Predigt zu Lukas 2,1-20

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Predigt zu Lukas 2,1-20

Weihnachten 2021 | Predigt zu Lukas 2,1-20 | verfasst von Ulrich Nembach |

Liebe Gemeinde,

Weihnachten, der Heilige Abend! Welcher Tag, welche Stunde! Ich meine, dass wir dieses Jahr Weihnachten besser verstehen als früher. Warum? Das werden wir gleich sehen. Zuvor ein Rückblick. Er hilft uns zu verstehen, was Weihnachten eigentlich, im Grunde genommen, bedeutet.

1.

Weihnachten feierten wir bisher mit Weihnachtsbaum, Geschenken, im Kreise der Familie. In den Gottesdiensten führten Kinder ein Krippenspiel auf. Die Geschwister, die Eltern und Großeltern schauten freudig zu. Manche von uns erinnern sich noch, wie sie zuschauten oder gar selbst mitspielten. Vorn am Altar spielten sie.

Wir sangen im Gottesdienst Weihnachtslieder, fröhliche Weihnachtslieder. Schon in der Vorweihnachtszeit sind nicht wenige in die Kirchen geeilt, um Bachs Weihnachtsoratorium zu hören. Der Eingangschor beginnt mit den Worten: „Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage!“ In Leipzig sang in der Thomaskirche der Thomanerchor, und Mitglieder des weltbekannten Gewandhausorchesters spielten. Feierlich, schön!

2.

Nun ist alles anders. Die Pandemie veränderte unser ganzes Leben. Wir müssen auf vieles, das uns bisher selbstverständlich war, verzichten. Mit der Ansteckungsgefahr hat unser Umgang miteinander seine Leichtigkeit verloren. Die Zahl der Erkrankten steigt, die Zahl der Verstorbenen steigt. Allein in Deutschland sind inzwischen mehr als 100.000 Menschen durch das Virus gestorben. Täglich kommen weitere hinzu.

Die Lage in den Kliniken spitzt sich zu. Ärzte und Pflegekräfte arbeiten am Limit. In der Intensivpflege werden die Betten knapp. Militärmaschinen sind bereits im Einsatz, um Patienten von einem Ende der Bundesrepublik an ein anderes Ende zu fliegen. Kaum sind die Maschinen gestartet, sind die Betten der ausgeflogenen schon wieder gefüllt.

Warum erzähle ich Ihnen das? Sie wissen das genauso gut wie ich. Ich rufe es Ihnen ins Gedächtnis, um im Folgenden aufzuzeigen, was Weihnachten eigentlich bedeutet, ungeachtet der uns lieb gewordenen Bräuche und Rituale. Der Sinn von Weihnachten ist ja ein anderer. Weihnachten ist ein Neuanfang. Weihnachten markiert einen Neuanfang.

Gut, diesen Neuanfang feiern wir nun seit bald 2.000 Jahren alle Jahre wieder. „Alle Jahre wieder“, sagen manche etwas abfällig. Ist es aber wirklich so banal, alle Jahre wieder Weihnachten zu feiern?

Kinder freuen sich auf ihren Geburtstag. Sie laden Freunde ein. Die Eltern veranstalten ein schönes Fest. Im Kindergarten singen die Kinder zu Ehren und zur Freude des Geburtstagskindes. Wenn wir älter werden, feiern wir ebenfalls, wenn auch manchmal etwas traurig, weil wir schon wieder ein Jahr älter geworden sind.

Ein rund 60 Jahre alter Sketch bringt das auf den Punkt. Darum zeigt ihn das Fernsehen alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit. Eine Dame ist alt geworden. Ihr 90. Geburtstag steht an. Ihre Freunde, die sie immer eingeladen hatte, sind verstorben. Nur sie und ihr alter Diener leben noch. Der hat den Tisch wie immer gedeckt, für die alte Dame und ihre Freunde. Dann fragt er, ob alles so ablaufen soll wie im letzten Jahr. Sie antwortet: „The same procedure as every year“ (alles so wie jedes Jahr).

Ja, so feierten wir. 2021 aber ist es anders. Es ist anders als im vorletzten Jahr und selbst im letzten. Da traf uns bereits die Pandemie, doch es mussten keine Flugzeuge mit Schwerkranken starten. In diesem Jahr sind wir an einem Tiefpunkt angekommen. Politiker sprechen davon, dass Deutschland in einer Notlage ist wie noch nie.

3.

Diese Situation kann uns erklären, was Weihnachten eigentlich ist. „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsere Nacht nicht traurig sein“, heißt es in einem neueren Kirchenlied.

Die Geburt Jesu war ein Tiefpunkt. Die Geburt fand in einem Stall statt! Das Kind überlebte. Die Mutter überlebte auch. Heutige Geburtskliniken sehen in Deutschland ganz anders aus. Gott sei Dank! – In dem Stall in Bethlehem wurde die Welt verändert. Der dort geboren wurde, war ein König. Könige reisten extra an, um dem Kind zu huldigen. Engel lobten und priesen Gott!

Dieses Kind lehrte uns, als es erwachsen geworden war, Gott mit „Vater“ anzureden: „Vater unser im Himmel.“ Was das heißt, ist schwer zu begreifen. Die alte Kluft zwischen Gott und uns Menschen war gewaltig. Ich versuche, es mit einem Beispiel zu erklären. Das Beispiel zeigt, wie tief und weitreichend eine Grenze sein kann. Wir können so in etwa ahnen, was die Überwindung der Grenze zwischen Gott und Mensch bedeutet.

Es war der Abend des 24. Dezember 1989. Erst an diesem Tag durften wir Göttinger ins nur 19 km entfernte Kirchgandern fahren. Die Mauer in Berlin war schon am 9. November gefallen. Wir durften erst am 24. Dezember die Grenze zur damaligen DDR überqueren. Der eiserne Vorhang, der uns so nahe beieinander Wohnende jahrzehntelang getrennt hatte, stand noch da, aber er existierte nicht mehr als Sperre. Meine Familie und ich, wir waren abends in den Gottesdienst nach Kirchgandern gefahren. Der Pfarrer begann sein Gebet mit den Worten: „Heute müssen wir nicht für unsere Brüder und Männer beten, die an der Grenze ihren Dienst tun müssen.“ Diese Worte sind so eindrücklich für mich gewesen, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe.

Weit bedeutender, größer ist der Unterschied zwischen der Zeit vor Weihnachten und danach, also auch heute. Wegen dieser Bedeutung, um ihretwillen, können wir trotz der Pandemie, trotz der über 100.000 Toten singen: „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren.“ Wir dürfen wissen, dass das Kind später sterben wird, einen grausamen Tod sterben wird, aber dass es auch auferstehen wird. Gott lässt das Kind, sein Kind, nicht allein.

Heute – feiern wir die Geburt dieses Kindes!

Amen

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