Spuren entdecken

Spuren entdecken

Predigt zu 1. Mose 2,4b-15 |verfasst von Udo Schmitt|

Wo ist das Paradies?

Die Bibel sagt, es war einmal ein Garten zwischen vier Flüssen. Zwei davon kennen wir, Euphrat und Tigris. Die anderen zwei sind nicht sicher zu identifizieren, der eine vielleicht in Asien, der andere in Afrika. Also: Der genaue Ort ist unbekannt. Immerhin so viel ist klar: Das Paradies ist eine Flusslandschaft. Dort gibt es Wasser. Reichlich Wasser und grüne Wiesen, grüne Bäume. Und wir mitten drin. So hat alles angefangen.

Wo ist das Paradies?

Vor einigen Jahren haben deutsche Archäologen sich Hilfe geholt von Buschmännern, drei an der Zahl, die sie baten, Fußspuren aus der Steinzeit für sie zu deuten. Die Zeitungen berichteten davon und auch im Fernsehen erschien dazu eine Dokumentation. Die Fußspuren hatten sich in alten Höhlen erhalten, seit vielen Jahren schon sind sie bekannt. Aber die Forscher aus unseren Breitengraden hatten schlicht keine Ahnung, wie sie diese Spuren lesen sollten. Sie hatten über seltsame Rituale und Tänze spekuliert. Alles falsch. Tatsächlich hatten ein junger und ein alter Mensch hier etwas Schweres getragen und daher rührte der schleppende Gang.

Eine Sache hat mich berührt, es war nur eine Kleinigkeit. Ein kindliches Staunen. Eine der besuchten Höhlen lag in Südfrankreich. Und als die drei Spurenleser dahin kamen, staunten sie über das, was sie sahen. Nicht in der Höhle. Sondern draußen drum herum. Es regnete, die Wiesen waren feucht, die Bäume waren voller grüner Blätter und Wasser floss in kleinen Bächen hier und dort. So etwas hatten sie noch nie gesehen – sie kannten ja nur die Wüsten und Steppen in ihrer Heimat Namibia. Es muss ihnen vorgekommen sein wie das Paradies.

Wo ist das Paradies?

Wenn wir es richtig betrachten, dann können wir sie noch erkennen, die Spuren lesen, die das Paradies hinterlassen hat. Der Garten Eden, von Gott selbst angelegt. Fremde Blicke, eingeflogen vom anderen Ende der Erde können uns die Augen öffnen: Was habt ihr es doch gut! Ihr lebt ja wie im Paradies. Wie Gott in Frankreich. Oder Jesus im Rheinland. „Ach, das!“, sagt man sich und winkt ab. Wasser. Wasser haben wir genug. „Kenn ich schon!“ Nichts Neues.

Ja, wir haben gut reden. Hier im Bergischen Land. Doch die Wüste wächst. Weltweit. Immer mehr Gegenden bleiben ohne Regen. Auch in Deutschland. Als der trockenste Ort hierzulande gilt die Gemeinde Artern an der Unstrut in Nordthüringen. Dort hat es seit drei Jahren kaum geregnet. Es ist dort so trocken wie in der mongolischen Steppe. Es sterben Bäume und Tiere, Flüsse und Bäche trocknen aus. Die Bauern haben nichts mehr zu ernten.

Vielleicht war das der Trick, als wir Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden, dass wir auf der Suche nach Neuem, nach Erkenntnis und Gewinn, verlernt haben, schlicht und einfach verlernt haben, es zu sehen. Das Glück. Den Garten Gottes. Vielleicht ist ja das Paradies immer noch da, und wir mitten drin, wir erkennen es nur nicht mehr. Können die Spuren nicht lesen, in unserem Leben. Wie gut wir es doch haben (könnten), und wie gut es Gott mit uns meint – noch immer. Und trotz allem, was war. Dieser kleine blaue Planet. Kein Paradies. Und doch… Noch immer zeigt er Züge göttlicher Gärtnertätigkeit.

Wo ist die Hölle?

Wenn man in die Zeitungen schaut und die Nachrichten sieht aus aller Welt, dann ist auch die Hölle mitten unter uns. An Euphrat und Tigris blühen keine Bäume. Es blüht Hass und Gewalt, Bluttat und Verbrechen. Flüchtlinge fliehen in vollgepferchten Booten, dem Kentern nahe, dem Ertrinken nahe, dem Tode nahe. Fliehen, auch wenn sie ahnen, dass sie nicht willkommen sein werden in den anderen Ländern, egal wo – auf dieser Welt.

Wir Menschen sind es, die Menschen töten, Menschen vertreiben und Menschen abweisen, wieder nach Hause schicken. Wir Menschen sind es, die diese Erde ausquetschen, auspressen, nach Gewinnmaximierung strebend auch die letzte Ressource verschwenden. Wir hinterlassen unseren Enkeln und Urenkeln nicht Gärten und blühende Landschaften, sondern Wüsten und verbrauchte Seelen.

„Die Hölle, das sind die anderen“, hat der französische Philosoph Sartre gesagt. Nein, nicht die anderen, wir – wir sind es selbst. Die Hölle ist mitten unter uns. Wir bereiten sie uns selbst.

Wo ist das Paradies?

Schon jetzt und hier beginnt der Weg zurück, der Weg zum Paradies. Wenn wir aufhören auf Kosten anderer zu leben. Wenn wir nicht verbrauchen und vernichten und vergiften, was uns nicht gehört. Sondern unseren Kindern und Enkeln. Und deren Kindern und Enkeln. Wir haben diesen kleinen, blauen Planeten nur als Gärtner gepachtet von Gott, geborgt von zukünftigen Generationen. Deren Glück und Gedeihen können wir vernichten, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir müssen umkehren. Und unsere ganze Cleverness und unsere ganze Phantasie nicht darauf verschwenden reich zu werden oder berühmt, sondern dazu einsetzen, die Erde wieder instand zu setzen.

Schon jetzt und hier beginnt der Weg zurück, der Weg zum Paradies. Äußerlich und innerlich. Und schon jetzt und hier entscheidet sich, wie es werden wird für uns. Wir sollen tun, was gut ist: für uns, für andere, für diese Welt. So wie Gott es uns geboten hat. Dies zu beachten, ist nicht bloß trockener Gesetzesgehorsam. Wir werden sauberes Wasser erleben, frische Luft atmen, Blumen am Rande dieses Weges sehen können, Wachstum und Gedeihen. Wenn wir denn wollen. Und die Augen aufmachen. Dann werden auch wir etwas spüren von der Liebe und Wärme, die Gott zu dieser Welt hatte, als er sie erschuf – und uns mitten darin. Aus der chassidischen Mystik überliefert uns Martin Buber diese Mahnung: „Wenn ein Mensch die ganze Lehre und alle Gebote erfüllt hat, aber die Wonne und das Brennen hat er nicht gehabt: wenn der stirbt und hinübergeht, öffnet man ihm das Paradies, aber weil er in der Welt die Wonne nicht gefühlt hat, fühlt er auch die Wonne des Paradieses nicht.“

Wenn wir die Augen öffnen und die Spuren sehen, die Gott hinterlassen hat – nicht nur auf dieser Erde, sondern auch in uns – wenn wir uns an diese Spuren halten und ihnen folgen, dann werden wir ihn finden, den Weg der zu Freude und Wonne führt, zu Glück und Gelingen, den Weg zurück zum Paradies.

Liedvorschläge:

„Morgenlicht leuchtet“ (HuE 438, EG 455),

„Wir haben Gottes Spuren festgestellt“ (HuE 230, RWL 648),

„Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht“ (EG 506),

„Einst schuf Gott einen Garten“ (HuE 346),

„Weißt du, wie viel Sternlein stehen“ (HuE 367, EG 511),
„Die Steppe wird blühen“ (HuE 11).

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

 

 

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