Nachfolge

Nachfolge

5. So. n. Trinitatis – 12.7.2020 | Predigt über Lk 5,1-11 | verfasst von Michael Plathow |

Werden hier für die sog. „Menschenfischer“ Andere zu Missionsobjekten?

Widerwillen regt sich dagegen. Doch solche Vorbehalte, zugespitzt gar durch das Bild von großen Schleppnetzen, denen kein Fischchen entwischen kann, zerstreut die Gleichniserzählung selbst.

Die Intention des Evangelisten Lukas ist anders.

Ebenso greift nicht, mit dieser Geschichte von Petri Fischzug (Augustins) den Satz „Zwingt sie hinein (cogite intrare)!“, Bekehrungskampagnen in der Kirchengeschichte und Verstrickungen zwischen Mission und Kolonisation legalisieren zu wollen.

Die Botschaft des Evangelisten ist eine ganz andere.

 

1. „Es begab sich aber!“.

Dieser Satz, ein Ohrwurm, lässt aufmerken. Da kündigt sich wieder etwas Außerordentliches in Gottes Heilsgeschichte an: der Auftrag, „allen Menschen“ „Christus, den Herrn“ zu verkündigen (2, 10f).

Am See Genezareth drängt sich die Menge, um Jesus zu sehen und seine Worte zu hören. Einen Fischer – es ist Simon – bittet Jesus, dass eins der an Land liegenden Boote ablege, damit er von ihm aus die Botschaft vom Reich Gottes verkündige. Nach Ende der „Seepredigt“ spricht Jesus Simon ein zweites Mal an: „Fahre hinaus!“, jetzt, mitten am Tag, „werft eure Netze zum Fang aus!“. Eigentlich ist es ein törichtes Anliegen; es widerspricht aller fachmännischen Erfahrung. Gleichwohl, Jesu Person, seine Worte, die Gott und Gottes Reich verkündigen, wecken irgendwie Vertrauen: „Auf dein Wort“. Simon fährt auf See und wirft die Netze aus. Ja, und da erlebt er das menschlicher Vernunft Uneinsichtige, das Unwahrscheinliche: die Netze drohen zu zerreißen; überreich ist der Fischfang. Kollegen müssen zu Hilfe kommen. Zwei Boote werden bis an den Rand gefüllt.

 

2. „Als Simon das sah“, da leuchtet ihm irgend auf das Geheimnis von Jesus, seiner Person, seiner Verkündigung. Zugleich wird er über sich selbst verwiesen, soz. außer sich gestellt. In der Begegnung mit Jesus sieht er sich vor Gott. Er erkennt sich als von Gott erkannt. Neu erfährt er sich, indem Gottes Güte, ihm kaum erkennbar, in Jesus widerfährt: Jesus, „der Heiland, Herr der Welt“ (2, 10f).

Da fällt Simon vor Jesus zu Boden: „Ich bin ein sündiger Mensch“ – ein, nein, sein Zusammenbruch. Der eigenen Selbstbezogenheit, der eigenen Selbstgenügsamkeit, der eigenen Selbstverwirklichung war die Beziehung zu Gott entschwunden. Die Frage nach dem Willen Gottes hatte er verdrängt, Sünde ausgeblendet; die Wirklichkeit Gottes war verdämmert.

Und da, in der Begegnung mit Jesus, mit Jesu Predigt vom Reich Gottes bricht es aus seinem Innern heraus; er schreit: „Geh weg von mir“. Keine Gemeinschaft meint er mit Jesus haben zu können. Zwischen dem Sünder und Jesus gebe es nichts Gemeinsames.

Auch die begleitenden Menschen rund herum erschrecken angesichts des Erlebten: der unwahrscheinliche Fischfang und der Zusammenbruch des Simon. Heiliger Schrecken erfasst sie, Furcht und Zittern vor der Gegenwart des fernen und doch nahen Gottes.

Ihn allein sollen wir fürchten und lieben.

 

3. So geschieht nach dem Evangelisten Lukas erneut das Außerordentliche in Gottes Heils- und Versöhnungsgeschichte mit der Welt. Jesus wendet sich – es ist nun das dritte Mal – Simon zu: „Fürchte dich nicht“! Gottes Güte und Erbarmen gilt dir!

Es ist das Wort der Vergebung und der Versöhnung – Wende im Leben der Menschen; Freude der Buße durch Gottes Gnade. Es ist die Wende, wie immer wieder Christen sie auf ihrem Lebensweg durch ein unwahrscheinliches Erlebnis erfuhren und erfahren. Der Anstoß kann sein ein Wort, eine Krankheit, eine Bewahrung, die Ansage von Schuld, das Wort der Vergebung. Beispiele sind der Kirchenvater Augustin, der Reformator M. Luther, der Theologe J. Moltmann, der Manager Th. Middelhoff usw. usw. Auch für so manchen Pfarrer und Prediger gilt das, wie auch für mich: das Leben führt durch eine ungeplante Kehre, von Jesus mitgenommen, in den Dienst der Wortverkündigung.

„Fürchte dich nicht!“, „Fürchtet euch nicht!“, so hatte Gott immer wieder dem Volk Israel auf finsteren Wegstrecken Rettung und Hilfe gebracht. So sandte der Engel Gottes die Hirten als Botschafter der „Freude, die allem Volk widerfahren soll“, die Verheißung vom „Heiland der Welt“ zu verkündigen.

„Fürchte dich nicht!“, so nimmt Jesus Simon mit sich. Unwahrscheinliches hat er beim Fischzug erlebt, noch Größeres, das Außerordentliche der Verkündigung des Reiches Gottes wird er erfahren: „Von nun an wirst du Menschen die gute Botschaft bringen“. Jesus nimmt ihn in seine Zusage und in seine Versöhnungsbewegung. Menschen wird er sammeln als Verkünder des Reiches Gottes und so an Jesu eigenem Werk Anteil haben.

 

4. Simon ist so der erste, den Jesus mitnimmt in seine Sendungsgeschichte. Weitere Jünger folgen, Nachfolger sind sie, nicht beeindruckte Nachahmer, Nachfolger, von Jesus angesprochen zum Dienst in Wort und Tat (5, 27; 6, 13; 8, 2; 9, 2, 6; u. a.; Apg. 1, 8; u. a.).

Dynamisch verbreitet sich das Evangelium. Gruppen oder Scharen von Menschen kommen zusammen; der Glaube wächst (6, 17; 19, 25). Immer neue Gemeinden werden entstehen über Grenzen hinweg (2, 41; 6, 1; 11, 1; 14, 21; 15, 41; 16, 15; 17, 12), in neuen Kontinenten beheimatet (Apg 16, 9) bis an die Enden der Erde (Apg 28, 31). Trotz Widerstände und Verfolgungen (Apg 8, 1ff; 23, 12), trotz Verhaftung (Apg 21, 27), Gefängnis (Apg 16, 23ff) und Prozess (Apg 25,10) und heute trotz Gottvergessenheit, Glaubensschwund, rückläufige Kirchenmitgliedschaft in angefochtenen und „kleiner werdenden Kirchen“ – die Verkündigung des Evangelium von der Versöhnung Gottes geht weiter. Das die Kirche Jesu Christi schaffende und erhaltende Wort Gottes lässt, trotz Dürrezeiten, Neues sprießen und wachsen hier bei uns und in anderen Regionen und Ländern.

M. Luther erzählt davon im Gleichnis vom Amaranthus: „Amaranthus wächst im August und ist mehr ein Stengel denn ein Bäumlin; lässt sich gerne abbrechen und wächst fein fröhlich und lustig daher. Und wenn nun alle Blumen vergangen sind und dies mit Wasser besprengt und feucht gemacht wird, so wirds wieder hübsch und gleich grün, dass man im Winter Kränze daraus machen kann. Ist Amaranthus daher genennet, das nicht verwelkt noch verdorrt.

Ich weiß nicht, ob der Kirche etwas möge gleicher sein denn Amaranthus, diese Blume, die wir heißen Tausendschön … Zudem lässt sich die Kirche auch gerne abbrechen und berupfen, das ist, sie ist Gott willig und gerne gehorsam im Creuz, ist darinnen geduldig und wächst wiederum fein lustig. … Endlich bleibt der Leib und Stamm ganz, und kann nicht ausgerottet werden. … Denn gleich wie Amaranthus, Tausendschön, nicht welkt noch verdorrt, also kann man auch nimmermehr die Kirche vertilgen und ausrotten. Was ist aber wunderbarlichers denn der Amaranthus? Wenns mit Wasser besprengt und drein gelegt wird, so wirds wieder grün und frisch, gleich als von den Todten auferweckt“ (WA TR,VI, 184f).

 

5. Das Wort Gottes geht weiter. Die Kirche Jesu Christi wird bleiben bis an den Tag, den Gott bestimmt (CA VII). „Eine freundige Nachricht breitet sich aus“ (EG 649) von Mund zu Mund, über Internet und Facebook. Sie ergießt sich immer wieder wie der Wachstum und Frucht bringende Regen. Als Teil der Versöhnungsbewegung Gottes ergeht das verkündigte Evangelium, schafft Glauben und Hoffnung, tröstet und begeistert, ruft zu Achtsamkeit und Liebe.

In der Nachfolge Jesu werden die Gemeinden zu Zeichen der mit Gott versöhnten Menschen. „Menschen der Zukunft“ Gottes (D. Bonhoeffer) sind sie auf ihren Auferstehungswegen, ein Wärmestrom der Versöhnung und der Liebe in einer sich säkularisierenden, religiös pluralisierenden Gesellschaft. Mitgenommen in die Nachfolgegeschichte Jesu, sind sie – wie Simon – berufen zum Zeugnis vom Reich Gottes. Träger des Symbols Fisch sind sie, dem Kennzeichen der ersten Nachfolger Jesu Christi: Ob mit dunklerer oder hellerer Hautfarbe, Ebenbild Gottes, eins in Christus, sind sie.

Auch wir sind mitgenommen in die Nachfolgegeschichte Jesu, berufen, das Zeugnis von Jesus Christus weiterzugeben. Das, liebe Gemeinde, ist der Kern der Botschaft des Evangelisten Lukas.

 

Wir, eine jede und ein jeder, die Gemeinde und Kirche sind mitgenommen in Jesu Ruf, Zeugnis zu geben.

Für den Theologen K. Barth, vielen von uns bekannt, zielt die Versöhnungsbewegung des dreieinen Gottes auf das Zeugnis von Jesus Christus in und vor der Welt. Das ist Auftrag und Bestimmung der Kirche Jesu Christi: die Martyria, das Zeugnis, von Jesus Christus unserem gekreuzigten und auferstandenen Bruder und Herrn. Mir gilt es. Den vielen Anderen gilt es.

 

Nicht um Besitzstandswahrung und Steigerung der Kirchenmitgliedschaft, gar nur der eigenen Kirche, gegen die anderen, geht es. Das „christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ (2011) verkündigt den „Heiland der Welt“ (Lk 2, 10f), das Heil in Jesus Christus. Um ihn geht es!; „seine Liebe bewegt, versöhnt und eint“ (Losung der Weltkirchenkonferenz des ÖRK in Karlsruhe 2022).

 

„Fürchte dich nicht!“, spricht Jesus heute.

Zum Zeugnis in Wort und Tat, im Zuhören und Mitgehen, als Nachfolger mitgenommen von Jesus sind wir. Konkret geschieht das in der Familie, für mich persönlich als Vater und Opa. Es geschieht im miteinander Sprechen, Helfen, Lasttragen gerade in Corona-Tagen. Es geschieht weiter in meiner Gemeinde, wo ich dabei bin im Gottesdienst am Sonntag, mit und für Andere bete, und da bin für die alltäglichen Sorgen und Hoffnungen Anderer. Es geschieht schließlich mit dem kritischen und konstruktiven Ansagen in einer Zeit der Extreme aus kirchenleitendem Mund. „Fürchte dich nicht!“

Das Evangelium geht weiter.

„Fürchte dich nicht!“, spricht Jesus zu mir und dir.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne und unser Tun in der Nachfolge Jesu. Amen.

 

Lied: „Eine freudige Nachricht breitet sich aus… (EG 649)

 

michael@plathow.de  

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