Philipper 4, 4-7

Philipper 4, 4-7

Freut euch im Herrn allezeit; nochmals will ich sagen: Freut euch!
Lasst eure Freundlichkeit allen Menschen kundwerden! Der Herr ist nahe.
Sorgt euch um nichts, sondern in allem lasst im Gebet und Flehen mit
Danksagung eure Bitten vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der
alln Verstand überragt, wird eure Herzen und Sinne bewahren im
Christus Jesus. (Zürcher Übersetzung)

Liebe Geschwister,

Paulus hatte viel Zeit: Man hatte ihn mal wieder gefangen gesetzt.
Zum Aufruhr habe er angestiftet, lautete die Anklage. Der Prozeß
stand noch aus, doch Paulus kannte die Gerichtspraxis bei Anklage wegen
Anstiftung zum Aufruhr. Da wurde meistens nicht lange gefackelt, sondern
schnell ein Todesurteil gefällt. Ein paar Zeugen waren für
wenig Geld leicht zu finden. Mit schnellen Urteilen gegen angebliche
Aufrührer verhinderten die Stadtoberen ein Eingreifen römischer
Besatzungstruppen, zeigten sie ihre Treue und Ergebenheit gegenüber
Rom. Paulus war sich ziemlich sicher, daß er zum Tode verurteilt
werden würde, zum Tod am Kreuz oder durch wilde Tiere. Einen Prozeßtermin
kannte Paulus nicht, und er wollte jeden Tag, jede Stunde für Briefe
an die Gemeinden nutzen. Immerhin hatte man ihm das Schreiben erlaubt,
und sein Mitarbeiter Timotheus durfte ihm nicht nur Essen und Trinken,
sondern auch Schreibmaterial bringen.

Die Gefängniszellen befanden sich in den Mauern das Amphitheaters,
und manches mal genoß Paulus es, einer Theateraufführung
wenigstens zuhören zu können. Doch er wurde auch Ohrenzeuge
von Gladiatorenkämpfen, hörte das Gebrüll wilder Tiere
und das Gejohle der Zuschauer. Dann überkam ihn jedesmal Angst.
Nicht Angst vor dem Tod war es – den Tod hatte Christus überwunden;
nein, es war die Angst vor einem qualvollen, würdelosen Sterben.
In solchen Augenblicken fühlte er sich nur schwach, und auch im
Gebet noch aus den Psalmen fand er dann nur schwer Trost.

Vor wenigen Tagen nun hatten ihn einige Leute aus Philippi besucht.
Die Gemeinde hätte von seiner Lage erfahren, und die wollten sie
ihm ein wenig erleichtern. Wie hatte er sich darüber gefreut! Das
Schiff, mit dem die Leute gekommen waren, lag noch einige Tage im Hafen,
und Paulus wollte gleich ein Dankesschreiben mitgeben. Sein erster und
vielleicht sein letzter Brief nach Philippi, an seine Philipper. An
keine Gemeinde dachte er so gern wie an die von Philippi, seine erste
Gemeinde auf europäischem Boden. Paulus erinnerte sich noch gut
an sein erstes Auftreten dort. Am Flußufer war es, wo einige Frauen
ihm zugehört hatten, und eine Frau hatte als erste die Taufe empfangen:
Lydia, die Purpurhändlerin. Hatte dann Paulus und sein Gefolge
in ihrem stattlichen Haus aufgenommen, hatte mit ihrem Geld geholfen,
die Gemeinde aufzubauen und – so vermutete Paulus – mit ihrem Geld auch
dafür gesorgt, daß er in Philippi so schnell aus dem Gefängnis
entlassen wurde. Nun saß er schon wieder.

Paulus erinnerte sich, wie die Gemeinde in Philippi gewachsen war,
wie sie durch ihr geschwisterliches, offenes Gemeindeleben für
andere interessant geworden, wie es ihr gelungen war, den Glauben an
Christus durchzuhalten und wie sie in Dankbarkeit für den neuen
Glauben sich um notleidende andere Gemeinden gekümmert hatte. „Wenn
alle Gemeinden so wären wie die Philipper,“ dachte Paulus,
„dann könnte ich getrost abtreten. Doch wenn ich an Korinth
denke: Da werde ich noch dringend gebraucht!“ Zorn über die
Ereignisse in Korinth stieg in ihm auf, darum dachte er schnell wieder
an die Philipper. Das machte er eigentlich immer so, wenn er sich über
die Entwicklung in einer Gemeinde aufregte, daß er dann an Philippi
dachte. Über die Gemeinde konnte er sich nur freuen. Und das wollte
er ihnen auch schreiben, wollte ihnen damit Freude bereiten.. Das brauchten
sie.

Es gab nämlich durchaus Reibereien in der Gemeinde, etwa zwischen
Juden und Griechen. Aber bisher hatten sie immer wieder zueinander,
einen gemeinsamen Nenner gefunden. Oder Lydia, die Purpurhändlerin:
Sie hatte nicht nur Freunde in der Gemeinde. So viel sie auch für
die Gemeinde und ihre Armen tat: Sie blieb die Reiche, die zudem noch
ihre größten Geschäfte mit den Römern machte. Das
aber sah man ihr nach, weil sie die eigene Gemeinde und die Muttergemeinde
in Jerusalem förderte, auch sonst viel Gutes mit ihrem Geld und
mit ihrem Einfluß bewirkte. Das waren in Philippi alles ganz normale
Querelen und Kleinigkeiten im Vergleich zu manchen anderen Gemeinden.

Doch Paulus wußte auch, wie leicht aus Mücken Elefanten
werden konnten, wie leicht eine kleine Unstimmigkeit zum veritablen
Streit auswachsen konnte. Um das zu verhindern, wollte er die Gemeinde
loben, ihr Freude bereiten. Denn das hatte er – nicht zuletzt durch
die Philipper – an sich selbst erlebt: Wer sich freut, braucht sich
nicht zu grämen. Was bedrücken könnte oder Streit verursachen,
verliert an Gewicht, wenn man sich über anderes freuen kann. „Und
es gibt so vieles, worüber wir uns freuen können,“ dachte
Paulus und blickte durch das Gitter auf eine kleine Blume in einem Mauerspalt,
„man muß nur die Augen offen halten – oder sie sich öffnen
lassen. Und sie anderen öffnen.“ Doch er wußte auch
und kannte es von sich selbst, wie leicht Menschen angesichts von Dunkelheiten
den Blick für das Lichte verlieren, angesichts von Trübsal
die Freude vergessen. Darum könnte man wohl nicht oft genug zur
Freude auffordern, zur Freude über viele kleine Dinge des Alltags,
vor allem aber zur Freude über das Größte, was passieren
konnte: Die Erlösung aus dem Elend von Sünde und Gesetz, die
Befreiung von Trieb und Zwang. „Wer das begriffen, wen das ergriffen
hat,“ überlegte Paulus, „der hat allen Grund zur Freude
und zur Dankbarkeit. Wie die Philipper: Schicken mir Unterstützung
ins Gefängnis. Und wie sie mir Freude bereiten, können sie
zu allen Menschen freundlich sein, ihnen Gutes tun. Können von
dem abgeben und mit anderen teilen, was sie selber auch gut gebrauchen
können. Müssen sich keine unnötigen Sorgen machen, weil
sie sich umsorgt wissen.“

Paulus lachte auf, und es war ein bitteres Lachen. Er lachte über
sich selbst: Hatte er doch, was die Philipper ihm gebracht hatten, sorgfältig
verstaut. Damit er davon lange etwas habe. Jeden Tag wollte er ein wenig
davon nehmen, ein paar Oliven, ein Stückchen Käse, ein paar
getrocknete Feigen, ein Schlückchen Wein. „Da siehst du mal,
wie tief das Sorgen in uns steckt!“ sagte er zu sich selbst, „und
wieviel leichter es ist, vom Vertrauen zu Gott zu schreiben, als Gott
tatsächlich zu vertrauen.“ Er nahm sich vor, in dem Dankesschreiben
an die Philipper nicht zu vollmundig zu formulieren – schließlich
wollte er sie erfreuen und nicht überfordern. Sie sollten zufrieden
sein, zufrieden mit sich und der Welt. Dann konnten sie auch mit Gott
in Frieden sein. Oder umgekehrt: Hatten sie Frieden mit Gott, waren
sie auch mit sich und den anderen in Frieden. Gott aber hatte durch
Christus Frieden geschlossen mit seinen Menschen. Darum war auch Freude
möglich, Freude am Leben, Freude über Gott.

„Alles einzelne Gedanken, Stückwerk eben,“ ging es Paulus
durch den Kopf, „man müßte das alles zusammen und als
Einheit sehen und begreifen können. Dafür reicht unser Hirn
aber nicht. Manchmal gibt es Momente, da meine ich, ich hätte es;
doch wenn ich es dann aufschreiben will, zerfällt es in tausend
Einzelteile, und alles ist wieder weg. Der Kopf ist vielleicht nicht
der richtige Ort für den Glauben. Glauben als Ganzes kann man wohl
nur intuitiv erfassen.“

Trotzdem: Paulus wollte nun seinen Brief an die Philipper schreiben,
holte sein Schreibzeug und setzte sich ans Licht. Aus der Arena klang
wieder Löwengebrüll und Volksgejohle. Wie lange würde
er noch Zeit haben? Er wollte sich über jede Stunde freuen, die
ihm blieb. Er wollte sie für Christus nutzen, wollte von der Freude,
von der Dankbarkeit schreiben, die Christen für die Erlösung
aus allem Elend, für die Befreiung von Sünde und Gesetz empfinden.
Er wollte andere in ihrem Glauben stärken, und noch andere für
den Glauben gewinnen, solange ihm dafür Zeit blieb.

Er schrieb den Brief nach Philippi in einem Stück herunter, die
Worte flossen ihm in die Feder, denn sie kamen von Herzen. Wenn Timotheus
nachher käme, sollte der den Brief mitnehmen und an Bord bringen.

Als Timotheus schließlich und später als üblich kam,
wurde er von einem Aufseher begleitet. Das war ungewöhnlich, und
Paulus erschrak. Erst recht, als der Aufseher die Zellentür öffnete.
„Komm raus!“ befahl der Wärter. „Du bist frei.“
Paulus und Timotheus umarmten sich, Freudentränen flossen. „Lydia
und die Philipper,“ flüsterte Timotheus, dann packten sie
die Sachen des Paulus zusammen und gingen. So schön war das Leben
schon lange nicht mehr gewesen. Amen

Gebet:
Wir haben, guter Gott, so viele Anlässe, uns zu freuen, so viele
unscheinbare Dinge, die uns Tag für Tag begegnen. Manchmal nehmen
wir sie einfach hin, und manchmal einfach nicht wahr. Dadurch entgeht
uns mancher Grund, dir dankbar zu sein. Doch du weißt, wie wir
sind, und wie gern wir uns ärgern und empören. Darum achten
wir lieber auf das, was nicht gut und nicht schön ist – anstatt
uns unseres Lebens und deiner Liebe zu freuen.
Wenn wir aber, guter Gott, die vielen Anlässe zur Freude wahrnehmen,
dann können wir zu anderen Menschen freundlich sein, sie als Freunde
behandeln und unsere Freude mit ihnen teilen. Dann können wir Fremdheit,
sogar Feindschaft überwinden und deine Liebe zu uns Menschen weitergeben.

Damit, guter Gott, verbreiten wir deinen Frieden, obwohl wir ihn nicht
begreifen. Denn dein Friede ist ein Friede mit denen, die deinen Willen
nicht tun. Das, wir gestehen es, paßt uns nicht immer, wir sähen
lieber die Übeltäter bestraft. Doch wenn du unsre Herzen und
Sinne in Jesus, dem Christus bewahrst, läßt du uns auch mit
denen Frieden schließen und halten, die sich von dir abgekehrt
haben.
Guter Gott, dies bitten wir dich heute: Daß du uns davor bewahrst,
die Freude über deine Liebe zu verlernen und die Dankbarkeit in
unsrem Leben zu vergessen.

Lesung: Jes 12, 1 – 6;

Lieder: Die helle Sonn, EG 437, 1 – 4; Reimpsalm 47, 1 – 3; Freuet
euch im Herren, EG 239 1 + 4; In dir ist Freude, 398, 1 + 2

 

Paul Kluge
Provinzialpfarrer im
Diakonischen Werk in der
Kirchenprovinz Sachsen e.V.
Paul.Kluge@t-online.de

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