Mit Verantwortung versorgt

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Mit Verantwortung versorgt

Predigt zu Gen 2,4b-15| verfasst von Pfarrer Dr. Christoph Kock |

  1. Für alles ist gesorgt

Herzlichen Glückwunsch zum Abitur! Endlich hat Lena ihr Zeugnis in Händen. Klar, freut sie sich. Aber die Feier fällt im Corona-Jahr anders aus als bei ihren Geschwistern. Längst abgesagt ist der Gottesdienst im Dom, der Empfang im Stadttheater, der Abiball in der Festhalle. Schade. Immerhin gibt es ein kleines Programm auf dem Schulhof. Lena durfte zwei Gäste mitbringen. Als sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Hause kommt, ahnt Lena nicht, was sie erwartet: Ihre Familie hat Freunde und Verwandte zu einem kleinen Gartenfest eingeladen. Das geht ja gerade wieder. Während sie ihr Zeugnis bekommen hat, haben ihr Vater, ihr Bruder und zwei Freundinnen Zuhause alles vorbereitet. Lena hat nichts mitbekommen. Alles hat gepasst: Deko, Essen und Trinken, nette Menschen und sogar Sonnenschein und blauer Himmel. Eine gelungene Überraschung: Ihre ganz persönliche Abi-Feier. Für alles ist gesorgt.

 

Endlich wieder Besuch. Hildegard ist schon aufgeregt. Heute hat sich ihre Freundin und ehemalige Nachbarin angekündigt. Sie haben sich neun Wochen nicht gesehen. Kurz nach ihrem Einzug ins Pflegeheim begann der Lockdown. Nachmittags sitzen sie sich im Garten gegenüber, natürlich mit Abstand. Ihre Freundin muss einen Mundschutz tragen. Das Gespräch ist etwas mühsam, aber Hildegard hat daran gedacht, ihr Hörgerät einzusetzen. „Und“, traut sich ihre Freundin irgendwann zu fragen, „vermisst du deine Wohnung?“ Hildegard überlegt. „Manchmal schon. Aber du weißt doch selbst: Ich bin kaum noch zurechtgekommen. Ohne die Hilfe von dir und von den anderen Nachbarn hätte ich schon viel früher umziehen müssen. Auch wenn Besuch in den letzten Wochen schön gewesen wäre. Ich bin immer noch erleichtert, dass ich mich um nichts mehr kümmern muss. Das hab ich selbst zuletzt doch gar nicht mehr geschafft: einkaufen, kochen, putzen. Für alles ist hier gesorgt.“

 

Feierabend im Homeoffice. Heute nach drei Videokonferenzen. Zum Schluss konnte sich Jonas kaum noch konzentrieren. Höchste Zeit, sich zu bewegen. Jonas schaut aus dem Fenster. Es ist grau und windig. Er schnappt sich seine Jacke und verlässt die Wohnung.

Jonas läuft um den See. Ein ehemaliges Baggerloch als Naherholungsgebiet: Surfen, Baden, Tauchen, Naturschutz – alles an einem Rundweg. Jonas fällt der Blumenstreifen auf: Roter Klatschmohn, blaue Ringelblumen. Eine gelbe Pflanze, die er nicht kennt. Lebensraum für Bienen und andere Insekten. Gräser bewegen sich im Wind, der kleine Wellen auf die Wasseroberfläche zeichnet. Im Hintergrund ziehen zwei Surfer ihre Bahnen. Jonas geht mit zügigen Schritten. Immer wieder brechen die Wolken auf, das Abendlicht taucht den Weg in ein sanftes Rot. Als Jonas den See verlässt, sieht er zehn Störche auf einer Wiese umherstolzieren. So viele waren es noch nie. Jonas ist froh, dass er rausgegangen ist. Für alles ist gesorgt.

 

 

  1. Als Gott angefangen hat

Einfach losgehen können. Einfach wohnen können. Einfach feiern können. Weil für alles gesorgt ist.

So wie im Paradies. Wo alles angefangen hat. Wie alles angefangen hat, wird unterschiedlich erzählt. In der Bibel beginnt eine Anfangsgeschichte im ersten Buch Mose so:

 

Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte.

Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute;

aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land.

Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.

Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.

Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.

Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme.

Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold;

und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham.

Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch.

Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat.

Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

 

 

III. Erdling mit Aufgabe

In der Wüste beginnt das Paradies mit Wasser. Weil es den Boden fruchtbar macht. Ohne Wasser wächst nichts. Kein Baum, kein Strauch, kein Feld, kein Garten. Auch jenseits der Wüste ist das einleuchtend, nach dem dritten Hitzesommer in Folge. So fängt es an: Ein Strom tränkt das ganze Land.

Und dann kommt Gott. Wie ein Handwerker? Wie eine Künstlerin? Wie dem auch sei, Gott fasst an und macht den Menschen aus Staub von der Erde. Von der Erde, hebräisch Adamah, ist der Mensch, der Adam, genommen, der die Adamah bebauen wird. Ein Erdling ist der Mensch. Kommt von der Erde, von der er sich ernähren wird. Damit er lebt, haucht Gott ihm den Lebensatem in die Nase. Fertig. Fast sieht man, wie sich Gott die dreckigen Finger am Overall abwischt und sein Werk betrachtet.

Aber damit ist die Arbeit noch nicht getan. Der Mensch braucht Raum zum Leben und Gott wird zur Gärtnerin. „Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.“ Nach der Aufzählung von Bäumen, die Gott dort wachsen lässt, und den Wegen, die das Wasser jenseits des Gartens nimmt, wird wiederholt, was wichtig ist: „Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“

Das Paradies, der Garten Eden. Für alles ist gesorgt. Der Mensch bekommt Raum, um zu leben und zu arbeiten. Am Anfang steht eine doppelte Aufgabe: Den Garten zu bebauen und zu bewahren. Der Garten Eden ist kein Schlaraffenland, in dem der Mensch faul herumliegt und ihm die Nahrung in den Mund fällt. Gott hat sein Werk getan. Jetzt bekommt der Mensch zu tun. Den Garten zu bebauen zu bewahren. Zur Fürsorge Gottes gehört, dass der Mensch Verantwortung bekommt.

Das ist erst der Anfang. Die Geschichte geht weiter. Tiere kommen dazu. Erstaunlicherweise im Paradies nicht als Nahrung. Dafür reicht der Garten. Der Mensch kommt als Mann und Frau in den Blick. Schließlich als sterbliches Wesen, dessen Leben bedroht und gefährdet ist. Warum der Mensch jenseits von Eden lebt, das Paradies verloren ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Erinnerung an den Anfang begleitet den Menschen. Wie im Paradies. Ob Urlaub am blauen Strand, der Schlaf auf einer Matratze oder der Geschmack einer Nachtischcreme. Das Wort ist schnell zur Hand, in Produktnamen gezwängt. Die Erinnerung hat ein langes Echo. Mit Sehnsucht verbunden. Mit jenem Ort, an dem das Leben angefangen hat. Erinnerung an sorgenfreien Genuss – ohne Reue, aber mit Verantwortung.

 

 

  1. Bebauen und bewahren

„Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Für alles ist gesorgt. Auch für eine Aufgabe. Der Mensch braucht und bekommt etwas zu tun. So ist es gar nicht so erstaunlich, dass Hildegard ab und zu Zeit in der Küche des Wohnbereichs verbringt. „Kartoffelschälen kann ich noch“, wird sie ihrer Freundin beim nächsten Besuch erzählen. „Das ist schön, wenn wir dabei zusammensitzen.“ Lenas Geschwister, Eltern und Freundinnen waren an diesem Tag gut beschäftigt. Aber, da waren sich alle einig, die Arbeit hat sich gelohnt. Lena wird sich gerne an ihre Abifeier erinnern. Und Jonas? Der hat nicht nur den Klatschmohn und die Ringelblumen gesehen, sondern auch den Burgerking-Müll und die Wodkaflaschen am Trampelpfad zum Ufer. Übriggeblieben vom letzten Wochenende. Schade, das stört irgendwie. Als er einmal früh morgens seine Runde um den See macht, trifft er einen Mann mit einem Müllsack, der solche Spuren mit einer Zange aufsammelt. Freiwillig, wie er erfährt. Und schon seit vielen Jahren. Einer, der was tut. Der sich Sorgen macht und Verantwortung übernimmt.

Zur Erinnerung ans Paradies gehört, dass der Mensch viel verlieren kann. Gut, wenn mir das bewusst wird. Wenn ich mich darüber ärgere, wie sorglos und gleichgültig andere handeln. Besser noch, wenn ich etwas dagegen tue. Müll sammeln. Müll vermeiden, vor allem den aus Plastik. Menschen am Niederrhein engagieren sich gegen den Kiesabbau in ihrer Region. „Eden“ heißt ihr Verein. Sie wollen Lebens- und Kulturraum bewahren, stellen Abbaupläne öffentlich in Frage. Zeigen auf, was alles verschwinden soll. Landschaft, die abgebaggert wird, ist verloren. Wie viele Seen sinnvoll sind?! Unbequemer Protest gehört zur Verantwortung. Manchmal auch ein Kompromiss. Da kann und muss noch viel passieren. Müll, Kies, Klimawandel – für die Zukunft gibt es alle Hände voll zu tun. Freitags und an den anderen Wochentagen. Eigentlich schon von Anfang an:

„Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“

Amen.

 

Lieder:

EG 455 (Morgenlicht leuchtet)

EG 395 (Vertraut den neuen Wegen)

EG 432 (Gott gab uns Atem)

 

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

 

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

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