Jesus durch sein Verhalten die guten Gebote Gottes auflöst. Die Veränderung, die mit Matthäus geschehen ist, sehen sie nicht. Deshalb fragen sie vorwurfsvoll Jesu Jünger: „wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?“

Liegen die Kritiker so ganz verkehrt? Setzt Jesus nicht ein Zeichen dafür, dass die Übertretung des Gesetzes nicht so schlimm ist? Ich beobachte immer wieder, wie Autofahrer auf einer zweispurigen Straße, aber noch innerorts, andere viel zu schnell überholen, sobald sie an der Radarsäule vorbei sind. Zeigt das nicht die innere Einstellung vieler: wenn es nichts kostet, kann ich ruhig Regeln brechen? – Fördert Jesus durch sein Verhalten nicht die Leichtfertigkeit im Umgang mit dem Gesetz? Müssen wir nicht zugeben, dass das Leben leichter, überschaubarer, sicherer ist, wenn wir uns an Regeln halten?! Zudem geht es für die Pharisäer beim Gesetz nicht nur um menschliche Regeln, es geht um Gottes Gebot, es geht um ihre Gottesbeziehung.

Die kritische Frage, „wie kann euer Meister zusammen mit Zöllnern und Sündern essen?“ kann deshalb auch bedeuten: ‚warum respektiert Jesus den Bund mit Gott und seine Regeln nicht?‘

Wer ist Jesus?

Auf die Frage der Pharisäer an die Jünger antwortet Jesus: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten.“

Wer ist Jesus?

Das ist die entscheidende Frage damals wie heute! Je nachdem, wie wir auf diese Frage antworten, sind wir Kirche der Gnade oder Kirche des Gesetzes, und sei es ein aufgeklärt- liberales Gesetz. Ein aufgeklärt- liberales Gesetz ist noch lange keine Gnade. Ist Jesus Christus gesandt, die Sünder zu rufen, dann leitet uns das mit geschichtlicher Notwendigkeit zu seinem stellvertretenden Leiden am Kreuz. Dreimal kündigt Jesus sein Leiden an, z. B. so: „Von da an begann Jesus, seinen Jüngern zu erklären, er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden; er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen.“ (Mt. 16, 21) Ist Jesus beauftragt Sünder zu rufen, dann ist Sünde unser Thema als Kirche, und zwar Sünde als getrennt sein von Gott und Gnade als eingefügt werden in ein Leben mit Gott. Dann reden wir nicht vom Glauben und meinen damit christliche Werte, sondern wir rufen Menschen zur Umkehr, die ohne Gott und nur mit irdischen Hoffnungen leben; wir rufen sie hinein in die Gemeinschaft derer, die durch Jesus Christus Hoffnung und Leben haben.

Umkehr, auf den Ruf Jesu antworten, ist oft nur ein kleiner Schritt und doch eine ganz große Sache; das Leben bekommt einen neuen, sehr großen Horizont. Jetzt heißt es nicht mehr „lasst uns essen und trinken, denn Morgen sind wir tot!“ (1. Kor. 15, 32), sondern lasst uns vor Gott fröhlich feiern, denn ER hat uns angenommen als seine geliebten Kinder. Amen.

Winfried Klotz, Pfr. i. R. in Bad König, Odenwald, verheiratet, drei erw. Kinder. winfried.klotz@web.de

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