Micha 5,1-5 | Christvesper

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Micha 5,1-5 | Christvesper

Wie kleine Leute viel bewirken | Gottesdienst für den Heiligen Abend 2021 | Micha 5,1-5 |  von Suse Günther |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen. AMEN

Und Du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Ewigkeit her gewesen ist.

Bis es soweit ist, lässt er sein Volk plagen, wie eine Frau geplagt ist, bis das Kind geboren ist.

Dann aber wird der Rest der Brüder heimkehren zu den Söhnen Israels. Und er wird auftreten und weiden in der Kraft Gottes und in der Macht des Namens Gottes. Und die Menschen werden sicher wohnen, denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Frieden sein.

Gott, gib uns ein Herz für Dein Wort und nun ein Wort für unser Herz. AMEN

Liebe Gemeinde!

Als ich den Worten, die wir eben als Bibellesung gehört haben, zum ersten Mal begegnet bin, war ich Theologiestudentin in Marburg.

Wir haben an der Universität damals gelernt, dass es viele Texte im Alten Testament gibt, die einen zukünftigen Messias, einen Friedensherrscher ankündigen.  Und immer beschreiben diese Texte keinen starken Mann, der alle Probleme mit einem Schlag löst. Sondern eher einen nach den Maßstäben der Welt unauffälligen Menschen. Ein kleines Kind, eine kleine Wurzel. Und dieses Mal also soll der Herrscher aus einem unbedeutenden Ort kommen. Denn genau das war Bethlehem damals und ist es heute wieder. Etwa 750 Jahre vor Jesu Geburt ist die Weissagung des Propheten Micha geschrieben, eine lange Zeit. Und doch immer im Gedächtnis geblieben, weil sich damit so viele Hoffnungen verbunden haben damals, als das ganz Israel zerstritten war und sich einzelne Gebiete miteinander im Krieg befanden.

Für viele Menschen damals haben sich diese Hoffnungen erfüllt mit der Geburt von Jesus Christus. Sie haben alles, was im Alten Testament vom zukünftigen Friedensherrscher geschrieben war, auf Jesus hin gedeutet. Jesu Geburt liegt heute nun auch wieder 2020 Jahre zurück. Die Weissagung der Propheten Micha: „Aus Bethlehem wird unser Friedensherrscher kommen“ ist also fast 2800 Jahre alt.

Das sind die Fakten. Was aber bedeuten diese Fakten für uns? Heute, so viele Jahre später, wissen viele Menschen von Jesus mal gerade noch den Namen. Es lohnt sich, dieser Frage nachzugehen: Was bedeutet er uns? Wo betrifft und bewegt er mich?

Als mir damals in Marburg zum ersten Mal diese uralten Weissagungen begegneten, konnte ich mir das alles gut vorstellen. Es war eine kleine Stadt, in der ich studierte. Unbedeutend auf der Landkarte. Und doch ist von dieser kleinen Stadt aus ganz viel in Bewegung geraten für uns evangelische Christen, denn dort sind sich im April 1529 die Reformatoren Martin Luther, Ullrich Zwingli und Philipp Melanchthon zum einzigen Mal begegnet und haben sich im Marburger Religionsgespräch über ihre Gedanken ausgetauscht.

Immer wieder habe ich genau das erlebt: Es sind gerade die unauffälligen Orte und die Menschen, von denen erst einmal niemand spricht, die ganz viel bewegen. Die Blicke der Weltöffentlichkeit gehen in die großen Städte, nach Berlin, Straßburg, Brüssel, New York und Moskau.

Aber die Menschen und Orte am Rand des Geschehens sind es, die oft sehr viel bewirken. Vielleicht auch gerade deshalb, weil keiner so genau hinsieht. Wir sehen mit Entsetzen die Fernsehberichte von Menschen, die an die polnisch-weissrussische Grenze verschleppt wurden und dort verhungern und erfrieren. Nicht berichtet wird von den polnischen Einwohnern dort an der Grenze, die ganz allein und gegen den Willen der polnischen und auch der europäischen Regierung zu helfen versuchen. Sie sammeln Hilfsgüter und versuchen sie zuzustellen. Sie organisieren Beerdigungen für die, die an der Grenze sterben. Sie suchen im Wald nach Menschen, die sich dort versteckt halten. Sie versuchen, sich zu organisieren. Der Bürgermeister eines kleinen Grenzortes dort tut zusammen mit seiner Gemeinde, was möglich ist und fühlt sich gleichzeitig von Europa im Stich gelassen. Eine Frau wird zitiert den Worten: „ich habe Kinder und kann hier keine Nacht mehr schlafen bei dem Gedanken, dass 500 Meter weiter Kinder erfrieren. Also bin ich jeden Tag unterwegs, um zu helfen.“

Wir wohnen hier an der deutsch-fraunzösischen Grenze. Zum Glück ist es keine Außengrenze der Europäischen Union.

Aber wir können uns in die Lage der Menschen hineinversetzen. Wie ginge es uns, wenn am Ende der Ormersweiler Straße alles zu Ende wäre? Wie ist es den Menschen hier ergangen in der wechselvollen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts, als am Ende der Ormersweiler Straße alles zu Ende war? Als alle evakuiert werden mussten? Als junge Männer an die russische Front mussten, weil sie ja nicht in der Lage gewesen wären, gegen die Franzosen nur wenige hundert Meter weiter zu kämpfen? Als es eben nicht mehr möglich war, sicher zu wohnen?

Oft sind es die kleinen Schicksale, die die Welt bewegen und in Bewegung bringen. Die kleinen Menschen, die kleinen Orte.

Von Bethlehem wusste damals kaum einer den Namen. Und was aus dem Kind Jesus, das dort geboren wurde, einmal werden würde, das hätte sich niemand in seinen kühnsten Träumen vorstellen können.

Es ist wichtig, dass wir Menschen am Rand des Geschehens in den kleinen Orten unser Selbstbewusstsein behalten und unsere Möglichkeiten nutzen. Kaum etwas gibt es noch in unseren Dörfern hier an der Grenze. Schule und Kindergarten liegen ebenso weit entfernt wie die  Arbeitsplätze. Fast jedes Dorf aber hat noch seine Kirche, in der sich heute Abend die Menschen versammeln und an diesen kleinen Ort Bethlehem denken, von dem aus sich die Geschichte der Welt verändert hat.

Wenn ich den Blick über die Dörfer hier im Hügelland schweifen lasse, so sind es die Kirchtürme, die mich erkennen lassen, mit welchem Ort ich es zu tun habe. Immer noch sind die Kirchen ein Mittelpunkt, auch wenn sie seltener aufgesucht werden.

Es liegt eine Chance darin, sich auf das zu  besinnen, was uns verbindet. Und es hängt von uns allen ab, ob es diese Kirche, die die wechselvolle Geschichte des Ortes begleitet hat, in 20 Jahren so noch gibt.

Wer heute nach Bethlehem reist, der hat es schwer. Denn Bethlehem liegt nicht mehr in Israel selbst, sondern hinter der Grenze, im palästinensischen Gebiet. Viele Kontrollen muss man über sich ergehen lassen, um schließlich in einem unscheinbaren und armen Ort anzukommen. Vielleicht ist heute Bethlehem wieder so, wie es zum Zeitpunkt von Jesu Geburt einmal war.  Der Frieden, der in der alten Weissagung des Propheten Micha angekündigt ist, herrscht heute in Israel sicherlich nicht.

Denn Frieden, die Sicherheit für alle, die in den Weissagungen angekündigt sind und für die  Jesus gelebt hat, sind nur möglich, wenn wir Menschen sie auch möglich machen. Jesus ist uns darin  zum Vorbild geworden, er hat uns gezeigt, wie es geht, an ihn können wir uns halten, von ihm Hilfe erbitten. Wir wissen um die Bemühungen und oft auch Machtlosigkeit der Politiker*innen. Es sind die kleinen Menschen und die  kleinen Orte, die wie an der polnischen Grenze dann doch kleine Friedenslichter leuchten lassen. Die nicht aufgeben, in der Bethlehemer Geburtskirche das Friedenslicht anzuzünden und in die Welt zu tragen. Und so jedes Jahr an Weihnachten neu daran zu erinnern, was uns versprochen, was uns aufgetragen ist.

Es sind die kleinen Orte und kleinen Menschen, die wichtig sind. Wir sind es, die wichtig sind, die mithelfen können, dass die Worte wahr werden: Sicherheit und Frieden für die Menschen. An Weihnachten erinnern wir uns daran. Von Weihnachten ausgehend tragen wir die Botschaft, von Bethlehem ausgehend das Licht in die Welt.

Jesus ist uns vorangegangen. Wenn wir ihm nachfolgen, wird es gelingen. AMEN

de_DEDeutsch