Numeri 6, 22-27

Numeri 6, 22-27

 

Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


 

Trinitatis,
10. Juni 2001
Predigt über 4. Mose 6,22-27, verfaßt von Klaus Schwarzwäller


Liebe Gemeinde

Je älter ich werde, desto mehr lerne ich die Liedstrophe wertschätzen:

Sing‘, bet‘ und geh auf Gottes Wegen,
verricht‘ das Deine nur getreu,
und trau‘ des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verläßt er nicht.

Als ich junger Mann war, ging mir diese Strophe nicht über die
Lippen – ich sah in ihr den Ausdruck eines christlichen Duckmäusertums,
das alles gottergeben hinnimmt und auf einen eigenen Willen fromm verzichtet.
Ich glaube, da bin ich einer Täuschung erlegen. Denn liest man
genau, so zeigt sich: Nach diesen Versen zu leben und zu verfahren,
ist weder leicht noch bequem. Ja, diese Strophe zeichnet ein aus dem
Rahmen fallendes Leben, das standhaft und zäh auf Gott ausgerichtet
ist in Gehorsam und Vertrauen, im Tun und im Lassen, in Beharrlichkeit
und Ergebung, ein Leben, das Kraft und Richtung erwartet und empfängt
aus Gottes Segen.

Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

Wir wünschen ihn uns, wir sprechen ihn zu bei Gratulationen, wir
ersehnen ihn. Wir spüren und ahnen, daß Gottes Segen alles
zum Guten wendet und allem Guten Entfaltung gewährt. Und irgendwie
steckt tief in vielen von uns die Überzeugung: Wo Gottes Segen
waltet, da wird unsere Welt heil, da werden wir selber heil; da verkümmern
krumme Sachen; da stellt sich Friede ein. Wo Gottes Segen wirkt, gedeiht
das Leben.

Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

Ist es die Kraft, die uns singen läßt auch auf Gottes Wegen
– und auf denen kommt man bekanntlich nicht sehr weit, erntet man wenig
Anerkennung und ist ständig in der Minderheit, nicht selten auch
unter Frommen. Ist diese Kraft Gottes Segen?

Oder ist er das Vermögen, beten zu können aus einer kaputten
Welt in einen leeren Himmel hinein, in dessen abgründigen Weiten
auch der lauteste Schmerzensschrei und der tiefste Ruf der Verzweiflung,
wie es scheint: ungehört verhallen. Ist dieses Vermögen Gottes
Segen?

Erweist Gottes Segen sich in den Kraftreserven, auf Gottes Weg zu verharren,
auch wenn die Mehrheit und zumal die Klugscheißer in Wissenschaft
und Medien mit Fingern zeigen und den Vorwurf erheben, man wäre
von gestern, altbacken, ja fortschrittsfeindlich. Erkennen wir hier
Gottes Segen?

Oder wirkt er sich darin aus, daß wir das Unsere getreulich tun
– man achte einmal darauf, wie es denen in Ämtern und auch in den
Kirchen ergeht, die sich so verhalten und die sich entziehen bei Kungeleien
und Durchstechereien; wahrlich, die nicht mitmachen, die haben Gottes
reichen Segen bitter nötig, um durchzuhalten und nicht zu resignieren
oder zynisch zu werden!

Nochmals also: Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

Indem wir nun in unseren Text hineinfragen, scheint unsere Frage ins
Leere zu gehen: Hier wird ganz selbstverständlich vorausgesetzt,
daß jeder weiß, was Gottes Segen sei. Das soll uns jetzt
nicht stören. Wir verfahren vielmehr so: Da unser Text die direkte
Antwort auf unsere Frage verweigert, versuchen wir, die Antwort gleichsam
hinten herum zu gewinnen. Und da stoßen wir als erstes auf etwas,
was nicht in unser Denken paßt:

Man spricht Gottes Segen nicht einfach so zu. Gottes Segen kann und
soll zugesprochen werden daraufhin, daß Gott den Priestern durch
den Mund seines Dieners Mose die Segensformel anvertraut. Also Segen
aufgrund von Gottes Befehl durch hierfür besonders ausgewählte
Menschen in genau befohlenen Worten.

Wie gesagt, das paßt nicht in unser Denken, und in unseren Kirchen
geht es denn auch vielfach erheblich lockerer zu, zumal bei „fortschrittlichen“
Kirchenleuten, die wegen ihrer häufig legeren Art das Lob ernten,
so „menschlich“ zu sein. Ob man bei so lockerem Umgang wohl
je gefragt hat:

Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

Wer aber diese Lockerheit so wundervoll findet, wie mag sich ein solcher
Mensch wohl vorkommen, wenn – sagen wir: im Falle einer Steuererleichterung
der Finanzminister den Hausmeister vor die Bundespressekonferenz schickte,
daß er dort in ungelenken Worten – denn er hat weder Sachkompetenz
noch Übung in freier Rede – diesen staatlichen „Segen“
kundgäbe? Man würde sich veralbert fühlen und erbost
sein. Es ist bei einem derartigen Anlaß selbstverständlich,
daß zumindest der Staatssekretär oder der Pressesprecher
erscheint, wenn der Minister sich’s denn schon nehmen läßt,
es selber zu verkünden.

Verstehen wir? Was Gottes Segen ist – wir fangen an, es ein wenig zu
begreifen, wenn uns aufgeht: Er ist zu groß, zu gewichtig, zu
heilig, als daß man ihn so irgendwie handhaben, daß man
locker-flockig mit ihm umgehen könnte. Wo das nicht deutlich ist,
bleibt Gottes Segen leeres Wort. Gottes Segen als fromme oder rasche
Floskel ist – eben: Floskel, mehr nicht.

Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

Er ist so groß, so gewichtig, so heilig, daß nur eigens
Bevollmächtigte ihn in besonderen Worten und auf Gottes Geheiß
zusprechen können.

Indem wir uns noch einmal in den Text vertiefen, stoßen wir als
zweites auf einen kunstvoll aufgebauten dreizeiligen Spruch: Im hebräischen
Original hat die erste Zeile drei Wörter, die zweite fünf
und die dritte sieben. Mit den Wörtern wird also gleichsam gemalt,
wie Gottes Segen sich immer weiter und ausladend entfaltet, wie er uns
zunehmend umschließt, so daß wir schier in ihn eintauchen
können. Was ist’s, das dieser Segen zueignet?

Der Herr segne dich und behüte dich: Gott möge den Gesegneten
Lebenskraft und Schutz vor allem Übel gewähren.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig:
Gott möge sein Gesicht über den Gesegneten strahlen lassen
– wie Vater oder Mutter über ihr Kind strahlen und ihm alles zuwenden
oder wie ein Lehrer über den Schüler strahlt, der seinen Weg
so gut macht, und ihn nach Kräften fördert. Und Gott möge
gnädig sein – verengen wir das nicht im Sinne dessen, daß
Gott den Sünder begnadige; es ist viel mehr gemeint. Gott ist gnädig,
indem er seine Gunst zuwendet. Gut, wir gebrauchen das Wort nicht mehr.
Aber jeder von uns weiß, was ein Günstling ist. In der Tat,
so etwas ist hier gemeint: Gott möge die Gesegneten als seine Günstlinge
nehmen.

Der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden:
Gesagt ist damit in feierlicher Sprachform, daß Gott die Gesegneten
wahrnehme und nicht an ihnen vorbei- oder über sie hinwegsehe;
nein, daß er sie im Blick habe. Wissen Sie, wie das ist, nicht
gesehen zu werden? Sich immer melden zu müssen: Hier, mich gibt’s
auch noch? Wieder und wieder die Demütigung zu erfahren, daß
man mich übergeht, mich nicht auf der Rechnung hat, denn ich zähle
nicht? Der Herr habe dich fest in seinem göttlichen Blick, wird
hier zugesprochen; was das bringt und bedeutet, sagt die Fortsetzung:
Er habe dich so im Blick, daß du Frieden hast. Indem ich dem nachsinne,
erinnere ich mich daran, wie wir uns in den 40er Jahren in den Bombennächten
und dann gegen Kriegsende, als wir hungern mußten; wie wir uns
in dieser schlimmen Zeit ausmalten, wie es sein würde, wenn wieder
Friede wäre. Friede! Keine Bomben! Satt zu essen! Richtige Kleidung!
Genügend Wohnraum! Abends keine Verdunklung! In den Geschäften
wieder alles zu kaufen! Zu Verwandten und Freunden fahren können,
wenn einem danach ist, einfach nur so! Was das ist: Friede, und: Frieden
zu haben, in Frieden zu leben – denken wir nur einmal an die Fernsehbilder
aus Krisengebieten oder auch an die schrecklichen Bilder von einzelnen,
denen man nachstellt, und uns ahnt, was das heißt, was das bedeutet:
Friede. Wo wirklich Friede ist, brauche ich keinen Schutz und keinen
Schlüssel: Denn mir passiert nichts. Ich kann mich loslassen rundherum
entfalten.

Das also ist es, was der Segen durch die Befugten und Beauftragten
den Gesegneten zuspricht. Wenn wir also noch einmal fragen:

Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

dann können wir jetzt feststellen: die umfassende Lebensmöglichkeit
und Lebensentfaltung unter Gottes Liebe, Schutz und Wohlgefallen.

Wir – wir wären damit am Ziel, hätten uns dann freilich damit
noch zu plagen, daß das so oft und durchaus ernsthaft zugesprochen
und dennoch nach unser aller Erfahrung so bedrückend selten erfahren
wird. Unser Text freilich ist hier noch nicht fertig, sondern gibt uns
ein drittes zu erkennen. Das steckt in dem eigenartigen Schlußsatz,
der das Ganze bündelt:

Denn ihr sollt meinen Namen auf die Kinder Israel legen, daß
ich sie segne.

Dieser Satz faßt die Segensformel zusammen und ist uns darin
befremdlich: Ein Name, auch der Gottes, ist doch kein Gegenstand, den
man auf jemand legen könnte; und manche kluge Leute haben hier
ihre Phantasie wuchern lassen und mit ernster Miene manches vorgeschlagen,
was hier gemeint wäre, nur weil der Satz über ihren Horizont
hinausgeht. Seien wir unsererseits lieber nicht dummschlau, sondern
reiben wir uns einmal an dem Gedanken und kauen wir auf ihm: daß
Gottes Name auf Menschen gelegt werden soll und wir darin seinen Segen
empfangen.

Verdeutlichen wir’s uns am Gegenbild! Auf Menschen werden gelegt: Lasten,
Verpflichtungen, Dienstbarkeiten, Zugehörigkeiten – oft bleibend
in die Haut geschrieben durch Tätowierung oder Brandmal – , auch
Schuld und Sühne, Leid und Kampf. Und lassen Sie uns einen kleinen
Augenblick einmal daran denken, was alles auf uns selbst gelegt ist

Und nun soll durch diese Segensformel Gottes Name auf die Gesegneten
gelegt werden. Ich glaube, uns ahnt, was das bedeutet: Es heißt,
daß Gott und sein Name uns und unser ganzes Leben kennzeichnen,
prägen, bestimmen, regieren, durchdringen soll. Es heißt
also, daß, wo man uns begegnet, sieht, hört, etwas erkennbar
sein soll von Gott, von seinem Schutz und Schenken, von seinem Strahlen
und seiner Liebe, von seinem Aufmerken und seinem umfassenden Frieden.
Das freilich klingt eher erschreckend: Wer könnte, wer sollte das
leisten?

Wer? Wir nicht! Wir, wir sollen es nur tragen – mit dem Namen das tragen,
was dieser Name enthält, verbürgt, wofür er steht, was
von ihm ausgeht. Wir sollen den Namen tragen, nachdem er mit dem Segen,
nachdem er als Segen auf uns gelegt wurde. Tragen wir ihn, dann macht
er sich geltend, auch an uns und in uns. Wir haben es ja vor Augen;
denn einst trug einer den Namen Gottes auf sich und war von diesem Namen
so bestimmt und durchdrungen, daß er von sich sagen konnte: „Ich
und der Vater“ – also: ich und Gott; „ich und der Vater sind
eins.“ Und auf ihm und seinem Wirken lag und liegt Gottes Segen
und geht von ihm aus – bis zum heutigen Tag.

Sein Segen und also sein Name wird auf uns gelegt in der Taufe. Die
ist darum ein feierliches, förmliches, der Willkür entzogenes
Geschehen. Seither tragen wir seinen Namen auf uns und können es
wagen, uns Christen zu nennen. Und wer Christ ist und heißt und
sich dem nicht entzieht, von dem geht in der Tat Unerwartetes und zuweilen
Unerhörtes und Unglaubliches aus – immer wieder auch zur eigenen
Überraschung.

Gottes Segen – was ist Gottes Segen?

Darin ist Gottes Segen an und über uns real, lebendig und erfahrbar:
Daß wir seinen Namen tragen und deswegen und hieraufhin etwas
von den Kräften seines Segens in unsere Umgebung und Welt hineintragen.
Man wird es uns nicht nur danken; im Gegenteil: Man wird es uns immer
wieder zum Vorwurf machen, uns dafür verdächtigen, verleumden,
gegen uns intrigieren, uns mit Spitzen und Schikanen vielfältiger
Arten piesacken, versuchen, uns mundtot zu machen. Ebendarum brauchen
wir’s umso mehr, uns darin bergen zu können:

Daß der Herr uns segne und behüte, sein Angesicht über
uns leuchten lasse und uns gnädig sei, sein Angesicht über
uns erhebe und uns Frieden schenke. Brauchen wir’s, daß er uns
selber etwas von dem schmecken lasse, was er durch uns will wirksam
sein lassen. Und er läßt es uns kosten, so wahr sein Name
auf uns liegt.

Amen.

Nachwort:
Mir ist bewußt, daß die Predigt für den Sonntag Trinitatis
ist. Der Text allerdings paßt für diesen Sonntag ebenso wie
für den Reformationstag, Heiligabend oder Neujahr, will sagen:
Er ist im Blick auf das Kirchenjahr unspezifisch. Ihn nunmehr auf Trinitatis
zu „trimmen“, wäre zwar in einem (neu-) platonischen
Gesamtrahmen naheliegend; innerhalb eines solchen Zusammenhangs hat
auch der Bezug des Trishagion (Jesaja 6) auf die Trinität Plausibilität.
Tempi passati – auch wenn es, wie es scheint, noch nicht begriffen ist
von jener Weisheit, die den aaronitischen Segen ob seiner drei Zeilen
dem Fest der Dreieinigkeit zuordnet. Es liegt mir fern, diese Weisheit
ergründen, gar kritisieren zu wollen. Folgte man ihr jedoch, es
würde zweierlei geschehen, was theologisch a limine ausgeschlossen
ist: Zum einen würde dabei der Text um sein Eigenes gebracht. Und
zum anderen machte man dabei das hohe Mysterium von Gottes heiliger
Dreifaltigkeit zu etwas, was man beiläufig mit behandeln dürfte.
Solcherart oberflächliche Willkür im Umgang mit Gottesdienst
und Predigt scheidet Kirchliches vom Geistlichen. (Um allfälligen
Schlaubergereien im voraus zu antworten: Auf EG 369,7 stieß ich
aufgrund der Exegese bei meiner Suche nach einem eingeführten deutschen
Stück, das möglicherweise das aus dem Text Erhobene enthielte
oder ausdrückte.) Demut geziemt gegenüber dem Text und Gottes
herrlichem Geheimnis, nicht jedoch – bleibendes Vermächtnis der
Reformation – gegenüber Menschensatzungen.

Prof. Dr. Klaus Schwarzwäller
E-Mail: kschwarzwaeller@foni.net

 

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