Philipper 2, 12 – 13

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Philipper 2, 12 – 13

 


Reformationstag,
31. Oktober 2002
Predigt über Philipper 2, 12 – 13, verfaßt von Gerhard Müller

„Also, meine Lieben, – wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid,
nicht allein in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner
Abwesenheit, – schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.
Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen,
nach seinem Wohlgefallen.“

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Lange liegt sie zurück, die Reformation. Was erinnert uns an sie?
Was veranlaßt uns heute, ein Fest zu feiern? Der äußere
Anlaß ist klar: Martin Luther protestierte gegen die Ablässe
seiner Zeit, durch die viele Menschen meinten, aufgrund von Geld mit Gott
ins Reine zu kommen. Erstaunlich, wie dieses Thema die Menschen interessierte!
Was uns unverständlich ist, war für Luthers Zeitgenossen ein
brennendes Thema: Komme ich wirklich mit Gott zurecht und kommt Gott mit
mir zurecht, wenn ich Briefe kaufe, durch die die Beseitigung von Sündenstrafen
bestätigt wird? Und was bedeutet das wirklich für mein Leben?
Das moderne Medium der damaligen Zeit, der Buchdruck, nahm sich des Themas
an. Viele kleine und große Schriften, vor allem auch ganz kurze
Texte nahmen Stellung. Neue Druckereien wurden gegründet. Das Geschäft
blühte. Damit begann eine neue Zeit, die Neuzeit; so meinen manche
Forscher heute. Worte wurden durch Bilder ergänzt – wie heute im
Fernsehen. Das zentrale Thema, das so viele Menschen beschäftigte,
wurde im neuen Medium behandelt und diskutiert: Was ist richtig am bisherigen
kirchlichen Leben? Was gehört re – formiert, nämlich wieder
in die Form gebracht, die ursprünglich war und die diesem Thema angemessen
ist? Denn hier geht es ja nicht nur um das Leben, sondern auch um den
Tod und die Ewigkeit. Es geht darum, ob ich bei Gott wirklich geborgen
bin und mich auf ihn verlassen kann.

Der Apostel Paulus, der die christliche Gemeinde in Philippi gut kennt,
der dort war, jetzt aber von auswärts schreibt, weiß genau,
wie schwer wir uns tun, wenn wir gehorchen sollen. Wir wollen unabhängig
sein. Wir verlassen uns auf uns selbst, ziehen uns zurück, wenn uns
etwas stört und gehen unseren eigenen Weg möglichst unabhängig
von anderen. Zwar merken wir rasch, daß wir doch in vielen Anhängigkeiten
bleiben – zum Beispiel in der Abhängigkeit von uns selbst, unserem
Befinden und unseren Empfindungen. Aber auch von Menschen sind wir abhängig
– zum Beispiel im Beruf, wo es auf ein gutes Miteinander ankommt, auf
das Betriebsklima, das möglichst nicht durch Mobbing vergiftet sein
soll. Auch im Miteinander der Staaten gibt es Abhängigkeiten – zum
Beispiel wirtschaftlicher Art, aber nicht nur solche, wie wir jetzt an
unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika gemerkt
haben. Berechtigterweise sind diese Verstimmungen und Verärgerungen
zwischen Nordamerika und unserem Land mit Beziehungen zwischen uns Menschen
in unserem persönlichen Leben verglichen worden ist. Der Apostel
schreibt nach Philippi: Seid und bleibt gehorsam! Gott, der sein Gebot
gegeben hat, erwartet von uns, daß wir seinen Willen tun. Nur dadurch
kommen wir auf einen guten Weg und bleiben auch auf ihm.

Martin Luther und die übrigen Reformatoren haben dies aufgegriffen:
Entscheidend sind nicht unsere Gesetze, so nützlich sie sein mögen;
entscheidend ist, ob wir ein Ziel vor Augen haben, das über den Tag
mit seinen Beanspruchungen hinausreicht. Dieses Ziel ist – so meint jedenfalls
der Apostel Paulus – die Seligkeit. Das ist schwer und zugleich doch auch
leicht zu verstehen. Selig, glücklich ist, wer mit Gott, der Welt
und sich selbst in Einklang ist; selig ist, wer da ist, wo Gott ist. Wie
kann dieses Ziel erreicht werden? Nur mit Anstrengung! „Schaffet,
daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“ So lesen wir.
Mühe wird von uns gefordert – auch und gerade am Reformationsfest!
Konzentration benötigen wir in unserer hektischen Zeit dauernd. Auch
die Seligkeit verlangt Anstrengung, Mühe und Konzentration. Wir haben
etwas von der „Freiheit eines Christenmenschen“ gehört
– immerhin ist dies der Titel einer Schrift Martin Luthers -, und jetzt
dies! Ja, jetzt dies! Es gibt keinen bequemen Weg zu Gott. Die Pforte
zu ihm ist schmal, wie auch Jesus in der Bergpredigt gesagt hat. Daran
gibt es nichts zu deuteln.

„Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen.“
So fährt der Apostel fort. Wir fragen uns: Wie paßt das zusammen?
Ist das logisch und konsequent? Gott wirkt in uns. Das ist eine fremde
Botschaft. Unsere heutige Welt ist geschlossen. Von außen dringt
nichts zu uns herein. Ein Jenseits gibt es für viele nicht. Doch
– sagt die Christenheit: Gott kommt zu uns; er wirkt in uns. Er, der Ferne,
der Unnahbare, der Unverstehbare, wirkt in uns. Für die Reformatoren
war dies entscheidend: Gott handelt! Seinem Wirken sollen und dürfen
wir uns nicht entziehen. Bereits unsere Neigungen, unser Wollen kann und
soll von ihm bestimmt sein. Natürlich gibt es auch Fremdeinwirkungen:
durch Menschen, die uns gut zureden wie zum Beispiel der Apostel Petrus
Jesus von seinem Weg nach Jerusalem und damit an das Kreuz abbringen wollte.
Aber diese wohlgemeinte Einflußnahme wird von Jesus als eine teuflische
Verführung angesehen. Es gibt viele solcher wohlgemeinten Ratschläge,
die uns vom Willen Gottes wegbringen, uns ihm entfremden wollen. Deswegen
die Mahnung: „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und
Zittern!“ Und zugleich die Zusage: „Denn Gott ist’s, der in
euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen.“ Beides gehört
zusammen: Unsere Mühe und Gottes Tun, das vom Wollen bis zur vollendeten
Tat, dem vollbrachten Werk reicht.

Es ist die Frage, ob unsere Perspektiven stimmen. Für die Reformatoren
war ganz klar, daß Gott uns zuvorgekommen ist, indem er uns durch
die Taufe zu seinen Kindern gemacht hat. Davon können auch wir ausgehen.
Deswegen gibt es „Heilsgewißheit“, die Zuversicht, daß
Gott sich von seinem Ja zu uns nicht abbringen läßt. Gott hat
Wohlgefallen an uns, sagt der Apostel Paulus. Er meint es gut mit uns
und will uns, die wir uns nach Engeln sehnen und immer wieder teuflischen,
zerstörerischen Kräften begegnen, eine gute Lebensbasis vermitteln.
Er sagt uns zu, uns nicht allein zu lassen, sondern unser Wollen zu bestimmen
und uns zum Vollbringen zu verhelfen. Aber das geht natürlich nur,
wenn wir konzentriert bleiben auf ihn. Wenn dies aufhört, dann schieben
sich schnell widergöttliche Mächte zwischen uns und Gott, die
alles verderben. Wir sind unsichere Leute, weil wir vom Winde hin- und
hergeweht werden. Aber Gott bleibt sich und uns treu. Was er zusagt, das
hält er gewiß. Der reformatorischen Verkündigung ging
es darum, unser Vertrauen, unseren Glauben zu Gott zu wecken und zu stärken.
Unsere Bemühungen sollen lediglich das Wirken Gottes ermöglichen
und ihm den Zugang zu unseren Herzen nicht versperren. Das ist die neue
Freiheit: los von uns, gehorsam gegen Gott!

Unser kurzer Predigttext faßt das Entscheidende christlichen Glaubens
zusammen: Gott wirkt in jedem von uns. Auf ihn ist Verlaß. Denn
er ist nicht wankelmütig, sondern langmütig und von großer
Güte. Sein Wohlgefallen ist es, unser Wollen zu bestimmen und uns
bei unserem Tun nicht allein zu lassen. Bis hin zum Vollbringen, bis hin
zur Vollendung bleibt er bei uns. Diese Botschaft wurde nicht von allen
gern gehört. Denn die Bedeutung der Institution Kirche wurde dadurch
zu einer dienenden. Für Vermittlung wurde sie nicht mehr gefragt,
nicht mehr benötigt. Dies wurde Luther totübel genommen. Er
wurde nicht nur aus der Kirche ausgeschlossen, sondern es wurde auch eine
Puppe, die ihn darstellen sollte, in Rom verbrannt – wenn man ihn schon
nicht persönlich bekam, dann sollte er wenigstens symbolisch dem
höllischen Feuer übergeben werden. Später kursierte in
Italien das Gerücht, er sei gestorben und vom Teufel abgeholt worden.
Luther erhielt die Schrift, in der diese Nachricht verbreitet worden war.
Genüßlich ließ er sie mit seinem Kommentar drucken –
noch war es nichts mit der Behauptung, er sei gestorben und vom Teufel
geholt worden! Im Gegenteil! Er konnte die Heilige Schrift auslegen und
ermuntert auch uns dazu. Gott wirkt in den Getauften und Glaubenden alles,
was nötig ist. Da das so ist, bleibt die Aufforderung des Apostels
an uns: „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“
Und es gilt: Gott wirkt in uns „beides, das Wollen und das Vollbringen,
nach seinem Wohlgefallen.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre
eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen .

Landesbischof i.R. Prof. Dr. Gerhard Müller
gmuellerdd@compuserve.de

 

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