Philipper 4,4-7

Philipper 4,4-7

Freuet euch! | 4. Advent | 18.12.2022 | Phil 4,4-7 | Udo Schmitt |

Freuet euch in dem Herrn!
Freut euch, was immer auch geschieht.
Und nochmal sage ich: Freuet euch!

Bald schon wird dieser Raum hier sehr viel voller sein. So voll, dass einige keinen Sitzplatz mehr finden. In sechs Tagen, in gut 150 Stunden am Heiligen Abend. Manchmal ist dann eine seltsame Spannung in der Luft. Einige sind da, die kommen zum ersten Mal in diesem Jahr, andere haben noch den Stress mitgebracht, der ihnen in den Kleidern steckt. Stumm sitzen sie da, mit verschränkten Armen, als wollten sie sagen: Jetzt mach mir mal Weihnachten! Los, bring mich in Stimmung!

Ich komm mir dann vor wie eine Mischung aus Löwenbändiger und Vorturn-Bespaßer im Club-Hotel. Oder wie der Schulleiter aus einem Stück von Hanns-Dieter Hüsch („Hagenbuch hat jetzt zugegeben“), der immer, in den verschiedenen Pausen kleiner und größerer Art, sein Fenster mehrmals geöffnet hat, um in den Hof hinunterzurufen: „Ungezwungen, seid ungezwungen! Kinder, seid ungezwungen ungezwungen!“ Ganz ähnlich soll ich nun – so steht es geschrieben und so sieht es die Ordnung der Perikopen vor – mit Paulus rufen: „Freuet euch! Und abermals sage ich: Freuet euch!“

Dabei kann ich die echte Freude so wenig machen wie den Glauben. Oder die Liebe. Oder die Dankbarkeit. Ich kann Späße machen, die Leute belustigen, ermahnen, unterhalten… – aber freuen, müssen sie sich schon selbst. Das kann ihnen keiner abnehmen. Wär Christus hundertmal zu Bethlehem geboren, und nicht auch in dir, so wärst du doch verloren. Es würde dir nichts bedeuten, das Kind im Stall, dich weder rühren noch freuen. Da mag der Chor „Jauchzet! Frohlocket!“ singen, – es würde dir nichts bringen. Dabei gibt es Grund zur Freude – ernsthaft – und mehr als genug.

Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!
Seid freundlich im Umgang miteinander und mit jedem, den ihr trefft, denn:
Der Herr ist nahe!

Darum ist die Freude manchmal eine kontrafaktische. Sie widerspricht – dem Schein, den Fakten, den Umständen, der Vernunft. Menschen, die eigentlich nichts zu lachen haben, schöpfen daraus Hoffnung, Mut und Zuversicht – und freuen sich. Schon jetzt. Das kleine Mädchen Maria, das nicht erklären kann, wie es zu dem Kinde kam, es beweint nicht sein Schicksal, nein, es singt: „Du, Gott, hast meine Not gesehen. Du stößt die Mächtigen von ihrem Thron und befreist die Armen und Schwachen.“
Der alte Mann im Gefängnis, Paulus, lässt sich nicht von Rückschlägen, Krankheiten und Sorgen niederdrücken, sieht sich nicht als gescheitert an, im Gegenteil, er schreibt der Gemeinde: „Macht euch keine Sorgen! Freut euch mit mir! Und wenn ihr Gott um etwas bittet, vergesst nicht zu danken! Den Menschen begegnet stets freundlich, aber Gott immer und immer wieder mit fröhlicher Dankbarkeit! Denn der Herr ist nahe.“

Und dann wird der Friede Gottes,
der weit über alles Verstehen hinausreicht, Euch beschützen,
euer Herz und eure Gedanken bewahren,
denn ihr selber seid in ihm, in Jesus Christus.

Der Friede Gottes. Ach, seufz… Da ist ein Sehnen tief in uns. Nach Frieden. Die Sehnsucht anzukommen. Die tiefe, stille Sehnsucht endlich anzukommen und daheim zu sein, nicht mehr fort müssen, sondern frei zu sein – frei zu bleiben – in der Wärme, in dem Licht, in der Geborgenheit, das war – das ist – die Grundmelodie des Advent. Man hört sie nicht immer im Lärm unserer Zeit, in der Hektik des Sorgens und Besorgens. Doch sie ist da die Melodie, man kann sie spüren, wie Töne, die man nicht hört und doch im Bauch fühlt: die Sehnsucht anzukommen. Bis er dann endlich da ist, der Heilige Abend, und die Engel singen: Frieden. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden. Frieden auf Erden, den Menschen, ein Wohlgefallen. Wir sind da, endlich da.

Wie viele Soldaten sind ausgezogen, mit einem lustigen Lied auf den Lippen, einem Blümchen der Liebsten dazu, und dem Versprechen: Weihnachten sind wir wieder zu Hause. Ob das auch die jungen Russen und Ukrainer hoffen? Weihnachten wieder zu Hause zu sein?

Das Lied der Sehnsucht, das ist die eine Melodie des Advents, die andere aber ist das Lied der Vorfreude. Er kommt. Nicht nur wir gehen zu ihm, – Gott ist auch auf dem Weg zu uns. Also versinkt nicht in Melancholie und Resignation. Genug geheult. Auf! Wascht euer Gesicht! Putz euch heraus! Putzt euer Haus! Räumt auf und räumt weg, was hindert und stört! Damit nichts ihm im Weg steht.

Und nicht nur äußerlich schafft Platz und macht Bahn. Auch in euren Herzen macht einen Frühjahrsputz! Und ebnet ihm den Weg! Schüttet die Schlaglöcher zu: Die trüben Gedanken legt trocken. Die Moore und Meere. Tragt ab die Hügel! Entfernt den Hochmut, die Eitelkeit und Selbstverliebtheit.

Die Täler des Trübsinns und der Hoffnungslosigkeit, die Täler der Angst, der Trauerkloß-Brühe schüttet zu! Denn er kommt. Und ihr seid nicht allein. Das Licht der Welt ist auf dem Weg und will auch euer Dunkel erhellen. Die Hügel der Selbstüberschätzung ebnet ein. Ihr müsst es nicht selber können. Es geht nicht immer nur um dich. Bildet euch nichts ein und nehmt euch nicht so wichtig. Denn er kommt. Und stellt alles richtig. Er schafft sich Raum, bricht sich Bahn, er fängt ganz neu an, auch mit euch. Eine neue Hoffnung, ein neuer Anfang.

Das ist es, was der Advent uns alles bedeuten kann. Nicht nur das nach Hause kommen und daheim sein. Nein. Auch das Aufbrechen und Neuanfangen. Nicht nur wir kommen zu ihm, er kommt auch zu uns. Advent, das ist Vorfreude. Vorfreude nicht nur auf Geschenke für die Kinder, ein gutes Essen und schöne Stunden mit der Familie und denen, die man liebt. Nein, Vorfreude auch darauf, dass Gott zu uns kommt. Dass wir Gemeinschaft haben nicht nur untereinander, sondern auch mit ihm und er mit uns.

In Vorfreude darauf gehen wir durch unser Leben, und dann kann keine Kälte und kein Winter, kein Streit und kein Krieg, keine Seuche und keine Krankheit, keine Sorge und keine Not uns davon abhalten, doch auch ganz heimlich und tief drin, doch auch ein kleines bisschen Freude zu empfinden. Denn er kommt. Und alles wird gut!

Und darum können wir schon jetzt „vergnügt, erlöst, befreit“ sein. Der Herr ist nahe. Und alles wird gut. Die Bilder, die ihr im Fernsehen seht, die Nachrichten, Klima, Katastrophen und Krieg. All die Sorgen werden vergessen sein, all die Stimmen schweigen, alle Häupter sich neigen. Darum, wenn ihr ans Weihnachtsfest denkt, vielleicht mit bangem Herzen: Wie wird es werden? Gibt es Frieden für die Welt? Wird wenigstens die Familie sich vertragen? Werde ich einsam sein in diesem Jahr? Dann hört auf Selma Lagerlöf, die schreibt: „Man sollte nicht ängstlich fragen. Was wird sein und was kann noch kommen? Sondern sagen: Ich bin gespannt, was Gott noch mit mir vorhat.“

Dann hört auf Paulus, der schreibt: „Freuet euch! Denn der Herr ist nah!“
Dann hört auf Maria, die singt: „Meine Seele erhebt den Herrn! Und mein Geist freut sich, jubelt über Gott, meinen Retter!“ Und stimmt mit ein. Denn:

Nicht die Reichen und Mächtigen werden jubeln. Nein, die Armen, die Schwachen werden es sein. Nicht die Gewalttätigen werden triumphieren. Nein, die Friedfertigen und Versager werden es sein. Nicht die Meinungsmacher werden sich freuen. Die Alten, Kinder, die nichts zu sagen haben, werden es sein. Nicht die Mörder werden, nein, die Opfer werden es sein, die tanzen und singen, hüpfen und springen. Denn der Herr kommt. Und alles wird gut.

Freuet euch in dem Herrn! Fasst neuen Mut.
Freut euch, was immer auch geschieht.
Und nochmal sage ich: Freuet euch!
Denn der Herr kommt.
Und alles wird gut.


Liedvorschläge:

            EG 8                 Es kommt ein Schiff geladen

            EG 17               Wir sagen euch an den lieben Advent (freut euch ihr Christen)

            EG 18               Seht, die gute Zeit ist nah

            EG 545             Es ist für uns eine Zeit angekommen


Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.


Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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