Offenbarung 15,2-4

Offenbarung 15,2-4

Zukunftsmusik | Kantate | 28.04.2024 | Off 15,2–4 | Christoph Kock |

  1. Musik weckt Erinnerungen

Musik weckt Erinnerungen. Probieren wir es aus. Dr. Stevens spielt ein Lied auf der Orgel an. Vielleicht erkennen Sie es wieder. Woran erinnert Sie diese Melodie?

„Ein Hoch auf uns“ von Andreas Bourani. Der Soundtrack zur Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Verbunden mit dem Titelgewinn der deutschen Nationalmannschaft, dem vierten Stern auf dem Trikot. Erinnerungen an einen unglaublichen Sieg, 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien. Wer hätte auf dieses Ergebnis gewettet. An ein langes, hart umkämpftes Finale gegen Argentinien. Marios Götzes spätes, erlösendes Tor. „Ein Hoch auf uns“. Lange ist es her. Ob die Mannschaft – zwei Trainer und 10 Jahre später – bei der Europameisterschaft im eigenen Land daran anknüpfen kann? Nach zwei Siegen in den letzten Testspielen wächst hierzulande Zuversicht. Wir werden sehen und vielleicht ein Lied mit diesem Turnier verbinden, das in sechs Wochen beginnt. Oder auch nicht.

Musik ist vielseitig. Als Erinnerungsmusik ruft sie Erfahrungen und die damit verbundenen Gefühle wach: Was habe ich mit wem wann und wo erlebt und wie ist es gewesen. Als Zukunftsmusik weckt sie die Sehnsucht nach dem, was fehlt. Was verloren gegangen oder noch nie dagewesen ist. Was Menschen suchen. Ob sie es finden werden? Sally ist sich da nicht so sicher.

  1. Musik als Türöffner

Klar, dass es mit Benny und ihr nichts werden konnte. Wenn Sally an den letzten Sommer zurückdenkt, ist es ihr fast peinlich. Damals hoffte sie auf etwas, das sie sich nicht traute, in Worte zu fassen. Einmal ausgesprochen, hätten sie sich breit gemacht und sie an die Wand gedrückt. Benjamin verstand sie nicht. So einfach war das. Sally erinnert sich an den Nachmittag, als sie zum Friedhof gegangen und Benny ihr widerwillig gefolgt war. Sally war auf die Bank vor dem Eingang gestiegen und hatte sich auf die Lehne gesetzt. Benny stand vor ihr. Es ging um ihre Eltern. Er fand sie eigentlich ganz nett. Sally versuchte ihm zu erklären, wie sich der Abgrund anfühlt, der sich zwischen ihr und ihren Eltern auftut.

Weißt du, wie das ist? Ich bin nicht zu Hause, wenn ich zu Hause bin.

Ich versteh schon.

Er verstand nicht, das sah Sally. Aber sie wollte, dass er sie verstand. Es gab sonst niemanden.

Ich bin wie … wie ein Gast. Meine Eltern sind nett zu mir wie zu einem Gast. Ich kann nichts anfangen mit dem, was die machen. Gar nichts. Das ist nicht nur … das ist nicht nur, weil die andere Musik hören und andere Sachen machen und so. Die verstehen nicht, was in mir drin passiert. Die verstehen nicht …

Sie zögerte.

Manchmal höre ich ein Lied, und dann ist es, wie wenn irgendwo auf der ganz anderen Seite des Hauses eine Tür einen winzigen Spalt aufgeht, und ich höre das von meinem Zimmer aus und renne los, weil ich weiß, hinter der Tür ist es, da ist das richtige Zuhause. Aber ich bin noch nicht mal die Treppe runter, dann ist sie schon wieder zu.

Aber ihr habt doch bloß die Haustür. (Szene aus: Ewald Arenz, Alte Sorten. Roman [2019], 19. Aufl. Köln 2023, S. 79.)

Sally erinnert sich an seine bescheuerte Antwort und könnte immer noch schreien. Nichts hatte er verstanden, überhaupt nichts. Er wollte knutschen, nicht zuhören. Und solche Musik hat er wahrscheinlich bis heute noch nicht gehört. Musik wie eine geöffnete Tür, wenn auch nur einen Spalt breit. Sally hört sie hin und wieder und wird jedes Mal wütend, wenn die Tür wieder ins Schloss fällt und sie davor rennt. Anklänge nur. Eben Zukunftsmusik.

III. Vision einer Aufführung

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, meinte ein ehemaliger Bundeskanzler. Johannes ging nicht zum Arzt, sondern schrieb sie auf. Was Gott ihn hat sehen lassen, sollte christlichen Gemeinden helfen, in schwieriger Lage zurecht zu kommen. Am Glauben festhalten angesichts von Gewalt, die dem römischen Reich innewohnte und die in das Leben vieler Menschen einsickerte. Johannes notierte viele Bilder, manche verstörend und rätselhaft, andere tröstend und prägend. Wie Gott inmitten der Menschen zelten geht, Tränen abwischt und es mit dem Tod aus und vorbei sein wird. Eines dieser Bilder zeigt einen Chor, wie er zwei Lieder in einem singt. Im 15. Kapitel seiner Offenbarung (Apk 15,2–4).

2 Dann sah ich etwas wie ein gläsernes Meer,

das mit Feuer vermischt war.

Und ich sah alle,

die den Sieg errungen haben.

Sie haben sich befreit

von der Macht des Tieres und seines Standbildes –

und ebenso von der Macht der Zahl,

die sein Name ergibt.

Sie standen am gläsernen Meer

und hatten Leiern Gottes.

3 Sie sangen das Lied des Mose,

der ein Diener Gottes war,

und das Lied des Lammes:

»Groß und wunderbar sind deine Werke,

Herr, Gott, Allmächtiger.

Voller Gerechtigkeit und Wahrheit sind deine Wege,

du König über die Völker.

4 Wer wird vor dir, Herr, keine Ehrfurcht haben

und deinen Namen nicht preisen?

Denn du allein bist heilig!

Alle Völker werden kommen

und sich vor dir niederwerfen,

denn deine gerechten Taten sind offenbar geworden.«

  1. Zusammenklang

Der Ort der Aufführung: ein gläsernes Meer mit Feuer vermischt. Gegensätzliches fällt zusammen und weckt Erinnerungen. Wie Gott Israel aus der Sklaverei befreit und am Schilfmeer vor den Verfolgern gerettet hat. Wie Gott Israel durch die Wüste geführt hat, in der Nacht als Feuersäule dem Volk vorangegangen ist. Rettung und Befreiung sind die Kehrseite ein und derselben Medaille. Mose hat davon gesungen.

Damals stimmten seine Schwester Mirjam und andere Frauen aus Israel in das Lied ein, jetzt tun es die, die sich von der Macht des Tieres befreit haben. Der römische Kaiser Nero als Bestie. Seinen Namen zu nennen, wäre zu gefährlich gewesen. Wer heute einen Diktator öffentlichkeitswirksam kritisiert, kann davon ein Lied singen. Muss damit rechnen, im Gulag zu landen und ermordet zu werden.

Neros Name auf Hebräisch geschrieben und zusammengerechnet, jeder Buchstabe hat einen Zahlwert, ergibt zusammen 666. Eine mächtige Zahl. Für die Gemeinden, die Johannes im Blick hat, verbunden mit Willkür und drohender Verfolgung. Johannes spricht von Nero als Tier aus dem Abgrund. Er wird nur konkret, als er zwei Kapitel zuvor 666 als „die Zahl des Tieres“ Zahl nennt. Zugleich sieht er, dass die Macht des Kaisers begrenzt ist. Dass seine Zahl gegen 0 geht und jegliche Bedeutung verlieren wird. Weil Gottes Rechnung anders aufgeht. Weil Gottes Wege voller Gerechtigkeit und Wahrheit sind. Aller Realität, aller Gewalt zum Trotz.

Dem Tier aus dem Abgrund stellt Johannes ein anderes gegenüber. Das Lamm. Gottes Lamm, das sein Leben gibt, um den Tod zu überwinden. Ein neues Lied auf eine alte Melodie? Das Lied des Lammes klingt mit dem Lied des Mose zusammen. Jesus Christus als Passalamm, das stirbt, um zu retten. Wer seinen Namen bekennt und dem Kaiser die Anbetung verweigert, ist gerettet. Allem Tod zum Trotz. Rettung und Befreiung sind die Kehrseite ein und derselben Medaille. Dabei bleibt es. Damit weitet sich zugleich der Horizont: Das Lamm nimmt die Menschen aus der Völkerwelt in die Gemeinschaft des geretteten Israels hinein. Mit Anklängen an ein altes biblisches Motiv, von Propheten einst geschaut. Dass die Völker zum Zion, zum Gott Israels pilgern werden, um von Gott Weisung anzunehmen: Gott wird den Streit unter den Völkern schlichten und Recht aufrichten. Sie werden verlernen, Krieg zu führen und jeder Mensch wird die Frucht des Friedens genießen können. Das war, das ist und das bleibt Zukunftsmusik.

  1. Und jetzt?

Manchmal höre ich ein Lied, und dann ist es, wie wenn irgendwo auf der ganz anderen Seite des Hauses eine Tür einen winzigen Spalt aufgeht, und ich höre das von meinem Zimmer aus und renne los, weil ich weiß, hinter der Tür ist es, da ist das richtige Zuhause. Aber ich bin noch nicht mal die Treppe runter, dann ist sie schon wieder zu.

Sally erlebt, wie der Ort, an dem sie zuhause sein wird, anklingt und im nächsten Moment verklingt. Es ist zum Verrücktwerden. Zukunftsmusik bleibt Zukunftsmusik. Was sie nicht erlebt: Solche Musik kann Menschen verbinden. Ob geteilte Hoffnung, geteilte Sehnsucht nachhaltiger erklingt? Ob es mir guttut, zusammen mit anderen in ein Lied einzustimmen, das Hoffnung und Sehnsucht wachhält? Vielleicht. Weil es darauf ankommt, dass die Tür einen Spalt breit aufgeht. Eine Melodie aus Gottes Welt in die unsere hinüberklingt. Leise und doch unüberhörbar. Ein Ohrwurm, den man nicht wieder los wird. Ein Kontrast zur Wirklichkeit, die so widersprüchlich und gegensätzlich ist, dass die Tür immer wieder ins Schloss fällt.

Wie mit Diktatoren umzugehen und ob Aufrüstung geboten ist. Wie die Ukraine unterstützen, ohne den Krieg auszuweiten, 10 Jahre nach der Annexion der Krim und mehr als 2 Jahre nach dem Überfall. Wie sich im Nahostkonflikt positionieren. Für das Existenzrecht Israels eintreten und zugleich dagegen, wie die Regierung Netanjahu den Krieg in Gaza führt. Eine Quadratur des Kreises, …

Lässt sich dagegen ansingen, mit einem Lied, das Hoffnung und Sehnsucht wachhält? Bestimmt. Mit dem Lied des Mose und des Lammes. Wie es wohl heute klingt. Vielleicht so: „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine. …“ (WortLaute 112).

weitere Liedvorschläge:

  • Kommt herbei, singt dem Herrn EG.RWL 577
  • Du meine Seele, singe EG 302
  • Ich sing dir mein Lied EG.E 19
  • Es kommt die Zeit EG-.E 8

Fürbittengebet:

Gott,

ein frohes und dankbares Lied zu singen,

das ist manchmal schwer.

In den Dank mischt sich Klage,

in die Freude bricht Sorge ein.

Es gibt so viel, was das Leben verdunkelt.

Wir bitten dich:

Hilf uns, dennoch oder gerade deswegen

deine Liebe wahrzunehmen

und deine Treue zu spüren.

Wir bitten doch für die Menschen,

denen Leid und Sorgen den Mund verschlossen haben,

dass sie nicht mehr singen,

sondern nur noch seufzen können.

Erleuchte sie mit deinem Licht,

das den Schatten aus ihrem Herzen vertreibt.

Wir bitten die für die Menschen,

die dich nicht mehr loben können,

weil ihnen zum Heulen zumute ist.

Weil sie einsam oder krank sind,

weil sie um jemanden trauern,

der ihnen jetzt fehlt.

Trockne ihre Tränen

und schenke ihnen Mut für das Leben,

das sie vor sich haben.

Wir bitten dich:

Hilf uns, aufeinander zu hören,

und miteinander einzustimmen,

in Lieder,

die die Tür zu deiner Zukunft öffnen.

Musik, die aus deinem Reich herüberklingt.

Um dessen Ankunft beten wir mit Jesu Worten.

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

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