Offenbarung 3,14-22

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Offenbarung 3,14-22

Auf leisen Sohlen | Predigt zu Offenbarung 3,14-22 | 1. Advent, 27.11.22 | Eberhard Busch |

Haben wir´s gehört? „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an“, so spricht eine Stimme nach dem biblischen Buch Offenbarung. Es hat geklopft. Und das heißt Advent, der mit dem heutigen Sonntag beginnt. Er, der Verborgene, der Unüberhörbare, der Messias, er ist es, er ist unterwegs. auf dem Weg zu uns, und er sagt uns heute: „ich stehe vor der Tür und klopfe an“. Er ist höflich. Er fällt nicht mit der Türe ins Haus. Aber er ist auch nicht „in dem Himmel ferne, wo die Englein sind“. Mögen die dort sein, wo sie sind! Doch von ihm wird uns angezeigt: „der Herr ist nahe“ (Phil 4,5; Ps. 145,8). Wir leben im Advent. Noch sehen wir ihn nicht. Noch scheint er in dem Himmel ferne zu sein. Noch ist er geheimnisvoll verhüllt. Doch lässt er schon von sich hören.

Und er meldet sich bei uns an nicht mit hackigen Stiefeln. Er kommt auf leisen Sohlen. Er lärmt nicht. So dringlich es ist, dass er zu uns kommt, er ist nicht aufdringlich. Er kommt nicht mit dem Holzhammer, geschweige mit Motorengeheul. Nicht nach dem Motto: „bist du nicht willig, so brauch´ ich Gewalt!“ (wie es im Gedicht Erlkönig von Goethe heißt). Nein, es geht zu, wie uns vom vormaligen Propheten Elia berichtet wird. „Und der HERR war nicht im Sturm und nicht im Erdbeben und nicht im Feuer.“ Darin findet ihr ihn nicht, und wer ihn darin erwartet, der täuscht sich. „Gott ist anders.“ „Und nach dem Feuer kam ein stilles sanftes Säuseln“ (1Kön 19,11f), eine „Stimme leisen Schweigens“, wie der Rabbiner Leo Baeck den Ausdruck übersetzt. So kommt Gott. Er kommt mit zartem Hauch. Er will uns nicht unterdrücken, er will uns überzeugen. Er will uns nicht erschrecken, er will sich uns nahelegen. Er kommt derart, dass wir aufatmen.

So kommt Gott. Und so zeigt er, wer er ist. So enthüllt er uns seine Art. Barmherzigkeit ist sein Wesen. Er ist von Haus aus „kein Kaputtmacher“ (Christoph Blumhardt). Er schätzt  keine Zwangschristianisierung. Sein Geist weht nicht auf Massenveranstaltungen. „Sanfmütigkeit ist sein Gefährt.“ Derart stellt er sich bei uns.ein. Das ist ja das Gute, dass er in dieser Weise vorgeht. Darin ist er mächtig, dass er zurückhaltend sein kann, stark darin, zärtlich zu sein. Er ist gewaltig darin, dass er behutsam bei uns anklopft. Advent heißt nicht bloß: wir warten auf Weihnachten. Advent heißt auch: Gott wartet. Er wartet darauf, dass wir ihn bei uns hereinlassen.

Wenn es geklopft hat, pflegt man zu sagen: Ich schau mal nach, wer jetzt Einlass begehrt. Darauf wartet er. Bereits können wir ihn hören. Wenn wir ihn nur nicht überhören! Bei all dem Lärm, den wir machen! „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ – Fragezeichen. Muss er nicht mitunter lange darauf warten, bis wir reagieren? Denn so manche haben lange Leitung, sind schwer von Begriff. Unser Bibeltext gebraucht dafür ein auffallendes Wort: „lau“. Ein deutscher Politiker spottete einst über den damaligen Bundeskanzler, obwohl der aus der gleichen Partei kam: „Der Herr badet gern lau.“ Lau heißt Flatterhaftigkeit. Jetzt rufst du Hurra einem Falschen zu, nachher behauptest du, du seist nicht dabei gewesen. „Lau“, damit ist so etwas gemeint, wie die Redensart lautet: nichts Halbes und nichts Ganzes. „Lau“ heißt: was du  lieferst, ist Stümperei, Pfusch, Flickschusterei. Es ist zu unzureichend, als dass man damit etwas anfangen könnte. Das ist ja so, wie wenn man bei einer Hochzeit auf die entscheidende Frage, statt sein Jawort zu geben, sagen würde: „Vielleicht, vielleicht auch nicht, ich will mich nicht festlegen.“

Lau – das ist arg. Und das Ärgste ist, dass die, auf die dies zutrifft, nicht einmal merken, wie sie dran sind. Du meinst: was ich brauche, dazu brauche ich dich nicht – du bildest dir ein: ich bin mir selbst genug, und du merkst es gar nicht, wie du tatsächlich dran bist: gehst deinen Weg und siehst nicht, wie abschüssig er ist, bist jämmerlich blind für dein Dransein. Von „Augensalbe“ redet unser Text.  Der einstige Apothoker in Halle Christian Friedrich Richter hat den Vers gedichtet: „Jesus gib gesunde Augen, / die was taugen … Denn das ist größte Plage, / wenn am Tage / man das Licht nicht sehen kann.“ Manche Blinde sehen es deutlicher, was die Sehenden übersehen: das Lau-sein, die Halbherzigkeit, die Teilnahmslosigkeit, die Gleichgültigkeit gegenüber der Not der anderen, der Fremden.

Aber Gott hat Geduld. Hat er sie wirklich? Er lst ja nicht blind, er braucht keine Augensalbe. Er sieht uns genauer, als wir uns selbst sehen. Liegt es da nicht nahe, dass er in Wut über all die Kümmerlichkeit sagt: „Ich will dich ausspucken aus meinem Munde“? Wie etwas Unangenehmes, Unerträgliches, das auf die Zunge geraten ist. Fort mit dir!? Will er denn gar nichts mehr zu tun haben mit seinem schwer erträglichen Geschöpf? Bei dem biblischen Propheten Hosea (11.8f.) lesen wir die aufrüttelnden Worte, in denen Gott bei sich denkt: „Was soll ich aus dir machen? Soll ich dich schützen? Soll ich dich nicht vielmehr zerstören?“ Aber dann fällt sich Gott selbst in den Arm – gottlob ist er nicht prinzipientreu: Nein nein, „mein Herz ist anderen Sinnes. Heftig entbrannt ist meine Barmherzigkeit.“ Dazu die nachdenkliche Begründung: „Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch.“ Gott ist anders. Ihm platzt nicht der Kragen. Er hat Geduld.

Er wartet darauf, dass uns das zu Herzen geht. Darauf ist er gespannt, ob wir es lernen, umzudenken. Er kehrt dabei jene Dichterzeile um: „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich – Liebe.“ Viel Liebe. Gottes Liebe möchte uns gesundlieben – so, dass auch wir anderen Sinnes werden. Darauf wartet er. Gott gibt nicht auf. Gott hat Zeit. „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ (Ovid) Gott ist langatmig, nicht kurzatmig. Er wirbt um uns. Dabei geht es ihm nicht darum, uns bloßzustellen. Unser Bibelwort sagt: Vielmehr „will er dich Nackten kleiden“. Er will uns nicht blamieren, er will uns ermutigen – ermutigen, ungeduldig zu hoffen und zu warten. Denn Advent heißt nicht nur: Gott wartet. Auch wir haben zu warten. Wir leben im Advent. Nicht wahr, wir warten auf Weihnachten, darauf, dass die Lichter leuchten in der Nacht.

Und wenn wir es genau nehmen, warten wir dabei nicht bloß auf das kleine Weihnachten, das wir uns selbst bereiten können. Wir hoffen auf das große Weihnachten, das Gott uns bereitet. Dem gehen wir entgegen, und dem gehen wir weiter entgegen, auch wenn in fünf, sechs Wochen unser Weihnachten abgeräumt ist. Unser Predigttext redet in wunderlichen Worten davon, er redet davon als von etwas, was uns wie von einem anderen Ufer zugerufen wird: „Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftut, zu dem werde ich hereingehen und das Festmahl mit ihm halten und er mir mir.“ Gott kommt zum Ziel, indem er zu uns kommt. Und wir kommen da mit ihm ins Reine. Er lässt uns nicht fallen. Er hebt uns auf. Er kommt zu uns und wir kommen zu ihm. Und er erscheint nicht mit leeren Händen. Er tafelt mit uns. Er lässt uns nicht hungrig. Maria singt in der Erwartung Jesu: „Die Hungrigen füllt er mit Gütern“ (Lukas 1,53). Das ist zuerst dem Armen versprochen, der nach Bertold Brecht dem Reichen sagt: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“  Wird auch jener Obdachlose Kost und Logis finden, der neulich in ein Mikrofon heulte: „Die Menschen wollen uns nicht haben“?

Jedenfalls Gott verspricht ihm: Komm her, Ich will dir unter die Arme greifen. Ich will dich unter meinen Schutz stellen, dich und mit ihm auch Andere, uns Andere: „Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen.“ Oder dasselbe in andrer Übersetzung: Dem, der aus der Bedrängnis kommt, „dem werde ich das Recht geben, neben mir zu sitzen.“ Davon singt Paul Gerhardt im Adventslied: „Du kommst und macht mich groß / und hebst mich hoch zu Ehren / und schenkst mir großes Gut, / das sich nicht lässt verzehren, / wie irdisch Reichtum tut.“ So geht es schlussendlich dem bedrängten Armen, so geht es jenem Obdachlosen, so geht es auch uns, so geht es unsren Feinden, weil ihnen allen zugesagt ist, bei ihm und neben ihm zu leben, ohne Abstandnahme der Einen von den Anderen. So erfüllt sich, was ebenso im Buch Offenbarung verheißen ist: „Gott wird bei ihnen wohnen und sie werden seine Völker sein“ (21,3). Böser Hass und mörderischer Krieg sind jetzt verschwunden, Hunger und Durst sind vergangen, die Angst ist abgetan. Die Lüge ist nicht mehr aufrecht zu halten. Die Gedankenlosigkeit hört auf. Es wird Friede sein. Bitte, lass ihn kommen. Lass ihn herrschen. Berge uns darin. Amen.


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